Libyen-Krise im Detail

Die poli­tis­chen Umwälzun­gen In Libyen dominieren die Schlagzeilen dieser Tage, und dies wird sich­er auch noch einige Zeit so andauern. Auch wenn sich alle Beobachter let­z­tendlich darin einig sind, dass Gaddafis Tage gezählt sind, ist doch derzeit völ­lig ungewiss, ob es größeren Auseinan­der­set­zun­gen, vielle­icht sog­ar zum Bürg­erkrieg kom­men wird. Zahlre­iche Natio­nen haben daher begonnen, ihre Staats­bürg­er aus dem Lande her­aus zu brin­gen, und diese Bemühun­gen haben auch eine aus­geprägte mar­itime Kom­po­nente — die in den Medi­en nur auss­chnit­tweise dargestellt wird.

Marine­Fo­rum wird sich daher in dieser „WOCHENSCHAU“ darauf konzen­tri­eren, das mar­itime Umfeld der Libyen-Krise im Detail darzustellen.

Zunächst zur libyschen Marine selbst.

Ihr derzeit­iger Sta­tus ist völ­lig unklar. (Im einzel­nen nicht ver­i­fizier­bare) Medi­en­berichte lassen darauf schließen, dass einige Ein­heit­en noch an der Seite des Dik­ta­tors kämpfen, während andere sich der Protest­be­we­gung angeschlossen haben – oder ein­fach allen Auseinan­der­set­zun­gen aus dem Wege gehen. So sollen Kriegss­chiffe am 24. Feb­ru­ar Küstenge­bi­ete nahe der Haupt­stadt Tripo­lis beschossen haben. Im Osten Libyens, bei Beng­hazi, haben andere Ein­heit­en dage­gen offen­sichtlich den Befehl zur Bekämp­fung des „Auf­s­tandes“ verweigert. 

Zwei Mari­neschiffe sollen sich schon am 22. Feb­ru­ar in Rich­tung Mal­ta abge­set­zt haben. Zum Typ find­en sich bish­er keine Angaben; ein von eini­gen Medi­en veröf­fentlicht­es Foto (Fre­gat­te KONI) stammt nach­weis­lich von einem bere­its 2008 in Mal­ta durchge­führten libyschen Flot­tenbe­such. Medi­en­berichte eines Ein­laufens in einen mal­te­sis­chen Hafen oder auch nur in mal­te­sis­che Hoheits­gewäss­er wur­den von den Mal­ta Armed Forces post­wen­dend offiziell demen­tiert. Einiges spricht dafür, dass die libyschen Schiffe etwa 25 sm südlich Mal­tas, außer­halb der Ter­ri­to­ri­al­gewäss­er, liegen – vielle­icht um hier (unter von der ital­ienis­chen Luft­waffe gesichertem Luftraum) die weit­ere Entwick­lung abzuwarten. 

Evakuierung von Zivilis­ten — Non-Com­bat­ant Evac­u­a­tion Oper­a­tions (NEO)
(Stand: 26 Februar) 

Zahlre­iche Natio­nen evakuieren derzeit ihre Staats­bürg­er aus Libyen. Neben Trans­porten auf dem Landweg an die Gren­zen zu Tune­sien und Ägypten sowie auf dem Luftweg mit zivilen und mil­itärischen Flugzeu­gen find­en auch Evakuierun­gen auf dem Seewege statt. Dabei wer­den vorzugsweise zivile Schiffe mit großer Pas­sagierka­paz­ität gechar­tert; Kriegss­chiffe kom­men — mit weni­gen Aus­nah­men — bish­er nur in der mil­itärischen Absicherung dieser Schiff­s­trans­porte zum Ein­satz. Nach­fol­gend sollen Evakuierun­gen über See, die am 24. Feb­ru­ar durch einen schw­eren Sturm stark behin­dert und verzögert wur­den, im Detail dargestellt wer­den (Län­der­rei­hen­folge alphabetisch). 

BRASILIEN
Die brasil­ian­is­che Regierung hat am 24. Feb­ru­ar ein ziviles Schiff gechar­tert, das etwa 180 Staats­bürg­er von Beng­hazi nach Griechen­land oder Mal­ta brin­gen soll. 

CHINA
Erst­mals in ihrer Geschichte ist die chi­ne­sis­che Marine aktiv in eine NEO einge­bun­den. Die Fre­gat­te XUZHOU (JIANGKAI-II-Klasse) wurde aus der Anti-Pira­terie Ein­satz­gruppe im Golf von Aden her­aus­gelöst und ver­legt vor die libysche Küste (Beng­hazi).

