Immer häufiger gehen Piraten weit entfernt von Somalia ihrem kriminellen Gewerbe nach. Ganz offensichtlich werden die von internationalen Seestreitkräften gesicherten und überwachten Seegebiete nach Möglichkeit gemieden, und man betätigt sich vorzugsweise dort, wo keine Kriegsschiffe vermutet werden. Dabei nutzt man die Tatsache, dass — selbst bei Verzehnfachung der Marineeinheiten — eine lückenlose Überwachung der weiten Seegebiete des Indischen Ozeans unmöglich ist. So haben Piraten am 26. November fast 900 Seemeilen von der somalischen Küste entfernt im Indischen Ozean das malaysische Containerschiff ALBEDO gekapert. Das Schiff war auf dem Weg von der Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) nach Mombasa, Kenia. Mit der ALBEDO befinden sich nun 22 Schiffe mit insgesamt 521 Geiseln in den Händen von Piraten.
ALBEDO (noch mit früherem Namen) Bildquelle: EU NavFor |
Weitere in der abgelaufenen Woche gemeldete Überfälle blieben glücklicherweise erfolglos. So wurde am 27. November nordöstlich der Seychellen, ebenfalls mitten im Indischen Ozean, ein Frachter aus den VAE von zwei Skiffs angegriffen, auch mit Panzerfäusten beschossen, konnte sich aber mit Ausweichmanövern retten. Einen Tag später versuchten Piraten weit östlich von Socotra den türkischen Frachter 26 AGUSTOS zu kapern. Sie gelangten sogar an Bord, konnten aber die in einer „Zitadelle“ verbarrikadierte Besatzung nicht als Geiseln nehmen. Als der alarmierte US Zerstörer SHOUP (CTF 151) eintraf, hatten die Verbrecher ihre Beute bereits wieder aufgegeben und das Weite gesucht.
Indien betrachtet die Ostverlagerung der „Operationsgebiete“ somalischer Piraten mit zunehmender Sorge. Am 29. November griffen vermutlich somalische Piraten nur 400 sm westlich von Goa (Indien) den indischen Supertanker GURU GOBIND SINGH an. Das Schiff konnte mit leichten Blessuren entkommen. Kurz zuvor war ebenfalls nur 300 sm von der indischen Westküste entfernt ein griechischer Frachter angegriffen worden. Ausweichmanöver und Stacheldrahtsperren verhinderten ein Entern; die Piraten gaben schließlich auf. In der gleichen Region soll es noch zwei weitere versuchte Überfälle gegeben haben. Wahrscheinlich dient ein gekapertes Schiff den Piraten als Basis für den „Ferneinsatz“.
In Reaktion auf die gemeldeten Angriffe haben indische Marine und Küstenwache am 29. November begonnen, die fraglichen Seegebiete systematisch nach mutmaßlichen Piraten abzusuchen. Am 3. Dezember wurde der Zerstörer RAJPUT möglicherweise fündig. In der Nähe der Lakkadiven wurde eine verdächtige Dhau (mit 19 „Ausländern“ an Bord) aufgebracht und zur näheren Untersuchung in einen Hafen eskortiert. Viel Hoffnung auf einen nachhaltigen Erfolg der Aktion macht man sich aber offenbar nicht. Marinebefehlshaber Admiral Verma beklagte öffentlich, dass mangels geeigneter nationaler Gesetze von indischen Kriegsschiffen in internationalen Gewässern in Gewahrsam genommene Piraten in Indien nicht strafrechtlich verfolgt werden könnten.
