Am 16. Januar gaben somalische Piraten den im Juli 2010 im südlichen Roten Meer gekaperten griechischen Produktentanker MOTIVATOR nach Zahlung eines Lösegeldes frei. Die französische Korvette JACOUBET (EU NavFor) nahm das Schiff vor der somalischen Küste in Empfang und geleitete es in sichere Gewässer. Zugleich gab es in der abgelaufenen Woche aber auch wieder täglich Meldungen über Versuche somalischer Piraten, weitere Handelsschiffe zu kapern. Deutlicher Schwerpunkt waren einmal mehr die von Kriegsschiffen nicht zu überwachenden weiten Seegebiete des Arabischen Meeres, aber auch vor der somalischen Küste und sogar im dicht patrouillierten Golf von Aden versuchten Piraten ihr Glück. Mehrere Schiffe konnten die Angriffe durch so genannte „Best Management Practices“ (Ausweichmanöver und andere Maßnahmen) abwehren. Hervorzuheben ist ein abenteuerlich klingender Bericht, dem zufolge Piraten zwar an Bord eines Frachters gelangten, die Besatzung sich aber in einer „Zitadelle“ verbarrikadieren und ihr Schiff von dort sogar weiter steuern konnte. Als der Frachter direkt auf das Mutterschiff der Piraten zu hielt, um es durch Rammen zu versenken, gaben die Verbrecher ihre Beute schnell wieder auf.
EAGLE Bildquelle: EU NavFor |
Trotz aller Abwehrversuche konnten somalische Piraten aber auch wieder Schiffe in ihre Gewalt bringen. Am 17. Januar wurde im Ausgang des Golfs von Aden der griechische Frachter EAGLE (52.000 ts, Flagge Zypern, Besatzung 25 Filipinos) gekapert. Am 20. Januar entführten Piraten im Arabischen Meer gleich zwei Schiffe: 500 sm südöstlich von Muskat (Oman) wurde zunächst wurde der vietnamesische Frachter HOANG SON SUN (23.000 ts, Flagge Mongolei, Besatzung 24 Vietnamesen) und wenig später etwa 330 sm südöstlich von Salalah (Oman) der syrische Frachter KHALED MUHIEDDINE K (24.000 ts, Flagge Togo, Besatzung 25 meist Syrer) gekapert.
Ein glückliches Ende – wenn auch nicht für die Piraten – nahm die Entführung des südkoreanischen Produktentankers SAMHO JEWELRY. Piraten hatten das Schiff am 15. Januar im Arabischen Meer etwa 350 sm südöstlich von Muscat (Oman) gekapert und Kurs auf die somalische Küste genommen. Der im Golf von Aden eingesetzte südkoreanische Zerstörer CHOI YOUNG (KDX-II-Klasse) wurde sofort in Marsch gesetzt, das Schiff abzufangen. Schon am Tag der Entführung verkündete der südkoreanische Präsident, er habe befohlen, alle Möglichkeiten zur Beendigung der Geiselnahme auszuschöpfen … und Lösegeld zähle nicht dazu. Nachdem der Zerstörer die SAMHO JEWELRY mehrere Tage lang eng beschattet hatte, folgten am 21. Januar den Worten Taten. Eine Spezialeinheit der südkoreanischen Marine stürmte das gekaperte Schiff. Bei einem Feuergefecht wurden acht Piraten getötet, die restlichen fünf gefangen genommen. Der Kapitän der SAMHO JEWELRY wurde von einem Piraten angeschossen; alle anderen (20) Besatzungsmitglieder blieben unverletzt. Ein in der Nähe abwartender US-Zerstörer griff nicht direkt in das Geschehen ein, aber sein Bordhubschrauber transportierte später den verletzten Kapitän in ein Hospital an Land.