Marineforum - XUZHOU (Foto: China-Defense Forum)
XUZHOU
Bildquelle: Chi­na-Defense Forum

Das Kampf­schiff soll die ange­laufe­nen Evakuierun­gen chi­ne­sis­ch­er Bürg­er mil­itärisch sich­ern. Bish­er wur­den bere­its etwa 12.000 Chi­ne­sen außer Lan­des gebracht, fast 4.500 davon am 24. Feb­ru­ar durch zwei gechar­terte griechis­che Fähren nach Kre­ta. Am 26. Feb­ru­ar waren zwei weit­ere Schiffe mit noch ein­mal etwa 5.000 Chi­ne­sen in Beng­hazi klar zum Aus­laufen. Die von Chi­na gechar­terten Schiffe haben auch Bürg­er von EU Staat­en und aus Thai­land an Bord genommen. 

Marineforum - EGV BERLIN (Foto: Michael Nitz)
EGV BERLIN
Bildquelle: Michael Nitz
Marineforum - JALASHVA (Foto: ind. Marine)
JALASHVA
Bildquelle: ind. Marine

DEUTSCHLAND
Die Deutsche Marine ver­legt eine Ein­satz­gruppe mit den Fre­gat­ten BRANDENBURG und RHEINLAND-PFALZ sowie dem Ein­satz­grup­pen­ver­sorg­er BERLIN vor die libysche Küste. Die Schiffe bilden den diesjähri­gen „Ein­satz- und Aus­bil­dungsver­band“ der Deutschen Marine und führen ger­ade eine vier­monatige Aus­bil­dungsreise (u.a. ins Mit­telmeer) durch. Dieses Vorhaben ist nun zunächst ein­mal unter­brochen. Ein aktiv­er Evakurierung­sein­satz ist derzeit noch nicht geplant. Die Schiffe ste­hen für Not­fälle bereit. 

GROSSBRITANNIEN
Am 22. Feb­ru­ar hat die Roy­al Navy die im östlichen Mit­telmeer operierende Fre­gat­te CUMBERLAND (TYPE 22) vor die libysche Küste beordert. Das Schiff sollte zunächst nur die Evakuierung britis­ch­er Staats­bürg­er unter­stützen, führte inzwis­chen aber selb­st einen Evakuierung­sein­satz durch. Am 24. Feb­ru­ar lief die Fre­gat­te in Beng­hazi ein, nahm 207 Zivilis­ten (darunter 68 Briten) an Bord und brachte diese am 25. Feb­ru­ar nach Mal­ta. Am 25. Feb­ru­ar wurde auch der Zer­stör­er YORK (TYPE 42) in Rich­tung libysche Küste befohlen. Das Schiff hat­te auf dem Weg in den Südat­lantik einen Stopp in Gibral­tar ein­gelegt, als der Ein­satzbe­fehl eintraf. 

INDIEN
Ins­ge­samt 18.000 Inder sollen sich in Libyen aufhal­ten. 9.500 von ihnen warten auf eine Evakuierung über See. Die indis­che Regierung hat dazu die zivile Fähre SCOTIA PRINCE gechar­tert, die am 26. Feb­ru­ar in Beng­hazi ein­laufen und dann Inder auf dem Seeweg nach Port Said, Ägypten brin­gen soll. Am 26. Feb­ru­ar wurde eine zweite zivile Fähre gechar­tert. Die indis­che Marine hat am 26. Feb­ru­ar den Zer­stör­er MYSORE (DEL­HI-Klasse) und das Dock­lan­dungss­chiff JALASHWA in Rich­tung Libyen in Marsch geset­zt. Die Schiffe wer­den etwa 12 Tage für die Fahrt benötigen. 

ITALIEN
Die ital­ienis­che Marine erfüllt mit Blick auf die Lageen­twick­lung in Libyen eine ganze Palette an Auf­gaben. Am 22. Feb­ru­ar wurde entsch­ieden, das Aufk­lärungss­chiff ELETTRA von La Spezia zur Fer­n­melde- /elektronischen Aufk­lärung vor die libysche Küste zu ver­legen. Die Korvet­ten FENICE (MIN­ER­VA-Klasse) und COMANDANTE BETTICA patrouil­lieren mit Blick auf die zunehmende Anzahl von Boots­flüchtlin­gen in der Straße von Sizilien und vor der Insel Lampe­dusa. Hier sind auch weit­ere Ein­heit­en der ital­ienis­chen Küstenwache im Einsatz. 

