Dieser Artikel wird mit freundlicher Genehmigung der “MarineForum — Zeitschrift für maritime Fragen” veröffentlicht.
In dem bekannten Volkslied verhindert »Viel zu tiefes Wasser« das Zueinanderkommen der Königskinder. Warum nun aber finden im Nahen/Mittleren Osten die dortigen »Königskinder« – vom Iran und Syrien bis hin zu Israel und den Palästinensern – nicht den politischen Weg zu den »Königskindern« der westlichen Demokratien?
Hauptgrund ist ein grundsätzlich unterschiedliches Politikverständnis. Westliche Demokratien verstehen Politik immer auch als »Kunst des Kompromisses«. Fast immer wird bei Konflikten im Dialog nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner gesucht – und auf dessen Basis dann eine Lösung angestrebt. Im Nahen/ Mittleren Osten ist dies leider völlig anders. Hier gilt Kompromissbereitschaft als bereits (gedanklich) vollzogene Aufgabe eigener Ziele. So ist der erklärte Wille, einen Streit durch Dialog zu beenden, für den jeweiligen Kontrahenten nicht weniger als das Eingeständnis einer Schwäche – und die gilt es unverzüglich auszunutzen.
Von westlichen Politikern erklärte Dialogbereitschaft bedeutet für die Adressaten im Nahen/Mittleren Osten vor allem auch, dass eine über bloße verbale Auseinandersetzung hinausgehende Eskalation vorerst nicht zu erwarten ist. So sehen denn auch die Machthaber im Iran in jeder Aufforderung zum Dialog vornehmlich die Chance, ihr – sei es nun ziviles oder militärisches – Atomprogramm zunächst einmal ungehindert weiter zu verfolgen.
Ein Einlenken gibt es erst dann, wenn Sanktionen oder gar eine absehbar unmittelbar bevorstehende militärische Intervention zur existenziellen Bedrohung eines Diktators werden, oder wenn sie innenpolitisch den Machterhalt einer Regierung gefährden. Aber auch dann werden auf jeden Fall noch alle Möglichkeiten ausgeschöpft, durch Schaffen von »Fakten« noch schnell die eigene Ausgangslage zu verbessern – vor allem dann, wenn mit einem Ultimatum eine definierte Frist gesetzt wird, bis zu dieser man dies »ungestraft« tun kann. So darf nicht verwundern, dass der syrische Diktator das Veto Russlands und Chinas im UN-Sicherheitsrat sofort als »Freibrief« verstand, in der Verfolgung seiner Ziele jede Rücksicht fallen zu lassen – und die Zeitspanne bis zu einem möglichen Umdenken in der internationalen Gemeinschaft zu nutzen.
Besonders deutlich wird dieses grundsätzlich unterschiedliche Politikverständnis auch im israelisch-palästinensischen Konflikt. Gleichermaßen an beide Seiten gerichtete Aufforderungen zum Dialog werden zwar nie kategorisch abgelehnt – schließlich will man ja außenpolitische Beziehungen nicht gefährden — allerdings wird keine Seite von sich aus Bereitschaft zu substanziellen Zugeständnissen erkennen lassen. So nimmt man solche Appelle denn höflich zur Kenntnis, um sie dann aber geflissentlich zu ignorieren. Jede wiederum an nur eine Seite gerichtete Forderung, nun doch »mit kleinen Vorleistungen« endlich den Dialog zu suchen, wird vom jeweiligen Kontrahenten sofort als Stärkung der eigenen Position begriffen. Damit entfällt für diesen dann natürlich die Notwendigkeit, sich selbst aktiv an der Suche nach einem Kompromiss zu beteiligen. Er wartet erst einmal ab. Eine tragfähige Lösung des jahrzehntelangen Konfliktes ist unter diesen Bedingungen kaum zu erwarten.
Noch ein zweiter Faktor bestimmt im Nahen und Mittleren Osten die Politik: Ambiguität (Mehrdeutigkeit). Nie – aber wirklich nie – spielt man mit offenen Karten. Gerüchte und freies Ausschmücken von Fakten bis hin zu skurrilen Übertreibungen gehören seit jeher zum öffentlichen Leben auf den orientalischen Basaren. In der Politik der regionalen Machthaber ist dies nicht anders. Immer bieten sie ganz bewusst Alternativen zur Deutung und Bewertung eines Sachverhaltes an. Das kann zu krassen Fehleinschätzungen führen – so wie im Irak, als Saddam Hussein nichts tat, um die USA vom Glauben an die Existenz seiner Massenvernichtungswaffen abzubringen.
Immer wieder bietet aber auch gerade die Ambiguität – in der ja grundsätzlich nichts definitiv auszuschließen ist – die Chance, abseits der Öffentlichkeit zu substanziellen Fortschritten im Miteinander zu kommen. Öffentlich erklärte »Unverzichtbarkeiten« müssen bei einem »informellen Dialog« abseits der Öffentlichkeit nicht unbedingt Bestand haben. Israel und die Palästinenser haben dies mehrfach unter Beweis gestellt, und hier sollte man auch beim iranischen Atomprogramm trotz der öffentlich verhärteten Fronten noch nicht die Hoffnung aufgeben.
Was also tun? Eine Aufforderung zum politischen Dialog kann in Staaten des Nahen/ Mittleren Ostens nur dann von Erfolg gekrönt sein, wenn sie von unzweideutigen Signalen eigener Stärke und Entschlossenheit begleitet ist. Jedes Zaudern, jede öffentlich sichtbare Uneinigkeit, muss von vornherein alle Bemühungen im Keim ersticken. Paradoxerweise vermeidet man Eskalation (bis hin zum militärischen Konflikt) am Besten gerade durch glaubhaft signalisierte uneingeschränkte Bereitschaft zur Eskalation. In einer von offenen Medien und öffentlichen Diskussionen geprägten westlichen Demokratie ist dies leider schon kaum einer einzelnen Regierung möglich – und dann muss ja auch noch ein Nationen-übergreifender Konsens gefunden werden. So spricht derzeit denn auch alles dafür, dass zwischen den »Königskindern« der westlichen Demokratien und denen des Nahen/Mittleren Ostens auch weiterhin »die Wasser viel zu tief« sein werden und sie nicht »zueinander kommen« können.
Zum Autor
Klaus Mommsen ist in der Redaktion des MarineForum verantwortlich für die Auslands-Berichterstattung