SAMHO JEWELRY Bildquelle: EU NavFor |
Noch am gleichen Tag gab es eine zweite erfolgreiche Befreiungsaktion. Im Ausgang des Golfes von Aden kaperten Piraten den malaysischen Flüssiggastanker BUNGA LAUREL. Das Schiff hatte gerade erst in einem begleiteten Konvoi die Passage des Golfes von Aden beendet und sich nur zwei Stunden zuvor von der als Sicherungsschiff eingesetzten BUNGA MAS 5 (ein von der malaysischen Marine speziell für den Anti-Piraterie Einsatz erworbenes und umgebautes ehemals ziviles Schiff) verabschiedet. Die Besatzung der BUNGA LAUREL konnte sich in einer „Zitadelle“ verbarrikadieren und einen Notruf absetzen. Die nur 14 sm entfernte BUNGA MAS 5 war sofort zur Stelle. Während ihr Bordhubschrauber das Piratenmutterschiff mit Maschinengewehrfeuer in Schach hielt, stürmten malaysische Kommandosoldaten das gekaperte Schiff und nahmen nach kurzem Feuergefecht alle sieben Piraten fest. Die Besatzung konnte anschließend unversehrt ihren Notraum verlassen und die Fahrt mit ihrem Schiff fortsetzen.
Solche Erfolgsmeldungen dürfen nicht darüber hinweg täuschen, dass das Problem „Piraterie vor Somalia“ weit von einer Lösung entfernt bleibt. Der am 18. Januar veröffentlichte Jahresbericht 2010 des International Maritime Bureau sieht im vergangenen Jahr sogar eine Rekordzahl von Überfällen. Trotz des Einsatzes von zeitweise gleichzeitig mehr als 25 Kriegsschiffen seien in 2010 49 Schiffe mit mehr als 1.000 Besatzungsmitgliedern von somalischen Piraten entführt worden – die höchste Anzahl seit Beginn der statistischen Erfassung in 1991. Nach Angaben einer US-Organisation haben somalische Piraten in 2010 insgesamt 238 Mio. US-Dollar Lösegeld „erwirtschaftet“. 2005 wurden für ein gekapertes Schiff noch durchschnittlich 150.000 US-Dollar Lösegeld gezahlt; inzwischen sind es 5,4 Mio. US-Dollar. Der gesamtwirtschaftliche Schaden durch Piraterie wird mit jährlich fast 12 Mrd. US-Dollar beziffert (Summierung von erhöhten Frachtraten, Versicherungsprämien, Lösegelder, Umwege, Schiffsausfälle etc …).
BUNGA MAS LIMA Bildquelle: Deutsche Marine |
Derzeit (Stand 20. Januar) befinden sich nach Angaben der EU NavFor 30 Schiffe mit 723 Geiseln in der Hand somalischer Piraten. Sicher haben Seestreitkräfte viele Entführungen verhindert, aber die Piraten dehnen ihren Aktionsradius immer weiter aus und weichen in Seegebiete des Indischen Ozeans (Somaliabecken, Arabisches Meer) aus, die allein schon aufgrund ihrer Ausdehnung nicht zu überwachend sind. Immer öfter werden vor allem kleine Frachtschiffe und Fischereifahrzeuge gekapert und – mit ihren Besatzungen als Geiseln – sofort als Mutterschiffe für weitere Überfälle genutzt.
Alle Experten sind sich darin einig, dass bloße Marinepräsenz in See nicht ausreicht, die somalische Piraterie effektiv einzudämmen. Kriegsschiffe erfüllen zwar wichtige Funktionen, aber ohne politisch „abgesegnete“, erheblich robustere „Rules of Engagement“ sowie politische, soziale und militärische Maßnahmen in Somalia droht ihre Wirkung zu verpuffen, bleiben die teuren und die jeweiligen Marinen inzwischen weit über Gebühr belastenden Einsätze in ihrer Effektivität weit hinter den Erwartungen zurück.
Politiker stellen gern isolierte Erfolge wie z.B. die Befreiung der SAMHO JEWELRY als beispielhaft für den Gesamterfolg „ihrer“ Anti-Piraterie Operationen dar, erwähnen aber nicht, dass die Piraten in ihren Rückzugsgebieten an der somalischen Küste unverändert weitgehend ungestört bleiben; noch immer werden in See angetroffene Piraten meist nur entwaffnet und dürfen dann völlig unbehelligt zu ihrem Stützpunkt zurück kehren, um sich dort wieder auszurüsten und sofort zu neuen Kaperfahrten aufzubrechen. Solange Piraten praktisch keinerlei Risiken eingehen, werden sie auch nicht im Traum daran denken, ihr lukratives Geschäft aufzugeben.