Marineforum - FRANCESCO MIMBELLI (Foto: Frank Findler)
FRANCESCO MIMBELLI
Bildquelle: Frank Findler

Der Zer­stör­er FRANCESCO MIMBELLI hat südlich Mal­ta Sta­tion bezo­gen. Das Schiff soll als vorgeschobene Radarsta­tion den Luftraum im Zen­tralen Mit­telmeer überwachen und Luft­lage­dat­en über­mit­teln. Das Dock­lan­dungss­chiff SAN GIORGIO ste­ht vor der libyschen Küste für mögliche NEO bere­it. Ital­ienis­chen Medi­en zufolge ver­legt auch Schwest­er­schiff SAN MARCO

KANADA
Kana­da hat bish­er selb­st keine zivilen Schiffe gechar­tert oder Kriegss­chiffe in die Region beordert. Etwa 200 Kanadier wur­den bish­er evakuiert, sind dabei teils auf Schif­f­en ander­er Natio­nen mit­ge­fahren. Der Pre­mier­min­is­ter erk­lärte allerd­ings, man bere­ite derzeit „aktiv die näch­sten Schritte vor“. NIEDERLANDE

Marineforum - TROMP (Foto: Michael Nitz)
TROMP
Bildquelle: Michael Nitz

Am 25. Feb­ru­ar traf die nieder­ländis­che Fre­gat­te TROMP vor der libyschen Küste ein. Das Schiff sollte eigentlich zu Anti-Pira­terie Oper­a­tio­nen in den Golf von Aden ver­legen und befand sich auch bere­its im Roten Meer, als es dort den Befehl zur Umkehr erhielt. 

RUSSLAND
Ein Ein­satz von Mari­neschif­f­en ist bish­er offen­bar nicht geplant. Am 23. Feb­ru­ar wurde die zivile Fähre ST. STEPHEN gechar­tert. Das Schiff ver­legte von Mon­tene­gro zunächst zur Kraft­stof­füber­nahme nach Bari, Ital­ien. Der schwere Sturm verzögerte dort die Weit­er­fahrt um einen Tag. Inzwis­chen ist die Fähre auf dem Weg nach Libyen. In Sirte und beim Öl-Ter­mi­nal Ras Lanuf sollen mehr als 1.000 Russen sowie Türken und Ser­ben an Bord genom­men werden. 

SRI LANKA
Die Regierung Sri Lankas verkün­dete am 24. Feb­ru­ar, man werde „ein Schiff“ zur Evakuierung von Staats­bürg­ern entsenden. Details wur­den nicht genannt. 

SÜDKOREA
Die süd­ko­re­anis­che Marine hat am 25. Feb­ru­ar den Zer­stör­er CHOI YOUNG (KDX-II-Klasse) von Anti-Pira­terie Oper­a­tio­nen am Horn von Afri­ka abge­zo­gen. Das Schiff ver­legt derzeit durch das Rote Meer in Rich­tung Suezkanal und Mit­telmeer; es soll im Laufe der Woche vor Libyen eintreffen. 

Marineforum - Südkoreanischer Zerstörer CHOI YOUNG (Foto: Michael Nitz)
Süd­ko­re­anis­ch­er Zer­stör­er CHOI YOUNG
Bildquelle: Michael Nitz

TÜRKEI
Mit zwei gechar­terten Kata­ma­ran­fähren und ein­er anderen Fähre wur­den bere­its am 23. Feb­ru­ar fast 3.000 Türken aus Beng­hazi evakuiert. Medi­en­berichte deuten auch auf einen Ein­satz von Mari­neschif­f­en; Details wer­den hier allerd­ings nicht genannt. 

UKRAINE
Die ukrainis­che Regierung beri­et am 25. Feb­ru­ar über die Entsendung eines Kriegss­chiffes. Eine Entschei­dung hänge von der weit­eren Entwick­lung ab. Etwa 2.500 Ukrain­er befind­en sich derzeit in Libyen. 

USA
Die USA haben zur Evakuierung von US-Bürg­ern am 22. Feb­ru­ar zwei zivile Hochgeschwindigkeits­fähren gechar­tert. Die MARIA DOLORES nahm in Tripo­lis 338 Pas­sagiere (darunter 183 Amerikan­er) an Bord; der schwere Sturm verzögerte das Aus­laufen um mehr als einen Tag. Am 25. Feb­ru­ar traf das Schiff dann aber wohlbe­hal­ten in Mal­ta ein. 

