Dieser Artikel wird mit freundlicher Genehmigung der “MarineForum — Zeitschrift für maritime Fragen” veröffentlicht.
Die Marine steht angesichts sinkender Bewerberzahlen in steigender Konkurrenz zu anderen Arbeitgebern, und mehr denn je wird jeder, der eingestellt wird, auch für einen Dienstposten zwingend benötigt.
Die Ausbildung ist ein wichtiger Faktor für die Zukunftsfähigkeit und die Attraktivität der Marine. Dabei ist der Inhalt durch die Forderung des heutigen und zukünftigen maritimen Einsatzes mit immer komplexeren Waffensystemen und neuen und asymmetrischen Herausforderungen vorgegeben. Im Fokus dieses Beitrags steht hier die Frage: Wie kann heute das notwendige Können ausgebildet werden?
Um den Umfang der Ausbildung in der Marine quantitativ grob zu umreißen, dienen folgende exemplarische Zahlen: Für den Dienst an derzeit 20 verschiedenen Waffensystemen wird Personal in insgesamt 26 Verwendungsreihen ausgebildet. Im vergangen Jahr wurden in der lehrgangsgebundenen Ausbildung 1.143 Lehrgangsdurchführungen angeboten, an denen 17.388 von möglichen 21.000 Lehrgangsplätzen in Anspruch genommen wurden. Ein weiterer großer Teil der Ausbildung findet an Bord, in den Geschwadern und den Stützpunkten statt. In Zukunft werden wegen höherer Einsatzbindung weniger Einheiten zur Verfügung stehen. Die Notwendigkeit, Einsatzerfahrungen möglichst schnell in die Ausbildung einfließen zu lassen, wird immer zwingender und das Training der Besatzungen – auch ohne Einheit – eine wachsende Herausforderung. Angesichts dieser Sachstände ist es notwendig, die Mittel der Zeit zu nutzen.
Zunächst ist der Mensch, der zum Können befähigt werden soll, näher zu betrachten. Seit Jahrtausenden wird der kontinuierliche Verfall der jeweiligen Nachfolgegeneration auf geistigem und manierlichem Gebiet beschrieben. Dennoch kommt die Marine nicht umhin, einen der heutigen Teenager auszuwählen und zum Kommandanten einer Fregatte F125 im Einsatz zu machen. Er kommt aus einem der 98 Prozent der Haushalte, die Zugang zum Internet haben. In seinem Altersband haben etwa 28 Prozent einen Migrationshintergrund. Er ist derzeit durchschnittlich mit 75 Netzwerkfreunden in der ganzen Welt verbunden – die meisten hat er noch nie gesehen – und ist Mitglied in verschiedenen Gruppen und sozialen Netzen, in denen er twittert, bloggt und postet.
Dies hat auch Auswirkungen auf sein Lernverhalten. So ist er es zunehmend gewohnt, sich selbst »schlau« zu machen und – zum Nutzen und Leidwesen mancher – sich weltweit mitzuteilen. Es wird deutlich, dass sich sowohl kulturelle und soziale Prägung sowie das Kommunikationsverhalten zunehmend heterogen entwickeln. Es gilt, das Potenzial der jungen Generation in der Ausbildung zu nutzen und trotzdem auch den Ansprüchen einer insgesamt älter werdenden Marine gerecht zu bleiben.
Eigenverantwortliches Handeln
Wie gelingt es, das Können – also Handlungskompetenz – zu vermitteln? In der Marine kommt dem praktischen Dienst ohnehin eine besonders gewichtige Stellung zu. Das allein führt aber nicht zwangsläufig zur Handlungsorientierung. Notwendig ist hierfür ein didaktisches Konzept, das gezielt auf eigenverantwortliches Handeln ausgerichtet ist. Wird eine zukünftige reale Herausforderung projiziert, mit der sich der Soldat identifiziert, hat er von sich aus eher die Bereitschaft, auch zu lernen. Verstärkt wird dies, wenn der Lernfortschritt in fächerübergreifenden Handlungssimulationen nachgewiesen wird. Diese müssen die Zielgruppe richtig (be-)treffen. Die oft gestellte Frage: »Wofür lerne ich das überhaupt?« wird so beantwortet. Dies ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass handlungsorientiertes Lernen in Eigenverantwortung funktioniert.
