Noch bedeutender als die handelspolitischen Initiativen sind allerdings die sicherheitspolitischen Entwicklungen, die sich im Rahmen der Gipfeldiplomatie im November abzeichneten. Der Präsident wies Spekulationen, dass der voraussichtliche Abbau des US-Verteidigungsetats zu Einschnitten bei der Kräftestruktur im Pazifikraum führen könnte, ausdrücklich zurück. »Der Abbau im Verteidigungshaushalt wird nicht – ich wiederhole: »nicht« – auf Kosten des asiatisch-pazifischen Raums erfolgen«, erklärte Barack Obama vor dem australischen Parlament. »Wir werden die Ressourcen bereitstellen, die nötig sind, um unsere starke Militärpräsenz in dieser Region zu wahren. Wir werden unsere einzigartigen Fähigkeiten zur Machtprojektion und zur Abschreckung von Bedrohungen wahren.« Standort- und Strukturveränderungen bei den im Pazifik dislozierten Kräften sind allerdings zu erwarten, kündigte Hillary Clinton an. Eine Verteilung der Kräfte über einen größeren Raum soll die Reaktionsfähigkeit und die Abschreckungswirkung steigern und gleichzeitig die Spannungen abbauen, die durch die Präsenz einiger sehr großer Standorte entstehen.
Präsident Obama pflegte im Verlauf seiner Pazifik-Woche gezielt die bestehenden Bündnisse in der Region. Bereits sein erstes bilaterales Gespräch am Rande der APEC-Konferenz bestand aus einem eingehenden Treffen mit dem japanischen Premierminister Yoshihiko Noda. Auch die US-Beistandsverpflichtung für Südkorea wurde am Rande der Konferenz nachdrücklich bestätigt.
Nach dem APEC-Gipfel besuchte Barack Obama am 16. bis 17. November Australien, wo eine Ausweitung der ohnehin engen Sicherheitspartnerschaft bekannt gegeben wurde. Unter anderem soll künftig eine ständige Präsenz von bis zu 2.500 US-Marineinfanteristen im Norden Australiens eingerichtet werden. Die US-Verbände werden mit australischen Streitkräften sowie mit dem Militär südostasiatischer Staaten üben. Von ihrem Standort an Australiens Nordküste werden die Marines eine ständig präsente schnelle Eingreiftruppe für Krisen in Südostasien darstellen und sollen zur Sicherheit der regionalen Seewege beitragen.
Außenministerin Clinton besuchte zwischenzeitlich am 15. und 16. November Manila, um die Ausweitung der amerikanischen Militärhilfe für die philippinische Marine bekannt zu geben. Anschließend bekräftigte die Außenministerin in Bangkok das Bündnisverhältnis zwischen den USA und Thailand. Auch mit anderen asiatischen Staaten wird die militärische Zusammenarbeit vertieft. Einem Bericht der Washington Post (18.11.2011) zufolge wird mit Singapur über die Stationierung amerikanischer LCS-Kriegsschiffe verhandelt. Und am Rande des Ostasiengipfels auf Bali vereinbarte der US-Präsident mit seinen Amtskollegen aus Indonesien und Indien ebenfalls eine Vertiefung der Sicherheitskooperation.
Außenministerin Clinton in Bali (Foto: US DepState) |
Chinafrage
Die volle Tragweite der Politik Barack Obamas wird allerdings erst im Kontext des umfassenden sicherheitspolitischen Bildes Ostasiens sichtbar. Neben der anhaltenden Bedrohung durch das nordkoreanische Atomwaffenprogramm gibt es in Ostasien eine diplomatische und strategische Kernfrage: Wie kann das wirtschaftlich wie militärisch aufstrebende China als Partner gepflegt und gleichzeitig in die Schranken gewiesen werden?
Einerseits betont die US-Regierung den Wunsch nach Zusammenarbeit mit China. Die USA fürchten nicht den Aufstieg Chinas, sondern begrüßen den zunehmenden Wohlstand des Landes, erklären Präsident und Außenministerin beständig. Und tatsächlich bleiben Washington und Peking aufeinander angewiesen. Der Großkunde USA bildet den Motor des wirtschaftlichen Aufschwungs der VRC; gleichzeitig finanzieren die Vereinigten Staaten ihren defizitären Staatshaushalt zu einem großen Teil durch Anleihen aus China.
Diese gegenseitige Abhängigkeit hindert beide Regierungen allerdings nicht daran, einander ausgiebig zu kritisieren. Vor allem Präsident Obama nutzte im November die verschiedenen internationalen Foren, um in die diplomatische Offensive zu gehen. Auf jedem Gipfel kritisierte er das handelspolitische Fehlverhalten der VRC, angefangen bei der Duldung der Produktpiraterie bis hin zur systematischen Unterbewertung des Yuan.
