Dieser Artikel wird mit freundlicher Genehmigung der “MarineForum — Zeitschrift für maritime Fragen” veröffentlicht.
Seit der Mitte des 20. Jahrhunderts hat sich zunächst im Westen, schließlich weltweit, ein popkultureller Konsens entwickelt. Populärkultur ist, folgt man der gängigen Definition, die Summe massetauglicher kultureller Erzeugnisse, welche Alltagspraktiken reflektieren und eine erhebliche Mobilisierung ermöglichen. Ursache und Wirkungen sind also eng miteinander verwoben. Insbesondere moderne Unterhaltungskultur wie Musik‑, TV- und Kino-Erzeugnisse sind in erheblichem Maße einflussreich. Die Computerisierung hat darüber hinaus mit dem Computerspiel ein völlig neues, gerade bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen beliebtes Genre etabliert. Die digitale Revolution im Windschatten der Globalisierung, die den Benutzern z.B. durch »Web 2.0« ein maßgeschneidertes, zum Teil selbst befördertes Programm bietet, ermöglicht einen globalen medialen Kanon. Im Kampf um die begrenzte Aufmerksamkeit der Konsumenten sind Technik, Aufwand, Akteure und Budget wichtige Faktoren. Dadurch wirkt Populärkultur schnelllebiger und allumfassender, aber auch meinungsbildender als je zuvor.
Die USA waren und sind Schrittmacher dieser Bewegung, sei es durch die Tonstudios in New York, den PC-Spiel-Schmieden im Silicon Valley oder die Filmkulissen von Hollywood. Gleichzeitig sind die Vereinigten Staaten von Amerika jenes Land, das heute die qualitativ beste und quantitativ größte Marine der Welt vorhält. Anlass genug, das Verhältnis zwischen den US-Seestreitkräften und der Populärkultur näher zu beleuchten.
Ist die Popkultur für eine Marine eher förderlich oder abträglich? Gezielt eingesetzt übt popkulturelle Verarbeitung schließlich eine Doppelfunktion aus: Nach außen bietet sie die Möglichkeit, kulturelle Beeinflussung auszuüben, etwa durch Überzeichnung von Charakteren und durch visuelle Machtprojektion – so wird Kulturexport zur Außenpolitik. Nach innen gewandt kann Popkultur etwas Selbstversicherndes haben, mobilisierend und werbend wirken – so wird Kulturschaffen zur Innenpolitik. Daher kann das Militär (sofern hier eine Verallgemeinerung erlaubt sei) ein gesteigertes Interesse daran haben, die Mobilisierung wohlwollend zu begleiten oder zu beeinflussen. Die Vielfältigkeit medialer Ausdrucksformen erlaubt es Dritten allerdings auch – etwa durch Stilmittel wie Ironie oder Satire – das genaue Gegenteil zu bewirken und ein Sujet der Lächerlichkeit preiszugeben. Insofern hat Populärkultur auch eine politische Dimension, deren Deutungshoheit durchaus umkämpft sein kann.
TV
JAG Foto: CBS Studios |
Der unausgesprochene Ritterschlag im medialen Umfeld ist zweifellos die Abbildung in einer beliebten, über einen längeren Zeitraum ausgestrahlten Fernsehsendung. Beispiele dafür sind »J.A.G. – Im Namen der Ehre« (USA, 227 Episoden, 10 Staffeln zwischen 1995 und 2005), einer Serie über die höchste Justizinstanz der Navy, oder »Navy CIS« (USA, seit 2003 160 Folgen in bisher sieben Staffeln), die die Arbeit der militärischen Strafverfolgungsbehörde des US-Marineministeriums behandelt. Beide Reihen finden auch in Deutschland ihr Publikum.
Weniger ernst, aber gleichwohl mindestens ebenso erfolgreich sind dies- und jenseits des Atlantiks »Die Simpsons«, eine amerikanische Zeichentrickserie, die sich an Zuschauer aller Altersgruppen und sozialen Schichten wendet. Seit 1990 arbeiten die Produzenten der Serie die westliche Gegenwartskultur mithilfe der durchschnittlichen amerikanischen Familie ab. So ist es nur folgerichtig, dass auch die amerikanische Marine in der erfolgreichen Abendsendung thematisiert wurde. Gleich zwei Folgen (Simpson Tide/ Homer geht zur Marine, dt. Erstausstrahlung Mai 1999; New Kids on the Bleech/Die sensationelle Pop-Gruppe, dt. Erstausstrahlung Februar 2002) thematisieren die US-Marine; darüber hinaus gibt es in einzelnen Episoden unzählige Anspielungen auf diesen Themenbereich.
