Dieser Artikel wird mit freundlicher Genehmigung der “MarineForum — Zeitschrift für maritime Fragen” veröffentlicht.
Der Aufruhr, der Nordafrika 2011 erschüttert, wird in Deutschland »nur« als Revolution gelobt, in deren Verlauf autokratische Regime abgelöst werden. Aber die sicherheitspolitische Dimension dieser Ereignisse wird nicht analysiert.
Dabei muss uns die Phase der Unsicherheit, durch die diese Region gehen wird – wer weiß, wie lange die dauert? – besorgen. Die Entwicklung dort zeigt, wie schnell sich eine sicherheitspolitische Lage verändern kann. Es sei nur daran erinnert, dass das neue Ägypten es zugelassen hat, dass iranische Kriegsschiffe durch den Suezkanal fahren durften – mit dem Ziel Beirut. Was haben diese Schiffe wirklich geladen?
Es gibt zusätzliche neue Risiken. Nordafrika ist eine direkte Nachbarregion der EU, es umfasst die besonders kritische Region um Israel. Dort regiert im Libanon mittlerweile die Hisbollah, im Gazastreifen regiert die Hamas. Wer kommt in den anderen Ländern an die Macht?
Umbruchsituationen sind immer wirtschaftlich kritisch – in diesem Fall in Regionen, die eh wirtschaftlich nicht gut gestellt waren. Das könnte Migrantenströme auslösen, die das, was wir bisher erlebt haben, bei Weitem übersteigen.
Plötzlich wird deutlich, wie wichtig eine ausreichende Sicherheitsvorsorge ist. Dem trägt die noch recht schwach ausbuchstabierte Grundlage für die Bundeswehrreform viel zu wenig Rechnung. Die Bundeswehrreform ist zu sehr auf jene Einsätze ausgerichtet, die gegenwärtig bestritten werden – vor allem den Einsatz in Afghanistan. Der soll aber, glaubt man den Politikern, 2014 im Wesentlichen abgeschlossen sein. Und dann?
Es fehlt eine wirklich grundlegende Analyse deutscher Sicherheitsinteressen. Diese liegen zwar auch in einer Stabilisierung Afghanistans, mehr aber noch in einer dauerhaften Präsenz der westlichen Welt in dem Krisengürtel vom Iran bis nach Pakistan. Oder wollen wir dort ohne unseren Einfluss weiter Terrornester in der Nähe von Nuklearstaaten ungestört lassen?
Deutsche Interessen liegen in der Freiheit der Handelswege. Deswegen steht die Marine im Golf. Deutsche Interessen liegen in der inneren Stabilität der Bundesrepublik – und die darf auch nicht durch Migrantenströme gefährdet werden. Es ist wenig überzeugend, wenn EU-Europäer immer wieder Europa beschwören und in Lagen, in denen die südlichen Länder im Fokus solcher Ströme sind, wegschauen und die Grenzen abdichten. Das schadet uns langfristig. Insofern sind die Flüchtlinge auf und am Mittelmeer auch unsere Flüchtlinge. Hier muss der militärische Teil der Problemlösung einen deutlich stärkeren Anteil in der Konzeption der Bundeswehr finden.
In der Sicherheitsarchitektur der neuen Konzeption wird das, was die Bundeswehr bisher leistet, in die Zukunft projiziert und auf einem geringeren Umfangsniveau und mit einer neuen Prosa festgeschrieben. Wichtig wäre aber z.B., zu analysieren, ob die Anteile von Heer, Luftwaffe und Marine richtig ausgewogen sind.
Ja, das Szenario Libyen Anfang März zeigt, dass zur Unterdrückung einer Luftwaffe, die gegen das eigene Land fliegt, auch Kampfflugzeuge nötig sein können. Afghanistan zeigt, dass auch das Heer in Kampfsituationen erheblich gebraucht wird. Aber die Marine ist für die Freiheit der Seewege, übrigens auch für die Evakuierung von Deutschen (oder Europäern) von immenser Bedeutung.
Wenn man also die Bundeswehr verkleinern will, dann braucht man kreative Ideen, um dennoch alle Interessen richtig bedienen zu können. Da wäre es schon gut, wenn in der NATO eine Aufgabenteilung möglich wäre. Dafür sollten wir Deutsche erst einmal unsere Hausaufgaben machen: Aufgabenteilung heißt, dass man die zugesagte Übernahme einer Aufgabe auch auf jeden Fall sicherstellen muss, wenn NATO oder EU entsprechende Beschlüsse fassen, an denen die deutsche Regierung ja beteiligt ist. Es kann nicht so sein, dass wir Arbeitsteilung vereinbaren, dann aber – wie bei AWACS – ausscheiden, wenn es innenpolitisch gerade nicht konveniert. Damit muss die Beteiligung des Parlaments anders geregelt werden. Das könnte bei der Beschlussfassung in den internationalen Gremien beteiligt werden – und nicht erst bei der Entsendung der Truppen. Dann könnte die Bundeswehr sich auf ihre Spitzenfähigkeiten konzentrieren. Ein Beispiel: Die Deutsche Marine könnte die U‑Boot-Flotte, die U‑Boot-Jagd, die Minenjagd und die Minenverlegung übernehmen. Vielleicht braucht man dann noch das eine oder andere Schiff für Evakuierungsoperationen. Und das andere holen wir uns, wenn wir es brauchen, von den Verbündeten, wie diese unsere Fähigkeiten entsprechend – nach politischer Beschlussfassung – abrufen können.
So könnten die Interessen und Aufgaben für alle besser bedient werden. Aber: Dafür braucht man eine ehrliche Beschreibung dessen, was sicherheitspolitisch erforderlich ist, man braucht internationale Vereinbarungen und veränderte innerstaatliche Regelungen in Deutschland. Dann kommt man mit einer geringeren Finanzierung – auf Dauer, nicht sofort – auch aus.
Es ist schade, dass in der gesamten sicherheitspolitischen Debatte niemand solche Überlegungen anstellt oder aufgreift. Spätestens die Ereignisse in Nordafrika sollten uns zeigen, dass die Landschaft sich schnell verändern kann – sicherheitspolitisch nicht unbedingt zum Besseren. Es wäre doch ein Anlass, neu nachzudenken.