Dieser Artikel wird mit freundlicher Genehmigung der “MarineForum — Zeitschrift für maritime Fragen” veröffentlicht.
Freie und sichere Seewege sind die Lebensadern der Weltwirtschaft. Umso sorgenvoller blicken wir zum Horn von Afrika. Denn auf einer der global bedeutsamsten Wasserstraßen greift die Seepiraterie immer weiter um sich. Den Leserinnen und Lesern des MarineForum ist dieses maritime Sicherheitsproblem fraglos bekannt. Doch in der breiten Öffentlichkeit gelten Seeräuber nach wie vor als eine Gefahr vergangener Jahrhunderte. Oder sie werden allenfalls als regionale Kleinkriminelle wahrgenommen. Dieser Eindruck täuscht!
Uwe Schünemann |
Die Piraten richten immer größere Schäden an. Deutschland ist dabei in besonderem Maße betroffen, denn deutsche Reeder betreiben die drittgrößte Handelsflotte der Welt. Allein in Niedersachsen sind 160 Reedereien ansässig, die über 1.250 Handelschiffe verfügen. Erst im April 2011, also vor wenigen Wochen, wurde mit der Susan K wieder ein Schiff eines niedersächsischen Reeders von somalischen Piraten entführt. Die Beheimatung der Reedereien in den norddeutschen Küstenländern begründet nicht zuletzt landespolizeiliche Zuständigkeiten, sodass mir als niedersächsischem Innenminister die wirksame Bekämpfung der Seepiraterie ein besonderes Anliegen ist.
Die Seeräuberei am Horn von Afrika ist eine besonders aggressive Form organisierter Kriminalität. Zu beklagen sind mittlerweile nicht nur wirtschaftliche Schäden in Milliardenhöhe, sondern auch immer größere Gefahren für Leib und Leben. Bei mehreren Überfällen wurden bereits Seeleute durch Piraten getötet. Immer wieder kommt es nach Kaperungen zu Folterungen und Scheinhinrichtungen. Die Piraten sind bestens organisiert und verfügen mit Maschinengewehren, Raketenwerfern und Panzerfäusten über schwere Bewaffnung. Sie nutzen zudem modernstes technisches Know-how wie GPS-Systeme und Hochgeschwindigkeitsboote, deren Reichweite sie durch sog. Mutterschiffe vergrößern. Mittlerweile greifen ihre Aktivitäten immer weiter in den Indischen Ozean aus. Dank immer höherer Lösegeldsummen können die Seeräuber ihre Ausrüstung und operativen Fähigkeiten stetig verbessern. Am Horn von Afrika entsteht eine Eskalationsspirale. In den ersten drei Monaten des Jahres 2011 haben wir eine Welle neuer Überfälle erlebt, die von hoher krimineller Energie und wachsender Gewaltbereitschaft zeugen.
Langfristig bekommen wir das Piraterieproblem nur in den Griff, wenn Somalia selbst stabilisiert wird. Der Staatszerfall geht mit wachsender Kriminalität, extremistischen Gefahren und einer Massenverarmung einher. Eine erfolgreiche Schiffsentführung bringt für den einzelnen Piraten je nach Hierarchie etwa 5.000 bis 15.000 US-Dollar. Das macht den Einstieg in die Berufspiraterie äußerst lukrativ. Allerdings wäre selbst eine Teilstabilisierung Somalias nur durch umfassende entwicklungspolitische Anstrengungen und flankierende militärische Sicherungsmaßnahmen zu erreichen. Ein solches Engagement der internationalen Staatengemeinschaft ist derzeit nicht abzusehen.
Zur kurz- und mittelfristigen Sicherung der Seewege am Horn von Afrika sind deshalb militärische Schutzmaßnahmen unabdingbar. Das Völkerrecht sieht die Bekämpfung der Seepiraterie seit jeher als primäre Aufgabe der Seestreitkräfte an. Angesichts der von den Piraten eingesetzten Waffen (Panzerfäuste, Granatwerfer) und der erforderlichen Transportmittel der Sicherheitskräfte (Fregatten, Bordhubschrauber) kommt polizeilicher Schutz tatsächlich allenfalls ergänzend in Betracht.
Die Deutsche Marine beteiligt sich seit Ende 2008 aus guten Gründen an der EU-Operation Atalanta. Deren Kernaufgabe ist der Schutz humanitärer Hilfslieferungen nach Somalia durch Schiffe des Welternährungsprogramms. Darüber hinaus sollen Piraten aktiv bekämpft und abgeschreckt werden. Auch das Bundestagsmandat, das dem Einsatz deutscher Streitkräfte am Horn von Afrika zugrunde liegt, ermöglicht eine umfassende Bekämpfung der Piraterie. So hat die Bundeswehr nicht nur den Auftrag, Schiffe des Welternährungsprogramms zu beschützen, sondern ihr obliegt darüber hinaus auch der Schutz von zivilen Schiffen im Einsatzgebiet.
Durch ihre Präsenz hat die Deutsche Marine bereits zahlreiche Piratenangriffe vereitelt. Doch die Gefahren am Horn von Afrika nehmen weiter zu. Erforderlich ist deshalb ein stärkeres Engagement auch Deutschlands gegen die Piratenplage. Ein Beispiel: Als besonders effektiv hat sich der Schutz bedrohter Schiffe durch bewaffnete Sicherungsteams (»Vessel Protection Detachments«) erwiesen. Auch die Deutsche Marine führt derartige Schutzmaßnahmen durch – bisher allerdings nur auf Schiffen des Welternährungsprogramms und nicht auf deutschen Handelsschiffen.
Keine Frage – die Kapazitäten der Deutschen Marine sind begrenzt. Diese Erkenntnis darf die Bundeswehr allerdings nicht davon abhalten, ihre operativen Möglichkeiten und Fähigkeiten voll auszuschöpfen. Wir müssen den Teufelskreis von immer höheren Lösegeldsummen und einem immer aggressiveren Vorgehen der Piraten am Horn von Afrika stoppen und dem Völkerrecht Geltung verschaffen. Ein klares sicherheitspolitisches Signal ist überfällig.
Zum Autor
Uwe Schünemann ist Innenminister des Landes Niedersachsen