Dieser Artikel wird mit freundlicher Genehmigung der “MarineForum — Zeitschrift für maritime Fragen” veröffentlicht.
Neues US-Navy Einsatzkonzept
Am 24. Mai dieses Jahres legte die US-Navy ihr neues Einsatzkonzept vor (Naval Operations Concept oder NOC 2010). Das 112 Seiten starke Dokument ergänzt die vor drei Jahren herausgegebene Maritime Strategie (20 Seiten), die unter dem Titel »Kooperative Strategie für das 21. Jahrhundert« erschien (A Cooperative Strategy for 21st Century Seapower, kurz CS-21). Ebenso wie CS-21 ist auch NOC 2010 ein TSK-übergreifendes Dokument, das nicht nur die Navy, sondern auch das Marine Corps und die Coast Guard betrifft.
Der Sinn von NOC 2010 ist es aufzuzeigen, wie die Seestreitkräfte die Vorgaben der Maritimen Strategie ausführen und erfüllen sollen. Ursprünglich sollte das neue Einsatzkonzept bereits 2008 vorgelegt werden. Die Abstimmung unter den Teilstreitkräften erwies sich aber als schwierig. Als das Dokument Ende 2008 noch immer nicht fertig war, beschloss das Pentagon abzuwarten, bis die neu gewählte Regierung ihre Verteidigungsrichtlinien festgelegt hatte. Diese wurden nun endgültig am 1. Februar im Rahmen der QDR 2010 Studie (Quadrennial Defense Revue) vorgestellt.
Kooperativer Einsatz
Bereits in CS-21 wurde angedeutet, dass die US-Seestreitkräfte ihre Zusammenarbeit mit Partnernationen gezielt ausbauen und vertiefen sollen. NOC 2010 betont, dass solche Zusammenarbeit ein unerlässlicher Faktor für die Verwirklichung der in CS-21 vorgegebenen Zielsetzung ist. »Das Meer ist weit, die Littoralgebiete sind ausgedehnt; die Bedrohungen gegen amerikanische Interessen sind vielfältig und anhaltend. Dieses Umfeld kann nicht alleine durch die US-Seestreitkräfte beeinflusst werden, sondern verlangt, dass Amerika partnerschaftlich mit Nationen vorgeht, die seine Interessen bezüglich globaler maritimer Sicherheit und dem damit einhergehenden Wohlstand teilen«, heißt es im Dokument.
Kooperation wie hier mit der niederländischen Marine Foto: US Nacy |
Captain Mark Montgomery, Leiter des Strategiereferats im Navy Planungsstab, betonte während eines Presseforums, dass diese Hervorhebung der Kooperation mit ausländischen Sicherheitskräften in NOC 2010 weitaus intensiver als in vorangegangen NOC Papieren ausfällt. Dies ist nicht zuletzt eine Folge des komplexer werdenden Einsatzumfeldes in Verbindung mit einer stagnierenden Flottengröße. Die Kooperation ermöglicht eine effizientere Nutzung der vorhandenen Ressourcen. Dies betont beispielsweise Capt. Montgomery mit dem Hinweis, dass US-Seestreitkräfte und verbündete Streitkräfte darauf achten sollen, dass sich ihre Anstrengungen zugunsten der maritimen Sicherheit nicht duplizieren. Neue Einsatzkonzepte sollen aber auch für den Kriegs- oder Krisenfall entwickelt werden, um die Verwendung der einzelnen Kräfte so aufeinander abzustimmen, dass die jeweiligen Stärken der Partner hervorgehoben werden und sich gegenseitig potenzieren.
Eine solche Potenzierung erwächst auch aus dem ausführlichen Informationsaustausch bezüglich der maritimen Lagekenntnis. Die Nutzung des Meeres als »Manöverraum« – ein strategisches Grundkonzept von NOC 2010 – ist abhängig von diesem Informationsaustausch unter den Partnerstaaten, betont das Dokument.
