Dieser Artikel wird mit freundlicher Genehmigung der “MarineForum — Zeitschrift für maritime Fragen” veröffentlicht.
Es reicht! Die deutschen Reeder rüsten auf. Enttäuscht von den internationalen Anti-Piraterie-Operationen vor Somalia nehmen sie die Dinge mehr und mehr selbst in die Hand. Einheiten privater Sicherheitsunternehmen, vor allem aus Israel und Großbritannien, sind nun zunehmend an Bord, wenn die Schiffe ums Horn von Afrika fahren. Denn selbst große Umwege der Frachter – bisher der beste Schutz – gelten nicht mehr als ausreichend. Die Mutterschiffe der Piraten operieren allmählich bis zu tausend Seemeilen von der somalischen Küste entfernt. Und sogar militärisch gesicherte Konvois bieten nicht immer genügend Schutz: Im September 2010 enterten somalische Piraten den deutschen Frachter Magellan Star, obwohl er von amerikanischen und türkischen Kriegsschiffen eskortiert wurde. Auch ein zweiter Frachter des Geleitzugs geriet in die Hände der Seeräuber. Allein die Zahl der Piratenangriffe auf deutsche Schiffe ist in nur einem Jahr um mehr als fünfzig Prozent gestiegen – waren es im ersten Halbjahr 2010 noch hundert Attacken, so waren es im selben Zeitraum 2011 schon 163 Überfälle.
Ziviles (!) Team der Firma Gulf of Aden Group Transits (Foto: goagt) Click to enlarge |
Dagegen scheinen die Erfolge der Privatisierung von Sicherheit auf See für sich zu sprechen: Bisher ist kein von privaten Sicherheitskräften geschütztes Schiff vor Somalia entführt worden – die beste Werbung für die Branche, die allein am Horn von Afrika 170 Sicherheitsdienstleister umfasst: Allmählich sollen nach einer Umfrage der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Pricewaterhouse Coopers mehr als dreißig Prozent der deutschen Handelsschiffe von privaten Sicherheitsdiensten begleitet werden, obwohl sie sich damit in einer rechtlichen Grauzone bewegen, da dies der deutsche Staat bislang weder ausdrücklich erlaubt noch verbietet, was auch Haftungsfragen unklar erscheinen lässt. Doch der Einsatz von Sicherheitsfirmen kostet die Reeder in der Regel weniger als Lösegelder für entführte Besatzungen und steigende Versicherungsprämien. Daher setzen bereits 27 deutsche Reeder bewaffnete Sicherheitsdienste ein, weitere sechs zumindest unbewaffnete Wachleute.
Ein zunehmendes Schutzbedürfnis verspüren aber nicht nur Deutschlands Reeder, sondern auch global agierende Unternehmen und Entwicklungshilfeeinrichtungen. Nach Auskunft der Bundesregierung übernehmen rund zweihundert private Sicherheitsdienste Objektschutz und Kontrollaufgaben für deutsche Botschaften von Abidjan bis Wien.
Parallel nimmt die Renaissance des Söldnertums immer deutlichere Formen an: Abu Dhabi baut derzeit mithilfe des Gründers des amerikanischen Sicherheitsunternehmens Blackwater, das sich nach mehreren Skandalen heute »Xe Services« nennt, eine Söldnerarmee auf. Washington hat nach Angaben des Congressional Budget Office rund zehn Milliarden Dollar an private Sicherheits- und Militärunternehmen in den ersten vier Jahren des Irak-Krieges gezahlt. Und diese Kosten werden mit dem Abzug der US-Truppen weiter steigen, da vor allem das State Department seine privaten Sicherheitskräfte zum Training der irakischen Polizei auf siebentausend mehr als verdoppeln wird.
Die britische Regierung räumt unterdessen ein, dass Großbritanniens Marine nicht über genügend Kräfte verfügt, um direkt den Schutz der Handelsflotte vor Piratenangriffen zu übernehmen. Daher hat London die Bewaffnung von Handelsschiffen und ihre Eskortierung durch private Sicherheitskräfte zugelassen. Ihren Einsatz will nun auch Deutschland rechtlich ermöglichen. Ein Zertifizierungsverfahren für die privaten Dienstleister soll gesetzlich etabliert werden. Eine Zuverlässigkeitsprüfung könnte die Bundespolizei übernehmen. Nicht nur in Großbritannien, sondern auch in Griechenland und Ländern Skandinaviens sind derlei Regelungen bereits in Kraft.
