Niederlande — Koninklijke Marine — Vom “Niedergang” einer früheren Seemacht

Nach sicher­heit­spoli­tis­ch­er Zäsur „real­er Verzicht“

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Fre­gat­te der KAREL DOOR­MAN-Klasse
Foto: niederl. Marin
 Fregatte der DE ZEVEN PROVENCIEN-Klasse (Foto: US Navy)
Fre­gat­te der DE ZEVEN PROVEN­CIEN-Klasse
Foto: US Navy

Der Zer­fall der Sow­je­tu­nion und die Auflö­sung des WP set­zen in der ersten Hälfte der 1990er Jahre den auf Vertei­di­gung im NATO-Bünd­nis aus­gerichteten Konzepten ein abruptes Ende. Während Poli­tik­er nach dem Mot­to »kleinere Bedro­hung = kleinere Vertei­di­gungsaus­gaben« sofort eine »Friedens­div­i­dende« ein­fahren wollen, entwick­eln sich zugle­ich abseits des Ost- West-Kon­flik­tes ange­siedelte, neue Krisen­szenar­ien und Bedrohungen. 

Bei­des muss sich unmit­tel­bar auch auf die nieder­ländis­che Marine auswirken, aber die Anpas­sung an die neue Lage geht nicht von heute auf mor­gen. Bei langfristiger Pla­nung kann sie nicht ein­fach aus bere­its begonnenen Vorhaben aussteigen. So ist sie zunächst noch bestrebt, sich zwar mit Bud­getkürzun­gen abzufind­en, Kern­struk­turen aber nur ganz allmäh­lich umzubauen. Erste Reak­tio­nen beschränken sich denn auch auf zeitliche Streck­ung laufend­er Beschaf­fungsvorhaben und vorzeit­ige Aus­musterung einiger älter­er Minensucher. 

Kosten sparen soll auch struk­turelle Straf­fung. 1994 wird mit der bel­gis­chen Nach­bar­ma­rine vere­in­bart, bei­de Flot­ten unter ein­er gemein­samen Kom­man­dostruk­tur zu vere­inen und kün­ftig aus dem inte­gri­erten Haup­tquarti­er des Admi­ral Benelux (ABNL) in Den Helder zu führen. Auch Aus­bil­dung, Logis­tik und Rüs­tungsvorhaben bei­der Mari­nen wer­den auf eine bre­it­ere gemein­same Basis gestellt. 

Das Jahr 1996 bringt eine erste konzep­tionelle Anpas­sung. Zwar sollen noch sub­stanzielle »Blue-Water« Fähigkeit­en erhal­ten bleiben, aber die Marine will sich nun schrit­tweise auf Krisenein­sätze in küsten­na­hen Gewässern konzen­tri­eren. Mit einem aus­ge­wo­ge­nen Pro­gramm von Neubeschaf­fun­gen und Mod­ernisierun­gen will man zunächst bis 2012 zwei Ein­satz­grup­pen unter­hal­ten. Die eine soll als Krisen­reak­tionsver­band in hoher Bere­itschaft gehal­ten wer­den; die andere als oper­a­tive Reserve dienen. Zu jed­er Gruppe sollen Fre­gat­ten, U‑Boote, ein Flot­ten­ver­sorg­er, Minen­ab­wehrfahrzeuge und amphibis­che Kräfte sowie Hub­schrauber und Seefer­naufk­lär­er gehören. 

Das neue Konzept sieht nur wenig materielle Abstriche. Unverän­dert benötigt die Marine noch fast alle vorhan­de­nen und geplanten Fahrzeuge; von geplanten Führungs-/Flu­gab­wehrfre­gat­ten der DE ZEVEN PROVEN­CIEN-Klasse über ger­ade zuge­laufene Schiffe der KAREL DOOR­MAN-Klasse und ältere Fre­gat­ten des Typs KORTENAER bis hin zu ein­er starken Minen­ab­wehrkom­po­nente. Ein neues Dock­lan­dungss­chiff (ROTTERDAM) soll darüber hin­aus zusät­zliche Fähigkeit­en bei Krisen­op­er­a­tio­nen und im strate­gis­chen See­trans­port geben. 

Der Poli­tik genü­gen bloße Umverteilung und Neuetiket­tierung nicht. Ende 1999 macht ein Vertei­di­gungsweißbuch klar, dass von der Marine real­er Verzicht gefordert ist. Das Bud­get wird nun deut­lich gekürzt. Sechs ältere Fre­gat­ten, drei Minen­jagdboote sowie drei Seefer­naufk­lär­er P‑3C Ori­on sind auszu­mustern und möglichst zu verkaufen. Dafür sollen vier Fre­gat­ten der DE ZEVEN PROVEN­CIEN-Klasse wie geplant gebaut wer­den, an ein­er Mod­ernisierung der vier U‑Boote (ab 2009) wird eben­falls fest­ge­hal­ten, und zur Stärkung der Krisen­reak­tions­fähigkeit soll noch ein zweites Dock­lan­dungss­chiff beschafft werden. 

