Somalische Piraten sind nun wieder in fast allen Seegebieten vor dem Horn von Afrika aktiv – vom südlichen Roten Meer über den Golf von Aden und das Arabische Meer bis ins Somaliabecken und die Straße von Mosambik. Kaum ein Tag vergeht, ohne dass mutmaßliche Piratenmutterschiffe und Skiffs gesichtet oder Überfälle gemeldet werden.
PAG Alert Map (NATO Shipping Centre) |
KÖLN versenkt Whaler (Foto: EU NavFor) |
Eine vom NATO Shipping Centre erstellte und regelmäßig aufdatierte „Alert Map“ zeigt die Gebiete, in denen mutmaßliche „Pirate Action Groups“ (PAG) aktuell auf Beute warten.
Am 7. Oktober meldete ein Handelsschiff im südlichen Roten Meer, knapp nördlich der Meerenge des Bab el Mandeb, die „verdächtige Annäherung“ von drei Skiffs, konnte mit Ausweichmanövern einen möglichen Angriff aber vermeiden. Am 11. Oktober griffen im Nordeingang der Straße von Mosambik, 40 sm nördlich der Komoren, ein Handelsschiff an, das sich ebenfalls mit Ausweichmanövern retten konnte.
Zugleich lassen Meldungen über eine vermisste jemenitische Dhau und ein kenianisches Fischereifahrzeug vermuten, dass die Piraten zügig weitere mögliche Mutterschiffe für ihre Zwecke „requirieren“. Am 8. Oktober verkündete die „Marine“ Puntlands die Befreiung einer wenige Tage zuvor gekaperten Dhau vor der Küste der autonomen somalischen Teilrepublik.
Internationale Seestreitkräfte sind nach „Eröffnung der neuen Piratensaison“ neben der Sicherung von Konvois vor allem auch bemüht, mit Hilfe intensivierter Luftaufklärung in den weiten Seegebieten des offenen Indik mögliche PAG zu identifizieren und dann vorbeugend zu neutralisieren.
So fing die deutsche Fregatte KÖLN (EU NavFor) im Somaliabecken, 200 sm östlich von Tansania, ein mit Kraftstofftonnen und anderer möglicher Piratenausrüstung beladenes, offenes Boot (so genannter „Whaler“) ab – offenbar ein Piraten-Mutterboot. Die vier Insassen wurden vorübergehend festgesetzt, Ausrüstung beschlagnahmt und ihr Whaler dann versenkt. Da es keine Beweise für ein bereits begangenes Verbrechen gab, wurden die mutmaßlichen Piraten allerdings schon bald wieder freigelassen. Die Fregatte setzte sie an der somalischen Küste ab.
Zentrales Ereignis der abgelaufenen Woche war die Kaperung und nachfolgende Befreiung des italienischen Frachters MONTECRISTO. Das Schiff war am 11. Oktober im Arabischen Meer – 500 sm von der somalischen Küste entfernt – unterwegs, als es von Piraten geentert wurde.
Der Kapitän setzte einen Notruf ab und verbarrikadierte sich mit seiner gesamten Besatzung in einem Schutzraum. Internationale Seestreitkräfte reagierten schnell. Ein Seefernaufklärer P‑3C Orion der US Navy lokalisierte die MONTECRISTO 200 sm südöstlich der omanischen Küste – mit Kurs auf Somalia. Koordiniert vom italienischen Zerstörer ANDREA DORIA (derzeit Führungsschiff für die NATO Operation „Ocean Shield“) nahmen mehrere Kriegsschiffe Kurs auf die Position.
Befreiung der MONTECRISTO (Foto: NATO) |
Der britische Versorger FORT VICTORIA und die US-Fregatte DE WERT fingen die MONTECRISTO in den frühen Morgenstunden des 11. Oktober ab. Als fest stand, dass die Besatzung noch immer sicher im Schutzraum verbarrikadiert war und die Piraten keine Geiseln in ihrer Hand hatten, stürmten Einsatzgruppen mit Hubschraubern und Booten den Frachter. Gegenwehr gab es nicht; alle elf Piraten ergaben sich sofort. Sie wurden zunächst unter Bewachung an Bord der MONTECRISTO interniert. Inzwischen sind sie offenbar auf dem Weg nach Italien, wo ihnen der Prozess gemacht werden soll.
Immer mehr Länder denken um und billigen bewaffnete Sicherheitskräfte (Vessel Protection Detachment – VPD) auf unter ihrer Flagge in piraten-gefährdeten Gebieten fahrenden Handelsschiffen. Noch am Tage der Entführung der MONTECRISTO kündigte die italienische Regierung an, italienische Handelsschiffe im Indik künftig durch eingeschiffte Soldaten schützen zu wollen. Bereits am 7. Oktober hatte das niederländische Kabinett für das Jahr 2012 die Abstellung von insgesamt 50 militärischen VPD beschlossen (in diesem Jahr waren es noch 5). Ihr Einsatz soll fallweise für besonders gefährdete Schiffe genehmigt werden; falls mehr als 50 Einsätze notwendig werden sollten, werde man unter Rückgriff auf Reservisten entsprechend aufstocken.
