Nach Erhalt eines Lösegeldes (angeblich 3,5 Mio. US-Dollar) haben somalische Piraten am 30. September den im Februar im Arabischen Meer gekaperten griechischen Massengutfrachter DOVER frei gelassen. Schiff und Besatzung erreichten drei Tage später wohlbehalten den Hafen von Salalah (Oman).
Inzwischen ist die Monsunzeit weitgehend beendet. Lediglich in den südlichen Teilen des Somaliabeckens hindern Wind und Seegang die Piraten noch an ausgedehnten Kaperfahrten auf die Hohe See. Vom Golf von Aden über das gesamte Arabischen Meer und die Seegebiete nördlich der Seychellen bis in küstennahe Gebiete im Nordeingang der Straße von Mosambik finden sie nun aber wieder für ihre Zwecke gute Bedingungen. Die von der US Navy definierte Region mit den höchsten Bedrohungsstufen „Orange“ und „Rot“ zeigt sich dementsprechend deutlich erweitert, entspricht jetzt in etwa einer Fläche in der Größe Mitteleuropas.
Täglich werden nun auch weit von Somalia entfernt wieder (mögliche) „Pirate Action Groups“ (PAG) mit Mutterschiffen (gekaperte Dhaus oder offene so genannte Whaler) und Skiffs gesichtet. So beobachtet die indische Marine seit mehreren Tagen allein drei verdächtige Dhaus im Seegebiet nördlich der Seychellen; mindestens eine PAG ist im Arabischen Meer aktiv, zwei oder drei weitere vor den Küsten Kenias und Tansanias.
Piratenbedrohung (Grafik: US Navy) |
Auch vergeht nun kaum ein Tag ohne Überfälle. Die recht stehende Karte zeigt nur einen Teil der vom 29. September bis zum 5. Oktober gemeldeten, versuchten Kaperungen, bei denen die Piraten glücklicherweise aber keine Beute machen konnten.
So gab es am 2. Oktober im Arabischen Meer einen Angriff auf den Frachter LARA RICKMERS. Während der Kapitän die Besatzung in einen Schutzraum befahl, konnte ein eingeschifftes bewaffnetes Sicherheitsteam die Verbrecher mit Warnschüssen auf Distanz halten. Aus viel zu großer Entfernung schossen sie frustriert noch eine Panzerfaustgranate und drehten dann ab, um sich ein neues, weniger wehrhaftes Opfer zu suchen. Zwei Tage später konnte ein in Medien nicht näher genanntes Kriegsschiff 300 sm östlich von Sokotra eine mutmaßliche PAG stellen; da allerdings kein spezifisches Verbrechen nachzuweisen war, musste man sich damit begnügen, den Piraten durch Versenkung von zwei Skiffs die Möglichkeiten zu Überfällen zu nehmen – und sie dann mit ihrem Mutterschiff ziehen lassen.
Auch weiter südlich versuchen Piraten ihr Glück. Am 2. Oktober griffen zwei von einem Mutterschiff ausgesetzte Skiffs nördlich der Seychellen den Chemikalientanker UACC SHAMS an. Ein eingeschifftes bewaffnetes Sicherheitsteam zwang sie mit Warnschüssen zum Abdrehen. Im gleichen Seegebiet wurde einen Tag später das Fischereischiff GLENAN nächstes Ziel. Hier lieferte sich ein eingeschifftes Sicherheitsteam der französischen Marine ein kurzes Feuergefecht mit den Piraten, die dann schnell ihr Vorhaben aufgaben.
Überfälle werden auch vor den Küsten Kenias und Tansanias gemeldet. Am 3. Oktober griffen Piraten 80 sm vor Sansibar das Explorationsschiff OCEAN RIG POSEIDON an. Das von der brasilianischen Petrobras betriebene Schiff sucht im Auftrag Tansanias in der Wirtschaftszone des ostafrikanischen Staates nach Öl – und wird von der tansanischen Marine gegen Piraten geschützt. Letzteres hatten die insgesamt sieben Piraten offenbar übersehen. Als sie versuchten, das Schiff zu entern, wurden sie sämtlich festgenommen. Bis zu ihrer Heimkehr nach Somalia dürften nun erst mal Jahre vergehen. Ebenfalls vor Sansibar griff eine andere PAG am 6. Oktober das singapursche Containerschiff COTE DE NAZRAT an. Auch hier blieben sie erfolgreich, scheiterten an einem (diesmal britischen) eingeschifften bewaffneten Sicherheitsteam, das sie mit Warnschüssen auf Distanz hielt, bis sie schließlich aufgaben.
