Dieser Artikel wird mit freundlicher Genehmigung der “MarineForum — Zeitschrift für maritime Fragen” veröffentlicht.
Quadrennial Defense Review —
QDR 2010 weist US Navy den Kurs – auch in Richtung Europa
Bildquelle: US Navy |
(Sidney E. Dean berichtet für das MarineForum regelmäßig zu Ereignissen und Entwicklungen in den USA)
Unter der Bezeichnung Quadrennial Defense Review oder QDR erstellt das Pentagon in vierjährigen Abständen eine Bestandsaufnahme der US-Streitkräfte, um festzustellen, inwieweit sie zur Bewältigung der gegenwärtigen sowie der voraussichtlichen Bedrohungslage der kommenden 20 Jahre ausgerichtet sind. Diese Studie hat vor allem die Aufgabe, dem Militär die organisatorische und strukturelle »Fahrtrichtung« der nächsten Jahre vorzugeben, damit die Streitkräfte optimal auf die absehbare Bedrohungslage eingestellt sind. Diese Vorgaben betreffen auch die US-Navy. Fähigkeit zur Machtprojektion muss erhalten bleiben
QDR 2010 wurde am 1. Februar dieses Jahres dem US-Kongress vorgelegt. Das Dokument beschließt die (bereits vorab bekannt gegebene) Streichung der geplanten Lenkwaffenkreuzerklasse »CG(X)«. Statt dessen sollen zusätzliche Lenkwaffenzerstörer der ARLEIGH BURKE-Klasse beschafft werden. Die Entwicklung neuer Führungsschiffe wird ebenfalls vorerst gestrichen. Die Beschaffung neuer Logistikschiffe für die Vorauslagerung von Infanterieausrüstung auf See wird verzögert. Künftige Flugzeugträger sollen in fünfjährigen anstatt in vierjährigen Abständen beschafft werden.
Flusskampfboot Bildquelle: US Navy |
Mit Ausnahme der CG(X) Streichung – die zumindest teilweise aufgrund Bedenken bezüglich des technologischen Konzepts erfolgte – sollen diese Schritte Gelder einsparen. Die freigesetzten Mittel sollen der Beschaffung von Systemen mit unmittelbarer Relevanz für die gegenwärtig laufenden Konflikte verwendet werden. So soll die Navy zusätzliche elektronische Kampfflugzeuge vom Typ F/A‑18G beschaffen, die sich u.a. bei der Neutralisierung ferngezündeter Straßenrandbomben bewährt haben. Auch die Beschaffung von (zum Teil bewaffneten) UAV soll vorangetrieben werden. Die Navy soll ab 2011 ebenfalls ein viertes Flusskampfgeschwader aufstellen. Diese auf Fluss- und Sumpfpatrouillen spezialisierten Riverine Warfare Squadrons sind primär auf die Bekämpfung von Guerillas ausgerichtet, und wurden u.a. im Irak erfolgreich eingesetzt.
Ferner erforscht die Navy die Möglichkeit, Jagdunterseeboote der VIRGINIA-Klasse mit weit reichenden Raketen für die Bekämpfung von Landzielen auszustatten. Zusätzliche Mittel sollen auch für die Entwicklung unbemannter Unterwasserfahrzeuge aufgebracht werden. Diese so genannten UUV sollen künftig ein breites Aufgabenspektrum erhalten, stellt QDR 2010 fest.
Das Dokument sagt ansonsten wenig Konkretes über die künftige Flottenzusammensetzung aus. (Genaue Zahlen werden dafür in dem zeitgleich mit QDR 2010 vorgestellten langfristigen Flottenbauplan genannt. Dieser auf 30 Jahre ausgerichtete Plan wird in diesem Heft in der Rubrik »Marinen aus aller Welt« angesprochen).
QDR 2010 befasst sich statt dessen mit dem zu erwartenden Einsatzumfeld der maritimen Streitkräfte und gibt Leistungsziele für die Navy vor. Die US-Streitkräfte sollen sich auf künftige Kriege vorbereiten, die unter Umständen auch eine anhaltende und intensive maritime Komponente haben könnten. Insgesamt geht QDR 2010 davon aus, dass die amerikanischen Seestreitkräfte weiterhin ein bedeutendes Instrument globaler Machtprojektion bleiben.
Allerdings warnt die Studie, dass künftige Gegner amerikanischen Streitkräften den Zugang zur Einsatzregion oder zu strategisch wichtigen maritimen Transitstrecken verwehren könnten. Diese Gefahr betrifft vor allem die Navy. Flugzeugträgergruppen, amphibische Verbände und andere Kriegsschiffgeschwader stellen in vielen Teilen der Welt die primären Instrumente der amerikanischen Machtprojektion dar. Aber auch die Verlegung größerer Bodentruppenkontingente bleibt weitgehend auf den Seetransport angewiesen. China und andere Staaten stellen weit reichende, leistungsfähige Antischiffsraketen sowie schwer zu ortende Jagdunterseeboote und Minen in Dienst. Auch Schwarmangriffe durch bewaffnete Schnellboote, wie sie u.a. durch Irans Streitkräfte geübt werden, stellen vor allem in Meerengen und Archipelgewässern eine weitere reale Gefahr für Schiffsverbände dar.
