Dieser Artikel wird mit freundlicher Genehmigung der “MarineForum — Zeitschrift für maritime Fragen” veröffentlicht.
SCHIFFSENTFÜHRUNGEN SIND VERMEIDBAR!
von Andreas Uhl
Aktuell operieren ca. 30 Kriegsschiffe am Horn von Afrika, die dort die Sicherheit der Seeschifffahrt vor Übergriffen durch Piraten gewährleisten sollen. Neben den knapp einem Dutzend Einheiten der EU NAVFOR Atalanta stellen die NATO mit der Standing Naval Maritime Group (SNMG)-2 (5 Schiffe) und USNAVCENT Bahrain mit der TF 151 »Counter Piracy« (5 Schiffe) dort die stärksten Kräfte. Indien, Russland, Japan, China, Malaysia, Indonesien, der Iran und andere Nationen haben Kriegsschiffe unter nationaler Führung in die Region entsandt. Alle haben das gemeinsame Ziel, die dortigen Seewege zu sichern und Schiffsentführungen durch Piraten zu verhindern. Das Ausbleiben weiterer spektakulärer Schlagzeilen zu Überfällen am Horn von Afrika von Juni bis August ist in erster Linie dem in diesen Monaten vorherrschenden Monsun mit seinen starken Winden und hohen Seegängen geschuldet. Nach Ende des Monsuns ist für den Herbst wieder mit einer neuen Jagdsaison der Piraten zu rechnen.
Ein Piratenboot wird aufgebracht Bildquelle:US Navy |
Warum aber werden angesichts der oben dargestellten Flottenaufmärsche noch immer Schiffe am Horn von Afrika entführt? Brauchen die Kriegsschiffe mehr Befugnisse? Brauchen sie andere Waffen? Sollen mehr Kriegsschiffe entsandt werden? Müssen Handelsschiffe bewaffnet werden? Muss entschiedener gegen die Piraten vorgegangen werden? Sollten Piraten an Land bekämpft werden?
Die Antwort ist ganz simpel und gibt, wie auch der vorliegende Beitrag die persönliche Meinung des Autors wieder: Nein! Die Internationale Gemeinschaft könnte die doppelte Anzahl Kriegsschiffe ins Seegebiet entsenden, sie besser bewaffnen und jedem Schiff die umfangreichsten Befugnisse mit in den Einsatz geben. Im Golf von Aden und dem Somali Bassin, einem Gebiet von der 15-fachen Fläche Deutschlands, könnte auch der größte Marineverband gelegentliche Schiffsentführungen nicht verhindern. Da helfen auch mehr Kanonen nicht. Die Kunst bestünde darin, überall zugleich zu sein. Das erscheint auch mit 100 Kriegsschiffen am Horn von Afrika nicht möglich. Zugegeben, die Koordination all der gegenwärtig operierenden Kräfte lief in der Vergangenheit nicht optimal, nationale Vorbehalte und Anspruchsdenken Einzelner standen und stehen teilweise noch immer einer zentralen Koordination der vorhandenen Ressourcen entgegen. Seit 1. August haben sich »die großen Drei«,EU,NATO und USNAVCENT über eine rotierende Koordination der Operationen am »Internationally Recommended Transit Corridor« (IRTC) im Golf von Aden geeinigt. Noch fehlt es aber an einer solchen Kooperation auch mit den Japanern, Russen, Chinesen und Indern sowie all den anderen nationalen Kräften am IRTC.
Sollte man die Piraten mehr abschrecken? Aber was würde mehr abschrecken, als acht Jahre in einem kenianischen Gefängnis? Todesgefahr? In Todesgefahr begeben sich die Piraten ohnehin, auch ohne »Schießbefehl« der internationalen Gemeinschaft. Ihre Boote sind nur bedingt seetüchtig, gelegentliche Gegenwehr von Handelsschiffen nicht ausgeschlossen. Die Clan-Bosse sind kaum berechenbar, »erzieherische« Maßnahmen im Piratenkreis werden gelegentlich exemplarisch mit einem Schuss in den Kopf vollstreckt. Es ist anzunehmen, dass bei Stürmen und Kämpfen rivalisierender Banden um entführte Schiffe oder bezahltes Lösegeld bislang fast ebenso viele Piraten den Tod fanden wie seit Beginn der Operationen am Horn von Afrika in Gewahrsam genommen wurden.
