Dieser Artikel wird mit freundlicher Genehmigung der “MarineForum — Zeitschrift für maritime Fragen” veröffentlicht.
(Sidney E. Dean (MA), Politologe, Historiker und Literaturwissenschaftler, ist Präsident der Medienfirma Transatlantic Euro-American Multimedia LLC (www.teamultimedia.com) und Herausgeber der Quartalsschrift Hampton Roads International Security Quarterly. Für das MarineForum berichtet er regelmäßig zu maritimen Ereignissen und Entwicklungen in den USA..)
Besatzung verlässt ein SPSS (Foto: US Navy) |
Seit 2006 brachten US-Navy und Coast Guard Einheiten sowie lateinamerikanische Kräfte mehrere so genannte SPSS-Boote (Self-Propelled Semi-Submersible, zu Deutsch »halbtauchende Boote mit Eigenantrieb«) auf, die Drogen aus Kolumbien nach Norden schmuggelten. Diese schwer zu ortenden »beinahe U‑Boote« ragen nur 30 bis 50 Zentimeter aus dem Wasser. Sie haben 2.500 Meilen Reichweite und können bis zu 15 Tonnen Drogen und bis zu 5 Menschen befördern (können also grundsätzlich auch zur Einschleusung von Verbrechern oder Terroristen verwendet werden).
US-Behörden schätzen, dass bereits 1/3 des kolumbianischen Kokains durch SPSS nach Norden geschmuggelt wird.
Erste Versuche mit SPSS wurden bereits Anfang der 1990er Jahre festgestellt, doch waren die damaligen Boote instabil und hatten nur kurze Reichweiten. Der drastische Anstieg ihres Einsatzes seit 2006 gilt als Reaktion auf die zunehmenden Erfolge der USA sowie deren europäischen und lateinamerikanischen Partner bei der Bekämpfung des Drogenschmuggels auf Fischerbooten, Rennbooten und Kleinflugzeugen im Großraum Karibik und Ostpazifik.
Hochseetaugliche Drogenflotte
Die Boote werden tief im Dschungel des westlichen Kolumbiens – überwiegend auf Territorium, das von der kommunistischen FARC-Guerilla beherrscht wird – in Handarbeit gefertigt und anschließend auf einem der unzähligen Urwaldflüsse zum Meer transportiert. Nachdem ausländische – vor allem russische – Entwürfe als zu kompliziert verworfen wurden, werden die Boote nun in Dutzenden von Werkstätten durch einheimische Ingenieure und Handwerker entworfen und gebaut. Die Herstellung jedes Bootes kostet rund zwei Millionen Dollar und dauert etwa ein Jahr. Regelrechte Werften, an denen gleichzeitig vier oder fünf Boote auf einmal gebaut werden, entstanden im Niemandsland.
Der 12 bis 25 Meter lange und circa 3,5 Meter breite Rumpf eines SPSS besteht entweder aus Stahl oder aus glasfaserüberzogenem Holz. Über dem flachen Rumpf ist meistens ein sehr niedriger Aufbau (Oberkante maximal 50 Zentimeter über Wasser) mit Sehschlitzen und Schnorchel für die Luftversorgung. Im Bug befindet sich der Laderaum für vier bis 12 (ausnahmsweise sogar 15) Tonnen Nutzlast. Achtern hat jedes Boot ein oder zwei Dieselmotoren, ein Stromaggregat sowie die Treibstofftanks. Mittschiffs befindet sich die enge, mit Navigations- und Steuerungseinrichtung ausgestattete Brücke, die gleichzeitig als Schlafraum der Crew dient. Nach Aussage der US Coast Guard (USCG) entspricht die Satellitenfunk- und GPS-Ausrüstung der SPSS dem der meisten Handelsschiffe, sodass die direkte Überwachung der Fahrt durch das »Hauptquartier« des auftraggebenden Kartells angenommen werden muss. Überwasserradar haben die SPSS nicht.
Die Höchstfahrt beträgt ca. 13 Knoten, doch fahren die Boote i.d.R. mit maximal 6 Knoten, um das Entstehen einer sichtbaren Heckwelle zu vermeiden. Aufgrund der niedrigen Silhouette und der geringfügigen Heckwelle sind SPSS selbst bei helllichtem Tage mit dem bloßen Auge erst innerhalb einer Meile Distanz zu erfassen. Auch Radar erfasst sie nur schwer. Neuere Modelle lassen die Abgase der Dieselmotoren unter Wasser ab, um die Wärmesignatur der Boote weiter zu reduzieren.
Nach behördlichen Schätzungen werden etwa 75 solcher Boote jährlich gebaut. Jedes Boot wird nur einmal verwendet und nach dem Abladen der Fracht versenkt. Die Kartelle können es sich leisten, die Boote abzuschreiben. Eine durchschnittliche Ladung von sieben Tonnen Kokain hat in den USA einen Straßenwert von 200 Millionen Dollar und in Europa rund 300 Millionen Dollar (Anbaukosten: 10 Millionen Dollar).
Im Gegensatz zu einem echten Unterseeboot ist die Lenkung nicht wesentlich komplizierter als die eines gewöhnlichen Bootes. Es gibt auch ferngelenkte Ausführungen, die von einer in Sichtweite fahrenden Jacht oder einem Fischerboot aus kontrolliert werden. Der Kurs führt die Drogenboote oft weit auf die offene See – so entdeckte ein US Navy Schiff am 1. März 2008 ein SPSS rund 375 Seemeilen westlich der Galapagosinseln, also rund 1.000 Meilen westlich des südamerikanischen Festlands. Bislang werden SPSS fast ausschließlich im Ostpazifik eingesetzt, um Drogen aus Ekuador und Kolumbien nach Norden zu transportieren. Die Fahrt geht i.d.R. nach Mexiko, wo die Drogen für den Weitertransport über Land abgeladen werden. Da die Reichweite der Boote für die Fahrt nach Kalifornien reicht, kann nicht ausgeschlossen werden, dass einige Drogenfrachten auch direkt in die USA befördert werden.
Das Konzept macht auch bereits andernorts Schule. Eine spanische Drogenbande flog 2006 bei dem Versuch auf, Kokain per SPSS von einem Schiff an Land zu schmuggeln. Gerüchte, dass auf See betankbare SPSS auch aus Brasilien starten sollen, um Drogen nach Europa zu transportieren, konnte der für Drogenbekämpfung zuständige USCG Rear Admiral Joseph Nimmich nicht bestätigen, mit dem Zusatz, dass er eine solche Entwicklung nicht ausschließen könne. »Wir gehen von einer Ausbreitung dieser Technologie auf andere Sektoren aus«, erklärte Nimmich.