Als bisher wirksamste Schutzmaßnahme für Handelsschiffe hat sich die Einschiffung bewaffneter Sicherheitsteams erwiesen. Spanische und französische Fischereifahrzeuge haben inzwischen solche von zivilen Sicherheitsdiensten aber auch Polizei und Militär gestellte Teams an Bord – und kein einziges solches Schiff wurde seitdem entführt. Der Jemen hat begonnen, Teams seiner Marine und Küstenwache an den Golf von Aden passierende Schiffe zu „vermieten“. Tatsache ist, dass wo immer Piraten mit Abwehrfeuer konfrontiert wurden, sie sofort abdrehten. Private Sicherheitsfirmen erkennen hier einen eindeutigen Wachstumsmarkt. Die Firma „Clear Ocean“ (angeblich 10-Jahresvertrag mit der somalischen Zentralregierung) hat im Dezember den ehemaligen Tender HORTEN der norwegischen Marine erworben. Mit weiteren acht Schiffen und Booten sowie einer kleinen Hubschrauberflotte will man vor der somalischen Küste seine Dienste anbieten.
Natürlich fordern auch deutsche Reeder eingeschiffte Sicherheitsteams für ihre Schiffe. Diesbezügliche Gespräche werden geführt, aber leider zeigt sich die deutsche Politik bisher unfähig (vielleicht aber auch bloß unwillens), im Beziehungsgeflecht zwischen Streitkräften (VtdgMin) und Bundespolizei (InnenMin) zu pragmatischen Lösungen zu kommen, die nicht gleich großer Verfassungsänderungen bedürfen. So darf denn auch nicht verwundern, dass einige Reeder nach Alternativen suchen. Eine solche Lösung hat der Eigner des im April 2010 entführten (und danach durch niederländische Kommandosoldaten befreiten) Frachters TAIPAN bereits gefunden. Er hat sein Schiff nämlich nach Liberia ausgeflaggt. Nicht mehr deutschem Recht unterliegend, darf die TAIPAN nun durch ein privates, bewaffnetes Sicherheitsteam geschützt werden. Wenn die anderen deutschen Reeder diesem Beispiel folgen, erledigt sich unter der vom früheren Bundeskanzler Kohl bisweilen beschworenen „normativen Kraft des Faktischen“ das Problem für die — deutsche — Politik vielleicht allmählich ganz von selbst.
Aktuelle Entwicklungen bei Einsatzkräften
Der niederländische Versorger AMSTERDAM ist in den Heimathafen den Helder zurück gekehrt und hat damit einen mehrmonatigen Einsatz im Rahmen der NATO-Operation „Ocean Shield“ beendet. Das Schiff war neben der bloßen Versorgung von Kampfschiffen auch aktiv in die Anti-Piraterieoperationen eingebunden, hat sogar selbst Piratengruppen vor der somalischen Küste abgefangen und „vorbeugend neutralisiert“. Eigentlich sollte die AMSTERDAM schon vor Weihnachten zu Hause sein, wurde dann aber wegen der Lageentwicklung in der Elfenbeinküste kurzfristig noch zur Versorgung des französischen Hubschrauberträgers TONNERRE in den Golf von Guinea beordert.
Der finnische Minenleger POHJANMAA muss auf seinem Weg zur EU NavFor zur Reparatur der ausgefallenen Stabilisierungsanlage einen Zwischenaufenthalt in Zypern einlegen. Die Teilnahme an „Operation Atalanta“ wird erster operativer Auslandseinsatz der finnischen Marine im Rahmen eines multinationalen Verbandes.
LOUISE-MARIE Bildquelle: F. Findler |
Die belgische Fregatte LOUISE-MARIE hat ihren Einsatz bei der EU NavFor beendet und den Rückmarsch in die Heimat angetreten. Am 7. Februar wird das Schiff in Zeebrügge zurück erwartet.
In Kooperation mit “MarineForum — Zeitschrift für maritime Fragen”
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