Es fehlt vernetzte Seesicherheit
Bleiben also Operationen an Land? Auch solche Operationen gegen Piraterie sind durch eine UN-Sicherheitsratsresolution gedeckt. Es ist die UNSCR 1851, die Einsätze an Land auf somalischem Boden sanktioniert. Aber wer sollte diese Operation durchführen? Es stehen für die laufenden Engagements auf dem Balkan, im Irak und in Afghanistan kaum ausreichend Truppen zur Verfügung. Und wer seine Erinnerung an den UN-Einsatz in Somalia Anfang der 90- er Jahre auffrischen möchte, dem sei der Film »Black Hawk Down« empfohlen. Welche Exit-Strategie wäre hier wohl die Richtige? Und unter dem Einsatz von Bomben und Cruise Missiles würden mutmaßlich auch Unschuldige leiden. Selbstverständlich könnte man bekannte Schaltstellen an Land ausschalten, die Drahtzieher im Hintergrund würden sich aber vermutlich absetzten und an anderer Stelle ihrer sehr lukrativen Beschäftigung nachgehen.
Was also tun? Den Kopf in den Sand stecken und aufgeben? Weiterhin immer höhere Lösegelder bezahlen? Fragt man – übrigens nicht nur deutsche – Reeder, so fordern diese mehr Kriegsschiffe und ein härteres Durchgreifen gegen Piraten. Diese Optionen wurden aber bereits oben verworfen.
Der Schlüssel zum Erfolg gegen die Piraterie liegt nach meiner Meinung nicht nur im Indischen Ozean, er liegt auch hier in Deutschland. Aus der durch den Autor durchgeführten Analyse der Schiffsentführungen am Horn von Afrika seit Beginn dieses Jahres wird eines deutlich: Kein Schiff, welches im Rahmen seiner Passage am Horn von Afrika nach den Empfehlungen der EU-Schifffahrtsleitstelle »Maritime Security Centre Horn of Afrika« handelte, ist bislang entführt worden. Tatsächlich haben zahlreiche Schiffe, die aufgrund ihres geringen Freibords und/oder ihrer geringen Geschwindigkeit zu den »Goldenen Gänsen« zählten, in enger Zusammenarbeit zwischen Schiffsbetreibern und Maritime Security Centre Horn of Africa (MSCHOA) sicher den Golf von Aden passiert. Dies ist aber noch nicht bei allen Reedereien und Schiffsbetreibern bekannt. Im Land der drittgrößten Handelsflotte der Welt fehlt ein zentrales Informationssystem für maritime Sicherheit, es fehlt vernetzte Seesicherheit!
Sicherheit zum Nulltarif ist eine Illusion
Stellen wir uns die Frage, warum Handelsschiffe entführt werden. Ende Januar wurde im Golf von Aden innerhalb des überwachten IRTC ein unter deutscher Flagge fahrender Produktentanker entführt. Zwar hatte der Kapitän regelmäßig E‑Mails mit Positionsangaben an United Kingdom Maritime Trade Organisation (UKMTO) nach Bahrain und MSCHOA in Northwood gesandt, das Schiff war aber nicht in der betreffenden Datenbank vorhanden. Schiffe können nur über das Einpflegen in der entsprechenden Maske der MSCHOA-Web-Page in die Datenbanken aufgenommen werden. Die fast 1.000 individuellen E‑Mails von Schiffen, die dort täglich bei UKMTO und/oder MSCHOA eingehen, überfordern diese Organisationen und können kaum auf Echtheit überprüft werden. Eine Anmeldung des Reeders bei der EU-Schifffahrtskoordinationsstelle ist deshalb zwingend notwendig. Schiffe in der Datenbank MSCHOA werden automatisch in die »Ship List« der EU übertragen, diese an alle am Horn von Afrika operierenden Kriegsschiffe verteilt.