Die Navy wird daher angehalten, nach Mitteln zu suchen, um feindliche Zugangssperren zu neutralisieren oder zu überwinden. Wie diese Mittel aussehen sollten, gibt QDR 2010 nicht vor. Statt dessen fordert das Dokument die Entwicklung eines TSK-gemeinsamen Einsatzkonzepts der Navy und der Air Force, um feindliche Zugangssperren zu überwinden. Hier soll nicht nur der koordinierte Einsatz von Schiffen und Langstreckenflugzeugen, sondern auch von elektronischen Kampfmitteln inklusive Cyberkriegsführung sowie die volle Ausnutzung verfügbarer Weltraumsysteme optimiert werden, um die Fähigkeit zur Machtprojektion und zur globalen Unterstützung von Verbündeten zu erhalten.
Zusammenarbeit mit Europa und anderen Verbündeten
QDR 2010 befürwortet die Ausweitung der Vornepräsenz der Seestreitkräfte. »Beispielsweise wäre die selektive Überseestationierung zusätzlicher Marinekräfte ein kosteneffektiver Schritt zur Stärkung der Abschreckung und um die maritime Sicherheitskooperation mit Partnerstreitkräften auszuweiten«, heißt es im Dokument. Die Kräfteverteilung soll Alliierten und Partnern die fortgesetzte amerikanische Beistandsverpflichtung demonstrieren, aber flexibel genug bleiben, um schnell auf Krisen und Entwicklungen in jeder Weltregion reagieren zu können. »Die USA werden eng mit Alliierten und Partnern zusammenarbeiten, um eine angemessene Militärpräsenz zu wahren, die einen konstruktiven Beitrag zur regionalen Sicherheit leistet.«
Diese Überlegungen betreffen auch Europa. QDR 2010 betont den Stellenwert der NATO als »Eckpfeiler der transatlantischen Sicherheit«; die »starke transatlantische Partnerschaft« wird als Kernelement der amerikanischen Sicherheit anerkannt.
Seegestützte Raketenabwehr auch in europäischen Gewässern Bildquelle: US Navy |
»Wir werden weiterhin mit dieser Gemeinschaft gleich gesinnter Staaten zusammenarbeiten, sei es durch Engagement mit Alliierten, die Jahrzehnte im Schatten der Sowjetunion verbrachten und nun dabei sind, ihre Demokratie zu formen, sei es durch Nutzung der Vorteile, die durch die Wiedereingliederung Frankreichs in die militärischen NATO-Strukturen erwachsen oder durch gemeinsames Vorgehen angesichts neuer Sicherheitsfragen, wie sie etwa gegenwärtig in der Arktis entstehen.«
In Europa und im Europa-nahen Raum dient die US-Militärpräsenz vor allem dazu, Verbündete gegen Einschüchterungsversuche dritter Staaten zu schützen, um zur Stabilität auf dem Balkan, in der Ägäis sowie im Schwarzmeerraum und im Kaukasusraum beizutragen und um die Interoperabilität zu fördern, stellt QDR 2010 fest.
Den Seestreitkräften kommt hierbei naturgemäß eine wesentliche Rolle zu. Die US Navy Präsenz in europäischen Gewässern soll laut QDR 2010 noch ausgebaut werden. Einerseits sollen durch verstärkte direkte Kontakte sowie gemeinsame Ausbildung und Übungen die Fähigkeit zur Durchführung multilateraler Marineeinsätze gefördert werden. Andererseits sollen mit SM‑3 Abfangraketen ausgestattete Lenkwaffenzerstörer der US-Navy eine ständige Präsenz im östlichen Mittelmeer aufnehmen, um Europa vor Mittelstreckenraketen aus dem Iran zu schützen.
Gleichzeitig geht QDR 2010 auch von einem gesteigerten Beitrag der Verbündeten zur globalen maritimen Sicherung und zur Wahrung des freien Zugangs zu allen Wasserstraßen aus. »Die Vereinigten Staaten können diese Sicherheitsherausforderungen nicht alleine bewältigen, und sollten es auch nicht versuchen,« stellt das Dokument fest. Durch Verbindung der jeweiligen speziellen Fähigkeiten und Kräfte der verschiedenen (auch außereuropäischen) Alliierten und Partner sollen Synergien entstehen, die die kollektive Kraft zur Lösung globaler Sicherheitsbedrohungen steigern.