Die starke Nachfrage nach maritimem Schutz vor Piraterie trägt zum historischen Aufschwung von Sicherheitsunternehmen bei. Der britische Dienstleister »Group 4 Securicor« ist mit mehr als sechshunderttausend Beschäftigten in über hundert Ländern und einem Umsatz von mehr als acht Milliarden Euro allmählich der größte private Arbeitgeber in Europa. Das globale Geschäft der zivilen Sicherheitsbranche ist in den vergangenen sieben Jahren um mehr als ein Drittel auf rund neunzig Milliarden Euro jährlichen Umsatz gewachsen. Und bis Ende des Jahrzehnts soll sich das Marktvolumen vor allem durch eine stark steigende Nachfrage in Asien noch einmal fast verdoppeln.
Die bittere Ironie dieser von der Öffentlichkeit bislang kaum wahrgenommenen Entwicklung: Während die regulären Soldaten der amerikanischen und europäischen Armeen aus ihren heutigen Feldhandbüchern lernen sollen, wie sie als bewaffnete Wiederaufbauhelfer andere Nationen befrieden können, wird eine ihrer ureigensten Aufgaben, der Schutz von Menschen und die Sicherung von Einrichtungen, bei Einsätzen im Ausland, die militärisch als zu risikoreich oder politisch als zu heikel gelten, zunehmend an Söldner delegiert.
Doch neue Staaten aufbauen zu wollen, indem ihre innere wie äußere Sicherheit zum Teil entstaatlicht wird, erscheint als Widerspruch in sich. Vor allem in Afghanistan und im Irak agieren die Akteure mit vertauschten Rollen: Kommerzielle Sicherheitsanbieter beraten und trainieren das einheimische Militär und die Polizei. In Somalia werden die AU-Friedenstruppen vom Sicherheitsunternehmen Bancroft Global Development durch vierzig ehemalige Soldaten aus Südafrika, Frankreich und Skandinavien geschult.
Seit Jahren kann sich der Westen nicht entscheiden, ob er bindend und lenkend in seine private Kriegswirtschaft eingreifen soll, die nach UN-Angaben siebzig Prozent des Weltmarktes an Sicherheitsdienstleistungen beherrscht. Im September 2008 haben zwar 17 Staaten das so genannte Dokument von Montreux unterzeichnet. Darin haben unter anderem die Vereinigten Staaten, Großbritannien, Frankreich und Deutschland sowie Einsatzländer von Söldnern wie Afghanistan und der Irak Empfehlungen zur strengeren Kontrolle privater Sicherheitsunternehmen vereinbart. Aber dieses Dokument ist ebenso wenig rechtlich bindend wie der internationale Verhaltenskodex, den 58 dieser Firmen im November 2010 in Genf unterzeichnet haben. Die freiwillige Selbstkontrolle beinhaltet die Einhaltung der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts, darunter das Verbot von Folter, Tötungen, Diskriminierung und Menschenhandel. Waffen dürfen nur zur Selbstverteidigung oder zum Schutz des Lebens anderer Personen eingesetzt werden.
Da die USA mit Abstand der größte Auftraggeber von privaten Sicherheitsfirmen sind, sollte sich Washington in der Pflicht sehen, endlich eine international rechtsverbindliche Regelung zu schaffen. Vorbild könnte Südafrikas Anti-Söldner-Gesetz aus dem Jahr 1998 sein, ergänzt vom Gesetz zum Verbot von Söldneraktivitäten 2006. Es soll verhindern, dass südafrikanische Staatsbürger »als privat bezahlte Kämpfer an einem bewaffneten Konflikt oder an Aktivitäten irgendwelcher Art zum Sturz einer Regierung oder zur Unterminierung der verfassungsmäßigen Ordnung, Souveränität oder territorialen Integrität eines Landes« teilnehmen. Südafrikaner, die für eine private Sicherheits- oder Militärfirma tätig sein möchten, müssen die Genehmigung des Staates einholen und werden bei einem Verstoß mit einer Geldbuße oder einer Haftstrafe belangt. Auch der Dienst in einer regulären Armee im Ausland ist Südafrikanern untersagt, wenn Pretoria den dort geplanten Waffengang ablehnt.