Das genannte Schiff war nicht Teil der Liste, die Kriegsschiffe wussten also nicht, dass sich dort ein nur 12 Knoten langsames Fahrzeug mit nur 2,5 Metern Freibord (eine So genannte »Goldene Gans«) in der Gefährdungszone befand. Für ein Schiff mit diesen technischen Eigenschaften hätte die EU eine Einbindung in einen begleiteten Group Transit dringend empfohlen. Das Schiff fuhr denn auch in keinem Group Transit, sondern ganz individuell im IRTC. Augenscheinlich war man sich an Bord auch nicht der Gefahr bewusst, in der man schwebte. Eine weitere Empfehlung der EU mahnt die Schiffsbesatzungen zur Wachsamkeit, verstärktem Ausguck und minimalen Maßnahmen wie Stacheldraht, um einen Angriff frühzeitig zu erkennen und das Anbordkommen der Piraten so lange zu verhindern, bis Hubschrauber oder Schiffe zu Hilfe kommen können. In diesem Fall kam der Notruf erst, als die Piraten schon an Bord waren. Nur Minuten später standen ein Hubschrauber und zwei Kriegsschiffe bereit, konnten aber nichts mehr ausrichten, da die Piraten das Leben der Geiseln bereits bedrohten, sodass die Sicherheitskräfte abdrehen mussten.
Circa 20 Minuten reichten bei den meisten bislang fast 30 von Einheiten der EU NAVFOR Atalanta abgewehrten Angriffen in der Regel aus, um nach einem Notruf das angegriffene Schiff zu erreichen. Am 450 Seemeilen langen Sicherheitskorridor im Golf von Aden steht im Durchschnitt permanent alle 25 bis 30 sm ein Kriegsschiff und überwacht den Schiffsverkehr auf Grundlage der Ship List der EU. Zur Erinnerung: Diese enthält alle bei MSCHOA angemeldete Schiffsbewegungen.
Im Fall eines zweiten in diesem Jahr entführten Handelsschiffes unter deutscher Flagge hätten auch 20 Minuten Vorwarnzeit nicht gereicht. Das Schiff befuhr im Somali Basin ein Seegebiet, in welchen in den zehn Tagen vor der Entführung bereits sieben Übergriffe auf Handelsschiffe stattgefunden hatten. Für das Seegebiet hatte MSCHOA eine Warnmeldung auf ihrer Web-Page veröffentlicht, welche aufforderte, das Seegebiet weiträumig zu meiden. Die nächsten beiden Kriegsschiffe der EU, die deutschen Fregatten RHEINLAND-PFALZ und EMDEN standen je über 200 sm entfernt und hatten somit keine Chance zum zeitnahen Eingreifen. Ein Eingreifen nach der Entführung hätte das Leben der Geiseln gefährden können und gehört auch nicht zum Auftrag der unter EU-Flagge operierenden Seestreitkräfte.
Es erscheint meines Erachtens aus oben Geschildertem offensichtlich, wie die Entführungen bereits in der Planungsphase der Transits hätten verhindert werden können. Transportrouten können nicht mehr ausschließlich nach kaufmännischen Gesichtspunkten gewählt werden. Leider hat sich noch nicht bei allen Kaufleuten die Bereitschaft, den Empfehlungen der Sicherheitsabteilung zu folgen, eingestellt, da diese u.U. mit Mehrkosten verbunden sind. Aber: Sicherheit zum Nulltarif ist eine Illusion, übrigens nicht nur in der Handelsschifffahrt.
Zitadellen und »Zugbrücken«?
Piraten gelangen oft problemlos an Bord Bildquelle: US Navy |
Aber was, wenn die Piraterie in die heute noch als sicher geltenden Seegebiete folgt? Die Gewinne sind hoch, das Risiko für die Hintermänner relativ klein. Zwar braucht es ein paar begleitende Rahmenbedingungen, wie sie beispielsweise am Horn von Afrika herrschen, aber unmöglich ist die Ausweitung der Piraterie auf andere Regionen nicht. Vielleicht ist es jetzt an der Zeit, analog zur »Eisklasse« für Schiffe die »Piratenklasse« zu konzipieren. Statt eines dem Eisdruck Stand haltenden verstärkten Rumpfes könnten dann z.B. die Brückenaufbauten verstärkt werden! Nach einem Piraten-Alarm begibt sich die Besatzung verzugslos in diese geschützte Zitadelle, alle Außenschotten verschließen automatisch. Ein Eindringen von Außen ohne Zutun der Besatzung ist nicht mehr möglich.