Oberfläche eines Lernmanagementsystems |
Um Soldaten selbst lernen zu lassen, muss Ausbildung so gestaltet sein, dass deren Selbstlernmechanismen und ihre Medienkompetenz angesprochen werden: »Der Wurm muss dem Fisch schmecken – nicht dem Angler!« Der damit verbundene Anspruch richtet sich zunächst an das dienstliche Angebot im Intranet und Internet z.B. mit Lernmanagementsystemen und Kommunikationsplattformen. Vorteile bieten sich dabei nicht nur durch die bessere Nutzbarkeit für den Lernenden, sondern mit der Flexibilität für die Ausbildung insgesamt. Eine Vernetzung über die Ausbildungsstätten hinaus schafft die Möglichkeit, vielfältige Ausbildungsangebote über die Marine hinaus zu nutzen und zeigt mit der Reichweite bis in den Einsatz hinein deutliche Potenziale für die Aktualität und die Authentizität der Ausbildung. Einsatzerfahrungen können direkt und multimedial zur Verfügung gestellt werden: das Video eines Piratenbootes genauso wie das Foto eines versteckten Kampfmittels. Gleichzeitig kann Ausbildung zur Einheit gebracht werden. Ebenso wird durch eine Vernetzung die Möglichkeit zum weltweit verteilten, aber dennoch gemeinsamen Üben gegeben. So werden schon heute vernetzte Übungen mit realen und virtuellen Einheiten national und international im virtuellen Umfeld durchgeführt.
Wechselwirkung zwischen virtueller Welt und Realität
Der Nutzwert praktischer Ausbildungsmittel ist unbestritten und ihr Einsatz unverzichtbar. Problematisch wird es dann, wenn hohe Stückpreise und Anpassungsbedarf diese Mittel verteuern. Diese realen Geräte haben auch den Nachteil, dass sie nur an einem Ort zur Verfügung stehen und in der Regel auch nur für einen Ausbildungszweck beschafft wurden. Eine Alternative bieten virtuelle Möglichkeiten, die an zwei Beispielen erläutert werden sollen: Für die Minentaucherausbildung wurden Lernprogramme erstellt, die Unterwasserkampfmittel und deren Aufbau erläutern. Dabei lassen sie sich virtuell in ihre Bestandteile auflösen, mit Bewuchs versehen und dreidimensional bis ins Kleinste betrachten. Die Kampfmittel werden dann in einer 3D-Unterwasserwelt mit unendlich vielen Leben erschwommen. Der Schwierigkeitsgrad lässt sich steigern, indem z.B. die Versandung und die Sichtbarkeit im Wasser verändert werden.
Simulations-basiertes Lernprogramm Brandabwehr |
Ein weiteres Beispiel, an dem die Wechselwirkung zwischen virtueller Welt und Realität verdeutlicht wird, ist die Schiffsicherungsausbildung. Es ist klar, dass wesentliche Elemente wie die Last der Ausrüstung, die Enge des Raumes und das Atmen mit Atemschutzgerät nicht virtualisiert werden können und sollen. Aber es ergibt Sinn, wenn bestimmte Inhalte vor Live-Übungen im Trainer bereits geübt werden. Dazu zählen die Ortskenntnis über die Einheiten, die Abläufe beim Durchsuchen der Räume sowie die Vermittlung von Grundlagen der Brandbekämpfung. Für dieses Beispiel existiert ein simulationsbasiertes Lernprogramm, das sich wie ein Spiel »anfühlt«.
