LIBYEN (nur maritime Aspekte)
Fortschreibung (Informationsstand 26. März)
Eine Woche nach Beginn alliierter Luftschläge über Libyen hat bzw. soll die NATO die Führung über alle im Zusammenhang mit der Lage in Libyen durchgeführten militärischen Einsätze übernehmen.
Dabei handelt es sich prinzipiell um drei voneinander getrennte Operationen, die unter unterschiedliche Risiken und Bedrohungen durchgeführt werden, bei denen die beteiligten Einheiten in unterschiedlicher Weise an „Kampfhandlungen in Libyen“ beteiligt sind, die sämtlich durch Resolutionen des UN Sicherheitsrates mandatiert sind, und in die jeweils auch See-/Seeluftstreitkräfte eingebunden sind:
Direkte Bekämpfung von Streitkräften des libyschen Machthabers am Boden zum Schutz der Zivilbevölkerung (was zugleich natürlich auch unmittelbare Kampfunterstützung der Rebellen ist) oder zur Neutralisierung von Bedrohungen für vor der libyschen Küste operierende alliierte Seestreitkräfte. So wurden u.a. auf Benghazi vorrückende Panzer durch Jagdbomber vernichtet sowie am 22. März ein Depot für SSC‑3 Küsten-FK nahe Tripolis durch Marschflugkörper Tomahawk zerstört. Dies sind ausschließlich Kampfeinsätze auf bzw. über libyschem Territorium.
Durchsetzung einer Flugverbotszone über Libyen. Die Voraussetzungen dafür sind mit Ausschaltung libyscher Luftverteidigung und Flugabwehr und der Neutralisierung der libyschen Luftwaffe am Boden inzwischen praktisch geschaffen. In der Durchführung kann es über libyschem Gebiet zu weiteren Kampfhandlungen kommen (Air Intercept; Suppression of Enemy Air Defence).
Die Durchsetzung eines umfassenden Waffenembargos durch im zentralen Mittelmeer vor der libyschen Küste operierende Kriegsschiffe. Hier sind Kämpfe mit libyschen Streitkräften nahezu auszuschließen, da die eingesetzten Seestreitkräfte vorwiegend außerhalb libyschen Gebietes in internationalen Gewässern operieren werden (nicht zuletzt auch, um die Bedrohung für sich selbst niedrig zu halten).
Die tatsächliche oder mögliche Verwicklung in Kampfhandlungen in Libyen bestimmt natürlich die erklärte Bereitschaft der an den drei Operationen beteiligten Nationen. An der direkten Bekämpfung libyscher Streitkräfte und Streitkräfteanlagen am Boden auf libyschem Territorium beteiligen sich bisher offenbar nur Frankreich, die USA und Großbritannien. Diese Nationen werden sich ggf. die Durchführung einzelnen Aktionen unter rein nationaler Führung vorbehalten. Die Durchsetzung der Flugverbotszone findet international bereits breiteren Zuspruch. Hier sind neben zahlreichen NATO-Nationen auch Luftwaffen aus arabischen Ländern sowie die Nicht-NATO Mitglieder Finnland und Schweden beteiligt. Zur Durchsetzung eines Waffenembargos von See meldet kaum ein NATO-Land Bedenken an. Selbst die Türkei, die sich zunächst grundsätzlich gegen jegliche militärische Intervention in der Libyenkrise ausgesprochen hatte, entsendet hier ein größeres Kontingent Kriegsschiffe.
Im Einzelnen:
USA
Nach US-Angaben operieren derzeit 14 Einheiten der US Navy im Mittelmeer. Dazu gehören mehrere Zerstörer sowie drei U‑Boote, von denen insgesamt mehr als 150 Marschflugkörper Tomahawk gegen Bodenziele in Libyen gestartet wurden. Ebenfalls unmittelbar in Kampfhandlungen in Libyen eingebunden ist eine amphibische Einsatzgruppe mit dem amphibischen Träger KEARSARGE (Jagdbomber Harrier, Kampfhubschrauber) und dem Docklandungsschiff PONCE (Hubschrauber). Die US-Einsätze (Operation “Odyssey Dawn”) wurden vom Flaggschiff der 6. US-Flotte MOUNT WHITNEY geführt, das wahrscheinlich auch bei NATO-Führung weiter im Einsatz als schwimmendes Combined & Joint Task Force HQ bleibt. In Norfolk (USA) hat sich am 23. März die BATAAN Amphibious Ready Group mit dem amphibischen Träger BATAAN und den Docklandungsschiffen MESA VERDE und WHIDBEY ISLAND auf den Weg in Richtung Mittelmeer gemacht. Auch die BATAAN kann Jagdbomber Harrier und Kampfhubschrauber der US Marine Corps einsetzen. Eingeschifft ist überdies die 2.200 Mann starke 22nd Marine Expeditionary Unit.
Jagdbomber Harrier starten auf einem amphibischen Träger der US Navy Bildquelle: US Navy |
CHARLES DE GAULLE Bildquelle: Bernard Prezelin |
Die BATAAN-Einsatzgruppe soll die KEARSARGE im Einsatzgebiet ablösen. Ihre Verlegung (in die Golfregion) war im Rahmen routinemäßiger Rotation schon länger geplant, sollte eigentlich aber erst in einigen Wochen erfolgen. Sie wurde nun kurzfristig vorgezogen — und bietet so ganz nebenbei auch die Option, vor Libyen zumindest vorübergehend zwei amphibische Einsatzgruppen gleichzeitig einsetzen zu können. Auf die Entsendung eines Flugzeugträger verzichtet die US Navy weiterhin. Einsätze zur Durchsetzung der Flugverbotszone werden von der US Luftwaffe von landgestützten Flugplätzen durchgeführt. Einige EloKa-Flugzeuge F/A‑18G Growler der US Navy operieren ebenfalls von italienischen Flugplätzen.
