Dieser Artikel wird mit freundlicher Genehmigung der “MarineForum — Zeitschrift für maritime Fragen” veröffentlicht.
Mit »Schrot« gegen Minen
Eine der größten Gefahren für amphibische Landungstruppen sind Minen am Strand und in der davor liegenden Brandungszone. Die US Navy entwickelt nun eine Spezialmunition, um diese Gefahr zu bannen.
Die sogenannten »Venom Penetrator« (VP) Pfeile sind 15 Zentimeter lang und 1,25 Zentimeter im Durchmesser (entsprechend Kaliber .50). Die abgerundete Spitze der Pfeile ist mit gehärtetem Wolfram überzogen. Gefüllt sind die 38 Gramm schweren Pfeile schließlich mit 7,5 ml der Chemikalie Diäthylentriamin (DETA).
6.320 Pfeile werden in eine modifizierte 1.000 Kilo BLU-109 JDAM-Präzisionsbombe gefüllt, die in einer steilen Flugbahn über der vorgesehenen Landungszone abgeworfen wird. In rund 300 Metern Höhe öffnet sich das Bombengehäuse. Durch den geplanten Drall der Bombe breiten sich die Pfeile wie die Kugeln eines Schrotgeschosses aus. Die Pfeile fliegen in einem dicht bepackten Schwarm mit einer Geschwindigkeit von 300 Metern pro Sekunde weiter.
Von Sidney E. Dean
(Sidney E. Dean berichtet als ständiger Mitarbeiter der Redaktion des MarineForum zu Entwicklungen und Ereignissen bei der US-Navy)
Getrieben durch die kinetische Energie des Fluges sollen die Geschosse drei bis vier Meter tiefes Wasser der Brandungszone oder 60 Zentimeter tiefen Sand am Landungsstrand durchstoßen, um die dort verborgenen Minen zu erreichen. Diese Durchschlagskraft wird durch die stumpfe Ausrichtung der Pfeilspitze ermöglicht. Nach dem Kavitationsprinzip entsteht beim Einschlag des Pfeiles auf dem Wasser oder dem Sand eine Luftblase, die den Reibungswiderstand verringert und den »Weiterflug« des Pfeiles ermöglicht.
Die Pfeile einer einzigen VP-Spezialbombe schlagen alle innerhalb eines 20 x 20 Meter messenden Areals ein. Rein rechnerisch gesehen landet im Zielareal alle 25 Zentimeter ein Pfeil, sodass mit hoher Wahrscheinlichkeit jede in diesem Areal befindliche Mine getroffen wird. Beim Aufprall durchschlägt der Pfeil das Minengehäuse und dringt in die Mine ein, deren Sprengstoff in kleinere Segmente zergliedert wird. Zwei dünnwandige Furchen auf gegenüberliegenden Seiten des Pfeiles brechen auf und lassen das flüssige Diäthylentriamin austreten, dass die aufgebrochene Mine durchsetzt.
Wenn das stark-alkalische Diäthylentriamin mit dem in den meisten Minen verwendeten Nitrat haltigen Sprengstoff in Berührung kommt, entsteht sofort eine chemische Reaktion. Der Sprengstoff verbrennt, in der Regel ohne zu explodieren (dies ist wünschenswert, um eine hinderliche Kraterbildung in der Landungszone zu vermeiden). Die Reaktion findet auch unter Wasser ohne Luftzufuhr statt. Die Mine ist, je nach Größe und Zusammensetzung, nach spätestens zwölf Minuten neutralisiert. Die Zerstückelung des Minensprengstoffes durch die Wucht des Pfeileinschlages beschleunigt die chemische Reaktion dadurch, dass die Kontaktfläche zwischen Sprengstoff und DETA vergrößert wird.
Das vom Nachrichtendienst des Marinekorps vorgegebene Ziel, im unmittelbaren Vorfeld einer amphibischen Landung eine 50-Meter breite und 205 Meter lange Trasse durch ein mit mehreren Minengürteln sowie mit Bodenhindernissen versetztes Gebiet (175 Meter Brandungszone, Wassertiefe bis zu drei Metern; 30 Meter Strandzone) zu räumen, wird den Abwurf von 36 VP-gefüllten JDAM-Bomben sowie zwölf herkömmlichen Sprengbomben zur Räumung von Bodenhindernissen verlangen. Dies erfordert zwölf Einsätze durch F/A‑18 Jäger. Da optimal die gesamte Trasse auf einmal geschaffen werden sollte, um eine Reaktion des Feindes auszuschließen, müsste die amphibische Landung optimal durch einen Flugzeugträger begleitet werden.
Das Venom Penetrator Konzept hat gegenüber bisheriger Minenräumtaktiken mehrere Vorteile: Minenräumpersonal und ‑fahrzeuge werden nicht dem Feindbeschuss ausgesetzt; sichere Trassen für die amphibischen Truppen werden in wenigen Minuten geschaffen; Venom Penetrator wird unmittelbar vor der Landung eingesetzt, sodass der Feind bis zuletzt über den genauen Landepunkt in Unkenntnis bleibt und nicht imstande ist, vor der Landung neue Minen zu legen oder andere Abwehrmaßnahmen einzuleiten.
Das Konzept hat allerdings auch zwei Nachteile.
Erstens reagiert DETA nur mit nitratbasierten Sprengstoffen (die in den gebräuchlichsten Antipersonen- und Panzerabwehrminen eingesetzt werden), aber nicht bei Kontakt mit Plastiksprengstoff oder PETN. Aufklärung über die vom Feind verwendete Minenart wird eine Voraussetzung für den erfolgreichen VP-Einsatz bleiben. Die Lage von Minenfeldern in der Brandungszone oder unter Sand kann durch Luftaufklärung unter Einsatz des Airborne Remote Optical Spotlighting System (AROSS) erkundet werden, doch müssten Kampftaucher vor Ort das Minenfeld erkunden, wenn nachrichtendienstliche Erkenntnisse nicht mit hundertprozentiger Gewissheit belegen, dass der Feind nur über nitratbasierte Minen verfügt.
Zweitens kann der Venom Penetrator Einsatz durch Witterungsbedingungen beeinträchtigt werden. Da die Trägerbombe beim Öffnen möglichst vertikal (Maximalabweichung: fünf Grad) über der vorgesehenen Einschlagzone ausgerichtet sein muss, erfordert das Einsatzkonzept für Venom Penetrator genaue Kenntnisse der aktuellen Luftströmungen über dem Einsatzgebiet.
Die Konzeptentwicklung für Venom Penetrator erfolgte seit 2000 durch die Naval Surface Warfare Center Dienststelle auf dem Stützpunkt Indian Head Naval Ordnance Station in Maryland. Dort wurden die VP-Pfeile unmittelbar von Navy-Wissenschaftlern und Ingenieuren entwickelt. Gleichzeitig prüfte die Navy verschiedene von den Firmen Boeing, Lockheed Martin, bzw. SAIC vorgestellte Konzepte, wie die VP-Pfeile optimal ins Ziel befördert werden sollen. Nach Probeabwürfen auf dem Indian Head Testgelände wurde im Februar 2007 das von Boeing vorgestellte Einsatzsystem mittels der modifizierten JDAM-Bombe für überlegen befunden. Das Venom Penetrator Programm wird nun zwecks vollständiger Systementwicklung bis zum Jahr 2009 an das Mine Warfare Program Office (PMS 495) des Naval Sea Systems Command übertragen.