Am 22. Januar kaperten Piraten im Arabischen Meer den deutschen (Flagge Antigua & Barbuda) Frachter BELUGA NOMINATION. Das Schiff war auf dem Weg zu den Seychellen und hatte seine Passage auch beim Maritime Security Centre (Horn of Africa) angemeldet. Der Überfall erfolgte jedoch weit entfernt von den Patrouillengebieten der EU-Kriegsschiffe und auch außerhalb der Reichweite der Seychellen-Küstenwache (390 sm nördlich der Seychellen). Die Besatzung verbarrikadierte sich in einer „Zitadelle“, funkte um Hilfe … und wartete dann vergeblich. Nach etwas mehr als zwei Tagen hatten die Piraten den Schutzraum aufgebrochen und das Schiff in ihre Gewalt gebracht.
BELUGA NOMINATION Bildquelle: EU NavFor |
Die EU NavFor bedauerte die unterbliebene Hilfeleistung; das nächste einsetzbare Kriegsschiff sei mehr als 1.000 sm entfernt gewesen. Der Blick in eine Karte zeigt, dass damit in der gesamten Region (der 1000-sm Radius um die genannte Entführungsposition reicht bis ins Rote Meer!) kein EU Kriegsschiff verfügbar gewesen ist. Eines war vor der somalischen Küste beim Geleit eines Frachters des World Food Program gebunden (dies ist nach wie vor Hauptauftrag der EU Operation „Atalanta“), andere lagen wohl zu Nachversorgung und Reparaturen in Häfen und waren nicht klar zum Auslaufen. Ein weiterer Faktor war vermutlich, dass die zum Jahreswechsel eingeleitete Rotation der eingesetzten Schiffe noch nicht abgeschlossen ist. Offenbar sind noch nicht alle vor Weihnachten in Richtung Heimat abgelaufenen Schiffe durch Nachfolger ersetzt worden. Die Begründung der EU NavFor ist so insgesamt nachvollziehbar, aber es bleibt „ein fader Beigeschmack“. Überdies findest sich auch in keiner einzigen offiziellen Erklärung ein Hinweis auf Versuche, Kriegsschiffe anderer in der Region aktiver Einsatzgruppen (NATO, CTF-151) oder Nationen zur gekaperten BELUGA NOMINATION zu schicken. Immerhin trat erst nach mehr als zwei Tagen eine „Geiselsituation“ ein.
Eine kleine positive Meldung gibt es aber doch. Während die BELUGA NOMINATION inzwischen die somalische Küste erreicht hat und dort vor Anker liegt, rettete das dänische Mehrzweckschiff ESBERN SNARE (NATO) im Arabischen Meer zwei Besatzungsmitglieder des gekaperten Schiffes. Sie hatten sich im Durcheinander des Überfalls heimlich mit einem Schlauchboot davon gemacht und waren seitdem in See getrieben. Ein US Aufklärungsflugzeug entdeckte das kleine Boote und lotste die ESBERN SNARE zur Position.
Kommentar
Der Fall BELUGA NOMINATION zeigt das Dilemma der deutschen Reeder. In den riesigen Seegebieten des offenen Indischen Ozeans kann die Präsenzdichte von Kriegsschiffen für einen effektiven Schutz nicht ausreichen, und die Einschiffung von Sicherheitsteams aus Bundespolizei oder Bundeswehr scheitert unverändert an „grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken“. Deutsche Reeder können also nicht mit staatlichem Schutz ihrer Schiffe vor Piraten rechnen.
Die Bundesregierung sieht denn auch nach einem Treffen des Verbandes Deutscher Reeder mit verschiedenen Ministerien, der Polizei, der Deutschen Seemannsmission und der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di (am 24. Januar in Berlin) die Reeder selbst in der Pflicht, für den Schutz ihrer Schiffe zu sorgen. Allerdings lehnt sie zugleich — natürlich ebenfalls unter rechtlichen Bedenken — die Option eines privaten bewaffneten Schutzes vehement ab. Im Ergebnis des Berliner Treffens steht überdies auch nur die völlig unverbindliche Erklärung, „mehr für den Schutz der Schifffahrt unternehmen zu wollen“. Darüber hinaus wurden „Prüfaufträge verteilt“, und man will sich „in einem halben Jahr wieder treffen“.
Während andere Nationen längst praktikable Lösungen gefunden haben, scheint die Bundesregierung das — seit immerhin mehr als zwei Jahren bekannte — Problem nach wie vor aussitzen zu wollen. Es gibt weder kurz- noch langfristig erkennbare Bemühungen, das Dilemma pragmatisch oder durch Änderung von Gesetzen (Gesetzgebung ist übrigens die vornehmste Aufgabe unserer gewählten Volksvertreter!) lösen zu wollen. Man lässt die Reeder nicht nur „im Regen stehen“, sondern spricht ihnen sogar das Recht ab, sich durch private professionelle Kräfte schützen zu lassen.
Oder pointiert und abstrakt:
Der Staat postuliert ein Gewaltmonopol, um dann unmittelbar zu verkünden, dass er nicht daran denkt, es auch auszuüben.
