Afrikanische Königreiche im Süden Nigerias:
Vor Ankunft der Briten waren im Südwesten Nigerias vor allem die Königreiche Benin und Oyo von großer Relevanz, ersteres wird nicht zu Unrecht in der Literatur auch als Imperium bezeichnet.
Benin - überwiegend im heutigen Nigeria gelegen — war vom 13. bis zum 19. Jahrhundert ein unabhängiges Königreich des Edo sprechenden Volkes der “Bini”, dessen erste Anfänge — als “Ableger” von Ife bis ins 10. Jahrhundert zurückgehen. Schon lange vorher — im letzten Jahrhundert vor dem Beginn unserer Jahresrechnung — begannen die Bini im Bereich zwischen Niger und Benue, zu sesshaften Bauern zu werden. Die einzelnen Clans gründeten Dörfer, die — jeder für sich — das eigene Territorium bewachten.
Bereits ab 500 n. Chr. wuchsen die von Häuptlingen geführten Dörfer der “Bini” zu über 130 regionalen Fürstentümern zusammen, die von der Macht und Stärke des jeweiligen Führers zusammen gehalten wurden. Dementsprechend führte der Tod eines Fürsten zu immer neuen Machtkonstellationen. Um 1200 gelang es einer einzigen Dynastie, die Region westlich des Nigerdeltas unter einem “Obo-Uwa” (“Erbauer des Wohlstands” — pragmatischer Titel des regierenden Fürsten, auch kurz “Obo” genannt) unter einer Herrschaft zu vereinen. Das Volk der “Ubini” bildete sich heraus, aus dem über die portugiesischen Entdecker (O Beny) der Begriff “Benin” entstand. Etwa um 1250 soll ein legendärer Handwerker namens Iguegha — ein Name der Yoruba — die Kunst des Bronzegusses aus der Region um den Ort Nok, nördlich von Benin, nach Benin gebracht und dort heimisch gemacht haben.
Mitte des 15. Jahrhunderts wurde das Reich unter dem legendären “Oba Ewuare” zur bestimmenden Regionalmacht, nachdem Ewuare aus der Verbannung zurückgekehrt und seinen Bruder “im Handstreich” aus der Hauptstadt vertrieben hatte. “Er bekriegte und eroberte 201 Städte und Dörfer in Ekiti, Ikare, Kukuruku, Eka und im Ibo-Land auf dieses Seite des Flusses Niger. Er nahm deren Herrscher gefangen und zwang deren Völker, im Tribut zu entrichten.” Die von gigantischen Wällen (und 9 schmalen Holztoren) geschützte Hauptstadt “Edo” (mit einer Fläche von 7,5 km² und etwa 50.000 Einwohnern, die in Handwerkervierteln zusammen lebten), und die an strategisch wichtigen Plätzen errichteten Festungen zeigen aber auch, dass selbst die Macht dieses despotischen Herrschers angreifbar war. Die Kriegszüge des Herrschers führten eine bestens organisierte Armee, gerüstet mit Pfeil und Bogen, Speer und Wurfspieß sowie Schwertern, vom heutigen Niger im Osten über das Land der Yoruba im Norden bis zum heutigen Lagos im Westen des Reiches. Als die Portugiesen um 1485 die Küste des Königreichs Benin — westlich des Niger-Deltas — erreichten, hatte dieses Land die nach dem Tode Ewuares (um 1473) entstandenen Thronwirren gerade überstanden.
Ab etwa 1500 entwickelte sich Stadt Edo (heute Benin City) zum Zentrum des portugiesischen Sklavenhandels, an dem sich auch die Yoruba-Staaten maßgeblich beteiligen. In den nächsten 350 Jahren verkaufen die an der Küste lebenden Stämme den Europäern für ihre Kolonien in Amerika zwischen zehn und fünfzehn Millionen Sklaven aus dem Hinterland. Portugiesische Söldner verdingten sich in der Armee des Oba, die um 1670 auf 100.000 Soldaten geschätzt wird, und rüsten diese mit Waffen aus. Erst um 1897 gelingt des einem britischen Heer, das Reich zu erobern und dessen Herrscher zu vertreiben.
Die nördlich an Benin angrenzenden Yoruba sind schon seit etwa einem Jahrtausend im Südwesten Nigerias im Bundesstaat Oyo, sowie in Benin und Togo ansässig. Das Volk umfasst über 20 Millionen Menschen. Die Siedlungen der Yoruba beherbergten in den glanzvollen Zeiten ihrer kulturellen Blüte (14. Jahrhundert) bereits bis zu 100.000 Einwohner. Traditionell stand diesen Yorubastadten ein König, vor, der sich als sakraler Herrscher auf göttliche Abstammung berief.