Am bedeutendsten war allerdings der Vorstoß des US-Präsidenten bezüglich Ausweitung der Zuständigkeit des aus 18 Staaten (einschließlich der USA und Russlands) bestehenden Ostasiengipfels. Bislang erörtert der Gipfel überwiegend Themen wie Energiepolitik und Umweltschutz, Seuchenbekämpfung oder Katastrophenhilfe. Präsident Obama äußerte auf Bali die Überzeugung, dass der Ostasiengipfel zu einem entscheidenden Forum zur Erörterung strategischer Fragen und Sicherheitspolitik werden sollte. Demnach sollte auch der Territorialstreit im Südchinesischen Meer künftig im Rahmen des Ostasiengipfels gelöst werden. Diese Aussage war eine klare und direkte Herausforderung an China. Peking besteht darauf, dass die Streitigkeiten in Asien nur auf bilateraler Basis durch die Konfliktparteien geregelt werden sollten (wodurch China automatisch die stärkere Konfliktpartei wäre).
Mit seinem Vorstoß unterstützte Präsident Obama nicht nur – wie gehabt – die Position von Chinas Rivalen bezüglich einer multilateralen Regelung der Dispute im Südchinesischen Meer; der neue Vorschlag des Präsidenten würde bewirken, dass dieser Streit in einem Forum verhandelt wird, an dem die USA im vollen Umfang beteiligt sind. »Obwohl wir selbst keine Ansprüche im Bereich des Südchinesischen Meeres stellen und keine Partei ergreifen, haben wir ein wesentliches Interesse an der maritimen Sicherheit allgemein und an der Lösung der Frage des Südchinesischen Meeres insbesondere in unserer Eigenschaft als vollwertige pazifische Macht, als maritime Nation und als Garant der Sicherheit im asiatisch-pazifischen Raum«, erklärte Präsident Obama.
Präsident Obama und weitere Gipfelteilnehmer betonten auf dem Ostasiengipfel auch die – in Richtung China gerichtete – Forderung nach Achtung des Völkerrechts und anderer internationaler Normen. Der Präsident unterstützte ferner den Wunsch der ASEAN-Staaten nach einem verbindlichen Verhaltenskodex für den gegenseitigen Umgang der Anrainerstaaten des Südchinesischen Meeres. Er verurteilte die Anwendung oder die Androhung von Gewalt, um territoriale oder maritime Ansprüche durchzusetzen ebenso wie die Behinderung der legitimen wirtschaftlichen Nutzung der Meere – eine klare Anspielung an das teilweise brutale Vorgehen Chinas gegen Schiffe aus Nachbarstaaten.
Pazifische Gipfeltreffen November 2011
APEC-Gipfel (Asian-Pacific Economic Cooperation Forum – Asiatisch-Pazifisches Wirtschaftskooperationsforum), 8.–13. November, Hawaii.
APEC hat 21 Mitgliedsländer aus Asien, Ozeanien, Nord- und Südamerika, einschließlich der USA, Russlands und der VRC. Kollektiv erwirtschaften die APEC-Staaten 55 Prozent des globalen Bruttoinlandprodukts und 43 Prozent des Welthandels. Ziel der Organisation ist die Förderung des Handels, u.a. durch Abbau der Handelsund Investitionshemmnisse und Intensivierung der Wirtschaftskontakte. APEC-Gipfel bestehen aus mehreren Treffen der Wirtschafts- und der Außenminister, der Handelsbeauftragten, privater Wirtschaftsvertreter sowie – als Höhepunkt – ein zweitägiges Treffen der Regierungschefs. Die USA fungierten 2011 zum ersten Mal seit 1993 als Gastgeber.
ASEAN-Gipfel (Association of South-East Asian Nations – Organisation der südostasiatischen Nationen), 17.–18. November, Bali.
ASEAN hat zehn Mitgliedsstaaten. Hinzu kommen mehrere assoziierte Mitglieder bzw. Beobachter. Zweck der Organisation ist die Förderung politischer und wirtschaftlicher Kooperation sowie der regionalen Stabilität. Im Juli 2009 paraphierte Washington den Vertrag über Freundschaft und Kooperation in Südostasien, wodurch die ohnehin guten Beziehungen zwischen den USA und ASEAN vertieft wurden. Im gleichen Jahr traf sich Barack Obama als erster US-Präsident mit allen ASEAN-Regierungschefs gleichzeitig. Am 18. November fand das diesjährige offizielle US-ASEAN Treffen der Regierungschefs statt.
EAS-Gipfel (East Asia Summit – Ostasiengipfel), 18.–19. November, Bali.
Treffen der achtzehn Regierungschefs der »ASEAN + 8« Gruppe. Der Ostasiengipfel tritt seit 2005 nach dem alljährlichen ASEAN-Führungsgipfel zusammen, um politische und wirtschaftspolitische Themen zu besprechen. Anwesend sind bisher die ASEAN-Staaten sowie führende Staaten des asiatischen Raums. Zum ersten Mal nahmen 2011 die Präsidenten der USA und Russlands an diesem Treffen teil. Am Rande der drei Gipfel traf sich US-Präsident Obama zu bilateralen Gesprächen mit seinen Amtskollegen.