Überseepräsenz wahren
NOC 2010 legt großen Stellenwert auf eine fortgesetzte Vorausstationierung der Seestreitkräfte in verbündeten Häfen sowie auf fortgesetzte regelmäßige globale Entsendung von Kräften aus den USA. Die Bedeutung der Seestreitkräfte im Rahmen der US-Truppenpräsenz im Ausland soll sogar steigen. »Die Vornepräsenz der Seestreitkräfte dient der Eindämmung und Abschreckung regionaler Gegner und erhöht das Engagementspotenzial mit Alliierten und Partnern; sie fördert so die kollektive Sicherheit, die globale Stabilität sowie die Begegnung irregulärer Herausforderungen«, heißt es im Dokument. »Die Entstehung einer Vielzahl von Staaten mit wesentlicher wirtschaftlicher und militärischer Macht bewirkt die Verwandlung des Sicherheitsumfeldes von einer unipolaren zu einer multipolaren Gestaltung; angesichts dieser Entwicklung kann die Bedeutung der nahtlosen Interoperabilität mit Alliierten sowie der wirksamen Kooperation mit Partnern nicht überbetont werden. Das Gebot, Partnerschaften aufzubauen und zu pflegen, die einen messbaren Beitrag zur maritimen Sicherheit, zur Abschreckung und zur Kampfkraft leisten, erwächst zu einem Zeitpunkt der zunehmenden Sensibilisierung im Ausland bezüglich der Präsenz amerikanischer Militärbasen sowie eines absoluten Rückgangs in der Zahl der in Übersee stationierten amerikanischen Streitkräfte [im Vergleich zur Ära des Kalten Krieges]. In diesem Kontext bietet die Vornepräsenz auf See die Chance, mit Verbündeten und einer wachsenden Gruppe internationaler Partner kooperativ zu agieren, bei gleichzeitiger Minimierung der politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und gesellschaftlichen Auswirkungen, die zuweilen mit der Auslandsstationierung amerikanischer Streitkräfte einhergehen.«
Bei der Ausbildung und Förderung weniger leistungsfähiger Partner will das Pentagon verstärkt mit leistungsstärkeren Verbündeten zusammenarbeiten. Die Ressourcen der USA und der Verbündeten sollen so optimal und im gemeinsamen Interesse eingesetzt werden. NOC 2010 erklärt ausdrücklich die Bereitschaft der USA, der jeweils geeignetsten Nation bei solchen Partnerschaftsaktionen die Führung zu überlassen und selbst, wo angebracht, in einer Unterstützungsrolle aufzutreten. Die USA wollen auch verstärkt mit internationalen Dienststellen, etwa der International Maritime Organization (IMO) zusammenarbeiten und deren Aktivitäten unterstützen, heißt es im neuen Einsatzplan.
In nächster Zukunft bleibt die Dislozierung amerikanischer Seestreitkräfte weitgehend durch die Einsätze Operation Enduring Freedom und Operation Iraqi Freedom bestimmt, stellt das Dokument fest: »Marinekräfte werden noch lange in dieser Region präsent bleiben, nachdem die Landstreitkräfte abgezogen wurden.« In absehbarer Zukunft will das Pentagon ständig eine Flugzeugträgergruppe und eine amphibische Kampfgruppe einschließlich Landungstruppen im Bereich Golf von Arabien/ Indischer Ozean im Einsatz halten. Ferner sollen weiterhin eine Flugzeugträgergruppe und eine amphibische Kampfgruppe im Westpazifikraum fest stationiert bleiben, bestätigt NOC 2010. Eine dritte Flugzeugträgergruppe und eine dritte amphibische Gruppe sollen ständig auf See gehalten werden und wechselnde Regionen aufsuchen.
