Nordkorea/Südkorea — Wieder Zwischenfall an der „Northern Limit Line“

Ein­mal mehr ist im Gel­ben Meer das Seege­bi­et an der „North­ern Lim­it Line“ (NLL) – der umstrit­te­nen See­gren­ze zwis­chen Süd- und Nord­ko­rea – in die Schlagzeilen gelangt.
Am 24. Novem­ber schlu­gen plöt­zlich mehr als 100 vom nord­ko­re­anis­chen Fes­t­land abge­feuerte Granat­en und Raketen auf der Insel Yeon­pyeong ein. Vier Men­schen kamen bei dem Feuerüber­fall ums Leben, weit­ere 18 wur­den ver­let­zt. Ziel des Feuerüber­falls war die süd­ko­re­anis­che Marine­in­fan­terie-Gar­ni­son; hier gab es auch die große Mehrzahl der Opfer zu bekla­gen. Einige wenige Geschosse schlu­gen aber auch in einem unmit­tel­bar benach­barten Fis­cher­dorf ein und führten hier zu zivilen Opfern und Schä­den (die von Nord­ko­rea „bedauert“ wurden). 

Marineforum - Karte: NY Times
Karte: NY Times 

Nicht von unge­fähr kommt es in dieser Region seit Jahrzehn­ten immer wieder zu Zwis­chen­fällen bis hin zu regel­recht­en Gefecht­en. Erst im März dieses Jahres wurde nahe der NLL auch die süd­ko­re­anis­che Fre­gat­te CHEONAN durch wahrschein­lich einen nord­ko­re­anis­chen Tor­pe­do versenkt. Yeon­pyeong liegt wesentlich näher am Fes­t­land Nord­ko­re­as als Süd­ko­re­as, und die Insel find­et sich zwis­chen der durch den (ver­längerten) 38. Bre­it­en­grad markierten Demarka­tion­slin­ie und der ein­seit­ig erk­lärten und von Nord­ko­rea nie akzep­tierten North­ern Lim­it Line (NLL). Die NLL ver­läuft im Abstand von nur etwa 10–30 km vor dem nord­ko­re­anis­chen Fes­t­land. Eine ganze Rei­he der vorge­lagerten Inseln wer­den so Süd­ko­rea „zugeschla­gen“, zugle­ich beansprucht aber auch Nord­ko­rea die Inseln und die sie umgeben­den Gewässer. 

Anlass für das nord­ko­re­anis­che Artilleriefeuer gab eine von der süd­ko­re­anis­chen Marine im umstrit­te­nen Gebi­et durchge­führte Übung. Diese Übung gehört zum üblichen Jahrsaus­bil­dung­spro­gramm und ist eigentlich „Rou­tine“. Mit Blick auf die Versenkung der CHEONAN hat­te die süd­ko­re­anis­che Marine allerd­ings die Übungsin­halte erweit­ert, vor allem um ein früher nicht üblich­es Artillerie-Seezielschießen ergänzt. Das Ein­schla­gen süd­ko­re­anis­ch­er Granat­en „auf nord­ko­re­anis­chem Gebi­et“ (das ganze Seege­bi­et wird ja als solch­es beansprucht) hat dann als Vor­wand für die „Feuer­erwiderung“ gedi­ent. Süd­ko­re­as Präsi­dent kündigte für den Fall weit­er­er Angriffe „enorme Vergel­tung“ an. Über solche ver­balen Äußerun­gen hin­aus gehende mil­itärische Reak­tio­nen hat es allerd­ings bish­er nicht gegeben. Auch Nord­ko­rea ging in den Tagen nach dem Zwis­chen­fall offen­bar nicht von ein­er Eskala­tion aus; abge­se­hen von ein­er isolierten Schießübung an Land sind bish­er keine mil­itärischen Vor­bere­itun­gen erkennbar. 

Marineforum - GEORGE WASHINGTON (Foto: US Navy)
GEORGE WASHINGTON
Bildquelle: US Navy

Dies kön­nte sich in den kom­menden Tagen ändern. Am 28. Novem­ber soll im Gel­ben Meer eine mehrtägige (bis zum 1. Dezem­ber) bilat­erale Marineübung Süd­ko­re­as und der USA begin­nen. Die US Navy hat dazu eine kom­plette Car­ri­er Strike Group um den in Japan sta­tion­ierten Flugzeugträger GEORGE WASHINGTON ins Gelbe Meer ver­legt. Die Übung gehört zu ein­er ganzen Serie von nach der Versenkung der CHEONAN vere­in­barten bilat­eralen Übun­gen und ist auch schon seit mehr als vier Monat­en geplant. Das demon­stra­tive Aus­laufen des Flugzeugträgers nicht ein­mal einen Tag nach dem Zwis­chen­fall lässt jedoch eine kurzfristige „zeitliche Anpas­sung“ ver­muten (auch wenn der Träger offen­bar ohne­hin zu ein­er Rou­tineübung mit der japanis­chen Marine aus­laufen sollte). Nord­ko­rea warnt wie bei solchen Gele­gen­heit­en üblich mit laut­stark­er Pro­pa­gan­da, die Manöver kön­nten Korea „an den Rand eines Krieges“ bringen. 

