3101. Tagung des Rates — Luxemburg, den 20. Juni 2011
Pressemitteilung vom 13.07.2011
Als Reaktion auf die von der Hohen Vertreterin und der Kommission am 23. Mai 2011 vorgelegte Überarbeitung der europäischen Nachbarschaftspolitik erörterte der Rat ausführlich die EU-Nachbarschaft und nahm die folgenden Schlussfolgerungen an:
“1. Der Rat begrüßt die am 25. Mai 2011 erfolgte Veröffentlichung der Gemeinsamen Mitteilung “Eine neue Antwort auf eine Nachbarschaft im Wandel” und dankt der Hohen Vertreterin und der Kommission für diese Reaktion auf sein Ersuchen vom 26. Juli 2010, Überlegungen über die künftige Umsetzung der ENP einzuleiten. Der Rat begrüßt auch die Konsultationen, die im Hinblick auf die Gemeinsame Mitteilung geführt wurden.
2. Der neue Ansatz der EU wird auf einer gegenseitigen Rechenschaftspflicht und einer beiderseitigen Verpflichtung zu den universellen Werten Freiheit, Demokratie sowie Achtung der Menschenrechte, Grundrechte und Rechtsstaatlichkeit beruhen. Die Partnerschaft zwischen der EU und jedem ihrer Nachbarn wird die jeweiligen Bedürfnisse, Kapazitäten und Reformziele widerspiegeln. Sie wird von gemeinsamer Verantwortung und Differenzierung getragen werden. Diese Partnerschaft kann die Länder, die dazu bereit und in der Lage sind, dahin führen, dass sie weitere Schritte in Richtung auf eine engere politische Assoziierung und eine allmähliche wirtschaftliche Integration in den EU-Binnenmarkt unternehmen. Aktionspläne und gleichwertige Dokumente werden effizienter gestaltet werden, so dass sie auf eine begrenzte Zahl von Prioritäten fokussieren und gleichzeitig eine klarere Abfolge der Maßnahmen vorsehen, deutlichere Ziele und präzisere Benchmarks vorgeben und so verfolgt werden, dass eine engere politische Steuerung gewährleistet ist. Dies wird den Partnern dabei helfen, Reformen nach Prioritäten zu staffeln, und zudem eine bessere Verknüpfung der politischen Ziele mit der Planung der Hilfe ermöglichen.
3. Der Rat stimmt damit überein, dass es notwendig ist, den im Aufbau einer vertieften und tragfähigen Demokratie begriffenen Partnern mehr Unterstützung zu leisten, eine integrative Wirtschaftsentwicklung zu fördern und sowohl die östliche als auch die südliche Dimension der ENP zu stärken, insbesondere in den Bereichen Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit. Der Rat betont, dass eine verstärkte politische Zusammenarbeit, eine engere wirtschaftliche Integration und eine Ausweitung der EU-Unterstützung davon abhängen, welche Reformfortschritte erreicht werden. Die entsprechenden Maßnahmen werden auf die Bedürfnisse der Partner zugeschnitten, die bereit sind, Reformen durchzuführen und in allen einschlägigen Bereichen effizient mit der EU zusammenzuarbeiten, und können überprüft werden, wenn die Reformen ausbleiben. Diese Grundsätze würden gleichermaßen für alle ENP-Partner gelten. Der Rat ersucht die Hohe Vertreterin und die Kommission, geeignete Mechanismen und Instrumente zu konzipieren, die zur Verwirklichung dieser Ziele beitragen.
4. Der Rat begrüßt, dass in der Gemeinsamen Mitteilung Nachdruck auf eine Partnerschaft mit den Gesellschaften gelegt wird. Er ersucht die Hohe Vertreterin und die Kommission, konkrete Vorschläge zur Unterstützung der Zivilgesellschaft vorzulegen – einschließlich eines Europäischen Fonds für Demokratie und einer Fazilität zur Förderung der Zivilgesellschaft – und neue Möglichkeiten zu entwickeln, mit denen die EU die Entwicklung und das Funktionieren vertiefter und tragfähiger Demokratien in den Nachbarländern unterstützen kann, wobei eine vollständige Übereinstimmung mit bestehenden Instrumenten und Strukturen zu gewährleisten ist.
