(nur maritime Aspekte)
Erneut haben pro-Gaddhafi Truppen versucht, den umkämpften Hafen Misrata von See her zu blockieren.
In den frühen Morgenstunden des 16. Mai entdeckten vor Misrata operierende NATO-Einheiten zwei Schlauchboote (RHIB), die von der libyschen Küste ablegten und Misrata ansteuerten. Als ein Kriegsschiff sich näherte, flüchtete sich eines der Boote mit Höchstfahrt in Richtung Küste; das andere blieb bewegungslos im Wasser liegen. Ein Kampfmittelbeseitigungsteam untersuchte das Boot. Menschen waren nicht an Bord; dafür wurden aber zwei Schaufensterpuppen sowie in einer großen Kiste fast eine Tonne hochbrisanter Sprengstoff Semtex gefunden. Boot und Sprengstoff wurden noch vor Ort zerstört. Das Schlauchboot sollte offenbar als Sprengfalle vor Misrata eingesetzt werden, möglicherweise ein havariertes Boot simulieren und zur Lieferung humanitärer Hilfsgüter und Evakuierung von Menschen nach Misrata einlaufende Schiffe anlocken.
Einen Tag später berichtete das libysche Staatsfernsehen überschwänglich von einem erfolgreichen Angriff libyscher Artillerie auf NATO-Schiffe vor Misrata. Ein Kriegsschiff sei „direkt und schwer getroffen“ worden. Ein NATO-Sprecher bezeichnete die Meldung als völlig aus der Luft gegriffen. Nachdem pro-Gaddhafi-Kräfte nun aber in mindestens drei Fällen versucht hatten, von See her in die Kämpfe um Misrata einzugreifen, entschloss sich die Führung von Operation „Unified Protector“, in west-libyschen Häfen liegende Schiffe und Boote der libyschen Marine zu neutralisieren und so die Fähigkeiten der pro-Gaddhafi Truppen zu maritimen Aktionen zu begrenzen.
RHIB mit Sprengstoffkiste Bildquelle: NATO |
In der Nacht zum 20. Mai wurden die Marinebasen in den Häfen von Tripolis, Al Khums und Sirte in einer koordinierten Angriffsoperation Ziele von Kampfflugzeugen und vermutlich auch Flugkörpern. Acht Marineschiffe wurden dabei nach NATO-Angaben versenkt oder beschädigt. Zu ihnen gehört auch eine in Tripolis an der Pier liegende Fregatte der KONI-Klasse. Dabei dürfte es sich um die AL QIRDABIYAH handeln, denn die zweite libysche KONI, die AL HANI, liegt wohl unter Kontrolle der Rebellen in Benghazi. Libysche staatliche Medien erklärten zunächst, die NATO Angriffe hätten ihr Ziel völlig verfehlt und nur einige wenige zivile Yachten getroffen. Als internationale Medien dann Fotos der brennenden KONI veröffentlichten, korrigierte man sich. „Ein Kriegsschiff und fünf Boote der Küstenwache“ seien getroffen worden. Die Boote seien der Küstenwache erst kürzlich von der Marine „gespendet“ worden; sie sollten Flüchtlinge vor der libyschen Küste aus Seenot retten – ein rein humanitärer Auftrag, den die Aggression der NATO nun unmöglich gemacht habe.
Bei den internationalen Seestreitkräften vor der libyschen Küste gab es erneut Umgruppierungen. So hat am 17. Mai der französische Hubschrauberträger TONNERRE still und heimlich“ in Toulon „Material“ an Bord genommen und ins Krisengebiet verlegt. Die Verlegung des amphibischen Großkampfschiffes ließ natürlich sofort Gerüchte über einen geplanten Landeinsatz aufkommen. Von der TONNERRE können natürlich aber auch Kampfhubschrauber des französischen Heeres operieren, die sich dann an den NATO-Luftoperationen beteiligen. In der Trägerkampfgruppe um die CHARLES DE GAULLE hat die U‑Jagdfregatte JEAN DE VIENNE ihr Schwesterschiff MONTCALM abgelöst; die MONTCALM kehrte am 20. Mai nach Toulon zurück. Die britische Royal Navy hat erneut ein U‑Boot der TRAFALGAR-Klasse vor Libyen im Einsatz. Am 18. Mai beteiligte sich die TRIUMPH mit dem Verschuss mehrerer Marschflugkörper Tomahawk an Angriffen auf Ziele in Tripolis.
In Durchsetzung des Embargos haben NATO Kriegsschiffe am 19. Mai den maltesischen Tanker YM JUPITER am Einlaufen in einen libyschen Hafen gehindert. Das Schiff hatte fast 13.000 t Kraftstoff geladen, und es gab Hinweise, dass die Ladung für pro-Gaddhafi Truppen bestimmt sein könnte.
Der Flüchtlingsstrom von Libyen über das Mittelmeer nach Malta, Sizilien oder zur italienischen Insel Lampedusa verstärkt sich. Fast täglich treffen hunderte Menschen (neben libyschen Flüchtlingen vor allem Schwarzafrikaner, die illegal nach Europa gelangen wollen) mit kleinen, meist völlig überladenen Booten ein.
Flüchtlingsboot Bildquelle: rum. Marine |
Der 19. Mai mag hier als Beispiel dienen:
Allein an diesem Tag rettet ein Wachboot der maltesischen Küstenwache 347 Menschen von einem nur 20 m (!) langen Boot, dessen Maschine 20 sm vor Malta ausgefallen war. Zugleich erreicht ein mit etwa 500 Menschen besetztes Boot die Küste von Sizilien; drei Menschen ertrinken beim Versuch an Land zu schwimmen. Weitere zwei Boote mit insgesamt mehr als 700 Menschen treffen auf Lampedusa ein. )
In Kooperation mit “MarineForum — Zeitschrift für maritime Fragen”
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