Im Golf von Aden schließen sich unter erhöhter Bedrohung nun wieder mehr Handelsschiffe den von Kriegsschiffen gesicherten Konvois an. Einige Kapitäne halten dies (Zeitverlust) noch immer für unnötig und vertrauen auf ihr Glück. Solches Glück hatte auch der Massengutfrachter THEOFOROS I, den sich Piraten am 2. Oktober als Opfer ins Visier nahmen. 90 sm südwestlich von Mukallah (Jemen) griffen sie mit einem Skiff an. Ein bewaffnetes Sicherheitsteam befand sich nicht an Bord, und Warnschüsse mit Leuchtmunition ignorierten die Verbrecher. Der Kapitän setzte einen Notruf ab und verbarrikadierte sich dann mit seiner Besatzung in einem Schutzraum. Die Piraten konnten den Frachter entern, aber ohne Geiseln nicht effektiv unter Kontrolle bringen. Als wenig später der Bordhubschrauber eines nahen Kriegsschiffes vor Ort eintraf, hatten sie sich bereits wieder abgesetzt.
Quelle: gcaptain.com |
Die Ereignisse der abgelaufenen Woche lassen einmal mehr keinen Zweifel daran, dass der derzeit beste Schutz vor einer Kaperung in der Einschiffung bewaffneter militärischer oder auch ziviler Sicherheitsteams (Vessel Protection Detachment — VPD) besteht. Somalische Piraten konnten bisher noch kein einziges solchermaßen gesichertes Schiff entführen. Immer mehr Länder akzeptieren dies denn auch als Tatsache und erlassen Gesetze, die einen solchen Schutz für unter ihrer Flagge fahrende Schiffe erlauben; jüngstes Land in dieser Reihe ist Zypern, das für seine große Handelsflotte demnächst ein entsprechendes Gesetz verabschieden wird.
In Deutschland bleibt man davon weit entfernt. Auf einer Tagung in Berlin wurde einmal mehr nur lapidar festgestellt, dass weder Bundespolizei noch Bundeswehr über die Kapazitäten zur Abstellung von Personal verfügen. Überraschen kann dies nicht; nach den rigorosen Einsparungen der letzten Jahren ist die Personaldecke so dünn geworden, dass über Routineaufgaben hinaus gehender Bedarf nicht mehr kurzfristig gedeckt werden kann – und die Wiederherstellung einmal verlorener Fähigkeiten dauert (selbst wenn man denn wollte).
Leider wird es in naher Zukunft für unter deutscher Flagge fahrende Schiffe aber auch keine Genehmigung zur Anheuerung ziviler bewaffneter VPD geben. Verantwortliche Politiker, die das Problem seit mehreren Jahren „ausgesessen“ und sich um Lösungen gedrückt haben, erkennen inzwischen zwar durchaus einen Sinn für eine solche Maßnahme, veranschlagen nun allerdings die voraussichtliche Dauer des notwendigen Gesetzgebungsverfahrens auf „etwa zwei Jahre“. Im Klartext heißt dies nicht weniger, als dass der deutsche Staat trotz der sehr realen, aktuellen Bedrohung zur Zeit ganz offenbar nicht in der Lage ist, den hoheitlichen Verpflichtungen zum effektiven Schutz seiner Handelsschifffahrt nachzukommen. Man darf so durchaus damit rechnen, dass deutsche Reeder vermehrt dazu tendieren, sich durch Ausflaggen die Rechtsordnungen anderer Flaggenstaaten zunutze zu machen, ihre Schiffe unter den Schutz anderer Staaten zu stellen.
Aktuelle Entwicklungen bei Einsatzkräften
Der französische Aviso PREMIER MAITRE L’HER hat sich am 1. Oktober in Brest auf den Weg ans Horn von Afrika gemacht. Das Schiff schließt sich offiziell zwar der Anti-Terror Einsatzgruppe CTF 150 (Operation „Enduring Freedom“) an, wird zeitweilig aber auch die EU NavFor in ihrer Operation „Atalanta“ unterstützen.
VPD (Foto: EU NavFor) |
Die britische Fregatte MONMOUTH hat am 3. Oktober mit Rückkehr in die Devonport Naval Base einen sechsmonatigen Einsatz beendet, in dessen Rahmen sie zeitweilig auch in Anti-Piraterie Operationen vor Somalia eingebunden war.
PREMIER MAITRE L’HER (Foto: Deutsche Marine) |
In Kooperation mit “MarineForum — Zeitschrift für maritime Fragen”
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