Als Anreiz für andere Staaten, sich ebenfalls solchen Gesetzen zu unterwerfen, könnten sich die Vereinigten Staaten ein Einsatzverbot von Söldnern in Konfliktregionen auferlegen, in denen sie selber Truppen stationiert haben. Sinnvoll wären auch eine internationale Meldepflicht für Militärfirmen und nationale Genehmigungspflichten für Sicherheitsdienstleistungen im Ausland, so wie es viele Staaten beim Waffenexport bereits praktizieren. Als grundlegende Alternative böte sich an, die privaten Sicherheitsunternehmen in die regulären Streitkräfte zu integrieren und damit einer klaren Kommando- und Rechtsstruktur zu unterwerfen, so wie es bei der europäischen Verstaatlichung des Krieges im 17. Jahrhundert bereits einmal erfolgreich geschehen ist.
Sicherheitsteam der südkoreanischen IntelEdge (Foto: IntelEdge) Click to enlarge |
In Zeiten, in denen international um eine verstärkte Regulierung der Finanzwirtschaft gerungen wird, sollte dies für die private Kriegswirtschaft erst recht gelten. Bis heute scheinen die Vereinigten Staaten jedoch nicht dazu bereit: Im September 2010 haben sie zusammen mit Großbritannien gegen eine UN-Konvention gestimmt, die im Gegensatz zum Genfer Verhaltenskodex für private Sicherheitsfirmen rechtlich verbindlich wäre. Kriege aber – ob staatlicher oder entstaatlichter Natur – sind zu wichtig, um sie der privatwirtschaftlichen Logik von Söldnern zu überlassen. Vor allem Friedensmissionen sollten auf den Einsatz von Sicherheitsunternehmen verzichten, zu sehr verfolgen Privatmilitärs ihre eigenen Interessen und nicht die ihrer staatlichen Auftraggeber. Daher sollte zumindest im Krieg auch im 21. Jahrhundert gelten: Staat vor Privat.
Diesem Grundsatz bleiben zumindest die Niederlande auch auf See treu. Sie haben ihre Streitkräfte fünfzig »Vessel Protection Teams« bilden lassen, die seit diesem Jahr zivile Schiffe schützen. Vor diesem Hintergrund fragt der deutsche Reederverband zu Recht, warum Bundeswehr oder Polizei nicht ebenfalls solche Spezialisten ausbilden. Personal dafür stünde bereit: In Polizeikreisen kann man sich vorstellen, kurzfristig fünfhundert Zeitsoldaten zu übernehmen, für den Kampf gegen Piraten auszubilden und dann auf deutschen Frachtern einzusetzen. Bereits heute kann Deutschland im Rahmen der europäischen Anti-Piraterie-Mission »Atalanta « für die humanitären Hilfstransporte des Welternährungsprogramms nach Somalia Schutzteams zur Verfügung stellen. Derlei Einsätze müssten allerdings rasch auf die übrige zivile Schifffahrt am Horn von Afrika ausgeweitet werden, damit das staatliche Gewaltmonopol zumindest auf See bald wieder uneingeschränkte Gültigkeit erlangt.
Wollen auch Deutschlands Reeder Schutz durch Sicherheitskräfte ihres Staates in Anspruch nehmen, dann sollten sie ihre Schiffe freilich unter deutscher Flagge fahren lassen. Zwar ist ihre Handelsflotte zwischen 1996 und 2008 um mehr als sechshundert Prozent gewachsen und bildet heute die drittgrößte der Welt – einschließlich der weltweit größten Flotte an Containerfrachtern. Aber von den mehr als 3.600 Schiffen, die bundesdeutsche Eigentümer haben, fahren lediglich 570 unter der Flagge Deutschlands. Doch staatliche Sicherheit ist nicht zum Nulltarif zu haben – dies gilt auch im 21. Jahrhundert, in dem die Sicherung der Handelswege und somit die Bekämpfung von Piraterie weiterhin hoheitliche Aufgaben bleiben sollten.
Zum Autor
Thomas Speckmann lehrt am Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie der Universität Bonn. Sein Beitrag schließt an einen Artikel an, den er am 1. Dezember 2011 unter dem Titel »Privatisierte Gewalt. Der Westen engagiert entstaatlichte Sicherheitskräfte, um Staaten aufzubauen. Dies ist ein Widerspruch in sich, dennoch wächst der Umsatz von privaten Anbietern von Militär- und Sicherheitsdienstleistungen stark. Umso notwendiger wären völkerrechtlich verbindliche Vereinbarungen, um diese Branche zu regulieren« in der Neuen Zürcher Zeitung veröffentlicht hat