1:0 für Obama?
Der Ostasiengipfel endete mit einer diplomatischen Niederlage der VRC. Chinas Einschüchterungsversuche der letzten Jahre verfehlten ihr Ziel, die Nachbarstaaten gefügig zu machen. Sie bewirkten vielmehr, dass die Staaten Ostasiens immer engere Kontakte zu den USA suchen. Dieses Zusammenrücken war auf allen Tagungen im November deutlich zu spüren, am eindrucksvollsten aber auf dem Ostasiengipfel, wo bis auf zwei Staaten – Kambodscha und Myanmar – alle Teilnehmer in einer als »robust« bezeichneten Runde – einschließlich der Präsidenten Russlands und Indiens – sich für eine multilaterale Regelung der Gebietsstreitigkeiten im Südchinesischen Meer aussprachen.
Chinas Premierminister Wen Jiabao – der noch am 18. November auf dem Grundsatz bestand, dass »auswärtige Kräfte« keine Rolle bei der Lösung von Spannungen im ostasiatischen Raum spielen dürften– sah sich am 19. November gezwungen, einzulenken. Der Premier sei anfänglich »mürrisch« gewesen, doch blieb er sachlich und konstruktiv, erklärte ein anwesender US-Beamter. »Ich will dieses Thema nicht auf dem Gipfel erörtern, aber die Führer einiger Länder haben China in Verbindung mit dieser Angelegenheit erwähnt. Es wäre unhöflich, nicht zu erwidern«, zitiert die staatliche chinesische Nachrichtenagentur Xinhua den Premier.
Wen Jiabao verteidigte anschließend die bisherige Politik Chinas; die Tatsache, dass er das Thema gegen seinen Willen doch im Rahmen des Forums besprach – und damit einen Präzedenzfall schaffte – bedeutet allerdings eine taktische Niederlage für China und einen diplomatischen Erfolg für den US-Präsidenten. Kurz zuvor hatte der Premier im Rahmen eines als »harmonisch« beschriebenen bilateralen Gesprächs mit Barack Obama ein weiteres Zugeständnis gemacht; chinesische Medien meldeten, dass der Premier versprach, die Flexibilität des Yuan-Kurses zu erhöhen.
Die ungewohnt leisen Töne des Premiers sollten aber nicht über die langfristigen nationalen Bestrebungen Chinas hinwegtäuschen, warnte Doug Paal, Vizepräsident der Washingtoner Stiftung Carnegie Institute und ehemaliger Asienberater unter Präsident George Bush Senior. Es sei durchaus normal für China, gelassen auf die offenbar unerwartete Offensive Präsident Obamas zu reagieren, erklärte er. Die chinesische Regierung wolle weder im Inland noch im Ausland eingestehen, dass sie »eine größere Bedrohung« oder bedeutenden Widerstand durch Amerika fürchtet. Der Erfolg auf dem Ostasiengipfel sollte nur als vorübergehender Sieg in einer von vielen zu bestehenden Runden betrachtet werden.
Atlantisch-Pazifische Partnerschaft
Insgesamt führte Barack Obama im November eine intensive diplomatische Offensive auf mehreren Fronten (siehe Kasten). Handelsabkommen wurden vorangetrieben; die Neuordnung und Stärkung der militärischen Präsenz auf einer erweiterten und flexibleren geografischen Basis wurde eingeleitet; und Peking wurde vorgeführt, dass Washington derzeit die diplomatische Oberhand in Asien innehat. Nach einem Jahrzehnt der Fixierung der amerikanischen Sicherheitspolitik auf den Mittleren Osten signalisierten die Vereinigten Staaten lautstark ihre »Rückkehr« in den pazifischen Raum. Dabei bekräftigte Barack Obama eindeutig den amerikanischen Führungsanspruch auch in Ostasien; trotz der wirtschaftlichen und finanziellen Verflechtung mit China signalisierte der US-Präsident Konfrontationsbereitschaft, um die machtpolitische Ausbreitung der VRC einzudämmen.
Schließlich und letztendlich zählt Washington im Rahmen seiner Pazifikstrategie aber auch auf Europa – nicht nur als Vorbild für regionale Institutionen und Zusammenarbeit, sondern als engagierter Partner. »Während wir unsere pazifischen Bündnisse bekräftigen und stärken, intensivieren wir auch unsere atlantischen Bündnisse, derweil Europa sein Engagement in Asien ausweitet«, erklärte Hillary Clinton am 10. November. »Wir begrüßen diese Entwicklung. Amerikanische und europäische Diplomaten haben regelmäßige Konsultationen eingeleitet, um unsere Bewertungen und unsere Vorgehensweisen [in Asien] abzustimmen. Eine wirksame Partnerschaft mit Europa wird unerlässlich sein, um viele Herausforderungen, mit denen sich Asien konfrontiert sieht, zu bewältigen. Mehr Kooperation zwischen dem pazifischen und dem atlantischen Raum könnte uns allen dabei helfen, unsere globalen Probleme zu lösen.«