Während Piraten in den Weiten des Indischen Ozeans bei ihren Kaperfahrten kaum gestört werden, können sie nahe der Heimat häufig schon vor einem Verbrechen aus dem Verkehr gezogen werden. Am 29. November brachte die belgische Fregatte LOUISE MARIE (EU NavFor) vor der somalischen Küste eine Piratengruppe auf. Das Kriegsschiff geleitete einen Frachter der AMISOM Somaliahilfe nach Mogadishu, als zwei verdächtige Skiffs sich näherten. Vom Bordhubschrauber wurden die Boote mit Warnschüssen gestoppt, konnte auch noch beobachtet werden, wie Waffen über Bord geworfen wurden. Das eingesetzte Boardingteam fand dennoch ausreichend weitere Piratenausrüstung, um die sieben mutmaßlichen Piraten erst einmal an Bord der Fregatte in Gewahrsam zu nehmen. Verhöre ergaben, dass zumindest einer der Festgenommenen im April 2009 auch schon an der Entführung des belgischen Baggers POMPEI beteiligt gewesen war. Er wird vermutlich zur Strafverfolgung nach Belgien überstellt. Zum Schicksal seiner sechs Kumpane gibt es bei Redaktionsschluss noch keine Informationen.
Boardingteams der LOUISE MARIE stoppen Skiff Bildquelle: belg. Marine |
Am 29. November traf die US Fregatte KAUFFMAN (NATO) im Golf von Aden auf ein Skiff, das direkt neben dem gesicherten Schifffahrtsweg (IRTC) offenbar auf Beute wartete. Als der Bordhubschrauber sich näherte, wurden sofort Waffen und Ausrüstung über Bord geworfen. Ein Boardingteam der US Fregatte beschlagnahmte weitere Ausrüstung und Reservekraftstoff. Als sichergestellt war, dass dieses Skiff „keine Gefahr mehr für die Schifffahrt“ sein würde, ließ man die Piraten ihres Weges ziehen. Sie werden sich inzwischen an der somalischen Küste neu ausgerüstet haben und dürften schon bald erneut ihr Glück versuchen. Einen Tag später konnte der britische Versorger FORT VICTORIA (NATO) im Kampf gegen die Piraterie einen Erfolg verbuchen. Vor einem Piratenlager bei Hobyo entdeckte der Bordhubschrauber einen Whaler, der gerade für eine wahrscheinliche Kaperfahrt beladen wurde. Als das Boot dann in der Nacht mit zwei Skiffs im Schlepp die Küste verließ, wurde „zugegriffen“. Royal Marines stoppten die Piratengruppe, beschlagnahmten Ausrüstung und versenkten schließlich die Boote. Die verhinderten Piraten wurden nach kurzer Befragung an Bord des Versorgers an der Küste abgesetzt.
In Norfolk, Virginia, hat ein US Gericht am 29. November einen somalischen Piraten wegen des „vergeblichen Versuchs, ein US Kriegsschiff zu erobern“ zu einer 30-jährigen Haftstrafe verurteilt. Der Vorwurf der „Piraterie“ war zuvor mangels unklarer Definition verworfen worden. Eine Verurteilung für diesen Straftatbestand hätte zwingend eine lebenslange Freiheitsstrafe zur Folge gehabt.
Mit einer Feierstunde in Bosaso hat die autonome Region Puntland am 29. November die dreimonatige Ausbildung von 154 ersten „Marinesoldaten“ abgeschlossen. Insgesamt ist offenbar die Aufstellung einer mehr als 1.000 Mann umfassenden Truppe geplant. Von ausländischer Ausbildungsunterstützung ist auszugehen, allerdings nicht seitens der USA, die mit Blick auf die Zentralregierung in Mogadischu und den unklaren Status von Puntland hier erhebliche Bedenken haben. Andere Nationen (z.B. Frankreich) haben solche Vorbehalte nicht.
Am 2. Dezember hat der Deutsche Bundestag wie erwartet die Verlängerung der Teilnahme der Deutschen Marine an der EU Operation Atalanta beschlossen. Bis zu 1.400 deutsche Soldaten können in diesen Einsatz entsandt werden; derzeit sind nur 330 an Bord einer Fregatte vor Ort. Grundsätzlich bestünde damit auch eine „Personalreserve“ zur Abstellung von Soldaten als „Vessel Protection Teams“ an Bord deutscher Handelsschiffe. Die deutschen Reeder fordern dies seit langem, sind sogar bereit, einen Großteil der Kosten für einen solchen Einsatz zu übernehmen. Sowohl Bundeswehr als auch Bundespolizei sträuben sich mit Verwies auf „rechtliche Probleme“. Ganz nachzuvollziehen sind diese Bedenken allerdings nicht. Immerhin werden ja unter dem allgemein für die Bekämpfung der Piraterie geltenden UN-Mandat schon die zivilen Schiffe des World Food Program gezielt geschützt, ohne dass hier irgendjemand einen nicht verfassungskonformen “Polizei-Einsatz” der Bundeswehr moniert hätte.
