®evolutionäre Einsatzdoktrin
Hand-in-Hand mit der Entwicklung des Flugzeugträgers ging die Einführung der Sturzkampftechnik. Vor der Entwicklung von radar- oder lasergesteuerter Präzisionsmunition stellte sie die einzige zuverlässige Methode zur Bekämpfung von Schiffen aus der Luft dar; auch zur Bekämpfung von Punktzielen an Land durch Jagdbomber war sie optimal. In Erkenntnis dieser Tatsache verfolgte die Navy Mitte der 1920er Jahre systematisch die Fortentwicklung der Sturzkampftechnik, die auf ad hoc Basis bereits durch britische Jagdflieger im Ersten Weltkrieg verwendet worden war. Die Taktik wurde 1927 durch Piloten des US-Marine Corps während der amerikanischen Intervention in Nicaragua erfolgreich einsatzerprobt. Diese Methode sollte im Zweiten Weltkrieg ausschlaggebend für den Erfolg der US-Navy im Pazifik sein, wo rund zwei-Drittel aller zerstörten japanischen Schiffe, einschließlich sechs Flugzeugträger, durch trägergestützte Flugzeuge versenkt wurden.
Zuvor mussten allerdings noch überholte Einsatzkonzepte abgelöst werden. Während der 1920er Jahre sah die Einsatzdoktrin noch vor, dass Träger (die aufgrund der fehlenden Geschützbewaffnung als besonders gefährdet galten) nur im Verband mit schweren Kriegsschiffen fahren sollten. Einige visionäre Admiräle wie William Moffett und Joseph Reeves gelten als Taufpaten einer Einsatzdoktrin, die Flugzeugträger von den Fesseln der schweren Verbandsformationen befreite und so erst die volle Offensivfähigkeit trägergestützter Fluggeschwader zur Geltung kommen ließ. »Die Navy bildet unsere erste Offensivlinie und die Marinefliegerei muss als Vorhut dieser Linie den Hauptschlag liefern«, schrieb Moffett, der 1921 bis 1933 als Leiter der Luftfahrtabteilung der Navy diente. »Die Marinefliegerei kann die Offensive nicht von Land her einleiten; sie muss auf dem Rücken der Flotte in See stechen … die Flotte und die Marinefliegerei sind eins und untrennbar.«
Aufklärer über der SARATOGA Foto: US Navy |
Der spätere Vice Admiral Reeves befehligte 1925 bis 1929 als Commodore und Rear Admiral die Luftstreitkräfte der im Pazifik stationierten amerikanischen Kampfflotte. Reeves trieb seine Offiziere hart an, Wege zu finden, um die Leistung der Luftflotte zu steigern. Durch ständige Flug- und Landeübungen, durch organisatorische Verbesserungen und strukturelle Umbauten auf den Schiffen wurden Flug- und Landebetrieb beschleunigt und die Anzahl der auf Trägern mitgeführten Flugzeuge erhöht. Ihm war jedoch klar, dass der wahre Schlüssel zum Erfolg in der Einsatzdoktrin lag.
Obwohl die Erarbeitung neuer Konzepte über Jahre hinweg erfolgte, gibt es auch hier eine symbolische Sternstunde. Im Januar 1929 setzte sich der Flugzeugträger USS Saratoga im Verlauf der jährlichen Flottenübung von der Hauptflottille ab. Unter Reeves persönlicher Führung näherte sich die SARATOGA – in Begleitung eines einzelnen leichten Kreuzers – unbemerkt bis auf 140 sm der Küste Panamas. In drei Angriffswellen starteten 88 Jagdflugzeuge und leichte Bomber und »zerstörten« im Morgengrauen die westlichen Schleusen des Panamakanals sowie mehrere militärische Flugfelder der US-Army in der Kanalzone.
Reeves hatte mit einem Schlag bewiesen, dass ein mit schnellen Begleitschiffen fahrender Flugzeugträger Überraschungsangriffe durchführen könnte und dabei wesentlich mehr Zerstörungskraft über viel höhere Entfernungen anbringen könnte, als traditionelle, um Schlachtschiffe aufgebaute Verbände. Reeves Vorgesetzter, Vice Admiral William Pratt, erkannte das demonstrierte taktische Potenzial. »Ich glaube, dass [die Navy] Admiral Reeves Plan für einen sehr schlagkräftigen und mobilen Verband, in dessen Mittelpunkt ein Flugzeugträger steht, aufgreifen wird«, erklärte er nach Auswertung der Übung. Tatsächlich ordnete Pratt nach seiner Beförderung zum Chief of Naval Operations selbst an, dass offensive Trägereinsätze einen prominenten Stellenwert bei Kriegsspielen und Übungen einnehmen sollten. Die so erlernte Taktik bildete die Basis für die mobile trägerzentrische Strategie, die den USA zum Sieg über Japan verhalf.
Vom Doppeldecker zum unbemannten Kampfflugzeug
Seit Kriegsende steht die Marinefliegerei im Mittelpunkt der US-Flottenstruktur. Trägergestützte Flugzeuge nahmen an fast jedem Militäreinsatz der USA nach 1945 teil, ob in Ostasien oder im Mittleren Osten, ob im tatsächlichen Einsatz über dem Balkan oder in den Planspielen für den Dritten Weltkrieg. Ein wesentlicher Teil der US-Flottenstruktur wurde als Trabantenstab für Flugzeugträger ausgerichtet. Trägergruppen fungieren als primäre Machtprojektionsmittel der Vereinigten Staaten, weil sie häufig die einzigen taktischen Luftkräfte sind, die ohne extrem lange Anflugsstrecken zum Einsatz kommen können. Zudem konnten sie vor der erweiterten Verbreitung der Satellitentechnologie von vielen potenziellen Gegnern nicht geortet werden, bargen also ein hohes Überraschungspotenzial.
Im Verlauf der vergangenen 90 Jahre hat die US-Navy – ohne Berücksichtigung der Konvoibegleitträger des Zweiten Weltkrieges oder der amphibischen Trägerschiffe – insgesamt 69 Flugzeugträger betrieben. USS ENTERPRISE (CVN 65) wurde 1961 als erster atomgetriebener Träger der USA in Dienst gestellt. Doch nicht nur die Schiffe tragen große Namen. Flugzeugtypen wie A‑4 Skyhawk, F‑14 Tomcat oder F/A‑18 Super Hornet gelten bereits als legendär. Heute verfügt die US-Navy über 3.700 Flugzeuge und 42 Flugzeugtypen sowie über elf aktive Flugzeugträger – so viele wie alle anderen Seestreitkräfte der Welt zusammen. Unbemannte Aufklärungsflugzeuge sind bereits seit Jahren Bestandteil der Flotte und sollen in wenigen Jahren durch unbemannte Jagdbomber ergänzt werden.
Eugene Ely konnte nicht mehr mit erleben, was seine bahnbrechenden Flüge ins Rollen brachten. Der zivile Pionier der Marinefliegerei kam im Oktober 1911, nur zehn Monate nach seiner Landung auf der USS PENNSYLVANIA, bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. Ihm wurde 1932 posthum der Fliegerorden Distinguished Flying Cross verliehen.
MQ-4C Braod Area Maritime Surveillance UAV Foto: US Navy |
Zum Autor
Sidney E. Dean, Herausgeber des Hampton Roads International Security Quarterly (USA), berichtet im MarineForum regelmäßig zu Ereignissen und Entwicklungen bei der US Navy