5. Der Rat ist sich des wirtschaftlichen Nutzens eines Ausbaus des Handels mit Waren und Dienstleistungen, des Potenzials für eine Verstärkung der Investitionsströme und der Bedeutung der allmählichen wirtschaftlichen Integration in den EU-Binnenmarkt bewusst und befürwortet daher, dass die EU diese Integration auch künftig verfolgt, indem sie mit den Partnern vertiefte und umfassende Freihandelszonen (DCFTA) einrichtet, wie es in der Gemeinsamen Mitteilung vorgeschlagen wird, sobald die Voraussetzungen dafür gegeben sind. Die Einleitung von Verhandlungen über DCFTA erfordert den Beitritt zur WTO und eine sorgfältige Vorbereitung auf der Grundlage von Kernempfehlungen. Der Rat erwartet rasche Fortschritte bei den laufenden DCFTA-Verhandlungen mit der Ukraine und stellt fest, dass einige der anderen östlichen Partner gute Fortschritte bei der Umsetzung von Kernempfehlungen erzielt haben. Er begrüßt es, dass heute Richtlinien zur Aushandlung einer vertieften und umfassenden Freihandelszone mit der Republik Moldau angenommen worden sind. Hinsichtlich des südlichen Mittelmeerraums ruft der Rat zu Initiativen auf, die darauf abzielen, den Handel und die Investitionsbeziehungen mit den Partnern auszubauen, die demokratische und wirtschaftliche Reformen durchführen. Zu diesem Zweck bittet der Rat die Kommission, Empfehlungen für Richtlinien zur Aushandlung von DCFTA mit ausgewählten Partnern im südlichen Mittelmeerraum vorzulegen. Der Rat ist damit einverstanden, dass die EU bei laufenden oder künftigen Verhandlungen danach strebt, den Marktzugang zu verbessern, gegebenenfalls auch durch Ausweitung von Handelszugeständnissen, wobei sie den spezifischen Gegebenheiten eines jeden Partnerlands Rechnung trägt.
6. Eine gut gesteuerte Mobilität von Menschen ist Voraussetzung für gegenseitiges Verständnis, Geschäftsverbindungen und Wirtschaftswachstum sowohl in der EU als auch in den Partnerländern. Unter Hinweis auf die Erklärung des Europäischen Rates vom 11. März 2011 und die Schlussfolgerungen des Rates (Justiz und Inneres) vom 9. Juni 2011 ersucht der Rat die Kommission, ihre diesbezüglichen Beratungen mit den Partnerländern auf Grundlage des Gesamtansatzes zur Migrationsfrage fortzuführen und zu intensivieren. Die EU wird Vorbereitungen treffen, um – wie die Kommission in ihrer Mitteilung vom 25. Mai 2011 vorgeschlagen hat – zunächst mit Marokko, Tunesien und Ägypten Verhandlungen über Mobilitätspartnerschaften aufzunehmen. Sie wird sich bemühen, das Potenzial, das der EU-Visakodex bietet, für Bonafide- Reisende im Reiseverkehr zwischen der EU und allen Partnerländern uneingeschränkt zu nutzen. Im Einklang mit den Schlussfolgerungen des Rates (JI) vom 9./10. Juni wird die EU von Fall zu Fall prüfen, ob mit den südlichen Partnerländern Rückübernahmeabkommen und Abkommen über Visaerleichterungen geschlossen werden können; das Engagement der EU wird unter anderem von einer wirksamen Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der illegalen Einwanderung, auch was die Rückübernahme und den Grenzschutz betrifft, abhängen.
Die EU verweist auf ihre Schlussfolgerungen zur Östlichen Partnerschaft vom 25. Oktober 2010 und wird versuchen, die Verhandlungen über eine Mobilitätspartnerschaft mit Armenien zum Abschluss zu bringen; überdies will sie mit Belarus – zum Wohl der allgemeinen Bevölkerung – sowie mit Armenien und Aserbaidschan Verhandlungen über Abkommen über Visaerleichterungen und parallel dazu über Rückübernahmeabkommen aufnehmen. Der Rat begrüßt, dass das Abkommen über Visaerleichterungen und das Rückübernahmeabkommen mit Georgien in Kraft getreten sind. Er begrüßt die Sachstandsberichte über die Umsetzung der Aktionspläne der Ukraine und der Republik Moldau für die Visaliberalisierung, die den anderen östlichen Partnerländern als nützliche Vorbilder dienen können, wobei gemäß der Prager Erklärung und den nachfolgenden Schlussfolgerungen des Rates allerdings die Besonderheiten und die Fortschritte jedes Landes zu berücksichtigen sind.
