Der am 1. Januar gekaperte und seitdem an der somalischen Küste bei Garacad fest gehaltene britische Autotransporter ASIAN GLORY kam nach Zahlung eines Lösegeldes am 11. Juni frei. Noch immer befinden sich jedoch etwa 20 größere und kleinere Schiffe in der Gewalt von Piraten, die entweder auf Lösegeld warten, oder gekaperte Fahrzeuge als Mutterschiffe in weiteren Raubzügen nutzen wollen.
ASIAN GLORY Bildquelle: EU NavFor |
Die somalischen Piraten sind offenbar weiterhin in „Sommerpause“. Seit nun schon mehreren Wochen hat es keine neuen Entführungen gegeben. Die Großwetterlage mit der Gefahr sehr kurzfristig entstehender, heftiger Tropenstürme lässt derzeit keine größeren Seefahrten der meist doch sehr kleinen Piratenboote zu. So beschränken sich die Verbrecher vorerst (im August wird sich die Wetterlage wieder beruhigen und stabilisieren) auf vereinzelte Versuche, in unmittelbarer Küstennähe fahrende Schiffe zu kapern – was im Golf von Aden wegen der hohen Präsenz internationaler Seestreitkräfte kaum möglich ist. Abseits des von Kriegsschiffen patrouillierten International Recommended Transit Corridor (IRTC) kommt es aber gelegentlich zu Überfällen. So versuchten Piraten am 12. Juni in der Meerenge des Bab el Mandeb (Südeingang zum Roten Meer) einen jemenitischen Küstentanker zu kapern, wurden aber durch ein eingeschifftes militärisches Sicherheitsteam abgewehrt.
Vor der somalischen Küste sind Einheiten von NATO und EU NavFor weiterhin bestrebt, mögliche Kaperfahrten schon im Absatz zu unterbinden. Permanente Patrouillen dicht vor den bekannten Piratenstützpunkten sollen jedes Piratenboot schon beim Auslaufen entdecken und abfangen. So sichtete am 18. Juni ein deutscher Seefernaufklärer P3‑C Orion (EU NavFor) ein mutmaßliches Piratenboot kurz nach dem Ablegen und führte das niederländische Docklandungsschiff JOHAN DE WITT (EU NavFor) zur Position. Die Piraten hielten das Kriegsschiff zunächst für unverhoffte Beute und hielten mit hoher Fahrt darauf zu, erkannten dann aber ihren Irrtum und versuchten zu entkommen. Nach Warnschüssen warfen sie schnell Waffen und Ausrüstung über Bord, bevor ein vom niederländischen Schiff eingesetztes maltesisches Boardingteam eintraf. Das kleine Skiff wurde zerstört, die mutmaßlichen Piraten an der Küste abgesetzt.
Piratenskiff Bildquelle: franz. Marine |
Die internationale Gemeinschaft nutzt die „Sommerpause“, um die diversen Anti-Piracy Operations besser zu koordinieren und effektiver zu gestalten sowie die Möglichkeiten zu regionaler Strafverfolgung zu verbessern. Kanada will auf dem bevorstehenden G‑8 Gipfel die Bemühungen der G‑8 Staaten und anderer Länder bündeln und schlägt dazu einen intensiven Austausch von Aufklärungsergebnissen (Lagebild) sowie die Ausrüstung örtlicher Marinen mit Booten und Flugzeugen vor. In diesem Zusammenhang dürfte die am 25. Juni gemeldete Verständigung der vier somalischen Teilstaaten (incl. Somaliland und Puntland) auf die Aufstellung einer gemeinsamen Küstenwache sicher hilfreich sein. Bei entsprechender materieller Ausstattung könnte dies neue Optionen bieten, auch an Land – direkt in den Stützpunkten – gegen die Piraten vorzugehen. Die schon länger diskutierte Aufstellung einer „Arabischen Einsatzgruppe“ macht offenbar Fortschritte. Ein Zeitplan wird zwar noch immer nicht genannt, aber Ägypten, Jordanien, Kuwait, Saudi Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate scheinen grundsätzlich bereit, sich an einer solchen Einsatzgruppe zu beteiligen. Am 15. Juni beschloss der Europarat eine Verlängerung der EU “Operation Atalanta“ bis Dezember 2012.
Nach Eingang von fast 10 Millionen Dollar Spendengeldern (aus EU und UN sowie Australien, Deutschland, Frankreich, Kanada und USA) verbessern sich die Möglichkeiten zur Strafverfolgung von Piraten in regionalen Ländern. Am 24. Juni hat ein erstes neues Gericht in Mombasa, Kenia, seine Arbeit aufgenommen. Mindestens 100 mutmaßliche Piraten warten dort teils schon längere Zeit auf ihren Prozess. In den Niederlanden hat ein Gericht am 17. Juni fünf somalische Piraten zu 5‑jährigen Freiheitsstrafen verurteilt. Sie waren 2009 bei der versuchten Kaperung eines niederländischen Frachters ergriffen worden.
Aktuelle Entwicklungen bei Einsatzkräften
ENDURANCE Bildquelle: STM |
Auch die internationalen Einsatzkräfte nutzen die “Sommerpause” zum Wachwechsel. Am 14. Juni hat im HQ Northwood (bei London) der britische MGen (Royal Marines) Buster Howes den ebenfalls britischen RAdm Peter Hudson als Operation Commander der EU NavFor abgelöst. Die französische Fregatte NIVOSE hat am 20. Juni ihren zeitweiligem Einsatz bei der EU NavFor beendet und ist nach Reunion (permanenter Standort im südlichen Indik) zurück gekehrt. Die russische Marine hat nach Ablaufen einer Einsatzgruppe der Pazifikflotte (traf am 25. Juni in Wladiwostok ein) eine neue Gruppe der Nordflotte in Marsch gesetzt. Der Zerstörer ADMIRAL LEVCHENKO (UDALOY-Klasse) und der Flottentanker OLEKMA sollen Anfang Juli im Golf von Aden eintreffen. Aus Singapur ist das Docklandungsschiff ENDURANCE in Richtung somalische Küste unterwegs. Das Schiff soll sich für drei Monate der multinationalen Einsatzgruppe CTF-151 anschließen.
Die belgische Marine will (so die neue Regierung dies billigt) im Herbst erneut ihre Fregatte LOUISE MARIE in die EU NavFor einbringen. Auf Bitten der NATO wird die niederländische Marine von Ende September bis Ende November eines ihrer U‑Boote für einen Anti-Piraterieeinsatz (NATO Operation Ocean Shield) abstellen. Vom — erstmaligen (!) — Einsatz eines U‑Bootes erhofft man sich wohl vor allem zusätzliche wertvolle Aufklärungsergebnisse (verdeckte Beobachtung und Überwachung von Piratenstützpunkten; Beschattung von Mutterschiffen) zu verbesserter Frühwarnung.
Das japanische Parlament könnte noch in diesem Jahr die Entsendung von Flottentankern zur Versorgung fremder Kriegsschiffe im Anti-Piraterieeinsatz beschließen. Im Februar hatte Japan einen ähnlichen Einsatz im Arabischen Meer im Rahmen der Anti-Terroroperation „Enduring Freedom“ abgebrochen, weil dieser zunehmend als „direkte Unterstützung eines Kampfeinsatzes“ empfunden wurde. Schon damals kam die Unterstützung der Anti-Piraterieoperationen als möglicher Ersatz ins Gespräch.
In Kooperation mit “MarineForum — Zeitschrift für maritime Fragen”
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