Dieser Artikel wird mit freundlicher Genehmigung der “MarineForum — Zeitschrift für maritime Fragen” veröffentlicht.
von Gottfried Hoch
(Gottfried Hoch ist Konteradmiral a.D. und war in seiner letzte aktiven Dienststellung Stellvertreter Befehlshaber Flotte)
In einer hervorragenden Zusammenfassung unter dem Titel »Schiffsentführungen sind vermeidbar!« beschreibt Fregattenkapitän Andreas Uhl (MF 10/2009 S. 18–20) das gesamte Dilemma der bedrohten Handelsschifffahrt auf den Routen im Indischen Ozean, das Ergebnis der bisher getroffenen Maßnahmen (Operation Atalanta) und die noch ungeklärten Fragen. Die Lage der Piraterie vor der ostafrikanischen Küste hat sich mit dem Ende des Monsuns seit der Abfassung des Artikels von Uhl weiter verschärft, wie die tägliche Presseauswertung einem eindeutig vor Augen führt. Andreas Uhl hat jedoch – in der verständlichen Zurückhaltung, die einem aktiven Soldaten geboten erscheint – etwas zu früh mit seiner Beschreibung zur Lösung der Probleme geendet.
Ich mache dies an zwei Kernsätzen aus seinem Artikel fest (Zitat Uhl): »… es erscheint offensichtlich, wie die Entführungen bereits in der Planungsphase hätten verhindert werden können … und trotzdem gibt es in Deutschland keine zentrale Ansprechstelle für die Sicherheit der Handelsschifffahrt.… Ein Deutscher Reeder, der sein Schiff in einen begleiteten Group Transit eingliedern will, muss 5 verschiedene internationale Organisationen abfragen!«
Hier setzt nun mein weiterführender Vorschlag an: Im Flottenkommando haben wir uns im Bereich der Marineschifffahrtsleitung nicht nur Dienstposten (Aktive u. Reservisten) sondern sogar noch abgesetzte Dienststellen in den für die Handelsschifffahrt wichtigen Plätzen Hamburg und Bremen/ Bremerhaven erhalten, die sich explizit zu Zeiten des Kalten Krieges um die Zusammenarbeit mit der Handelsschifffahrt und das Aufstellen des Konvoi Systems zu kümmern hatten. In einer gewaltigen »Transformations«-Leistung ist es gelungen, dieses System unter dem Begriff »NCAGS (Naval Control and Guidance of Shipping)« an die Realitäten der neuen Bedrohungen und Herausforderung anzupassen. Die Deutsche Marine ist mit dieser Fachkompetenz in der NATO führend. Deutsche Marineoffiziere wurden bereits zur Ausbildung der US-Navy und US Coast Guard in den USA eingesetzt bzw. deren Angehörige nehmen an unseren Lehrgängen teil. Zu einem ersten »echten« Einsatz ist es bisher nur in der Unterstützung des NATO HQ Neapel im Rahmen der Operation Active Endeavour gekommen.
Man sollte sich die an dieser Stelle verfügbare Kompetenz der Flotte zunutze machen, und als »Serviceangebot der Marine« für die Deutschen Reeder ein zentrales Beratungsbüro und Ansprechstelle (oder mehrere?) einrichten, in denen die Reeder bei der Lösung von genau den Fragen, die Uhl so treffend dargestellt hat, unterstützt werden. Aus einer längeren Mitfahrt auf einem Handelsschiff und persönlichen Gesprächen mit einem Sicherheits-Inspektor einer großen Deutschen Reederei weiß ich, wie dringend auf der Arbeitsebene hier eine kompetente Ansprechstelle der Marine gesucht wird.
Dies würde die Marine auch aus der kontroversen und immer wieder vorwurfsvollen Frage, »… was tut eigentlich die Deutsche Marine für uns?« der Deutschen Reeder herausbringen, die gelegentlich bis zu der Unterstellung »die Flagge schützt den Handel nicht!« reicht. An diesem Punkt meines Vorschlages muss nun der Aufschrei aller »Bedenkenträger und anderer Sachkundiger« kommen, der sich in etwa auf folgende Stichworte konzentrieren wird:
Wo ist der Auftrag? Beratung deutscher Reeder im Inland in Fragen zur internationalen Sicherheit fällt nicht in die Zuständigkeit der Marine, schon gar nicht der Flotte!
Wer übernimmt die Verantwortung bis hin zur Haftung, wenn trotz Beratung etwas schief geht?
Die Reeder wollen das gar nicht – es würde ihre Handlungs- und Entscheidungsfreiheit einschränken!
In der gebotenen Kürze möchte ich hier nur feststellen und hoffen, dass sich diese Fragen im Zeitalter der immer wieder zitierten Transformation lösen lassen oder es zu mindest einmal ein Versuch wert sein sollte, bevor uns der Druck der Lageverschärfung oder der veröffentlichten Meinung weiter in die Defensive treibt.
Als ich im Jahre 2002 als erster deutscher CTF 150 vorgeschlagen habe, gegen die gerade beginnende Piraterie im Golf von Aden der internationalen Schifffahrt ein Angebot für ein freiwilliges »Konvoy-System« auf der Basis unserer NCAGS-Erfahrung zu machen, wurde dies mit der ähnlichen Argumentation als »undurchführbar« bewertet! Kaum sind sechs Jahre vergangen, wurde unter dem Druck der Ereignisse im Jahre 2008 der von Uhl beschrieben »Escorted Group Transit« eingeführt! Unter diesem Zeitmaßstab ist zu erwarten, dass im Jahre 2015 das »Marine-Informationsbüro für die Deutsche Handelsschifffahrt« eröffnet wird. Es bleibt zu hoffen, dass uns die weitere Entwicklung der Lage diese Zeit lässt!
Nachsatz 1:
Im Jahre 2001 hat der Inspekteur der Marine mit dem Vorsitzenden des Verband Deutscher Reeder (VDR) beim Deutschen Seeschifffahrtstag in Elsfleth feierlich und öffentlichkeitswirksam einen Vertrag zur Einrichtung eines »Maritimen Management Board« unterschrieben. Auch eine solche Plattform könnte durch eine Veränderung ihrer »Terms of Referenz« eine dringend notwendige Wiederbelebung erfahren.
Nachsatz 2:
Mit dem nachlassenden Interesse der deutschen Sicherheitspolitik an der Handelsschifffahrt nach Ende des Kalten Krieges wurden die in diesen Bereich fallenden Aufgaben (als Friedensdividende?) aus einem eigenständigen Referat im FüM III in ein Dezernat des Flottenkommandos »abgeschichtet «. Sollte in einer Zeit, in der nun der Unterstützungsbedarf der Handelsschifffahrt durch die Marine und das veröffentlichte Interesse daran wieder wächst, hier ggf. einmal ein Umdenken einsetzen?