ZIVILE OPERATIONEN
Mit ein­er eigens gechar­terten Fähre hat die franzö­sis­che Öl- und Gas­fir­ma Schlum­berg­er etwa 300 Men­schen (meist Fir­me­nar­beit­er und deren Fam­i­lien­ange­hörige) von Tripo­lis nach Mal­ta brin­gen lassen. 

SCHLUSSBEMERKUNG

Der aufmerk­same Leser wird in der o.a. Zusam­men­stel­lung Angaben zur franzö­sis­chen Marine und zur US Navy ver­mis­sen. Tat­säch­lich sind bei­de Mari­nen bish­er auch in kein­er Weise in die NEO einge­bun­den; bei­de haben nach derzeit­i­gen Lage­in­for­ma­tio­nen auch noch kein­er­lei Schiffe vor der libyschen Küste sta­tion­iert oder (Stand 26. Feb­ru­ar) dor­thin in Marsch gesetzt. 

Im Inter­net – teils wohl auch in bewusster Falschin­for­ma­tion — ver­bre­it­ete Mel­dun­gen, dass die US Navy bere­its vier Flugzeugträger in der Region zusam­men gezo­gen habe, ent­behren jed­er Grund­lage. So wer­den u.a. auch die Flugzeugträger GEORGE WASHINGTON und ABRAHAM LINCOLN namentlich genan­nt: erster­er befind­et sich in Japan, die LINCOLN ver­legt nach been­de­tem Ein­satz in der Gol­fre­gion derzeit im Süd­chi­ne­sis­chen Meer in Rich­tung Heimat. Tat­säch­lich im Bere­ich Mit­telost einge­set­zt sind die Flugzeugträger ENTERPRISE und CARL VINSON. Bei­de operieren allerd­ings im Ara­bis­chen Meer, und bish­er gibt es keine Hin­weise auf einen Befehl zur Verlegung. 

Marineforum - KEARSARGE (Foto: US Navy)
KEARSARGE
Bildquelle: US Navy

Im Roten Meer ste­ht eine Ein­satz­gruppe um den amphibis­chen Träger KEARSARGE. Der Ver­band war im Zusam­men­hang mit der Entwick­lung in Ägypten aus dem Per­sis­chen Golf dor­thin ver­legt wor­den, um im Not­fall US-Bürg­er zu evakuieren (was dann nicht notwendig war). Die Schiffe ste­hen wohl grund­sät­zlich für eine kurzfristige Ver­legung durch den Suezkanal ins Mit­telmeer bere­it; derzeit deutet aber auch hier nichts auf einen Ein­satzbe­fehl hin. 

Die franzö­sis­che Marine kön­nte im Not­fall sofort auf den Hub­schrauberträger MISTRAL zurück greifen, der im Rah­men ein­er Aus­bil­dungsreise (in den Indik) derzeit das Mit­telmeer durch­quert. Für einen Ein­satz zu NEO gibt es derzeit aber keine Anzeichen. 

Die USA und auch Frankre­ich haben nur eine sehr begren­zte Anzahl von Bürg­ern in Libyen, die meist auch bere­its (u.a. auf dem Luftwege) evakuiert sind. Abhängig von der Lageen­twick­lung ist nicht auszuschließen, dass die inter­na­tionale Gemein­schaft (UN Sicher­heit­srat, NATO, Europäis­che Union) in den kom­menden Tagen mil­itärische Optio­nen beschließt. Disku­tiert wird z.B. die Erk­lärung ein­er No-Fly Zone über Libyen, um regime­treuen Teilen der libyschen Luft­waffe ein Ein­greifen in Kämpfe zu ver­wehren. An solchen Oper­a­tio­nen wer­den sich dann sich­er auch franzö­sis­che und US-amerikanis­che Stre­itkräfte — ein­schl. Marine – beteili­gen. Ob dazu allerd­ings Flugzeugträger benötigt wer­den, ist fraglich. Zur Durch­set­zung ein­er No-Fly Zone über Libyen notwendi­ge Ein­satzflüge ließen sich effek­tiv auch von Land­flug­plätzen z.B. auf Sizilien, in Südi­tal­ien oder auf Kre­ta durch­führen. Ohne­hin müssen Flugzeugträger einen großen Sicher­heitsab­stand zur libyschen Küste hal­ten. Man erin­nere sich: 1986 startere der Flugzeugträger SARATOGA seine Flugzeuge gegen Libyen sog­ar aus ein­er Posi­tion nördlich Siziliens. 

In Koop­er­a­tion mit “Marine­Fo­rum — Zeitschrift für mar­itime Fra­gen

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