Wer in die Fänge der Simpsons gerät, muss allerdings mit einer beißend satirischen Überhöhung rechnen. In der erstgenannten Episode – im Übrigen eine Anspielung auf den erfolgreichen Kinofilm »Crimson Tide – In tiefster Gefahr« (USA 1995) – tritt Homer Simpson der Marine bei, nicht ohne sich über die Untiefen der übrigens erst kürzlich revidierten Homosexuellen- Politik des US-Militärs (»Don’t Ask Don’t Tell«) zu wundern, Hohn und Spott über der Marinereserve auszuschütten (die im Gegensatz zu ihren aktiven Kameraden nur niedere Dienste verrichten darf) und schließlich durch die Übernahme des Kommandos über ein Atom-U-Boot einen veritablen Supermachtkonflikt auszulösen. Glücklicherweise spricht ihn das anschließende Militärtribunal frei, der erste Ankläger ist in den »Tailhook-Skandal« verwickelt, der zweite ist in eine Bestechungsaffäre für militärisches Großgerät verstrickt, ein dritter gibt zu, ein Kreuzfahrtschiff torpediert zu haben und ein vierter bekennt sich schuldig, sich als First Lady ausgegeben zu haben.
Die Autoren der Simpsons leisteten auch hier in einem Rundumschlag ganze Arbeit, der bissige Kommentar auf das Innenleben der Marine überstand auch die Zensoren beim konservativen Haussender FOX und lief folglich wie alle anderen Episoden zur besten Sendezeit. So lernen Homer und auch der Fernsehzuschauer: »Die Marine hat einen besonderen Sinn für Traditionen. Wann immer ein amerikanisches Schiff den Hafen verlässt, singt die Mannschaft dieses alte Seeshanty. Und eins, und zwei, und drei, und vier!«
Popmusik
Gefolgt von diesen Worten erklingen die ersten Takte des Songs »In the Navy« der US-Discoband The Village People, einem Stück aus dem Jahr 1979. Das weitgehend undifferenzierte Werk (man denke in diesem Zusammenhang an das weitaus kritischere »In the Army Now« von Status Quo, 1986) war als Rekrutierungsmöglichkeit in Betracht gezogen worden, nachdem der Vorgängersong »Y.M.C.A.« für die namensgebende Christliche Vereinigung Junger Männer (heute: Menschen) zu einer erheblichen Attraktivitätssteigerung geführt hatte und die Streitkräfte ohnehin unter dem Ansehens- und Mobilisierungsverlust des Vietnamtraumas litten.
Folglich wurde das Musikvideo (eines der ersten seiner Art) damals mit großer Unterstützung der US-Marine produziert: Die Fregatte USS REASONER (FF-1063) der KNOX-Klasse samt zum Stillhalteabkommen verpflichteter Besatzung diente als Bühne für die in ihren extravaganten Kostümen tanzenden und singenden Bandmitglieder. Bei Kamerafahrten sind weitere schwimmende Einheiten am Drehort in San Diego zu erkennen. Den Abschluss des Vierminüters bildet schließlich ein Formationsflug von Kampfflugzeugen der Navy. Offenbar bekamen die Verantwortlichen dann aber doch kalte Füße. Zum einen wurde die Verwendung von Steuergeldern für diese Art des Marketings infrage gestellt, zum anderen hatten sich die Village People bereits durch ihr Auftreten zu Idolen der Homosexuellenszene entwickelt; ein Umstand, der im moralistisch-sensiblen Amerika nicht so recht zur Förderung der Anziehungskraft der Marine passen wollte. Im Nachhinein führt diese Episode die Unsicherheit im Umgang mit gleichgeschlechtlicher Liebe im Militärdienst abermals ad absurdum und die kulturellen Spannungen rund um das Männlichkeitsbild und den Heldenmythos vor Augen.
Dabei blieb es bei Weitem nicht das einzige Musikvideo – einem neuen Kunstgenre, das durch die Einführung des Musikfernsehens Anfang der achtziger Jahre rasant an Bedeutung gewann – unter größerer Beteiligung der Marine. Einprägsames Beispiel dürfte der Clip der Sängerin Cher zu ihrem Lied »If I Could Turn Back Time« aus dem Jahr 1989 sein: Neben der spärlich bekleideten Künstlerin spielt in diesem Clip das altehrwürdige Schlachtschiff USS MISSOURI (BB-61) als festlich beleuchtete Kulisse die tragende Hauptrolle. Im Gegensatz zum vorher genannten Beispiel ist die Besatzung des Schiffes hier aktiv mit von der Partie und unterstreicht durch ihren Habitus das patriotische Moment einer solchen Inszenierung. Dass der Songtitel allerdings eine Anspielung auf die unerwartete Renaissance der Großkampfschiffe der Iowa-Klasse im Rahmen von Marineminister John Lehmans ambitioniertem Vorhaben der 600-Schiff-Marine darstellt, darf getrost bezweifelt werden.
