Dass ein hydrographisches Vermessungsschiff einer europäischen Marine auch einmal den Meeresboden untersucht, um Erdbebengefahren zu ermitteln, ist sicher nicht ungewöhnlich.
Bildquelle: Grafik: belgische Marine |
Nicht ganz alltäglich ist es aber, wenn solche Untersuchungen in einem Gebiet statt finden, in dem kaum jemand die Möglichkeit eines Erdbeben vermutet. Eine solche Einsatzfahrt hat das belgische Vermessungsschiff BELGICA durchgeführt – und zwar im Englischen Kanal. Das letzte schwere Erdbeben liegt dort zwar mehrere hundert Jahre zurück und ist damit praktisch aus dem Gedächtnis verschwunden. Tatsache ist aber, dass 1580 ein Beben etwa der Stärke 6.0 im Englischen Kanal und der südlichen Nordsee auch schwere Schäden an Land verursacht hat.
Solch heftige Beben entstehen regelmäßig durch Bewegungen an den Kanten größerer Bruchlinien, und die BELGICA soll nun untersuchen, ob es solche Bruchlinien auch im Englischen Kanal gibt, und wenn ja, ob sie möglicherweise (wieder) in Bewegung sind. An Land (Nord-Artois) gibt es tatsächlich ein solches Gebiet, und nach mehreren britischen Untersuchungen vermutet man, dass die Bruchlinien auch unter dem Meeresboden weiter verlaufen.
Zur Vermessung hatte die BELGICA zahlreiche zivile Wissenschaftler eingeschifft. Bordeigene Sonaranlagen sowie ein systematisch über das Untersuchungsgebiet hin und her geschlepptes „Towed Array“ (ein Kabel als Sender, ein zweites als Empfänger) zeichneten den Meeresboden im Detail nach. Normales Sonar reicht nur bis zum Grund; die starken Schallwellen des Schleppsonars dringen aber tief in den Boden bis in die Sedimentschichten ein und registrieren Dicke und mögliche, auf Verschiebungen hinweisende Risse.
Hauptuntersuchungsgebiet war die engste Stelle des Englischen Kanals, fast direkt über den Tunnelröhren der „Chunnel Züge“. Dichter Schiffsverkehr (zahlreiche Fähren) erleichterten die Vermessung hier nicht gerade. Immerhin ist beim Abfahren der Messkurse absolute Präzision gefragt, und jede Abweichung z.B. durch ein Ausweichmanöver kann Messungen wertlos machen. Die im Kanal übliche starke Strömung bedeutete eine zusätzliche Herausforderung (Verdriften des Schleppgeschirrs). Um zusätzliche Störfaktoren für die Messungen zu vermeiden, schaltete die BELGICA bei Beginn einer Messreihe überdies ihre Dieselmotoren aus und fuhr ausschließlich mit Elektroantrieb.
Die Auswertung der Messungen an Land, z.B. an der Universität von Ghent, dürfte die Wissenschaftler geraume Zeit beschäftigen. Im Ergebnis wird allerdings weniger die Vorhersage schwerer Erdbeben stehen, sondern die Risikobewertung für den Bau sensibler Infrastrukturprojekte wie Industrieanlagen oder auch Kernkraftwerke an der Küste.
In Kooperation mit “MarineForum — Zeitschrift für maritime Fragen”
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