Entwicklung nach dem Beispiel Chinas?
Der Wirtschaftsboom Chinas geht von wenigen “Hot spots” — den Sonderwirtschaftszonen in den Küstenprovinzen aus, die aber zunehmend vergößert und erweitert werden. Auch Indien erlebt eine ähnliche Entwicklung. Es gibt “Boomstädte” insbesondere um Bangalore, Kalkutta und Mumbai (Bombay), deren Entwicklung die umgebenden Gebiete und Regionen mit sich reißt. Heute (2006) gibt es 15 Sonderwirtschaftszonen, die innerhalb der nächsten Jahren auf rund 300 Industriezentren anwachsen sollen. Rund 270 sind (Stand Dezember 2006) bereits genehmigt.
Bangalore:
Wer heute an Indiens Wirtschaftswachstum denkt, der denkt vor allem an Bangalore — das aus allen Nähten platzende, boomende “Silikon Valley” mit seinen Computer- und Softwareunternehmen. Dieses Wachstum gründet aus der Sonderstellung, die der indische Premierminister Rajiv Gandhi 1984 traf: der Informatik-Sektor der indischen Volkswirtschaft wurde (als erster Bereich) der bürokratischen Lenkung entzogen und liberalisiert. 1990 wurde in Bangalore die erste indische Freihandelszone, der “Software Technology Park” etabliert. Seither wächst dieses Wirtschaftssegment mit traumhaften Raten. Im Hauptquartier von Infosys in Bangalore arbeiten 16.000 Menschen auf einer Fläche von 8 ha (Stand 2005). Die Firma beschäftigt inzwische Die Stadt mit ihren angenehm klimatischen Verhältnissen scheint an ihrem Wachstum schier zu ersticken, nicht nur im Verkehr, der den typisch indisch chaotischen Verhältnissen aufgrund eine immer noch rückständigen Infrastruktur zu entsprechen scheint. Auch die Energieversorgung ist schwierig — weshalb sich viele große Unternehmen inzwischen eine eigene, unabhängige Stromversorgung zugelegt haben.
Kalkutta:
Kalkutta — ist das nicht die Elendsmetropole, in der die Schwestern von Mutter Theresa die Sterbenden aus den Straßen betreuen? Ist das nicht die Stadt in West-Bengalen, die durch die Abtrennung des islamischen Bangla-Desh ihr gesamtes wirtschaftliches Hinterland verlor — durch politische Ursachen geschwächt, die Bevölkerung nach den Vertreibungen bei der Staatsgründung Indiens und Pakistans immer noch in Elendsquarieren vegetierendund durch bürokratische Hemmnisse gelähmt und zum Siechtum verdammt?
Ja und nein — nach dem Zusammenbruch der Jute‑, Leder- und Stahlindustrie erlebt die Stadt inzwischen eine Wiedergeburt, als neues Technologiezentrum Indiens. IBM und Siemens, indische IT-Konzerne wie HCL, Tata Consultancy Servics und Wipro haben die Stadt für sich enteckt. IBM hat im September 2006 erklärt, in der Stadt gut 3000 Arbeitsplätze für die Entwicklung von Anwendungssoftware zu errichten, als Teil einer Investition, die von 2006 bis 2009 rund 6 Mrd. $ umfassen soll. Hier fließt der Strom — rund um die Uhr, hier werden in neuen Stadtvierteln elegante Hochhäuser aus dem Boden gestampft, und hier fördert die — kommunistische — Regierung mit — man möchste sagen chinesischem — Pragmatismus die Wirtschaftsentwicklung. Knapp 60 Staatsunternehmen wurden privatisert,und private Investoren werden angelockt und gefördert. So hat Kalkutta dem britischen P&O Logistikkonzern das Recht eingeräumt, in Kalkutta den ersten, vollständig privat betriebenen indischen Hafen zu errichten. IT-Unternehmen sind als “unbedingt notwendige Industrie” bezeichnet, was die einst im Elend rebellierenden Gewerkschaften ruhig stellt.Technologieunternehmen, die sich in Kalkutta ansiedeln wollen, erhalten in den neuen Technologieparks günstige Grundstücke und entsprechende Steuerbefreiungen. Die Erfolge sind deutlich: die ausländischen Direktinvestitionen sind innerhalb einer Dekade von 30 Mio. € auf 400 mio. € (Stand 2006) gestiegen, das gesamteWirtschaftswachstum liegt seit 1994 (bis 2003) bei durchschnittlich 7,1 %, wobei der IT-Sektor Kalkuttas jährlich um etwa 70 % wächst.Die Regierung Bengalens ist sehr bemüht, neue Industrien in eigens ausgewiesenen Sonderwirtschaftszonen anzusiedeln. Eine der ersten Neuansiedlungen war ein Unternehmen von Tata: der neue “Nano” — ein eigens entwickeltes Kleinfahrzeuge für 100.000 Rupien mit einem Zweizylindermotor, der fünf Liter auf 100 km verbraucht — soll in Singur bei Kalkutta gebaut werden. Die Industrieproduktion West-Bengalens, die sich von 1980 bis 1995 von 10 % auf 5 % der gesamten indischen Produktion halbierte, soll bis 2010 auf den drei- bis vierfachen Anteil an der Landesproduktion ansteigen.