Libyen — Beschuss der vor der Küste patrouillierende Kriegsschiffe

Immer wieder ver­suchen Gad­dhafi-treue Trup­pen von Land her auch vor der Küste patrouil­lierende Kriegss­chiffe zu beschießen. Am 3. August schlug ein nicht näher iden­ti­fiziert­er Flugkör­p­er etwa 2 km vor der ital­ienis­che Fre­gat­te BERSAGLIERE im Wass­er ein. Das etwa zehn sm von der Küste ent­fer­nte Schiff zog sich daraufhin weit­er seewärts zurück. Nur einen Tag später wurde der britis­che Zer­stör­er LIVERPOOL von der Küste aus mit einem Mehrfachraketen­wer­fer beschossen. Auch hier ver­fehlten alle Flugkör­p­er das Ziel; der Zer­stör­er erwiderte allerd­ings prompt das Feuer mit seinem 114-mm Haupt­geschütz. Ob er die Land­bat­terie auss­chal­ten kon­nte, ist nicht bekan­nt.

Marineforum - BERSAGLIERE (Foto: Deutsche Marine)
BERSAGLIERE
Bildquelle: Deutsche Marine

Die Ver­sorgung der Rebellen mit Dieselkraft­stoff ist inzwis­chen in vollem Umfang ange­laufen. Am 29. Juli traf der unter liberi­an­is­ch­er Flagge fahrende Tanker KOUROS mit 35.000 t Diesel in Beng­hazi ein. Der Kraft­stoff war zuvor von einem vor Mal­ta ankern­den größeren Tanker („float­ing stor­age“) über­nom­men wor­den. Noch ein zweit­er, dies­mal aber erhe­blich größer­er Tanker soll auf dem Weg nach Beng­hazi sein. Die unter staatlich­er libysch­er Flagge fahrende CARTAGENA soll mehr als 250.000 t für die Gad­dhafi-treuen Trup­pen bes­timmten Kraft­stoff an Bord haben. Mehrere Medi­en bericht­en, libysche Rebellen hät­ten am 3. August das Schiff südlich von Mal­ta gekapert; in eini­gen Mel­dun­gen ist auch von Unter­stützung durch NATO Kom­man­dosol­dat­en die Rede. Ver­i­fizieren lässt sich dies nicht, und die NATO hält sich mit Auskün­ften sehr zurück. Die CARTAGENA soll, begleit­et von einem NATO Kriegss­chiff, anschließend Kurs auf Beng­hazi genom­men haben. 

Der franzö­sis­che Flugzeugträger CHARLES DE GAULLE wird in diesen Tagen seinen Ein­satz vor der libyschen Küste vor­erst been­den. Am 15. August wird der einzige Flugzeugträger der franzö­sis­chen Marine zu ein­er mehrmonati­gen plan­mäßi­gen Wartung und Instand­set­zung in Toulon zurück erwartet. Sein Aus­fall soll durch die Ver­legung von Kampf­flugzeu­gen Rafale auf den ital­ienis­chen Fliegerhorst Sigonel­la auf Sizilien kom­pen­siert werden. 

Flüchtling­sprob­lematik

Einem weit­eren Aspekt des andauern­den Libyen-Kon­flik­tes soll an dieser Stelle ein­mal etwas mehr Raum gewid­met werden. 

Der Strom von Men­schen, die ver­suchen, über das Mit­telmeer nach Ital­ien (Europa) zu gelan­gen, reißt nicht ab. Täglich machen sich Boote auf die gefährliche Fahrt, die nicht sel­ten in ein­er Katas­tro­phe endet. Meist sind es kleine und kaum seetüchtige, möglichst bil­lige Boote, die – organ­isiert von Schlep­per­ban­den – völ­lig über­laden (Stich­wort: Gewin­n­max­imierung) die Über­fahrt wagen. Berichte von 300 Per­so­n­en, die in einem nur 15m lan­gen Boot „wie Sar­di­nen gestapelt“ die libysche Küste ver­lassen, sind keine Seltenheit. 

Aktuellen Presse­bericht­en zufolge hat­te ein solch­es Boot mit mehr als 300 Men­schen an Bord schon kurz nach Ver­lassen der libyschen Küste Motore­naus­fall und trieb dann etwa eine Woche lang in See; Dutzende Insassen sollen in dieser Zeit gestor­ben und ein­fach über Bord gewor­fen wor­den sein. Ange­blich hat ein Fis­ch­er die Schiff­brüchi­gen frühzeit­ig ent­deckt, auch Ret­tungsin­seln ins Wass­er gewor­fen und die ital­ienis­che Küstenwache informiert. Diese wiederum soll dann „ein nur etwa 25 sm ent­fer­nt operieren­des NATO-Kriegss­chiff“ um Hil­fe gebeten haben. Diese Bitte sei aber ignori­ert wor­den. Weit­ere Details sind bish­er nicht bekannt. 