Marines­tudie 2005 soll Pla­nungssicher­heit brin­gen …

Minenjangdboot der ALKMAAR-Klasse
Minen­jangdboot der ALK­MAAR-Klasse
Foto: Michael Nitz
 Docklandungsschiff JOHAN DE WITT (Foto:  Michael Nitz)
Dock­lan­dungss­chiff JOHAN DE WITT
Foto: Michael Nitz

Schnell wird offen­sichtlich, dass die geplanten Einsparun­gen nicht aus­re­ichen. Ende 2003 spekulieren Medi­en über eine Aus­musterung weit­er­er Fre­gat­ten und Minen­jagdboote sowie einen kom­plet­ten Verzicht auf Seefer­naufk­lärungs­flugzeuge. Immer wieder neue Gerüchte machen die Runde. 

Im Okto­ber 2005 soll die »Marines­tudie 2005« Klarheit und Pla­nungssicher­heit geben. Die Marine muss sich nun auch von vier rel­a­tiv neuen Fre­gat­ten der KAREL DOORMAN.Klasse tren­nen (sie gehen nach Chile und Bel­gien), fünf Minen­jagdboote ALKMAAR an die Let­tis­che Marine abgeben und alle Seefer­naufk­lär­er P3‑C Ori­on (nach Por­tu­gal und Deutsch­land) verkaufen. 

Dafür soll sie 2010/11 nun vier Off­shore Patrol Ves­sel (OPV) der HOL­LAND-Klasse erhal­ten: korvet­ten­große 90-m-Schiffe, die küsten­na­he Ein­sätze »unter­halb der Kampf­fähigkeit­en von Fre­gat­ten« wahrnehmen kön­nen. Zwei Fre­gat­ten der DE ZEVEN PROVEN­CIEN-Klasse sollen zur Bekämp­fung von Landzie­len mit Marschflugkör­pern Tom­a­hawk aus­gerüstet und die anderen zwei zur Abwehr bal­lis­tis­ch­er Flugkör­p­er befähigt werden. 

Die Marine­in­fan­terie soll ver­stärkt wer­den, das zweite Dock­lan­dungss­chiff JOHAN DE WITT ist fast fer­tig; bei den verbliebe­nen Minen­ab­wehrein­heit­en sollen die Minen­jagdfähigkeit­en durch Minen­räum­fähigkeit­en ergänzt wer­den; die U‑Boote der WAL­RUS-Klasse sollen durch Mod­ernisierung bis 2025 in Dienst bleiben. Als Ersatz für den 30-jähri­gen Ver­sorg­er ZUIDERKRUIS wird ein neues Schiff geplant, das als Logis­tic Sup­port Ship neben Seev­er­sorgung auch Ein­sätze in Übersee unter­stützen und die Fähigkeit­en zum strate­gis­chen See­trans­port erweit­ern soll. 

Trotz aller sicher­lich guten Absicht­en gibt die »Marines­tudie 2005« keine Pla­nungssicher­heit. Immer drän­gen­der wird der (poli­tisch verord­nete) Zwang zu weit­eren Einsparun­gen. Schon ein Jahr später wird kurzfristig entsch­ieden, zwei weit­ere Fre­gat­ten der KAREL DOOR­MAN-Klasse auszu­mustern. Bei­de Schiffe wech­seln zur por­tugiesis­chen Marine; der Verkauf­ser­lös fließt in den Bau der OPV der HOL­LAND-Klasse. 2007 zwin­gen der teure Afghanistankrieg und Prob­leme bei der Rekru­tierung von Nach­wuchs zu weit­eren Einsparun­gen; die Beschaf­fung von Tom­a­hawk wird gestrichen. 

 OPV der HOLLAND-Klasse (Grafik:  Damen Schelde)
OPV der HOL­LAND-Klasse
Grafik: Damen Schelde

Danach scheint zunächst Ruhe einzukehren. Der Bau der vier Schiffe der HOL­LAND-Klasse läuft im Plan, und das Typ­schiff führt in diesem Früh­jahr auch schon Erprobun­gen durch. Die geplante Mod­ernisierung der vier U‑Boote der WAL­RUS-Klasse wird 2009 noch ein­mal bekräftigt, ja es gibt sog­ar Vor­pla­nun­gen zu ihrem Ersatz durch Neubaut­en. Für die Minen­jagdboote soll neues mod­ernes Räumgerät beschafft wer­den, ja selb­st die Entwick­lung neuer Minen­jagdboote ist im Gespräch. 

Team GlobDef

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