Der UN Sicherheitsrat hat am 23. November die zur Bekämpfung der Piraterie beschlossenen Resolutionen um weitere 12 Monate verlängert. Sie schließen die ausdrückliche Genehmigung ein, auch innerhalb somalischer Hoheitsgewässer „alle notwendigen Mittel“ einzusetzen.
Aktuelle Entwicklungen bei Einsatzkräften
Angesichts der bevorstehenden Weihnachtstage und des Jahreswechsels „rotieren“ derzeit zahlreiche Marinen ihre Einsatzkräfte am Horn von Afrika. Mehrere Schiffe beenden ihren Einsatz und nehmen Kurs auf die Heimat, während sich dort die Ablösung auf den Weg macht.
Die 6. Chinesische Einsatzgruppe hat ihre Aufgaben an die 7. Einsatzgruppe übergeben und die Heimreise angetreten. Wie schon beim vorherigen Verband, kehren der Zerstörer ZHOUSHAN und das Docklandungsschiff KUNLUN SHAN aber nicht direkt in die Heimat zurück. Am 27. November trafen beide Schiffe erst einmal zu einem 5‑tägigen Besuch im saudischen Dschidda (Rotes Meer) ein. Ein weiterer Zwischenstopp ist vermutlich in Sri Lanka geplant, wo ein chinesischer Zerstörer zur Teilnahme an einem „International Fleet Review“ (60 Jahre Sri Lanka Navy) angemeldet ist. Während die Ablösung der russischen Marine (Zerstörer ADMIRAL VINOGRADOV) noch auf dem Anmarsch aus dem Pazifik ist, ist der Nordflottenzerstörer ADMIRAL LEVCHENKO von Medien unbeachtet bereits abgelaufen. Am 30. November wurde das Schiff im Heimatstützpunkt Severomorsk begrüßt.
PATINO Bildquelle: span. Marine |
Im spanischen Rota hat sich am 30. November der Versorger PATINO auf den Weg ans Horn von Afrika gemacht. Das Schiff soll sich bis zum März 2011 der EU NavFor anschließen, und der an Bord eingeschiffte spanische RAdm Juan Rodriguez Garat wird vom 14. Dezember bis zum 14. April als seegestützter Befehlshaber die Führung der EU NavFor übernehmen.
Bei der italienischen Marine wird die in der EU NavFor eingesetzte Fregatte LIBECCIO durch Schwesterschiff ZEFFIRO abgelöst. Die LIBECCIO trat am 30. November die Heimreise an. In Sasebo, Japan, haben sich am 1. Dezember die Zerstörer KIRISAME und YUDACHI auf die lange Reise in den Golf von Aden gemacht. Sie sollen die dort seit September operierenden Zerstörer MAKINAMI and SETOGIRI ablösen.
Ebenfalls am 1. Dezember lief im französischen Toulon die Fregatte (Aviso) JACOUBET in Richtung Indischer Ozean aus. Sie soll Schwesterschiff CDT BOUAN ablösen, wird sich dabei aber nicht durchgehend der EU NavFor anschließen, sondern auch der CTF 150 in der Anti-Terror Operation Enduring Freedom zugeteilt. Bei der britischen Royal Navy hat sich die Fregatte MONTROSE aus der NATO Operation Ocean Shield abgemeldet und am 1. Dezember die Heimreise nach Plymouth angetreten. Am 30. November hat der pakistanische Commodore Aleem für die kommenden sechs Monate das Kommando über die multinationale CTF-151 übernommen.
In Kooperation mit “MarineForum — Zeitschrift für maritime Fragen”
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