7. Der Rat ersucht die Hohe Vertreterin und die Kommission, die in der Mitteilung enthaltenen Vorschläge zur sektorbezogenen Zusammenarbeit in enger Abstimmung mit anderen Initiativen, die es in den Nachbarländern bereits gibt, umzusetzen. Er wird darüber hinaus die Beteiligung der Partnerländer an EU-Programmen und ‑Agenturen fördern.
8. Die deutlich aufgestockte finanzielle Unterstützung von bis zu 1,242 Mrd. EUR, mit der der dringendste Bedarf gedeckt und auf die neuen Herausforderungen und den derzeit in den Nachbarländern vor sich gehenden Wandel reagiert werden soll, wird gemäß dem normalen Haushaltsverfahren und unbeschadet insbesondere des mehrjährigen Finanzrahmens beschlossen. Der Rat sieht dem diesbezüglichen Vorschlag der Kommission an die Haushaltsbehörde mit Interesse entgegen. Bei der Zuweisung dieser Mittel werden die Bedürfnisse der Partnerländer, ihre Bereitschaft zur Durchführung von Reformen und ihre Fortschritte beim Aufbau einer vertieften und tragfähigen Demokratie umfassend berücksichtigt, wie in der Mitteilung dargelegt. Der Rat ersucht die Kommission, in Verbindung mit der Europäischen Investitionsbank zu prüfen, wie unter Wahrung einer ordnungsgemäßen Haushaltsführung Risikokapitalfinanzierungen in den benachbarten Ländern verstärkt werden könnten. Der Rat unterstreicht außerdem, dass für die vorhandenen Ressourcen neue Prioritäten festgelegt werden müssen, und bekräftigt seine Unterstützung für eine Ausweitung der Kreditvergabe durch die EIB. Der Rat bekräftigt außerdem, dass er die Ausweitung des Wirkungsbereichs der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE) auf diejenigen südlichen Partnerländer befürwortet, in denen sich ein demokratischer Wandel vollzieht, und appelliert an die anderen Hauptgeber und die internationalen Finanzinstitutionen, hierzu einen Beitrag zu leisten.
9. Im Zusammenhang mit dem verbesserten Konzept für die ENP sieht der Rat dem Vorschlag der Kommission erwartungsvoll entgegen, der darauf abzielt, innerhalb des nächsten mehrjährigen Finanzrahmens ein neues Europäisches Nachbarschaftsinstrument zu schaffen, dem eine vereinfachte Programmierung zugrunde liegt, das stärker politikorientiert ist und, gestützt auf den Grundsatz “mehr für mehr”, eine stärkere Differenzierung ermöglicht, was die Flexibilität, die Ressourcen gezielter entsprechend den Reformleistungen und bedarfsgerechter einzusetzen, einschließt, und das den neuen Zielsetzungen dieser Politik Rechnung trägt. Dieses neue Instrument soll auch zur Unterstützung der regionalen Zusammenarbeit und der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit an der Außengrenze der EU eingesetzt werden; in diesem Zusammenhang hebt der Rat die Bedeutung flexibler Mechanismen für eine effiziente Umsetzung hervor. Der Rat wird im Rahmen der Beratungen über den nächsten mehrjährigen Finanzrahmen auf diese Fragen zurückkommen.
10. Der Rat sieht dem Gipfeltreffen der Östlichen Partnerschaft, das am 29./30. September 2011 in Warschau stattfinden wird, in der Erwartung entgegen, hierdurch die Beziehungen der EU zu ihren östlichen Partnerländern stärken zu können. Wie es in der anlässlich des Gipfeltreffens der Östlichen Partnerschaft vom 7. Mai 2009 in Prag abgegebenen Erklärung heißt, soll durch die Östliche Partnerschaft die politische Assoziierung und die wirtschaftliche Integration auf der Grundlage der gemeinsamen Grundsätze der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und der Grundfreiheiten vorangebracht werden. Diese Werte werden von allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union anerkannt. Der Rat erkennt die auf Europa gerichteten Bestrebungen und die Entscheidung einiger Partner für Europa an. Der Rat ersucht darüber hinaus die Hohe Vertreterin und die Kommission, einen Fahrplan für die weitere Umsetzung der Östlichen Partnerschaft vorzulegen, der sich auf die Ergebnisse des Gipfeltreffens stützt und in dem der weiteren Durchführung von Leitinitiativen und konkreten Projekten Rechnung getragen wird; außerdem soll der Fahrplan Vorschläge enthalten, wie die regionale Zusammenarbeit verbessert werden kann.