Auch Großbritannien, dessen Regierung VPD bisher entschieden abgelehnt hatte, revidiert seine Politik. Außen-Staatssekretär Bellingham erklärte in einer viel beachteten Rede, die Einschiffung von (auch zivilen) VPD biete erwiesenermaßen den besten Schutz gegen Piraten. Man könne einfach nicht ignorieren, dass noch kein einziges solchermaßen gesichertes Schiff entführt worden sei. Die sehr „komplexen“ Gesetzgebungsverfahren zur Erlaubnis bewaffneter ziviler VPD als „temporary measure“ seien fast abgeschlossen. In einer zweiten Maßnahme will Großbritannien auf den Seychellen eine neue „nachrichtendienstliche Zelle“ einrichten (bzw. deren Einrichtung finanzieren), die die Finanzwege der Piratenbosse und ihrer Hintermänner aufklären und unterbinden soll. Dazu würden auch Offiziere der vom britischen Innenministerium „unterstützten“ (aber nicht geführten), ressort-unabhängigen Serious and Organised Crime Agency (SOCA, gegründet 2006) abgestellt.
CAPE BIRD (Foto: vesseltracker.com) |
JAMARAN bei Verabschiedung (Foto: ISNA) |
WESTAFRIKA
Am 8. Oktober entführten Piraten im Golf von Guinea, etwa 90 sm südlich von Lagos (Nigeria) den deutschen (Flagge Marshall Islands) Chemikalientanker CAPE BIRD. Sechs Tage später wurden Schiff und Besatzung wohlbehalten wieder frei gelassen. Ob Lösegeld gezahlt oder Ladung gestohlen wurde, ist bei Redaktionsschluss noch nicht bekannt. Üblicherweise steuern Piraten in der Region entführte Schiffe in abgelegene Buchten vor der Küste (Nigerdelta), um sie dort soweit möglich zu entladen. Die erbeutete Ladung (überwiegend Rohöl und Ölprodukte) wird dann auf dem Schwarzmarkt verkauft. Lösegeldforderungen für ein Schiff und seine Besatzung sind vor Westafrika die Ausnahme.
Aktuelle Entwicklungen bei Einsatzkräften
Am 9. Oktober wurde die 15. Anti-Piraterieeinsatzgruppe der iranischen Marine nach 85 Tagen Einsatz im Golf von Aden in der Heimat zurück begrüßt und zugleich die 16. Einsatzgruppe verabschiedet. Zu ihr gehören der Flottenversorger BANDAR ABBAS sowie die neue leichte Fregatte JAMARAN. Das im Iran unter der Projektbezeichnung „Mowj“ entwickelte und gebaute, dort offiziell als “Zerstörer” bezeichnete 1.400 ts große Kampfschiff war im Februar 2010 der Marine übergeben worden. Die Beteiligung an der 16. Anti-Piraterieeinsatzgruppe wird der erste Einsatz der JAMARAN in außerheimischen Gewässern. Mit ortsüblicher Euphorie und Übertreibung wurde ihre Verabschiedung in diesen Einsatz denn auch als Meilenstein auf dem Weg zu iranischen Marineoperationen auf den Ozeanen der Welt gepriesen.
In der Straße von Mosambik hat die französische Fregatte NIVOSE (FLOREAL-Klasse) am 12. Oktober die Anti-Piraterie Übung (teils wohl auch Operation) „Oxide“ begonnen. „Oxide“ reiht sich in von der französischen Marine ausgerichtete, jährliche regionale Ausbildungsvorhaben ein, in die auch die Marinen Südafrikas und Mosambiks eingebunden sind. Am nun begonnenen „Oxide“ sind diese offenbar aber nicht mit eigenen Schiffen oder Booten beteiligt, sondern haben lediglich Offiziere auf der NIVOSE eingeschifft.
Das dänische Mehrzweckschiff ABSALON läuft am 16. Oktober aus seinem Heimathafen aus. Die ABSALON soll sich am Horn von Afrika für zwei Monate der NATO Operation „Ocean Shield“ anschließen. Für das Schiff wird dies nicht der erste Anti-Piraterieeinsatz. ABSALON und Schwesterschiff ESBERN SNARE hatten in den letzten Jahren schon mehrfach an das Horn von Afrika verlegt und waren hier sowohl an der NATO Operation „Ocean Shield“ als auch an der EU Operation „Atalanta“ beteiligt.
In Kooperation mit “MarineForum — Zeitschrift für maritime Fragen”
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