FRANKREICH
Wie erwartet hat die französische Marine den Flugzeugträger CHARLES DE GAULLE vor die libysche Küste verlegt. Das Schiff lief am 20. März aus Toulon aus; seit dem 22. März sind seine Kampfflugzeuge (acht Abfangjäger Rafale M, sechs Jagdbomber Super Etendard sowie zwei Frühwarn-/Jägerleitflugzeuge E‑2C Hawkeye) über Libyen im Einsatz. Zum französischen Trägerverband gehören auch die Flugabwehr-Zerstörer FORBIN und JEAN BART, die Fregatten DUPLEIX und ACONIT, der Versorger MEUSE sowie ein U‑Boot der RUBIS-Klasse.
GROSSBRITANNIEN
An den Luftschlägen der ersten Tage war das U‑Boot TRIUMPH der TRAFALGAR-Klasse beteiligt. Britischen Medien zufolge wurden vom U‑Boot etwa 20 Prozent des gesamten britischen Bestandes an Marschflugkörpern Tomahawk verschossen.
HMS TRIUMPH Bildquelle: Royal Navy |
Im zentralen Mittelmeer operieren darüber hinaus derzeit die Fregatten CUMBERLAND (TYPE-22) und WESTMINSTER (TYPE-23) sowie das Hospitalschiff ARGUS. Weitere Verstärkung zeichnet sich ab. Am 24. März wurde ein Besuch der Fregatte SUTHERLAND in einem schottischen Hafen „aus operativen Gründen“ abgebrochen. Man kann davon ausgehen, dass die TYPE-23 Fregatte kurzfristig ins Mittelmeer beordert wird – und dies vielleicht nicht allein. In einigen Wochen sollte die SUTHERLAND mit u.a. dem Hubschrauberträger OCEAN und einem Docklandungsschiff in der „Task Force Cougar“ zu einer mehrmonatigen Asienreise aufbrechen. Nun wird spekuliert, dass die gesamte für diese Reise vorgesehene Einsatzgruppe vorzeitig ins Mittelmeer in Marsch gesetzt wird.
GARIBALDI Bildquelle: Ital. Marine |
KONSTANTIN OLSHANSKIY Bildquelle: Ukr. Marine |
ITALIEN
Die italienische Marine setzt inzwischen auch den Flugzeugträger GARIBALDI, begleitet von Zerstörer ANDREA DORIA, Fregatte EURO und Versorger ETNA, im zentralen Mittelmeer ein. Auf dem Träger befinden sich sechs Jagdbomber Harrier, zu deren (möglicher) Einsatzrolle es bisher aber keine offiziellen Erklärungen gibt. Weitere Einheiten der italienischen Marine werden momentan zwar nicht genannt. Man kann aber davon ausgehen, dass noch eine ganze Reihe weiterer Kampf- und Hilfsschiffe sowie Einheiten der Guardia Costiera (Flüchtlinge) im Einsatz sind.
NATO
Sechs Schiffe der Standing NATO Maritime Group 1 (SNMG‑1) haben am 23. März mit “Operation Unified Protector”, der Durchsetzung des Waffenembargos, begonnen. Zugleich gab die NATO bekannt, dass mehrere NATO-Marinen den Verband in den kommenden Tagen deutlich verstärken wollen. So will die Türkei vier Fregatten, ein U‑Boot und einen Versorger abstellen; Italien will eine Fregatte, ein U‑Boot, ein Führungsschiff und ein weiteres Hilfsschiff einbringen; Griechenland, Großbritannien, Kanada, Spanien und die USA stellen je eine Fregatte zur Verfügung; Spanien darüber hinaus noch ein U‑Boot. Bulgarien und Rumänien bereiten (für April) jeweils die Entsendung einer Fregatte vor. In die Embargooperationen eingebunden werden darüber hinaus auch die Einheiten der Standing NATO Mine Counter Measures Group 1.
Deutschland hat dagegen alle im Mittelmeer operierenden Einheiten (zwei Fregatten, ein Minenjagdboot, ein Flottendienstboot) aus NATO-Verbänden sowie der Anti-Terroroperation Active Endeavour heraus gelöst. Die Begründung, man habe entschieden, sich an keinen „Kampfhandlungen in Libyen“ zu beteiligen, stößt bei den meisten NATO-Partnermarinen auf Unverständnis. Da Embargo-Operationen in internationalen Gewässern vor der libyschen Küste stattfinden, keinesfalls aber „in Libyen“, wird die deutsche Haltung überwiegend als „Totalverweigerung“ interpretiert – zumal der deutsche Außenminister lautstark sogar ein deutlich über die bisherigen UN-Beschlüsse hinaus gehendes Embargo fordert.
SONST
Die Ukraine hat am 22. März ihr Landungsschiff KONSTANTIN OLSHANSKIY (ROPUCHA-Klasse) in Richtung Libyen in Marsch gesetzt. Zugleich wurden bisher noch in Libyen gebliebene Ukrainer aufgefordert, diese „letzte Chance zur Evakuierung“ zu nutzen.
In Kooperation mit “MarineForum — Zeitschrift für maritime Fragen”
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