Dieser Artikel wird mit freundlicher Genehmigung der “MarineForum — Zeitschrift für maritime Fragen” veröffentlicht.
Die Bundeswehr steckt mitten in einer Reform. Mal wieder. Diesmal scheint es aber anders, von einer sanften Transformation ist nichts zu spüren, eine solche ist auch nicht beabsichtigt. Um die Streitkräfte dahin zu bringen, wo sie in Zukunft politisch und wirtschaftlich gebraucht werden, ist ein Bruch mit allen bisherigen Strukturen notwendig. Deshalb heißt es ja auch »Strukturreform«.
Was aber wird hier reformiert? Auf der einen Seite werden die Streitkräfte reformiert, verkleinert, umstrukturiert, verschlankt, verjüngt, erneuert. Auf der anderen Seite erfordert diese Reform der Streitkräfte auch eine Reform der deutschen Gesellschaft.
Die Rede ist hier nicht von den wirtschaftlichen Auswirkungen der Standortschließungen und Reduzierung des Personalumfangs der Bundeswehr, die Rede ist von der wohl entscheidendsten Maßnahme dieser Reform: der Wandlung der Bundeswehr von einer Wehrpflichtarmee in eine »Freiwilligenarmee«, ein Begriff, der die Realitäten inhaltlich abschwächt. Die Bundeswehr ist faktisch seit dem 1. Juli eine Berufsarmee mit einem winzigen Anteil an Freiwilligen. 5.000 Freiwillige in einer Armee von 175.000 Berufsund Zeitsoldaten macht weniger als 3 Prozent Anteil. Was aber bedeutet dies für die deutsche Gesellschaft, weshalb sollte diese »mit-reformiert« werden?
Dafür gibt es zwei Gründe:
- Die Wehrpflicht war in der Vergangenheit Hauptgarant für die Integration der Streitkräfte in die Gesellschaft. Noch vor 10 Jahren war es innerhalb der Bundeswehr undenkbar, die Wehrpflicht wegzudiskutieren, ohne das erklärte Grundprinzip der Inneren Führung infrage zu stellen.
- Am 18. Mai dieses Jahres hat Verteidigungsminister de Maizière der Nation die Reform in ihren Details dargestellt. Er kündigte unter anderem Einsätze an, die nicht »unmittelbare Interessen Deutschlands erkennen lassen«. Deutschland müsse seiner Stellung in der Welt gemäß Verantwortung übernehmen. Er betont aber auch, dass Staatsführung und Gesellschaft den Dienst als ehrenhaft und sittlich legitim anerkennen müssen. Folgerichtig wird das neue Selbstverständnis der Bundeswehr beworben mit »Wir. Dienen. Deutschland.«
Schauen wir uns dieses Deutschland an, in dessen gesellschaftlicher Mitte die neue Bundeswehr laut Bundespräsident Wulff verankert werden soll: Am 20. Juli wurden die ersten 470 Freiwilligen dieser neuen Bundeswehr vor dem Reichstag vereidigt. Sie schworen einen Eid auf den Schutz des deutschen Volkes und dessen freiheitlicher demokratischer Grundordnung. Dieser Eid lautete bereits so, als die Bundeswehr noch landes- und bündnisverteidigungsgebundenes Abschreckungsmittel im Kalten Krieg war – ihr Einsatz hätte damals gleichzeitig das Versagen der Politik bedeutet. Er lautete auch so, als nach 1990 die Armee der Einheit langsam – und nur mithilfe des Bundesverfassungsgerichtes 1994 – zu einer Einsatzarmee wurde. Und er gilt auch heute noch, wo die Bundeswehr auf eine lange Reihe von Auslands-Einsätzen zurückblicken kann.
Ob nun »Krieg« oder »Wiederaufbaumission«, Tatsache ist, dass in Afghanistan täglich deutsche Soldaten Opfer und Täter werden. Sie tun dies im Auftrag eines demokratisch gewählten Parlamentes; im Auftrag eines Volkes, das mehr Emotionen in die Diskussion eines 10-prozentigen Ethanol-Zusatzes im Kraftstoff investiert, als in die Tatsache, dass seine Söhne und Töchter in Einsätzen Leib und Leben riskieren; unter einer Fahne, die in der Heimat alle zwei Jahre mehr im Sinne eines Sportabzeichens über privaten Haushalten weht, denn als Zeichen nationaler Identität. Wulff warnte in seiner Rede anlässlich der Vereidigung am 20. Juli vor »neuer Gleichgültigkeit« der Gesellschaft gegenüber der Bundeswehr. Schon jetzt ist echtes sicherheitspolitisches Interesse in der deutschen Gesellschaft kaum zu spüren. Eine breite gesellschaftspolitische Auseinandersetzung über die Einsätze der Bundeswehr, ihr künftiges inneres Gefüge oder zu ihrer gesellschaftlichen Wahrnehmung ist nicht erkennbar.
Mittlerweile wissen wir, dass Deutschland nicht am Hindukusch verteidigt wird. Aber Deutschland hat einen gewichtigen Grund, mit Streitkräften in Afghanistan zu sein: Bündnistreue! Seit mehr als 60 Jahren sind die USA der Garant für die Existenz eines – auch dieses – deutschen Staates. Landes- und Bündnisverteidigung sind legitime Gründe für einen Einsatz der Bundeswehr. Wie aber sieht es mit den beabsichtigten Einsätzen »außerhalb unmittelbaren deutschen Interesses« aus, wenn dieselbe Bundesregierung eine Beteiligung an einem Bündniseinsatz an der unmittelbaren Außengrenze Deutschlands – somit im unmittelbaren deutschen Interesse – ablehnt?
Dass eine solche Beliebigkeit im Umgang mit der Bundeswehr weder eine heftige gesellschaftliche Diskussion ausgelöst hat, noch Wahlkampfthema zu werden scheint, zeigt auch: Teil 2 der Strukturreform – die gesellschaftspolitische Auseinandersetzung mit der neuen Rolle der Streitkräfte in Deutschland hat noch gar nicht begonnen. Und vermutlich wird sie auch ausbleiben …
Zum Autor
Fregattenkapitän Andreas Uhl ist seit 27 Jahren Soldat. Er gehört der Crew VII/85 an und ist ständiger Mitarbeiter der Redaktion des MarineForum, zurzeit als Deutscher Verbindungsoffizier Aegis BMD in Dahlgren, Virginia, tätig.