Spielmechanismen können gezielt für das Lernen genutzt werden. Dabei können auch Lernerfolge sowohl offensichtlich, als auch im Unterbewussten z.B. im Kommunikationsverhalten und im Sprachgefühl erreicht werden. Entscheidend ist, dass das Richtige gelernt wird, also die Anreize im Spiel dem Ausbildungszweck dienen.
Das Funktionsprinzip lässt sich kurz beschreiben: Der Lernende betritt als virtuelle Persönlichkeit eine geschützte Umgebung, in welcher die Auswirkungen seines Handelns begrenzt sind. Fehler führen hier nur zum spielerischen Scheitern. Er findet sich in einem Belohnungs- und Konsequenzsystem wieder, unterwirft sich bereitwillig einer Leistungsmessung und teilt gemeinschaftliche Erlebnisse. Er lernt nebenbei – beim Spielen – und prahlt abends mit seinem Highscore. Wie übertragbar das erworbene Wissen in die Realität ist, hängt von verschiedenen Faktoren ab, z.B. von der Relevanz des erworbenen Wissens für das Handeln im Spiel: »Was muss ich können, damit ich gewinne?« Es geht darum, sich dieser Anreize für die Ausbildung zu bedienen. Obwohl die Vorteile auf der Hand liegen, wird dieser ernste Nutzen des Spielens oft unterschätzt.
Filme bedienen sich mehrerer Effekte
Es gibt aber weitere Wege, Ressourcen schonend und handlungsorientiert Ausbildung zu bereichern: Eine Vielzahl von Dokumentationen und Gebrauchshinweisen ist im Internet in Form von Videos und Clips verfügbar. Das Spektrum umspannt das Wechseln von Tonerkartuschen über den Gebrauch von Werkzeug bis hin zu EDV-Kursen.
Videosequenzen dieser Art lassen sich didaktisch aufbereitet auch in der Ausbildung der Marine einsetzen. Dabei ist der Bezug zum Handeln herzustellen: »Hätte ich so auch agiert?« Dies setzt voraus, dass der Lernende in einer vergleichbaren Situation war oder demnächst damit konfrontiert wird. Hier lässt sich zur Verdeutlichung ein Beispiel anführen: Bei der Arbeit an Luftfahrzeugen ist besondere Vorsicht mit dem Material geboten. Bei jüngeren Soldaten führt das zu Handlungsunsicherheiten: »Ich muss gerade mit beiden Händen anpacken, aber wo soll ich den ausgewechselten O‑Ring hinlegen?« Der Lernende, der diese Situation kennt, wird an dieser Stelle im Film genau darauf achten, was gezeigt wird. Er setzt dies in Bezug zu seinem Handeln. Hier wird deutlich, wie präzise das gezeigte Handeln sein muss und wie spezifisch dieses Mittel einzusetzen ist.
Eine andere Möglichkeit bieten die komplexeren Videoausbildungsfilme. Auch hier ist der didaktische Ansatz entscheidend. Im Gegensatz zu Dokumentationsfilmen im Fernsehen steht ein Videoausbildungsfilm niemals allein. Diese Filme bedienen sich mehrerer Effekte. Einerseits kann ein guter Medienmix ein Thema abwechslungsreich behandeln und die Grenzen des eigentlich Sichtbaren durch Animationen überschreiten. Weiterhin gelingt es, den Betrachter in das Geschehen hineinzuziehen, sodass auch hier ein Bezug zur eigenen Handlung entsteht. Es werden nicht nur Dinge gezeigt, sondern der Zuschauer wird bei seinen Sinnen gepackt. Er identifiziert sich mit den Charakteren, sozialisiert sich mit den agierenden Gruppen oder seine Sensoren reagieren ohne sein Zutun auf bestimmte Reize und Bilder.
Wie im Kino werden z.B. durch Perspektivenwechsel Spannungen erzeugt, die man am eigenen Pulsschlag spüren kann. Ob bewusst oder unbewusst, bei einem guten Videoausbildungsfilm wird der Lernende mit Situationen (vor-)konfrontiert und sein Nervenkostüm für den Ernstfall vorbereitet.
