In den offenen Seegebieten des Indischen Ozeans (Somaliabecken) dauert die “Sommerpause” der Piraten noch immer an. Im Golf von Aden werden Piraten aber zusehends aktiver – und sie haben ganz offensichtlich jeglichen Respekt vor den dort patrouillierenden Seestreitkräften verloren. Verwundern kann dies kaum, gehen die Verbrecher doch praktisch keinerlei persönliche Risiken ein. Sie kennen die geltenden Rules of Engagement sehr genau und wissen nach zahlreichen Erfahrungen überdies, dass praktisch kaum ein Staat zu einer strafrechtlichen Verfolgung ihrer in internationalen Gewässern gegangenen Verbrechen bereit ist. Schlimmstenfalls werden sie entwaffnet und müssen sich an der somalischen Küste neu ausrüsten. Abschreckung – einer der zentralen Aufträge der diversen am Horn von Afrika operierenden Marinen – ist de facto nicht mehr gegeben.
Vermehrt werden inzwischen sogar Schiffe angegriffen, die auf dem im Golf von Aden eingerichteten International Recommended Transit Corridor (IRTC) in gesicherten Konvois mitfahren. Ein solcher Konvoi kann durchaus eine Gesamtlänge von mehr als zehn Seemeilen haben. Die begleitenden Kriegsschiffe können nicht neben jedem einzelnen Schiff präsent sein, und bei den zahlreichen im Golf von Aden ebenfalls mit kleinen Skiffs aktiven Fischern lässt sich (vor allem bei Dunkelheit und schlechter Sicht) auch nicht jedes Boot überprüfen. Jedes einzelne „Boarding“ dauert mit Aussetzen des Bootes, Untersuchen des verdächtigen Bootes und Wiedereinsetzen des Bootes mindestens eine halbe Stunde. Während ein Kriegsschiff so beschäftigt ist, fährt der Konvoi natürlich weiter – und für einen erfolgreichen Überfall benötigen Piraten nur wenige Minuten. Selbst wenn Kriegsschiffe die Vorausrichtung eines Konvois „sauber“ halten, können Skiffs in kurzer Zeit von der Seite kommend ihr Opfer erreichen.
Mehrere Ereignisse der abgelaufenen Woche belegen dies. Am 5. September zog der indische Zerstörer DELHI, der einen Konvoi von 12 Schiffen durch den Golf von Aden geleitete, ein Piratenskiff „vorbeugend aus dem Verkehr“. Das Boot hatte direkt neben dem IRTC auf Beute gewartet und war dabei aufgefallen. Ein Boardingteam fand und konfiszierte Waffen und Ausrüstung; danach durften die verhinderten Verbrecher mit dem Skiff unbehelligt ihres Weges ziehen. Sie dürften nach Wiederausrüstung schon wenige Tage später wieder vor Ort gewesen sein.
Am 8. September wurden mitten im IRTC gleich zwei Schiffe eines von Kriegsschiffen der CTF-151 gesicherten Konvois angegriffen – und in beiden Fällen waren die Piraten auch erfolgreich. Wie SPIEGEL-online berichtete, konnten sie zunächst den an der Spitze des Konvois fahrenden Frachter OLIB G (Flagge: Malta, 18 Mann meist georgische Besatzung) kapern. Der Bordhubschrauber des US-Kreuzers PRINCETON konnte nur noch die Anwesenheit von Piraten auf der Brücke bestätigen. Nur wenig später geriet auch das dritte Schiff des Konvois, der deutsche (Flagge: Antigua & Barbuda) Frachter MAGELLAN STAR, in die Gewalt von Piraten. Hier gelang es der Besatzung (11 Mann) allerdings, die Maschinen abzustellen und sich in einem „Safe Room“ zu verbarrikadieren. Ohne Geiseln hatten die Piraten nicht lange Freude an ihrer antriebslos driftenden Beute. Gleich drei Kriegsschiffe (die türkische Fregatte GOKCEADA, der US-Kreuzer PRINCETON und das US-Docklandungsschiff DUBUQUE) waren schnell zur Stelle.
CTF-151 stellt die gekaperte MAGELLAN STAR Bildquelle: US Navy |
Nachdem der Reeder bestätigte hatte, dass der Besatzung keine Gefahr drohte, enterte eine von der DUBUQUE entsandte Spezialeinheit des US Marine Corps (24 Mann starke Maritime Raid Force) den Frachter. Schüsse fielen nicht; die neun Piraten ergaben sich sofort und wurden erst einmal auf der DUBUQUE festgesetzt. Über ihr Schicksal muss nun (politisch) entschieden werden.