11. Der Rat hebt die Bedeutung hervor, die der Union für den Mittelmeerraum zukommt; sie ergänzt die bilateralen Beziehungen zwischen der EU und den Partnerländern im Süden und sollte gestärkt werden, so dass im Rahmen konkreter Projekte eine wirksame und ergebnisorientierte regionale Zusammenarbeit organisiert werden kann. Der Rat begrüßt die Ernennung von Youssef Amrani zum Generalsekretär des Sekretariats der Union für den Mittelmeerraum. Der Rat bekräftigt seine Unterstützung für das Sekretariat der Union für den Mittelmeerraum, das als Katalysator wirken sollte, um Staaten, die EIB, internationale Finanzinstitutionen und den Privatsektor durch die gemeinsame Arbeit an konkreten Projekten von strategischer Bedeutung zusammenzubringen und in der gesamten Region Arbeitsplätze zu schaffen und Innovation und Wachstum zu fördern.
12. Die ENP wird den neuen Herausforderungen in den südlichen Nachbarländern gerecht werden müssen. Die Übergangsprozesse werden möglicherweise lang und schwierig sein; gleichwohl unterstreicht der Rat, dass die EU und ihre Mitgliedstaaten entschlossen für die Begleitung und Unterstützung konkreter Anstrengungen seitens der Regierungen, die tatsächlich politische und wirtschaftliche Reformen betreiben, wie auch seitens der Zivilgesellschaften eintreten. Im Hinblick darauf fordert der Rat die Hohe Vertreterin und die Kommission auf, sicherzustellen, dass bei der derzeitigen Umsetzung der Mitteilung vom 8. März mit dem Titel “Eine Partnerschaft mit dem südlichen Mittelmeerraum für Demokratie und gemeinsamen Wohlstand” im Einklang mit den diesbezüglichen Schlussfolgerungen des Europäischen Rates der in der neuen Reaktion auf den Wandel in unseren Nachbarländern dargelegte neue Ansatz berücksichtigt wird. Der Rat begrüßt, dass die Hohe Vertreterin die Arbeitsgruppe für den südlichen Mittelmeerraum eingesetzt hat, welche die Bemühungen der EU, die auf die Förderung einer kohärenten internationalen Unterstützung für die Stärkung der Demokratie und einer integrativen wirtschaftlichen Entwicklung im Mittelmeerraum gerichtet sind, besser zur Geltung bringen wird. Er begrüßt ferner den Vorschlag der Hohen Vertreterin, einen EU-Sonderbeauftragten für die südliche Mittelmeerregion zu ernennen, und hebt hervor, dass der EUSonderbeauftragte so bald wie möglich seine Arbeit aufnehmen sollte. Der Rat begrüßt die Deauville-Partnerschaft und die Unterstützung der G8 für die Länder im Übergang zur Demokratie.
13. Der Rat fordert die Hohe Vertreterin und die Kommission auf, die neuen Möglichkeiten zu nutzen, die der Vertrag von Lissabon bietet, um die Beteiligung der EU an der Lösung von andauernden Konflikten unter Berücksichtigung bestehender Foren zu verstärken und gemeinsame Anstrengungen zur Verbesserung der regionalen Sicherheit in unseren Nachbarländern fortzusetzen und dabei die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und die anderen Instrumente der EU kohärent einzusetzen. Er ruft die Partnerländer auf, ihre auf Konfliktlösung gerichteten Bemühungen zu verstärken und die Unterstützung der EU so gut wie möglich zu nutzen.
14. Der Rat ist sich darin einig, dass die Mitgliedstaaten die Unterstützung der EU im Kontext der Europäischen Nachbarschaftspolitik mit nationalen Unterstützungsprogrammen ergänzen und verstärken und dabei gleichzeitig für eine enge Koordinierung sorgen sollten. Er fordert die Europäische Kommission zudem auf, die Koordinierung mit anderen Gebern und internationalen Finanzinstitutionen zu intensivieren.
15. Der Rat sieht der Umsetzung der neuen Antwort auf eine Nachbarschaft im Wandel erwartungsvoll entgegen und ersucht die Hohe Vertreterin und die Kommission, im Jahr 2012 Bericht zu erstatten.”
Source:
Council of the European Union