Wir erinnern uns: Nach »9/11« wurden die Türen zu den Cockpits der Airlines verstärkt und gegen Eindringen von Außen gesichert. Die Piraten durch bauliche Maßnahmen beim Betreten des Schiffes oder dem Herankommen an die Zitadelle zu behindern, sollte den Ingenieuren und Schiffsbauern nicht zu viel Fantasie abverlangen. Elektrische Zäune als Relings, eingezogene Niedergänge (Prinzip »Zugbrücke«), Schall- und Wasserbombardements sind wenig aufwendige aber durchaus effektive Maßnahmen, den Piraten den Zugang zur Zitadelle zu erschweren. Solange die Piraten keinen direkten Zugriff auf die Besatzung haben, können Sicherheitskräfte – anders als in heutigen Szenarien – zugreifen, ohne das Leben von Geiseln zu gefährden. Solchermaßen ausgerüstete Schiffe könnten durch die Versicherungen mit niedrigeren Prämien belohnt werden. In jedem Fall erscheint mir ein solcher Umbau aber günstiger als das Lösegeld und die Folgekosten einer Entführung.
Fazit
Piraterie ist Kriminalität und damit kein primär militärisches Problem. Dementsprechend kann es auch nicht durch Kriegsschiffe allein gelöst werden. Um es ganz klarzustellen: Ein mehr an Kriegsschiffen wird kaum noch ein mehr an Sicherheit am Horn von Afrika bringen. Allerdings könnte eine auf politischem Wege herbeigeführte bessere Koordination der zahlreichen multi- und unilateral operierenden Kräfte zu einer Verbesserung der Situation beitragen. Wichtiger aber ist eine Anpassung des Verhaltens von Schiffseignern und ‑betreibern an die einschlägigen Empfehlungen der International Maritime Organisation (IMO) oder der EU (MSCHOA). Dies könnte dazu beitragen, die Piraterie am Horn von Afrika »auszutrocknen«.
Schiffe sollten nicht ohne Anmeldung bei MSCHOA das Seegebiet am Horn von Afrika passieren. Schiffe der Gefährdungsklasse 1 »Severe Risk« sollten dies – wenn sich ein Einsatz solcher Schiffe in diesem Seegebiet nicht gänzlich vermeiden lässt – ausschließlich in begleiteten Group Transits tun. Schiffe der Gefährdungsklasse 2 »Substantial Risk« sollten mindestens die täglich angebotenen unbegleiteten – aber überwachten – Group Transits nutzen. Es muss allerdings auch sicher gestellt sein, dass den Reedern die Leistungen – und Grenzen – des MSCHOA bekannt gemacht werden. Bislang stehen Behörden und Verbände hier eher mit den Reedern zusammen auf der Seite der Informationsbedürftigen. Das Thema »Vernetzte Seesicherheit« ist ein Stiefkind der deutschen Politik, obwohl Deutschland gemäß dem Piraterie-Jahresbericht 2008 des International Maritime Bureau Kuala Lumpur das von der Piraterie am stärksten betroffene Land ist. Deutsche Reeder betreiben die drittgrößte Handelsflotte der Welt! Jedes vierte Schiff, welches überfallen wird, fährt entweder unter deutscher Flagge, gehört einem deutschen Reeder oder transportiert deutsche Im- und Exportgüter.
Und trotzdem gibt es in Deutschland keine zentrale Ansprechstelle für die Sicherheit der Handelsschifffahrt. Ein deutscher Reeder, der sein Schiff in einen begleiteten Group Transit eingliedern möchte, muss aktuell fünf verschiedene internationale Organisationen abfragen. Von deutschen Dienststellen oder Verbänden erhält er keine diesbezüglichen Informationen. Derzeit leistet nur das Einsatzführungskommando der Bundeswehr in Potsdam im Bedarfsfall Unterstützung bei der Koordination zwischen den Schiffsbetreibern und den oben dargestellten zivil-militärischen Dienststellen.