Das chinesische Transportministerium meldet am 5. November die „Befreiung“ des im Juni gekaperten Frachters GOLDEN BLESSING. Die 19 Mann Besatzung (Chinesen) seien wohlauf; das Schiff werde jetzt von einem chinesischen Kriegsschiff in sichere Gewässer geleitet. Eine wirkliche militärische Befreiungsaktion hat vermutlich nicht stattgefunden. Schon in der Vergangenheit bezeichneten chinesische Behörden auch die bloße Freilassung nach Zahlung eines Lösegeldes als „geglückte Befreiung“. Noch ein weiteres Schiff dürfte in den nächsten Tagen — vielleicht schon an diesem Wochenende — frei kommen. Für den im April gekaperten, mit Rohöl voll beladenen südkoreanischen Supertanker SAMHO DREAM haben die Piraten nach eigenen Angaben am 6. November ein Rekord-Lösegeld von 9,5 Mio. US-Dollar erhalten. “Nach Zählung und Verteilung” des Geldes wollen sie das Schiff ziehen lassen.
SAMHO DREAM Bildquelle: EU NavFor |
Auch nach diesen Freilassungen halten somalische Piraten auf gekaperten und vor der somalischen Küste ankernden Schiffen noch immer gut 400 Seeleute aus aller Welt als Geiseln — und sind bemüht, diese Zahl möglichst noch zu vergrößern. Die Präsenz von Kriegsschiffen stört sie dabei nicht sonderlich. In genauer Kenntnis der unverändert restriktiven „Rules of Engagement“ und der weitgehenden Unfähigkeit der meisten Staaten zur strafrechtlichen Verfolgung von Piraten gehen sie „ihrem Geschäft“ sogar mitten auf dem von internationalen Seestreitkräften patrouillierten „Internationally Recommended Transit Corridor“ (IRTC) durch den Golf von Aden nach. Am 28. Oktober griffen zwei Skiffs hier den liberianischen Frachter HELLESPONT PROTECTOR an, beschossen diesen auch bereits. Als der in der Nähe stehende thailändische Flottentanker SIMILAN mit seinem Bordhubschrauber zu Hilfe kam, brachen die Piraten den Überfall ab. Ein Boardingteam der SIMILAN konfiszierte Waffen und Ausrüstung; dann durften die Piraten mit ihren Booten unbehelligt zur somalischen Küste zurück kehren — wo sie sich sicher sofort neu ausgerüstet haben. Der Zwischenfall zeigt einmal mehr, dass die Verbrecher bei ihren Überfällen kaum Risiken eingehen.
Ein Ereignis vom ebenfalls 28. Oktober bildet hier sicher eine Ausnahme. Nur 15 sm vor der jemenitischen Küste überfielen zehn Piraten mit zwei Skiffs das im Jemen registrierte thailändische Fischereischiff SIRICHAI NAVA 11. Fünf als „Vessel Protection Team“ eingeschiffte jemenitische Polizisten konnten die Kaperung nicht verhindern. Als das Schiff Kurs auf die somalische Küste genommen hatte, wurde es — so (unbestätigte) Medienmeldungen — urplötzlich „von einem unbekannten Kriegsschiff unter Geschützfeuer genommen und versenkt“. Die Piraten setzten sich offenbar sofort mit ihren Skiffs ab. Das thailändische Offshore Patrol Vessel PATTANI konnte 22 Besatzungsmitglieder der SIRICHAI NAVA 11 sowie einen jemenitischen Polizisten aus dem Wasser retten; ein Besatzungsmitglied und vier Polizisten werden vermisst und kamen vermutlich ums Leben. Der Vorfall (so er sich denn tatsächlich so abgespielt hat) wirft einige Fragen auf. Sicher ist wohl, dass das thailändische Fischereischiff gesunken ist, aber kein am Horn von Afrika operierendes ausländisches Kriegsschiff wird ohne jede Vorwarnung ein gekapertes Schiff mit fast 30 Geiseln beschießen. Bleibt die Vermutung, dass die jemenitische Küstenwache / Marine einen Rettungsversuch unternommen hat, bei dem nicht alles so ablief wie geplant.
Zur Zeit konzentrieren Piraten ihre Aktivitäten auf die nur unzulänglich zu überwachenden, weiten Seegebiete des Somaliabeckens, und hier – weitab der heimatlichen Küste – sind sie immer wieder mal auch erfolgreich. So konnten somalische Piraten am 3. November das kleine (43m) Fährschiff ALY ZOULFECAR (Flagge: Komoren, 29 Mann Besatzung) auf dem Weg von den Komoren nach Daressalam (Tansania) in ihre Gewalt bringen. Ebenfalls im Somaliabecken hatten Piraten zuvor den japanischen Frachter GO TRADER gekapert. Dessen Besatzung konnte sich allerdings in einem „Safe Room“ verbarrikadieren und um Hilfe funken. Ein japanisches Seefernaufklärungsflugzeug führte die US-Fregatte KAUFFMAN (NATO) an die Position heran. Ohne Zugriff auf Geiseln ließen die frustrierten Piraten ihre Wut über den missglückten Überfall an der Einrichtung der Brücke und der Besatzungsunterkünfte aus, bevor sie ihre Beute aufgaben und vor dem sich nähernden Kriegsschiff das Weite suchten.