Ausbilder und Ausbildungseinrichtungen werden weiterhin gebraucht
Die beschriebenen Mittel können dazu beitragen, einen Teil der Ausbildung auf den Lernenden zu übertragen und ihn selbst lernen zu lassen. Es ist aber unverzichtbar, dies zu begleiten und zu steuern. Somit wird es bei aller Virtualität und Eigenverantwortung auch absehbar ein Prozess bleiben, der Ausbilder und Ausbildungseinrichtungen braucht.
Dies bedeutet aber auch, dass sich die Ausbildungslandschaft, welche die gegenseitige Ergänzung von Ausbildung und Einsatz leisten will, sich über die Schulen hinaus bis zu den Stützpunkten und bis an Bord erstrecken muss. Dazu werden technische Mittel eingesetzt, die die Fähigkeiten der Ausbildungseinrichtungen beim Bedarfsträger nutzbar machen, also z.B. den Zugriff auf Lerninhalte auch von Bord gewährleisten und es umgekehrt erlauben, Erfahrungen von Bord direkt in die Ausbildung einzubringen. Schiffe entwickeln eine Rolle als Ausbildungseinrichtung. Die technischen Möglichkeiten sind zum Teil schon vorhanden. Hinzu kommen Verknüpfungen von bislang eigenständigen Anlagen, Simulatoren und realen Waffensystemen, die kombiniert erweiterte Trainingsmöglichkeiten bieten.
Es stellt sich die Frage, welche Rolle der Ausbilder in dieser Welt hat. Seine Aufgabe ist es nach wie vor, aus Wissen Lerninhalte zu erzeugen und die richtigen Methoden aus dem nun vielfältigeren Angebot zu finden und zielgerichtet einzusetzen. Er stellt die Beziehung zwischen Ausbildung und zukünftiger Aufgabe über die Handlungssimulationen her und bindet Erfahrungsträger ein. Dies setzt stärkere Medienkompetenz und eine soziale Vernetzung voraus. Er muss wissen, welche Möglichkeiten für die Vermittlung seiner Inhalte sich ihm innerhalb der technischen Rahmenbedingungen bieten. Um sicherzustellen, dass nach Möglichkeit eben jeder die Ausbildungsziele erreicht und in der Begleitung eines eigenverantwortlicheren Lernens, kommt die helfende und motivierende Rolle als Tutor hinzu. Es wird deutlich, dass er trotz der erhöhten Eigenverantwortlichkeit zwar von seiner Frontalunterrichtung entlastet wird, er aber trotzdem nicht weniger zu tun haben wird.
Fazit
Die Marine ist »Lernende Organisation« im Einsatz. Ausbildung und Einsatz können sich durch das kontinuierliche Einbringen von Erfahrung in die Ausbildung und durch Ausbildung für den Einsatz gegenseitig bereichern. Die Voraussetzungen dafür sind eine am Lernenden ausgerichtete Didaktik und Methodik und technologische Mittel. Ständig ändert sich das »Was« der Ausbildung. Es darf aber den Blick auf das »Wie« nicht ablenken. Man kann die Ausbildung nicht erst dann modern gestalten, wenn »Ruhe eingekehrt ist«. Dies ist kein Arbeitspaket oder ein Vorhaben zur Ausstattung mit IT, sondern ständiger Anspruch. Wer dies einsieht und sich aufgeschlossen kritisch den modernen Mitteln öffnet, ist der unerlässlichen Attraktivität und somit der Zukunftsfähigkeit der Marine näher gekommen.
Zum Autor
KKpt Christian Husung ist im Marineamt in der Abteilung Weiterentwicklung und Ausbildung, Gruppe Ausbildung im Dezernat Moderne Ausbildungstechnologie als Dezernent für Fernausbildung tätig. Der Schwerpunkt seiner Tätigkeit liegt in der konzeptionellen Entwicklung und Durchsetzung dieser Ausbildungsform in der Marine