Kino
Dritter Pfeiler der Populärkultur ist und bleibt Hollywood oder vielmehr die US-amerikanische Filmindustrie. Das Budget für Filmproduktionen ist weitaus höher als für TV- oder Musikproduktionen, ein national und international erfolgreicher Film kann allerdings auch ein Vielfaches seiner Kosten einspielen. Die Marine unterhält gar eine eigene Dienststelle in Los Angeles, die gegen Drehbucheinsicht und ggf. Mitspracherecht Beratungsaufgaben bei TV- und Filmproduktionen anbietet. Nicht immer jedoch wird die Navy konsultiert oder zur Unterstützung herangezogen, und bei oberflächlichen und negativen Machwerken ist davon auszugehen, dass so manche filmische Aspiration vonseiten des Pentagon abschlägig bewertet wurde. Unglücklicherweise bleiben bei auf kommerziellen Erfolg getrimmten Drehbüchern oftmals Genauigkeit und Faktentreue auf der Strecke. Dieses Blockbuster-Phänomen trifft etwa auf »Pearl Harbor« zu, einem Film aus dem Jahr 2001, der für sich in Anspruch nahm, die Geschehnisse vom 7. Dezember 1941 aufzuarbeiten. Obwohl das Werk vor Fehlern und haarsträubenden Ungenauigkeiten nur so strotzt und folgerichtig bei den Kritikern durchfiel, spielte er mehr als das Dreifache seiner Investitionen wieder ein. Möglicherweise ist es jedoch gerade das Heldenmotiv, das in diesem und anderen Filmen skizziert wird, welches die Zuschauer fesselt. Heroismus ist schließlich ein zentrales Motiv in der amerikanischen Auffassung von Dienst an der Gesellschaft. Die Streitkräfte profitieren grundsätzlich von diesem Ausdruck einer patriotischen Sozialisierung.
Seit den 1980er Jahren hat es einige ebenso erfolgreiche wie einflussreiche Produktionen gegeben, die diese Aspekte aufnehmen. Dabei reicht der Bogen quer über alle Genres. Zu nennen sind hier der Science- Fiction-Film »Der letzte Countdown« (USA 1980), in dem die USS NIMITZ unwillentlich eine Zeitreise ins Jahr 1941 unternimmt und die Gelegenheit bekommt, den japanischen Angriff auf Pearl Harbor zu stoppen oder die spannende und technisch aufwendige Verfilmung des Tom-Clancy-Thrillers »Jagd auf Roter Oktober« (USA 1990), in mit seinem Boot in die Hände der NATO-Allianz überläuft. Die US-Navy erhoffte sich durch die Unterstützung der Dreharbeiten des Clancy-Werkes ein positives Image. So wurde den Produzenten und Hauptdarstellern des Films der Zugang zu U‑Booten und Überwasserschiffen ebenso gewährt wie zahlreiche Requisiten. Das Werk war bei Kritik und Kinokasse erfolgreich und wurde mit einigen Preisen bedacht.
Ein ebenfalls kommerziell erfolgreicher, aber ansonsten weitgehend absurder Film ist »Alarmstufe: Rot« (USA 1992). In ihm spielt abermals die USS MISSOURI die Hauptrolle (auch wenn auf dem in Mobile, Alabama vor Anker liegenden Schlachtschiff USS ALABAMA (BB-60) der SOUTH-DAKOTA-Klasse gedreht wurde). Sie dient als Kulisse für einen Schiffskoch – wohlgemerkt ex-Navy SEAL, Hollywoods beliebtester Spezialeinheit (zahlreiche B- und C‑Movies sind über diese stets hartgesottenen Kerle über die Jahre auf den Markt geworfen worden). Dieser weiß mithilfe eines blonden Playmates den Diebstahl von Atomsprengköpfen durch an Bord des Schiffes gelangte Kriminelle zu verhindern. Der finanzielle Erfolg gab den Machern des Films abermals recht.
Die Grenze zum Slapstick-Humor ist jedoch fließend, wie durch »Hot Shots! – Die Mutter aller Filme« (USA 1991) eindrucksvoll belegt wird. Die Produktion unter Mitwirkungen von Llyod Bridges und Charlie Sheen ist im Wesentlichen eine Parodie auf zahlreiche Vorgängerfilme, insbesondere auf das eindrucksvolle Marineflieger-Epos »Top Gun – Sie fürchten weder Tod noch Teufel« (USA 1986).
