Im russischen Fernen Osten hat am 29. Juni die angekündigte strategische Großübung „Vostok-2010“ begonnen.
Schon drei Tage zuvor waren Einheiten der Pazifikflotte gemeinsam mit dem Nordflottenkreuzer PETR VELIKIY (KIROV-Klasse) und dem Schwarzmeerflotten-Flaggschiff MOSKVA (SLAVA-Klasse) zu vorbereitenden Übungen aus Wladiwostok ausgelaufen und hatten seitdem in der Japansee U‑Jagd und Flugabwehr geübt. Zugleich begannen Marineflieger mit Aufklärungsflügen über der Japansee und dem Westpazifik.
In der Nacht zum 30. Juni wurde für die gesamte Pazifikflotte einschließlich Marineflieger und Marineinfanterie „Gefechtsalarm“ ausgelöst. Weitere Schiffe verließen ihre Stützpunkt und verlegten ins Übungsgebiet. In der Japansee wurden „taktische Operationen zur Schaffung günstiger operativer Bedingungen im Operationsgebiet“ durchgeführt – allgemein wird darunter die Herstellung von See‑, (Untersee-) und Luftherrschaft in einem räumlich begrenzten, definierten Seegebiet verstanden. Am 1. Juli begannen Kriegsschiffe und Flugzeuge mit weiträumigen U‑Bootabwehr-Übungen. Ziel solcher Übungen ist das Verhindern des Eindringens gegnerischer U‑Boote in die eigenen Küstengewässer. Amphibische Schiffe führten erste Vorübungen durch. Diese erste Übungsphase wurde am 3. Juli abgeschlossen. Zu dieser Phase wurden einige offizielle Fotos veröffentlicht, die vermutlich aber schon bei früheren Übungen entstanden.
Eines der offiziellen Fotos zu Vostok-2010 Bildquelle: rus. VtdgMin |
„Vostok“ (deutsch: Osten) ist als strategische Großübung angelegt und wird alle zwei Jahre durchgeführt. Das Übungsgebiet erstreckt sich dabei von Sibirien bis in den Westpazifik. Wie beim 2009 in den europäischen Teilen Russlands, der Ostsee sowie in Weißrussland durchgeführten Gegenstück „Zapad-2009“ (Zapad = Westen) sind alle Teilstreitkräfte in das Übungsgeschehen eingebunden. Maritime Elemente spielen dabei eine wesentliche Rolle, stehen aber nicht notwendigerweise im Vordergrund. Basis der Übung ist ein sich möglichst in Realzeit entwickelndes fiktives (offiziell: „keinerlei realer Bezug!“) Szenario, bei dem es um die Verteidigung gegen einen aus dem Pazifikraum angreifenden Gegner geht. Bei Land‑, Luft- und Luftverteidigungskräften stehen zunächst Mobilisierung und Verlegung (Verstärkung) von Truppen im Vordergrund. Strategische Fernflieger erhöhen ihre Bereitschaft. Die Marine sichert die Küsten und die vorgelagerten Zonen.
Viele Teilszenarien spielen sich nur im Computer ab; wirkliche Truppen sind nur in ausgewählten Übungsteilen präsent, z.B. wenn es darum geht, die für Mobilisierung, Alarmierung und Verlegung eines (repräsentativen) Verbandes tatsächlich benötigte Zeit zu ermitteln. Dennoch ist die Zahl der Teilnehmer beträchtlich, und „Vostok-2010“ übersteigt in seinem Umfang frühere Übungen der „Vostok“-Serie noch erheblich. Insgesamt 20.000 Soldaten (2008 waren es 8.000), 70 Flugzeuge und mehr als 30 Kriegsschiffe sollen diesmal teilnehmen. Die russische Marine bindet alle vier Flotten in die Übung ein: die Nordflotte hat die PETR VELIKIY, die Schwarzmeerflotte die MOSKVA nach Wladiwostok entsandt. Baltische Flotte und Nordflotte verlegten darüber hinaus Kontingente Marineinfanterie, die gemeinsam mit der Marineinfanterie der Pazifikflotte auf dem Klerk-Übungsgelände an der Küste zum Einsatz kommen sollen.
Frühere Großübungen lassen bei ihren maritimen Anteilen ein Muster erkennen, dem wohl auch bei „Vostok-2010“ weitgehend gefolgt werden wird. Regelmäßig geht es um die „Verteidigung der Heimatküste“ gegen einen von See her mit Flugzeugträgern, U‑Booten und amphibischen Verbänden anrückenden Gegner. Dieser wird in seiner Annäherung zunächst kontinuierlich aufgeklärt (Satelliten, Sigint-Schiffe, U‑Boote, Seefernaufklärer) und schließlich in der Tiefe gestaffelt bekämpft: zunächst durch U‑Boote und Fernbomber (Flugkörper), dann durch Schiffe mit weit reichenden Seeziel-FK (PETR VELIKIY, MOSKVA), danach durch Zerstörer (SOVREMENNIY) während zugleich U‑Jagdschiffe feindlichen U‑Booten die Annäherung verwehren. In der letzten Annäherungsphase bekämpfen schließlich FK-Korvetten der NANUCHKA- oder TARANTUL-Klasse und Marinejagdbomber den Gegner mit koordinierten FK-Schlägen. Abschließender Höhepunkt sind meist amphibische Operationen, bei denen zum einen Küstenverteidigungskräfte eine gegnerische Seelandung abwehren, zum anderen „eigene“ Kräfte durch eine amphibische Landung einen neuen operativen Schwerpunkte bilden.
Wo immer sich die Gelegenheit bietet, übernimmt praktischerweise ein von einer Auslandsreise zurück kehrender russischer Verband die Darstellung des Gegners. Bei „Vostok-2010“ dürfte diese Rolle dem FK-Kreuzer VARYAG (SLAVA-Klasse) der Pazifikflotte zufallen, der sich nach einem Besuch in San Francisco (20.–25. Juni) zur Zeit gemeinsam mit dem Flottentanker BORIS BUTOMA und dem Hochseebergeschlepper FOTIY KRYLOV auf dem Rückmarsch nach Wladiwostok befindet.
In Kooperation mit “MarineForum — Zeitschrift für maritime Fragen”
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