Tatsächlich gehören Infrastruktur und Energieversorgung — neben einer immer noch beängstigenden Bürokratie — zu den Haupthemmnissen einer raschen Wirtschaftsentwicklung des Landes, das sich — wie bereits ausgeführt — in eine “Drei-Klassen-Ökonomie” aufteilen lässt.
ARM UND REICH:
Nach einer Beurteilung durch das “Word Economic Forum” (WEF) gehören nur etwa 20 Millionen Menschen — also etwa 2 % der Bevölkerung — der “Business-Class-Economy” an — und nur 200.000 Haushalte (0,02 % der Bevölkerung) sollen im Jahr 2005 ein Jahreseinkommen von mehr als 100.000,- Euro gehabt haben.
Die bürgerliche Mittelschicht der “Motorrad-Economy”, die sich Fernsehgeräte, Radio, Telefon und Gasanschluss leistet kann, umfasst etwa 200 Millionen Menschen. Das sind 20 % der Bevölkerung, ein verschwindend geringer Anteil, der vom indischen Wirtschaftsboom profitiert.
Etwa 30 Millionen Menschen — also etwa 3 % der Bevölkerung aus der Oberschicht und der gehobenen Mittelschicht — finanzieren als “Steuerzahler” knapp 10 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP), und damit den Staatshaushalt.
Rund 780 Millionen Landbewohner — weit mehr als beim asiatischen Konkurrenten China — gehören zur “Ochsenkarren-Wirtschaft”, 350 Mio. leben unterhalb der “Armutsgrenze” und etwa 150 Millionen — die Ärmsten der Armen — hat Mühe, den täglichen Kampf um genügend Nahrung erfolgreich zu bestreiten. Für und 70 % der indischen Bevölkerung, die überwiegend noch in der Landwirtschaft beschäftigt sind, bestimmt das traditionelle Kastenwesen und der Monsun das Leben.
Dazu gibt es — wie in China auch — ein geografisches Ungleichgewicht.
Der reiche Nordwesten um Bombay (Mumbay) und Dehli und der Süden — insbesondere der Bundesstaat Andhra Pradesh mit der “Boomtown Hyderabad” — und mit den High-tech Laboratorien in Bangalore (Bundesstaat Karnataka) sind die Vorreiter einer industriellen Entwicklung, die den armen Norden und Osten (Bengalen) — also die Bundesstaaten Bihar, Orissa oder Uttar Pradesh, die nur etwa 11 % der industriellen Investitionen erhalten — noch nicht so recht erreicht hat.Die Mehrheit der Wirtschaftswissenschaftler ist inzwischen der Auffassung, dass Indien eine “verstärkte Industriealisierung” durchlaufen muss. Die in der Landwirtschaft tätige Bevölkerung braucht Arbeitsplätze — Indien braucht arbeitsintensive Industrien, da die “Boomtechnologien” wie etwa die Informationstechnologie nur für den kleinsten Teil der indischen Bevölkerung — für Hochschulabsolventen — als Alternativen in Frage kommen. Indien kann nicht “direkt von der Agrar- in die Dienstleistungsgesellschaft springen. Dazu fehlt das Ausbildungsniveau” (Arvind Panagariya, Wirtschaftsprofesspr an der Columbia Universität, Amerika — zitiert in “DIE WELT”, 02.08.2007). Indiens Bildungssystem hat sich bereits in der Kolonialzeit an den elitären britischen Universitäten orientiert. Daher verfügt Indien über hoch qualifizierte Universitäten, die sich aus einer Fülle von Bewerbern die besten Studenten aussuchen können. In den sieben Elite TUs (Technischen Universitäten) Indiens erhalten etwa nur 1,5 % der Bewerber einen Studienplatz. Mehr als 11 Millionen Studentinnen und Studenten sind in den 370 indischen Universitäten und 18.000 Colleges eingeschrieben. Rund 200.000 Junglehrer sollen jedes Jahr das Bildungsniveau auf breiter Basis erhöhen. Andererseits ist gerade der ländliche Bereich selbst mit Grundschulen unterversorgt. Über ein Drittel der Inder werden als Analphabeten betrachtet. Allerdings — die Universitäten sind nur für eine Elite der indischen Bevölkerung zugänglich. Noch immer sind 40 Prozent aller Inder Analphabeten, und ohne den Besuch teurer Privatschulen sind die Zugangshürden zu den indischen Hochschulen unüberwindlich. Der “Teufelskreis der Armut” kann nur mit einer Schulbildung durchbrochen werden, die einem möglichst großen Teil der Bevölkerung ein “mittleres Bildungsniveau” ermöglicht und damit den Zugang für Mittelstandsberufe vom Facharbeiter bis in den Dienstleistungsbereich erlaubt. Business-Class-Ökonomie:
Im Jahr 2007 hat die Zahl der indischen Millionäre auf 100.000 Menschen zugenommen — 20 % mehr als im Vorjahr. Und Inder gehören zu den reichsten Menschen de Welt. Nach der “Forbes-Liste” gehören bereis vier Inder zu den zehn “Superreichen”, den reichsten Menschen der Erde. Die drei vermögendsten Inder haben zusammen mehr “auf der hohen Kante” als die vierzig reichsten Chinesen. Indische Milliardäre wie die Industriellen-Familie Tata (79,5 Mrd. $ Konzern-Vermögen und 28,8 Mrd. $ Umsatz in 2007) oder Mittal (70 Mrd. $ Konzernvermögen in 2007) beginnen inzwischen, den Weltmarkt etwa in der Stahlbranche “aufzumischen”.Der Familienkonzern Tata — 31 % des Umsatzes werden mit Maschinenbau insbesondere der Automobilindustrie erwirtschaftet, 25 % über Kommunikations und Informationssysteme, 21 % über Baustoffe — insbesondere auch die Stahlbranche, 7 % über Dienstleistungen (Hotels und Finanzen), 6 % über die eigene Energiesparte (Kraftwerke) und je 5 % über Chemiekalien und Konsumgüter (wie Tee und Schmuck) hat im neuen Jahrtausend mit der Übernahme der britischen Tee-Firma Tetley Tea (2001) des Stahlkochers Corus (formals Britsh Steel) für etwa 9,4 Mrd. Euro (2006) und auch mit den im Jahr danach geführten Übernahmeverhandlungen von Jaguar und Land Rover von Ford Aufsehen erregt.
Der Aufstieg der parsischen Industriefamilie ist ein symbolisches Beispiel für den Ehrgeiz indischer Familien und die Kraft der “Antikolonialisierung”. Der Aufstieg der Hotelsparte begann, als im 19. Jhdt. dem bekannten parsischen (Textil-)Industriellen Jamshetji Tata der Zugang zum britischen Watson-Hotel in Bombay verwehrt wurde. Empört über die Arroganz der britischen Kolonialherren errichtete Tata 1903 in Bombay das luxuriöse Taj Mahal Intercontinental, mit dem das britische Watson in jeder Hinsicht in den Schatten gestellt wurde. Mit der Übernahme der ehemals britischen Automobilmarken Jaguar und Land Rover fand diese Empörung gut 100 Jahre später im März 2008 einen krönenden Abschluss. Dabei hat die Familie Tata ihren typisch indischen Sinn für Wohltätigkeit nicht verloren. Die Dachgesellschaft Tata Sons gehört zu 2/3 zwei gemeinnützigen Famiienstiftungen, und 2/3 der Gewinne werden wohltätigen Zwecken zugeführt. Dass sich sagenhafter Wohlstand nicht in Wahlerfolgen niederschlägt, die — wie wohl in Amerika — durch teure Werbekampagnen finanziert werden zeigte die erfolglose Kandidatur von Naval Tata im Jahre 1971 im Wahlkreis Süd-Mumbai. Die reiche Oberschicht des Landes kann nur noch über die Nominierung im Oberhaus des Parlaments Einfluss in der Politik nehmen.
Externer Link:
Financial Times Deutschland — “Tata — die größte Firmengruppe Indiens”: www.ftd.de
Zu den reichsten Indern — mit einem geschätzten Vermögen von 43 Milliarden Dollar — gehört Mukesh Ambani, der mit seinem Bruder Anil die Reliance Indstries (RIL) erbte. Die Firma wächst und gedeiht — in Jamnagar entsteht unter der Regie von Mukesh der weltweit größte Raffinerie-Komplex, gleichzeitig entsteht mit einer Anschubfinanzierung von 5 Mrd. $ ein Landwirtschafts- und Einzelhandelskonzern, entstehen Ausbildungszentren für Bauern und Musterfarmen — um die Kunden für die eigenen Produkte zu gewinnen. Der jüngere Bruder Amil — nach der Forbes-Liste unmittelbar hinter dem Älteren geführt — konzentriert sich auf moderne Geschäftsfelder wie die Telekommunikation. (Text folgt)