Flutventil |
Wenn Halbtaucher gesichtet werden, müssen die Sicherheitskräfte versuchen, sich dem Boot möglichst unbemerkt zu näher. Der anschließende Zugriffmuss blitzschnell erfolgen. Die Boote sind mit mehreren Flutventilen konfiguriert, sodass die Besatzung sie schnell versenken kann, um zu verhindern, dass Konterbande als Beweismittel sichergestellt wird. Dies macht das Entern sehr gefährlich. So im Morgengrauen des 16. September 2008, als ein Team der US Coast Guard ein SPSS 400 sm vor der Küste Guatemalas enterte. Wenige Minuten später fing das Boot an, vom Heck her schnell zu fluten. Die Boardingmannschaft wäre beinahe mit in die Tiefe gerissen worden, konnte aber gerade noch die Ventile schließen, ehe das Boot unterging.
Nur drei Tage zuvor war es einem Coast Guard Polizeiteam (LAW Enforcement Detachment – LEDet) an Bord der US-Navy Fregatte USS MCINERNEY gelungen, während der Nacht unbemerkt ein SPSS 350 Meilen vor der Küste Guatemalas per Schlauchboot zu entern. US-Coast Guard Commander Cameron Naron, Stellvertretender Leiter der Polizei-Abteilung der Küstenwache, beschrieb den Einsatz.
»Das LEDet enterte das flache Oberdeck des SPSS, klopfte an der Einstiegsluke und forderte die Besatzung auf, die Fahrt zu stoppen. Daraufhin versuchte die Besatzung durch abrupte Rückwärtsbewegung, das LEDet Personal abzuwerfen. Unsere Kräfte wurden durch die abrupte Richtungsänderung auf Deck geworfen und mussten sich an den Belüftungsanlagen festhalten, um nicht über Bord zu gehen. Die kolumbianischen Schmuggler versuchten anschließend, das Boot zu fluten und über den Turm zu entkommen. Unser LEDet zog die Waffen und befahl den Schmugglern, die Flutventile wieder zu schließen. Obwohl diese nur kurzfristig geöffnet waren, hatte sich das Boot bereits mit circa 30 Zentimeter Wasser gefüllt. Der SPSS-Führer gab später zu, dass er die Boardingmannschaft abwerfen und durch die Bootsschrauben töten wollte.«
Nach behördlichen Schätzungen werden bislang nur zehn Prozent der »Halbtaucher« abgefangen. Von diesen wurden nur wenige durch Aufklärungspatrouillen zur See oder aus der Luft entdeckt. Die meisten abgefangenen Boote wurden vielmehr durch nachrichtendienstliche Methoden lokalisiert, erklärt US-Navy Captain Wade Wilkenson.
Um den Schmuggelbetrieb einzudämmen, muss ein wesentlich höherer Prozentsatz der SPSS gestoppt werden. Die gezielte Bekämpfung der neuen Schmuggeltaktik erfordert daher neue bzw. modifizierte Gegenmaßnahmen seitens der Behörden. Das Ziel hat bereits deshalb in Washington Priorität, weil nicht nur Kokain per Halbtaucher in die USA gelangen könnte.»Mir macht die Frage Sorgen: Wenn man so viel Kokain befördern kann, was kann man noch auf einem SPSS Boot verladen? Eventuell Massenvernichtungswaffen?«, erklärte NATO-Oberbefehlshaber US Admiral James Stavridis, bis Juni 2009 Kommandeur des US Southern Command (SOUTHCOM). Diesem TSK-gemeinsamen regionalen Oberkommando sind die zur Unterstützung der Bekämpfung des Drogenschmuggels aus Lateinamerika bereitgestellten militärischen Ressourcen der USA unterstellt – vor allem US-Navy Schiffe sowie Aufklärungsflugzeuge der Navy und der Air Force.
Es gibt gegenwärtig drei komplementäre Ansätze, das Phänomen SPSS zu bekämpfen:
- internationale Kooperation,
- technologische Innovation sowie
- Anpassung der Rechtsprechung.
Auf dem internationalen Kooperationssektor stellt Washington beispielsweise rund eine Milliarde Dollar im Jahr für Ausbildungs- und Ausrüstungshilfe für Polizei, Militär und Nachrichtendienste Kolumbiens zur Verfügung. Die kolumbianischen Sicherheitskräfte benutzen diese Mittel u.a., um gezielt gegen die Infrastruktur der Bootsbauer vorzugehen. Sie schleusen Agenten in die Kartelle ein, um Informationen über geplante Drogenlieferungen zu erhalten, schicken Aufklärungstruppen in den Dschungel, um die Werften der Drogenkartelle aufzuspüren und verstärken die Patrouillen auf Flüssen und in Küstengewässern, um SPSS und andere Drogenboote früh abzufangen. Das systematische Vorgehen der kolumbianischen Behörden gegen die Bootsbau-Infrastruktur hat bereits zu einer teilweisen Südwärtsverlagerung des SPSS-Baus nach Ekuador geführt. Darauf lässt u.a. das Aufbringen von gleich drei SPSS in internationalen Gewässern östlich der ekuadorianischen Küste zwischen dem 31.12. 2008 und den 08.01.2009 schließen.
Ein weiteres Element der Kooperation ist der umfassende internationale Informationsaustausch – und dies nicht nur zwischen den amerikanischen Nationen. So referierte USCG Commandant Admiral Thad Allen im Oktober 2008 an der internationalen Schifffahrtsuniversität im schwedischen Malmö über die Gefahren der SPSS.
Andererseits werden technologische Ansätze gesucht, um SPSS Boote wirksamer erfassen zu können. Bislang erfolgen fast alle spontanen Sichtungen durch Überwachungsflugzeuge, erklärte Commander Naron. Navy und Coast Guard versuchen nun, ihre Überwasserradarsysteme zu kalibrieren, um SPSS per Schiff zu erfassen. Ein Sonderreferat im SOUTHCOM prüft auch weitere technologische Ansätze – häufig aus der traditionellen U‑Boot-Abwehr, aber auch unter Verwendung handelsüblicher Ausrüstung – um SPSS wirksamer aufzuspüren. Diese Technologien werden derzeit an einigen sichergestellten SPSS erprobt. Nach Angaben von Captain Wilkenson, der 2008 das Sonderreferat leitete, werden u.a. Radar mit inverser künstlicher Apertur, Laserinfrarotsensoren, Aufklärungs-UAV als Kräftemultiplikatoren und kommerzielle Überwachungssatelliten erwogen. Auch permanente Unterwassersensoren entlang der kolumbianischen Küste wären zu erwägen, sagt Capt. Wilkenson.
Schließlich sollen juristische Schlupflöcher geschlossen werden, um die Rechtsmittel zur Bekämpfung des Drogenschmuggels zu stärken. In diesem Sinne wurde letztes Jahr ein Gesetz verabschiedet, unter dem Besatzungsmitglieder eines SPSS-Bootes auch dann wegen Drogenschmuggels angeklagt werden können, wenn die Beweismittel mit dem Boot untergingen und nicht geborgen werden können. Dieses im September 2008 erlassene »Drug Trafficking Vessel Interdiction Act of 2008« (Gesetz über das Abfangen von Drogenschmuggelfahrzeugen, 2008) sieht vor, dass bereits das grenzüberschreitende Fahren auf einem staatenlosen SPSS-Boot mit bis zu 15 Jahren Zuchthaus zu bestrafen ist. Unter anderem erhofft sich der Staat, durch diese Beweislastverlagerung eine höhere Auskunftsbereitschaft der festgenommenen Schmuggler zu bewirken.