Dieser Artikel wird mit freundlicher Genehmigung der “MarineForum — Zeitschrift für maritime Fragen” veröffentlicht.
Am 9. September befreite ein Sonderkommando der amerikanischen Marineinfanterie das im Golf von Aden durch Piraten gekaperte deutsche Handelsschiff M/V Magellan Star. Solche Einsätze sind eine Spezialität der Maritime Raid Force Einheiten (Maritime Eingreifkräfte) des US-Marine Corps (USMC).
Befreiung der MAGELLAN STAR Foto: US Navy Click to enlarge |
Amphibische Schiffsverbände der US-Navy patrouillieren regelmäßig auf den Weltmeeren. Diese als Amphibious Readiness Group (Amphibische Bereitschaftsgruppe) oder ARG bezeichneten Einheiten bestehen in der Regel aus einem amphibischen Träger und zwei Docklandungsschiffen. An Bord befindet sich eine als Marine Expeditionary Unit (Entsendungsverband) oder MEU bezeichnete Einheit des US-Marine Corps. Ein MEU-Verband besteht aus einem verstärkten Infanteriebataillon (circa 1.200 Mann), einer gemischten Flugstaffel (Kampf- und Transporthubschrauber sowie Harrier Jagdbomber) sowie einem Unterstützungsverband (Logistik, Pioniere, Sanitätsgruppe) – insgesamt rund 2.000 Marines.
Zu der MEU gehört auch eine Maritime Raid Force Einheit oder MRF. Zu ihrem Aufgabenbereich gehören Boarding und Durchsuchung von Schiffen, gewaltsame Einnahme von maritimen Zielen (Schiffe, Bohrinseln, Hafenanlagen), Geiselbefreiung sowie Angriffe auf küstennahe Punktziele an Land. »MRF wird eingesetzt, wenn eine wesentliche Bedrohung ausgeschaltet werden muss«, erklärt 1st Lieutenant Derek Shivers, Zugführer bei der MRF-Einheit der 31. MEU (Okinawa).
Die MRF-Einheiten wurden 2009 eingeführt, mit primärem Blick auf die Bekämpfung von Piraten und Terroristen. Ihre Aufstellung wurde notwendig, nachdem 2006 die bis dahin auf See geführten Spezialkräfte des USMC geschlossen dem neuen Marine Special Operations Command (MARSOC) unterstellt wurden und den MEU-Verbänden nicht mehr zur Verfügung standen.
Spezialkräfte »Light«
Die MRF-Einheiten selbst gehören nicht zu den Spezialkräften im engeren Sinne, genießen aber eine sehr intensive Sonderausbildung. Im Bedarfsfall müssen sie imstande sein, Aufgaben durchzuführen, die üblicherweise durch Spezialkräfte übernommen würden (Special Operations Capable – SOC). »Wir sind keine Spezialkräfte, sondern ein kleiner Verband intensiv ausgebildeter Profis«, erklärt USMC Captain Alexander Martin, Chef der MRFEinheit der 15. MEU aus Camp Pendleton, California. Captain Alexander führte die Befreiungsaktion auf der M/V Magellan Star an.
Boarding-Ausbildung Foto: US Navy |
Den Kern der MRF-Einheit stellt ein auf »Direkteinsätze« (sprich: offensive Kommandoeinsätze) ausgerichteter USMC-Aufklärungszug (Force Recon Platoon). Diese Spähkräfte des Marinekorps erhalten standardmäßig eine Ausbildung, die an das Training der Spezialkräfte angrenzt. »Vor unserer Entsendung im Mai bereiteten wir uns ein Jahr lang darauf vor, Piraten zu jagen«, erklärt Captain Martin. »Wir trainierten monatelang chirurgischpräzises Schießen, auf Kampfeinsätze ausgerichtetes Konditionstraining, Tauchen, Fallschirmspringen aus großer Höhe, Abseilen, Bordwandentern, Nahkampf, Verwundetenversorgung, Sprengstoffentschärfung und Aufklärung, um uns auf den realen maritimen Kommandoeinsatz vorzubereiten. Das Training war phänomenal, aggressiv und machte Spaß.« Ihr Einsatzziel können die Aufklärer per Schnellboot, per Helikopter oder unbemerkt als Taucher erreichen.
Unterstützt wird der Aufklärungszug durch einen regulären Infanteriezug des Infanteriebataillons der MEU, der während MRF-Einsätzen Kräfteschutz bietet. Dieser Zug wird ebenfalls ein Jahr vor dem Auslaufen der MEU designiert und auf die MRF-Verwendung ausgerichtet. Während der Fahrt wird zusätzliches Unterstützungspersonal durch die Scharfschützenabteilung und durch die Sanitätskompanie der MEU sowie durch die Navy Schnellboot- und Boardingmannschaften der amphibischen Schiffe gestellt. Die Flugstaffel der MEU bringt die MRF-Truppen nicht nur ins Ziel, sondern sichert auch den Einsatz aus der Luft durch Kampfhubschrauber. »Wir sind ein voll integriertes Navy-Marine Corps Team«, erklärt Capt. Martin.
Neben ihrer Aufgabe als Eingreifkräfte bleiben die Aufklärungszüge auch für die konventionelle Aufklärungsrolle im Auftrag der MEU bereit. Dies bezieht sowohl die so genannte amphibische Aufklärung (als Taucher, um Hindernisse und Fallen im Küsten- und Brandungsbereich aufzuspüren und Landungsstrände zu erkunden) sowie die Aufklärung an Land ein. Allerdings nimmt das USMC angesichts des gegenwärtigen Einsatzschwerpunkts bei der Piraten- und Terrorbekämpfung den Standpunkt ein, dass die offensive Eingreifrolle derzeit den Vorrang erhalten soll. Die erfolgreiche Befreiung der Magellan Star habe das MRF-Konzept bestätigt, erklärte der Commandant of the Marine Corps, General James Conway, am 10. September. Der Ausrichtungsschwerpunkt der Aufklärungszüge dürfte vorerst bei dieser Eingreifrolle bleiben, auch wenn dies zu einer Reduzierung der konventionellen Aufklärungskapazität der MEU führen sollte, erklärte der ranghöchste Marineinfanterist der USA.
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Sidney E. Dean berichtet im MarineForum regelmäßig zu Entwicklungen und Ereignissen in den USA