Chi­na spricht sich vehe­ment gegen die Übung aus. Das chi­ne­sis­che Außen­min­is­teri­um ver­steigt sich sog­ar zu der unter dem gel­tenden Seerecht abwegi­gen Forderung, in der chi­ne­sis­chen Erweit­erten Wirtschaft­szone dürften jegliche Manöver nur mit chi­ne­sis­ch­er Genehmi­gung stat­tfind­en. Nun ist allerd­ings nicht das gesamte Gelbe Meer chi­ne­sis­che EEZ (auch wenn Peking dies gerne hätte); die Seege­bi­ete vor der süd­ko­re­anis­chen West­küste unter­liegen ganz sich­er nicht chi­ne­sis­ch­er Kon­trolle. Überdies wird mit solch­er Forderung für die EEZ de fac­to der Sta­tus von Hoheits­gewässern impliziert. Daran kann Chi­na eigentlich nicht gele­gen sein, dann solch eine Regelung (so die Vere­in­ten Natio­nen sie über­haupt beschließen wür­den) müsste für die EEZ aller Küsten­staat­en gel­ten. Damit würde der chi­ne­sis­chen Marine dann auch der Weg zwis­chen den japanis­chen Inseln (japanis­che EEZ) in den offe­nen Paz­i­fik versper­rt – erst in diesem Früh­jahr im Rah­men ein­er viel beachteten Großübung befahren. Auch wenn die chi­ne­sis­che Forderung sich­er ignori­ert wird, kann man wohl dur­chaus davon aus­ge­hen, dass bei diversen Küsten­staat­en jet­zt die „Alar­m­glock­en“ läuten und man bemüht sein wird, bish­er offene Ansprüche auf Wirtschaft­szo­nen jet­zt möglichst schnell bei den Vere­in­ten Natio­nen „festzuk­lopfen“.

Wie schon nach der Versenkung der CHEONAN, mit der Nord­ko­rea prak­tisch unges­traft davon kam, bleiben Süd­ko­re­as Optio­nen auch dies­mal begren­zt. Eine wirk­liche mil­itärische Eskala­tion kann man sich angesichts der „Irra­tional­ität“ des nördlichen Nach­barn nicht leis­ten. Immer­hin liegt die Mil­lio­nen­stadt Seoul in Reich­weite nord­ko­re­anis­ch­er Artillerie. So wer­den ver­balen Bekun­dun­gen auch dies­mal kaum Tat­en fol­gen. Als Sofort­maß­nahme wur­den immer­hin die Gar­niso­nen auf fünf im umstrit­te­nen Gebi­et liegen­den süd­ko­re­anis­chen Inseln ver­stärkt. Zivile Schiffe wur­den angewiesen, bei der Pas­sage der Küstengewäss­er im Gel­ben Meer beson­dere Vor­sicht wal­ten zu lassen. Für die Häfen von Incheon, Pyong­taek und Tong-Yeong wurde die Sicher­heitsstufe erhöht und zusät­zlich­es Per­son­al zur Inspek­tion von Schif­f­en und Fracht abgestellt. Wie schon nach Versenkung der CHEONAN erk­lärt, aber bish­er nicht umge­set­zt, wird eine Ver­schär­fung der „Rules of Engage­ment“ angekündigt, um bei kün­fti­gen Zwis­chen­fällen „sofort und angemessen“ reagieren zu kön­nen. Über­legt wird auch die Ein­rich­tung eines TSK-gemein­samen neuen inte­gri­erten Kom­man­dos West­küste (Divi­sion­sebene), das sich speziell der Vertei­di­gung der umstrit­te­nen Gebi­ete im Gel­ben Meer wid­men soll. 

Ein erstes poli­tis­ches Opfer gibt es bere­its. In Seoul musste der Vertei­di­gungsmin­is­ter „wegen Ver­säum­nis­sen bei der Gewährleis­tung der Ein­satzbere­itschaft der Stre­itkräfte“ seinen Hut nehmen. Zunächst hieß es, die Gar­ni­son auf Yeon­pyeong sei in des­o­latem Zus­tand gewe­sen; zur Feuer­erwiderung bere­it ste­hende Geschütze seien schon länger defekt gewe­sen. Am 26. Novem­ber veröf­fentlicht­en süd­ko­re­anis­che Medi­en dann aber (vom süd­ko­re­anis­chen Nachrich­t­en­di­enst aufgenommene und zuge­spielte) Fotos, auf denen klar erkennbar ist, dass Nord­ko­rea die für den Feuerüber­fall benutzten Geschütze schon einige Tage zuvor gegenüber der Insel in Stel­lung gebracht hat. Obwohl ein­deutige Hin­weise auf eine geplante Pro­voka­tion vor­la­gen, habe der Vertei­di­gungsmin­is­ter nichts unter­nom­men, den Bere­itschaft­szu­s­tand in der Region zu erhöhen. Nach­fol­ger wurde übri­gens ein als „kom­pro­miss­los­er Hard­lin­er“ gel­tender, ehe­ma­liger Generalstabschef. 

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