Am 10. September bestätigte ein weiterer Vorfall nachdrücklich, dass die Piraten in guter Kenntnis der sehr restriktiven Rules of Engagement Kriegsschiffe kaum noch als Bedrohung empfinden. Ein japanisches Ausklärungsflugzeug hatte im Golf von Aden — erneut direkt am IRTC — ein verdächtiges Skiff entdeckt und das dänische Mehrzweckschiff ESBERN SNARE (NATO) alarmiert.
Piraten durch Warnschüsse unbeeindruckt Bildquelle: NATO |
Bei Annäherung des Bordhubschraubers der ESBERN SNARE ergriffen die mutmaßlichen Piraten die Flucht. Direkte Überflüge und sogar Warnschüsse vor den Bug wurden komplett ignoriert; erst ein direkter Treffer konnte das flüchtende Skiff stoppen. Vom Hubschrauber aus wurde noch beobachtet, wie Waffen und Ausrüstung über Bord geworfen wurden. Das eintreffende dänische Boardingteam fand nicht mehr viel, konfiszierte zwar noch „überschüssigen“ Kraftstoff, aber danach wurden die sieben Männer mit ihrem (nur leicht beschädigten) Skiff in Richtung somalische Küste entlassen.
Eine andere Meldung dieser Woche könnte international für Unruhe sorgen. Die somalische islamistische Terrororganisation Al Shabaab, der direkte Verbindungen zu Al Kaida nachgesagt werden, will ihren Kampf gegen die somalische Zentralregierung nun angeblich auch aus Piraterie finanzieren. Sollte dies zutreffen, stünden eingesetzte Seestreitkräfte (allen voran die US Navy) vor einem nicht geringen Dilemma. Da Al Shabaab Terroristen sich äußerlich nicht von „normalen“ Piraten unterscheiden dürften, dürften die geltenden Rules of Engagement und Rechtsgrundlagen dazu führen, dass ein US Kriegsschiff in See gestellte Terroristen nach Entwaffnung unbehelligt ziehen lassen muss. Eine solche mit dem Selbstverständnis der USA in ihrem „Krieg gegen den Terror“ unvereinbare Entwicklung dürfte erhebliche Diskussionen auslösen. Sie könnte aber auch Anstoß geben für eine Überdenkung der geltenden Rules of Engagement und eine (endlich) beschleunigte Erarbeitung international rechtverbindlicher Rechtsgrundlagen.
Am 7. September hat ein kenianisches Gericht sieben Piraten zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Die Männer hatten im Mai 2009 versehentlich den Flottentanker SPESSART der Deutschen Marine angegriffen, waren dabei festgenommen und im Rahmen eines Abkommens zwischen EU und Kenia zur Strafverfolgung nach Kenia überstellt worden.
Am 9. September haben Piraten den am 11. Mai im Golf von Aden gekaperten bulgarischen Chemikalientanker PANEGA frei gelassen. Von der Zahlung eines Lösegeldes ist auszugehen.
Aktuelle Entwicklungen bei Einsatzkräften
Am 5. September hat sich die französische Fregatte FLOREAL der EU NavFor in „Operation Atalanta“ angeschlossen. Am 8. September traf die britische Fregatte MONTROSE im Golf von Aden ein.
Thailändische Schiffe laufen aus Bildquelle: Bangkok Post |
Das Schiff stößt zum NATO-Einsatzverband SNMG‑1, der zur Zeit in der NATO-geführten Operation „Ocean Shield“ eingesetzt ist.
In Thailand haben sich am 10. September das Offshore Patrol Vessel PATTANI und der Flottenversorger SIMILAN zum ersten Anti-Piraterie Einsatz der thailändischen Marine auf den Marsch in den Golf von Aden gemacht. Eingeschifft sind zwei Hubschrauber sowie ein Trupp Kampfschwimmer. Der Verband soll in einem offenbar rein nationalen Einsatz (sicher aber auch in enger Kooperation mit anderen Einsatzgruppen wie z.B. CTF-151) thailändische Handelsschiffe auf dem Weg durch die Piratengewässer schützen. Etwa am 27. September sollen die beiden Einheiten im Golf von Aden eintreffen; am 12. Dezember werden sie in der Heimat zurück erwartet.
Die finnische Marine bereitet ihren Minenleger POHJANMAA auf einen Anti-Piraterie Einsatz bei der EU NavFor. Genaue Daten werden noch nicht genannt. Ein Einsatz des Schiffes wäre der erste finnische Beitrag zur EU „Operation Atalanta“.
In Kooperation mit “MarineForum — Zeitschrift für maritime Fragen”
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