Die NATO unter­sucht den Vor­fall, der die poli­tis­che Debat­te über den Umgang mit „Boat Peo­ple“ aus Libyen neu beleben dürfte. Nach dur­chaus glaub­haften Sta­tis­tiken haben sich in den let­zten Jahren weit mehr als 1 Mil­lion Schwarzafrikan­er (Sub-Sahara) nach Libyen durchgeschla­gen, um dort das „Ange­bot“ organ­isiert­er Schlep­per­ban­den zu ein­er Über­fahrt nach Europa zu nutzen. In den let­zten Jahren hat­te die ital­ienis­che Küstenwache gemein­sam mit libysch­er Marine und Küstenwache die libyschen Küstengewäss­er patrouil­liert; dort aufge­grif­f­ene Boote wur­den meist post­wen­dend wieder an die Küste zurück begleit­et. Nach der jüng­sten Entwick­lung gibt es diese Patrouillen nicht mehr, und auch eine Rück­führung nach Libyen ste­ht im derzeit­i­gen Bürg­erkrieg nicht zur Debat­te. Dafür aber machen sich immer mehr Men­schen in Libyen auf den Weg über das Mit­telmeer. In der über­wiegen­den Mehrzahl sind dies noch immer Schwarzafrikan­er, die allein aus wirtschaftlichen Grün­den Wege nach Europa suchen, sich vielle­icht ger­ade von den Kriegswirren auch bessere Erfol­gschan­cen ver­sprechen. Daneben suchen aber auch zahlre­iche Liby­er als wirk­liche an Leib und Leben bedro­hte Kriegs­flüchtlinge nach Möglichkeit­en, ihre Heimat zu verlassen. 

Marineforum - Foto: franz. Marine
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In See ist die Unter­schei­dung zwis­chen wirk­lich bedro­ht­en Flüchtlin­gen und bloßen Wirtschafts­flüchtlin­gen prak­tisch unmöglich. Eine vor­läu­fige erste Tren­nung erfol­gt erst an Land, zum Beispiel in einem auf der ital­ienis­chen Insel Lampe­dusa ein­gerichteten Durch­gangslager. Die ital­ienis­che Küstenwache ist mit der Sit­u­a­tion zunehmend über­fordert, und so ist denn auch der Vorschlag des ital­ienis­chen Min­Präs. Berlus­coni, die vor Libyen operieren­den NATO-Kriegss­chiffe soll­ten sich aktiv der „Boat Peo­ple“ annehmen, ver­ständlich – zumin­d­est aus ital­ienis­ch­er Sicht. 

Nationale Ver­fas­sun­gen und Geset­ze, die übri­gens dur­chaus ihre Berech­ti­gung haben, machen es den Kriegss­chif­f­en viel­er europäis­ch­er NATO-Staat­en unmöglich, ein­mal an Bord (Hoheits­ge­bi­et!) genommene Men­schen gegen ihren Willen der ital­ienis­chen Küstenwache zu übergeben oder gar in Lampe­dusa an Land zu set­zen. Fast zwangsläu­fig wird eine direk­te Ver­bringung in das Heimat­land des jew­eili­gen Kriegss­chiffes zur dor­ti­gen Prü­fung möglich­er Asy­lansprüche unauswe­ich­lich. Kriegss­chiffe, die Flüchtlinge an Bord nehmen, sind damit in der Regel auch vorüberge­hend nicht mehr uneingeschränkt oper­a­tiv einsetzbar. 

Gängiges Ver­fahren ist denn auch, dass NATO-Kriegss­chiffe, die im Mit­telmeer (dies gilt auch zwis­chen Marokko/Algerien und Spanien) Flüchtlings­boote ent­deck­en, sich vergewis­sern, dass kein wirk­lich­er Seenot­fall vor­liegt, bei Bedarf mit einem Bei­boot Wass­er und Lebens­mit­tel übergeben, auch schon mal einen defek­ten Motor repari­eren, die Men­schen selb­st aber nur bei unmit­tel­bar­er Gefahr für Leib und Leben an Bord nehmen. In der Regel wird die ital­ienis­che oder spanis­che Küstenwache informiert und das Kriegss­chiff bleibt zur Sicher­heit in der Nähe, bis diese eingetrof­fen ist und die Men­schen übern­immt bzw. das Boot zu einem Zwis­chen­lager geleit­et. In einem wirk­lichen Seenot­fall gilt dieses Ver­fahren natür­lich nicht; dann haben Men­schen­leben Vorrang. 

Soll­ten nun NATO-Kriegss­chiffe die Weisung bekom­men, aus Libyen stam­mende „Boat Peo­ple“ in See zu übernehmen, wäre Ital­ien weit­ge­hend „aus dem Schnei­der“. Seine Küstenwache und Durch­gangslager wür­den ent­lastet; die jew­eili­gen Heimatlän­der der Kriegss­chiffe müssten die Men­schen aufnehmen — wobei eine sin­nvolle „Verteilung der Last“ auf alle Staat­en der EU sich­er mit gutem Grund gefordert wer­den kann, wohl auch lange über­fäl­lig ist. Ein unan­genehmer Neben­ef­fekt kön­nte allerd­ings sein, dass sich nun noch weitaus mehr Men­schen in Libyen (und an der ganzen nordafrikanis­chen Küste) auf den Weg in See machen; ihr Ziel wäre dann allerd­ings nicht mehr das mehrere Tages­reisen ent­fer­nte Lampe­dusa, son­dern das direkt vor der Küste kreuzende, näch­ste NATO-Kriegss­chiff. Wie die Poli­tik in der Europäis­chen Union mit diesem Dilem­ma fer­tig wer­den will, bleibt abzuwarten. „Aus­sitzen“ wird das Prob­lem eben­so wenig lösen, wie bloße pop­ulis­tis­che Vorschläge. 

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