Eine der ältesten Städte der Yoruba ist die Stadt Ife. Die Yoruba nehmen an, dass die Stadt der Geburtsplatz der Menschheit ist und betrachten Ife deshalb als heilige Stadt, in der sich der Sitz des geistlichen Oberhauptes der Yoruba (Oni) befindet. Archäologische Funde belegen, dass die Stadt bereits damals ein wichtiges Handelszentrum mit Metall verarbeitenden Industrien gewesen ist. Seit dem 13. Jh. sind herausragende Schnitz- und Bronzearbeiten belegt. Die Stadtstaaten bildeten Städteföderationen, unter denen vor allem Oyo und Ife im 11./12. Jahrhundert zu überregionaler Bedeutung aufstiegen.
Im 17. Jahrhundert gründeten die Yoruba in der Region zwischen dem heutigen Benin und dem Fluss Niger das Königreich Oyo. Die Geschichte Oyos, das vor Beginn der Kolonialisierung bereits nach einem Angriff der islamischen Fulbe in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in viele rivalisierende Stadtstaaten zerfiel, ist für das heutige politische Selbstverständnis der Yoruba in Nigeria von großer Bedeutung. Die aus dem Südwesten stammenden Yoruba sind überwiegend christlichen Glaubens oder Animisten.
Im Südosten des heutigen Nigeria — östlich des Niger und südlich des Benue — entstanden zeitgleich mit den Staaten der Yoruba die Königreiche der Ibibio und der Igbo (Ibo), in einer Gegend, die man Alaigbo nennt. Der Name Igbo steht sowohl für die Sprache sowie auch für die Menschen. Da die Europäer keinen Unterschied zwischen den beiden Lauten “gb” und “b” heraushören konnten, wurde der Name der Sprache nun “Ibo” geschrieben. Bevor die Briten eintrafen, gab es auf dem Gebiet Biafras zahlreiche kleine Staaten des Ibo-Volkes. Das Igbo-Volk ist im 19. Jahrhundert überwiegend zu Christen missioniert worden. 1898 mußten sich die Ibo-Staaten dem Protektorat Großbrianniens unterwerfen.
Afrikanische Königreiche im Norden Nigerias:
Die Haussa sind ein großes Volk mit hamitischer Sprache im westlichen und mittleren Sudan, das im 16. und 17. Jahrh. große Reiche zwischen Niger und Tschadsee besaß und einst von Norden gekommen sein soll. Die H.staaten (s.d.) wurden durch die Fulbe (s.d.) zerstört. Allein bis heutzutage sind die H. als gewerbe- und handeltreibendes Volk im ganzen westlichen und mittleren Sudan, vom Senegal bis zum Schari und nach Süden zur Kamerunküste und bis an die Grenze des äquatorialen Urwaldes, ja sogar bis in diesen hinein verbreitet. Ihre Sprache ist die vorherrschende Handelssprache im ganzen mittleren Sudan geworden. Die Staaten der Haussa (s.d.) lagen im Gebiete zwischen dem Niger und dem Tschadsee. Die Zeit ihrer Entstehung ist unbekannt, doch nimmt Barth an, daß sie jüngeren Urs prungs seien. Sie teilten sich in die “sieben Haussa”, das sind die sieben echten H. und die “nichtigen Sieben” oder die sieben unechten H. Erstere waren Biram, Dauro, Gober, Kano, Rano, Katsena und Segseg. Die letzteren, in denen die Haussasprache zu großer Ausdehnung gekommen ist, sind die Landschaften Sangara, Kebbi, Nupe, Guari, Jariba, Jauri und Kororofa. Die im Norden dominierenden Haussa sind zumeist muslimischen Glaubens.
Um die Mitte des 16. Jahrhunderts wanderten die Fulbe, ein nomadisches Hirtenvolk, langsam aus der Futa-Toro-Region im Senegal nach Osten und bekehrten dort viele Menschen zum Islam. Die Fulbe — ein im gesamten westafrikanischen Gebiet zwischen Mauretanien, Guinea und dem Tschad und Kamerun zu findendes Nomadenvolk, deren Sprache (Fulbe) sich zu einer “Interlingua” in Westafrika entwickelte — beherrschten selbst mehrere Staaten im Ghana und dem Senegal. Die Fulbe, die im Laufe der Jahrhunderte vom Senegal bis zum Benue gewandert waren , wurden ursprünglich von den Haussa unterdrückt.
Die Fulani (Ful, Fulbe) wurden vor allem am Anfang des 18. Jahrhunderts zu Verfechtern einer radikalen Islamisierung. Im Jahre 1802 erhoben sie sich unter dem Wanderprediger Othman dan Fodio — einem muslimischem Gelehrten — und überrannten leicht die H., die in der Zeit zerrüttet und schwach geworden waren. Auf dem Boden der H. gründeten dann die Fulbe das Reich Sokoto.
Die Fulbe besiegten zwischen 1804 und 1810 die Haussa-Staaten und bildeten neue Herrscherhäuser. Sie beherrschten um 1830 ein Reich, das sich über die gesamte Nordhälfte des heutigen Nigeria und den größten Teil Nordkameruns erstreckte und von Sokoto (Kalifat von Sokoto) aus verwaltet wurde.