Erfolglos blieben noch mindestens zwei weitere Überfälle. 200 sm westlich der Seychellen brachen Piraten einen Angriff auf den spanischen Thunfischfänger ELAI ALAI ab, als ihnen vom Schiff heftiges Abwehrfeuer eines eingeschifften „Vessel Protection Teams“ entgegenschlug. Vor der kenianischen Küste scheiterte am 2. November die Kaperung eines (unbenannten) Frachters an dessen Ausweichmanövern. Das spanische Docklandungsschiff GALICIA (EU NavFor) konnte mit Unterstützung eines Aufklärungsflugzeuges mehrere Stunden später ein verdächtiges Skiff in See stellen. Die sieben mutmaßlichen Piraten warfen sofort Waffen und Ausrüstung über Bord. Ein Boardingteam stellte weitere Ausrüstung sicher, dann durften die verhinderten Piraten ihres Weges ziehen. Für ihre Beteiligung am fraglichen Angriff gab es keine Beweise.
ZEELEUW Bildquelle: Michael Nitz |
Weitere offensichtlich geplante Kaperfahrten wurden bereits im Ansatz vereitelt, als Piratengruppen direkt vor ihren Lagern beim Verlassen der somalischen Küste abgefangen werden konnten. So entdeckte die spanische GALICIA zwei verdächtige Skiffs. Während einem die Flucht gelang, wurde das zweite gestoppt, durchsucht und nach Beschlagnahme von Waffen und Piratenausrüstung wieder zur Küste entlassen. Einen Tag später entdeckte der niederländische Versorger AMSTERDAM direkt vor der Küste zwei verdächtige Skiffs. Aus dem Bordhubschrauber gemachte Fotos zeigten Piratenausrüstung (Enterleiter), aber beide Skiffs konnten sich vor Boardingteams zurück an die Küste flüchten.
Ein Gericht auf den Seychellen verurteilte am 4. November elf somalische Piraten zu jeweils sechsjährigen Haftstrafen. Sie waren im März beim Angriff auf das spanische Fischereifahrzeug INTERTUNA 2 festgenommen werden. Erstmals wurden damit auf den Seychellen von einem EU Kriegsschiff festgenommene und im Rahmen eines Abkommens übergebene Piraten verurteilt. Am gleichen Tag sprach ein Gericht in Kenia dagegen 17 mutmaßliche somalische Piraten frei, die im Mai 2009 nach einem Angriff auf einen ägyptischen Frachter von der US Navy festgesetzt und kenianischen Behörden übergeben worden waren. Das Gericht kam zum Schluss, dass die Beweise für eine Verurteilung nicht ausreichten. Der Richter bemängelte vor allem das Fehlen jeglicher Fotos oder Videoaufzeichnungen.
Aktuelle Entwicklungen bei Einsatzkräften
Am 31. Oktober hat die iranische Marine eine neue Einsatzgruppe (die insgesamt zehnte) in Marsch gesetzt. Die Zusammensetzung ist bisher unklar. Zuvor hatten Aussagen des iranischen Marinebefehlshabers angedeutet, dass der erst in diesem Jahr in Dienst gestellte neue „Zerstörer“ JAMARAN (mit 1.400 ts nach internationalen Standards nur kleine Fregatte) zum Kontingent gehören könnte. Dagegen sprechen allerdings neuere Meldungen, nach denen die JAMARAN in diesem Monat noch an größeren Manövern im Persischen Golf teilnehmen soll.
Im chinesischen Zhoushan hat sich am 2. November die 7. Einsatzgruppe der chinesischen Marine auf den Weg ans Horn von Afrika gemacht. Die Fregatten ZHOUSHAN und XUZHOU (beide JIANGKAI-II-Klasse) sowie der Versorger QIANDAO HU werden zum Erreichen des Operationsgebietes im Golf von Aden einige Wochen brauchen. Alle drei Schiffe waren schon früher dort eingesetzt.
Auch die russische Marine wird ihre Einsatzkräfte rotieren. Eine vom Zerstörer ADMIRAL VINOGRADOV (UDALOY-Klasse) geführte Einsatzgruppe der Pazifikflotte soll „im Dezember“ den derzeit im Golf von Aden eingesetzten UDALOY-Zerstörer ADMIRAL LEVCHENKO (Nordflotte) ablösen. Ein genaues Auslaufdatum wurde noch nicht genannt, aber angesichts des langen Anmarschweges dürfte sich die Einsatzgruppe schon sehr bald auf den Weg machen.
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Das niederländische U‑Boot ZEELEUW (WALRUS-Klasse) hat am 5. November einen vorab angekündigten, in der Durchführung dann aber weitgehend „totgeschwiegenen“ Einsatz vor der somalischen Küste beendet und läuft nun in die Heimat zurück. In den vergangenen zwei Monaten war das U‑Boot im Rahmen der NATO-Operation „Ocean Shield“ meist direkt vor der somalischen Küste eingesetzt. Hier beobachtete es unbemerkt die Piratenlager und informierte die eingesetztes Kampfschiffe über verdächtige Aktivitäten wie z.B. bevorstehendes Auslaufen von Piratengruppen.
In Kooperation mit “MarineForum — Zeitschrift für maritime Fragen”
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