Immer öfter zeigen Meldungen über (versuchte) Überfälle, dass die Piraten die definierten und allgemein bekannten Operationsgebiete internationaler Seestreitkräfte vor dem Horn von Afrika gezielt meiden und ihre Beute weit entfernt im offenen Indik suchen. Dabei ändern sie auch ihre Taktik und setzen zunehmend auf die Kaperung kleinerer Schiffe, um diese dann unmittelbar als Mutterschiff für weitere Überfälle zu nutzen. Willkommene Opfer sind vor allem Fischereifahrzeuge, die völlig ungeschützt abseits der überwachten Schifffahrtsrouten arbeiten. Die noch im vergangenen Jahr üblichen, meist aus einem größeren Boot (Whaler) und zwei oder drei Angriffs-Skiffs bestehenden „Pirate Action Groups“ werden kaum noch in See entdeckt. Sie sind für mehr als 1.000 sm von der somalischen Küste entfernte Aktionen wenig geeignet.
Mutmaßliches Mutterschiff Foto Bildquelle: niederl. Marine |
Ein solches mutmaßliches Mutterschiff entdeckte am 22. Januar die niederländische Fregatte DE RUYTER (NATO) im Arabischen Meer. Funkanrufe blieben unbeantwortet, und auch auf Warnschüsse vor den Bug wurde nicht reagiert. Da unklar war, ob sich Geiseln an Bord befanden, begnügte man sich schließlich damit, von Bord der Fregatte aus durch Scharfschützen ein an Deck transportiertes Skiff zu zerstören. Ohne Skiff dürften den Piraten Überfälle erst einmal schwer möglich sein.
PRANTALAY Bildquelle: NATO |
Weiter östlich, schon in der Nähe der indischen Lakkadiven, sichtete am 28. Januar ein Dornier Aufklärungsflugzeug der indischen Küstenwache das thailändische Fischereifahrzeug PRANTALAY, das Mitte 2010 gekapert und seitdem als Mutterschiff genutzt wurde. Skiffs versuchten gerade einen Angriff auf einen nahen Frachter. Nach tiefen Überflügen der Dornier brachen die Piraten den Angriff ab. Die PRANTALAY wurde nun nicht mehr aus den Augen gelassen und Verstärkung herangeführt. Einige Stunden später traf das Schnellboot CANCARSO (CAR NICOBAR-Klasse) der indischen Marine vor Ort ein. Mit Warnschüssen vor den Bug wurde versucht, die PRANTALAY zu stoppen, als dies erfolglos blieb, ja das Piratenmutterschiff sogar das Feuer erwiderte, wurde die PRANTALAY (ungeachtet der Geisellage) durch gezielte Schüsse in Brand gesetzt. Angesichts der Explosionsgefahr durch die an Deck lagernden großen Kraftstoffmengen sprangen Piraten und Geiseln sofort über Bord. 35 Menschen wurden aufgefischt, darunter 15 Piraten, auf die nun in Indien der Prozess wartet.
Ebenfalls am 28. Januar gaben Piraten das im Mai 2010 gekaperte und seitdem als Mutterschiff missbrauchte taiwanesische Fischereifahrzeug TAI YUAN 227 auf. Das noch drei Tage zuvor im offenen Indik als Mutterschiff genutzte Schiff wurde vor die somalische Küste gesteuert und dort verlassen. Ein US-Kriegsschiff versorgte die unversehrte Stammbesatzung mit Wasser und Nahrungsmitteln und geleitete die TAI YUAN 227 dann ein Stück des Weges in sichere Gewässer.
Kurz berichtet:
Im UN Sicherheitsrat setzt sich Frankreich für eine neue Resolution ein, die vor allem die strafrechtliche Verfolgung festgenommener Piraten erleichtern soll. Der französische Entwurf beinhaltet die Schaffung eines Spezialgerichtshofes (in Tansania), schlägt darüber hinaus aber auch den Aufbau von Gerichten und Gefängnissen in Puntland und Somaliland vor.
Am 26. Januar forderte der Regionalbefehlshaber der US-Streitkräfte (CENTCOM), VAdm Fox, Änderungen beim Vorgehen gegen die Piraten. Sie müssten mit den gleichen Mitteln wie Terroristen bekämpft werden. Vor allem müssten aber endlich auch ihre Finanzwege aufgeklärt und blockiert werden. Immerhin gebe es auch deutlich Hinweise auf finanzielle Verbindungen zwischen Piratenclans und Terroristen.
Die Londoner Versicherungsagentur Jardine Lloyd Thompson Group P.L.C. hat die Entwicklung eines „Convoy Escort Program” weitgehend abgeschlossen. Es sieht eine zivile Gesellschaft vor, die bis zu 16 bewaffnete Boote (besetzt mit ehemaligen Soldaten) betreiben und Reedereien auf Anforderung zum Schutz ihrer Schiffe anbieten soll. Wenn die Schiffseigner (bzw. ihre Flaggenstaaten) das Vorhaben billigten, seien erste Einsätze im Golf von Aden noch in diesem Sommer möglich.
Aktuelle Entwicklungen bei Einsatzkräften
Am 26. Januar hat die iranische Marine ihre 12. Einsatzgruppe in Richtung Golf von Aden in Marsch gesetzt. Details zu den beteiligten Einheiten wurden wie üblich nicht genannt. Vermutlich besteht aber auch diese Gruppe wieder aus einem Kampfschiff und einem Versorger. Erstmals soll der Einsatz auch der Ausbildung eingeschiffter Kadetten dienen.
In Kooperation mit “MarineForum — Zeitschrift für maritime Fragen”
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