Das sich entwickelnde Sicherheitsumfeld lädt auch zu einer erhöhten Präsenz im Mittelmeerraum ein, stellt NOC 2010 fest. Zu den potenziellen Aufgaben zählen maritime Überwachungs- und Sicherungsaufgaben, Proliferationsbekämpfung, Evakuierung von Nichtkombatanten aus Konfliktzonen sowie humanitäre Aufgaben einschließlich Katastrophenhilfe. Marinekräfte im Mittelmeerraum sind auch zentral gelegen, um schnell in Krisenregionen rund um Europa verlegt zu werden, von der Arktis bis nach Westafrika, aber auch in das Schwarze Meer oder in den Indischen Ozean.
ABM-Test Foto: US Navy |
Raketenabwehr für Europa
Schließlich soll die seegestützte Flug- und Raketenabwehr unter anderem im Mittelmeer ausgebaut werden. Hier sollen nicht nur Schiffsverbände, sondern auch der europäische Kontinent vor Mittelstreckenraketen aus dem Mittleren Osten geschützt werden. Die Anzahl der für die ballistische Raketenabwehr ausgerüsteten Kriegsschiffe soll durch zusätzliche Beschaffung von AEGIS BMD Kreuzern und Zerstörern erhöht werden. Um die Flexibilität der Flotte zu wahren – das heißt, um zu verhindern, dass diese Mehrzweckkriegsschiffe aufgrund ihrer Raketenabwehrfunktion geografisch festgebunden werden – sollen auch landgestützte Raketenabwehrsysteme eingerichtet werden, stellt das Dokument fest.
Hier spielt NOC 2010 auf die bereits am 15. April durch Pentagon Staatssekretär Bradley Roberts und Lt. Gen. Patrick O’Reilly (Leiter der Raketenabwehrbehörde MDA) vor dem US-Kongress besprochenen Pläne an, bis 2018 ein flächendeckendes landgestütztes Raketenabwehrsystem einzurichten, dass ganz Europa gegen ballistische Mittelstreckenraketen aus dem Mittleren Osten abschirmen soll. Der Plan soll – falls die NATO zustimmt – in drei Phasen durchgeführt werden.
Phase 1 umfasst die (bereits eingeleitete) ständige Mittelmeer-Präsenz mehrerer AEGIS-Kriegsschiffe, die mit der SM‑3 (Block IA) Abfangrakete ausgestattet sind sowie die Einrichtung eines landgestützten AN/TPY‑2 Radarsystems in Südeuropa Ende 2011. Dieses X‑Band Phasenradarsystem kann ballistische Raketen und deren Nutzlastträger erfassen, ihren Kurs berechnen und die Daten an eine land- oder seegestützte Feuerleitstelle übermitteln.
Phase 2 soll circa 2015 durch Aufstellung einer landgestützten SM‑3 Batterie in Südosteuropa verwirklicht werden (Verhandlungen werden mit Rumänien geführt). In diesem Zeitraum soll sowohl an Land wie auf See die leistungsgesteigerte Raketenausführung SM‑3 Block IB eingeführt werden.
Phase 3 soll schließlich circa 2018 durch Aufstellung einer zweiten SM‑3 Batterie in einem noch festzulegenden »nordeuropäischen« Land (nach Aussage von General O’Reilly voraussichtlich Polen) durchgeführt werden. In diesem Zeitraum soll auch die noch leistungsfähigere Raketenvariante SM‑3 Block IIA eingeführt werden. Aufgrund der gesteigerten Fluggeschwindigkeit und Reichweite soll die Block IIA Variante auch Mittelstreckenraketen größerer Reichweite abfangen können.
Ab 2020 ist nach Aussage von General O’Reilly auch eine vierte Phase vorgesehen. Durch Einführung der Raketenvariante SM‑3 Block IIB sollen auch Angriffe durch Weit reichende ballistische Raketen vereitelt werden. Auch nach Fertigstellung der Landkomponenten sollen allerdings AEGIS-Schiffe weiterhin eine zusätzliche Abwehrschicht im Rahmen dieses mehrlagigen Systems bilden.
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Sidney E. Dean berichtet für das MarineForum regelmäßig zu Ereignissen und Entwicklungen in Nordamerika