Top Gun Foto: Paramount Pictures |
Jenes Werk markierte insofern eine Trendwende, da es der erste ernst zu nehmende, das Militär in einem positiven Licht darstellende Film nach den Jahren des Vietnamtraumas und der politischen Malaise der Carter-Jahre war. Beleuchtet wird ausgerechnet jene Ausbildungseinheit, die nach den durchwachsenen Resultaten der Kampfflieger in Südostasien im kalifornischen Miramar gegründet wurde.
Erzählt wird ihr Kampf um eine (fiktive) Trophäe, untermalt von rasanten Luftkampfszenen (die nicht umsonst an die amerikanischlibyschen Zwischenfälle im Golf von Sidra Mitte der 1980er Jahre erinnern), der unvermeidlichen Liebesgeschichte und einem beeindruckenden Soundtrack. Giorgio Moroder und Harold Faltermeyer zeichneten sich für einen Großteil der Stücke auf dem ebenfalls kommerziell erfolgreichen Album aus, dessen imposanteste Stücke »Danger Zone« von Kenny Loggins, »Mighty Wings« von Cheap Trick sowie die Ballade »Take My Breath Away« von Berlin Zuhörer und Zuschauer bis heute in ihren Bann ziehen können.
»Top Gun« ist somit ein Beispiel für den popkulturellen Einfluss der geschickten Verbindung aus Musik und Film, die überdies den Zeitgeist traf. Die Navy, die auch diesen Film nach Kräften unterstützt, verzeichnete im Anschluss (ebenso wie die Air Force) einen merklichen Anstieg der Rekrutierungszahlen.
Computerspiele
Kaum eines der zuvor genannten kulturellen Erzeugnisse ist jedoch so zielgruppenorientiert ausgelegt wie das der Computerspiele. Mit der Markteinführung des Personal Computers (PC) für Privatnutzer, verbunden mit der weltweiten Ausbreitung und dem schnellen technischen Fortschritt, hat auch deren Funktion als Spielplattform das Interesse von Strategen geweckt. Hier sind insbesondere Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 15 und 30 Jahren gefragte Kunden. Gut gemachte Produkte können sich wie ein Lauffeuer unter den Altersgenossen verbreiten; dank der modernen Technik ist das Mit- und Gegeneinander über das Internet oder über Funkverbindungen schon längst kein Problem mehr.
Bei den Computerspielen handelt es sich um jeweils am Stand der Technik orientierte Produkte, in denen der Spieler bestimmte, immer anspruchsvollere Missionen durchzustehen hat. Diese können zeitgenössischer Natur, historisch geprägt oder Teil einer medialen Verwertungskette – etwa basierend auf einem gleichzeitig laufenden Film – sein. Waren die Anfänge der maritimen Simulationen noch grafisch überschaubar, z.B. Variationen des Spiels »Schiffe versenken«, so hat der technische Fortschritt mittlerweile zu einigen nahezu fotorealistischen, interaktiven Strategiespielen geführt, die ohne Weiteres zu tatsächlichen Ausbildungszwecken herangezogen werden könnten. Zu den einflussreichsten gehören die zwischen 1989 und 2007 in mehreren Versionen angebotene Harpoon-Serie (im Übrigen auch Basis für Tom Clancys Roman »Im Sturm«) oder das futuristische, von der US-Marine entwickelte »Strike and Retrieve«. Daher war und ist es für die US-Navy von gesteigertem Interesse, auch über die Nutzung von interaktiven Computerspielen die wohlwollende Aufmerksamkeit von Jugendlichen (und damit potenziellen Rekruten) zu bekommen.
Schlussfolgerung
Westliche Populärkultur übt nach innen wie nach außen einen erheblichen Mobilisierungseffekt aus. Gerade das Militär, das oft genug von Öffentlichkeit und Politik – etwa wegen der inhärenten moralischen Implikationen eines Einsatzes oder auch wegen überbordender Kosten – kritisch beäugt wird, hat über den Einfluss auf die kulturellen Unterhaltungserzeugnisse die Möglichkeit, sein eigenes Image ansehnlicher zu gestalten. Dies stellt eine wertvolle Ergänzung zu eigenen Werbemaßnahmen und üblichen Rekrutierungsstrategien dar. In dem Maße, in dem es die Bedürfnisse des Publikums und der technologische Fortschritt bei den Produktionen ermöglichen, ist also davon auszugehen, dass auch die US-Marine verstärkt versuchen wird, weiterhin das werbende Moment von Unterhaltungskultur für ihre Zwecke zu nutzen.
Zum Autor
Sebastian Bruns promoviert an der Christian-Albrechts-Universität Kiel und arbeitet als freier Analyst im Bereich Maritime Sicherheit