Inhalt/Gliederung:
1.) Die Unabhängigkeit des Kosovos im Kontext des Zerfalls Ex-Jugoslawiens
– Aufbrausender Nationalismus als politische Waffe und Instrument
2.) Die Schwierigkeit, „richtige“ Politikentscheidungen zu treffen
3.) Die Kosovointervention – Humanitäre Intervention oder machtpolitische Intervention?
Die Grundlagen im modernen Völkerrecht
4.) Westliche Balkanpolitik in den 90er Jahren – Zuschauen und Abwarten in Bosnien- Herzegowina
5.) Die Genese des Kosovokonfliktes als machtpolitische und humanitäre Intervention zugunsten der Kosovoalbaner
6.) Die Intervention, die fehlende konzeptionelle Nachsorge und die daraus resultierenden Folgen
7.) Die Unabhängigkeit des Kosovos als Folge planloser westlicher Politik
4.) Westliche Balkanpolitik in den 90er Jahren – Zuschauen und Abwarten in Bosnien-Herzegowina
In diesem mehrdimensionalen Problemfeld steckten die westlichen Staaten auch zu Beginn der 1990er Jahre mit dem blutigen Bürgerkrieg in Ex-Jugoslawien. Direkt vor der Haustür Europas, quasi in seinem Vorhof, wütete ein blutiger Krieg und weder die EG, noch die USA wollten etwas unternehmen. Obwohl der Westen nach dem erfolgreichen Ende des Kalten Krieges seine überlegenen Werte wie Demokratie, Menschenrechte und Pluralismus feierte, starben nicht mal 300 km entfernt von der Insel des Wohlstandes der EG die Menschen in einem bitteren Bürgerkrieg. Aber keine westliche Regierung wollte in den unübersichtlichen Schlamassel des Balkankrieges hineingezogen werden. Stattdessen widmete sich die Europäische Gemeinschaft ihrer inneren Weiterentwicklung hin zur Europäischen Union. Während große Reden in Maastricht über die strahlende Zukunft Europas dank der beschlossenen Wirtschafts- und Währungsunion gehalten wurden, verbluteten Zivilisten in den Straßen Sarajewos infolge des Beschusses der Stadt. Die USA dagegen widmeten sich ihrer globalen Mission und ihrer Neuen Weltordnung, mit der sie allerdings in den staubigen Straßen Mogadischus auch blutig scheiterte. Der Balkankrieg und damit der über weite Strecken dominierende Krieg um und in Bosnien-Herzegowina war für die politischen Verantwortlichen in den westlichen Hauptstädten keine gewichtige Priorität auf deren politischer Agenda. Zeitweise kämpfte auf dem Balkan schließlich jeder gegen jeden: Serben gegen Kroaten, moslemische Bosnier gegen Serben und Kroaten gegen moslemische Bosnier. Der Konflikt erschien zu unübersichtlich und zu blutig und trotz vieler schöner Worte und einiger kleiner Taten seitens der Europäischen Gemeinschaft, die nötigen eigenen Aufwendungen und Kosten und Verluste erschienen aber zu hoch um nur annährend Aussichten auf Erfolg zu haben und den Konflikt zu pazifisieren. Erst nach mehreren Jahren ineffizienter, zahnloser und matter, bestenfalls symbolischer Versuche des Westens entschloss sich die USA letztlich doch militärisch zu intervenieren in Bosnien-Herzegowina. Die NATO flog Luftangriffe auf serbische Stellungen und übte erheblichen Druck auf den restjugoslawischen Staat aus, die bosnischen Serben zu zügeln. Daher oktroyierte die USA über die NATO einen Frieden auf für den jugoslawischen Bürgerkrieg. Allerdings waren zu diesem Zeitpunkt auch schon 4 Jahre des Tötens vorbei und insbesondere bei den Serben als der früher aktivsten Kriegspartei setzte aufgrund der Verschiebung der Machtverhältnisse auch eine gewisse Kriegsmüdigkeit ein: Nur unter diesen Umständen gelang es der serbischen Regierung und angesichts der weiteren US-amerikanischen Drohungen die von ihnen abhängigen bosnischen Serben zu zügeln und zu einem Friedensschluss zu bewegen.
Natürlich muss man sich die Frage stellen, wieso erst so spät interveniert wurde und dann gerade von den USA. Man kann wohl nur vermuten, dass das fortgesetzte Töten auch innerhalb der westlichen Gesellschaften allmählich mehr Druck erzeugt hatte und insbesondere die USA ihren Blick stärker auf Osteuropa wandten und daher eine Stabilisierung des Balkans in ihrem Interesse war.
Im Zuge dieses stärkeren Interesses am Balkan geriet eine Person im Westen immer mehr ins Fadenkreuz, die am Verhandlungstisch von Dayton noch der gelobte Friedensbringer war: Slobodan Milosevic. Ohne Zweifel hatte wie weiter oben aufgezeigt jener den serbischen Nationalismus extrem aufgeheizt gehabt, nicht nur in Serbien selbst, sondern auch in den anderen Teilstaaten, insbesondere in dem Vielvölkergemisch Bosnien-Herzegowina mit den allseits bekannten Folgen des blutigen Krieges um Bosnien.
Da Serbien das größte der ex-jugoslawischen Teilstaaten war und dazu noch Zugriff hatte auf die Mehrzahl der jugoslawisch-bundesstaatlichen Machtmittel, sprich die jugoslawische Bundesarmee, hatten die Serben im ganzen Bundesgebiet von Anfang an den Vorteil über mehr Machtmittel zu verfügen und jene brutaler anwenden zu können. Daher konnte der serbische Staat (damals: Restjugoslawien, also die serbisch-montenegrinische Union) so seine Landsleute in den anderen Teilstaaten, insbesondere wieder in Bosnien, unterstützen und mit Waffen, Ausrüstung und ganzen Einheiten der ehemaligen jugoslawischen Bundesarmee versehen. Dies relativiert natürlich nicht die Grausamkeit serbischer Einheiten und Paramilitärs in Bosnien. Auch nicht der Umstand, dass mit länger andauerndem Kriegsverlauf Übergriffe auf und gegen alle Seiten stattfanden und die Serben sich letztlich durch ihre lange Zeit überlegenen Waffenbestände hier am brutalsten und am offensivsten zeigen konnten. Aber übersteigerter Nationalismus grassierte auf allen Seiten, allerdings waren die Formen und Folgen dieses grassierenden Nationalismus bei den Konfliktparteien aus oben geschilderten Gründen unterschiedlich stark brutal. Frei nach Motto, verfügbare Macht wird benutzt und missbraucht für die eigenen Ziele, wurde dabei vorgegangen.
Es sollte aber dabei nicht vergessen werden, dass eine entschiedene Intervention des Westens, eine konzertierte Aktion von EG und USA zu einem frühen Zeitpunkt in Form einer überzeugenden Machtdemonstration einiges hätte abwenden können. Aber man scheute ein engagiertes Eingreifen und blieb sehr lange untätig und letztlich waren es die USA, nicht die europäischen Staaten, die mit Nachdruck intervenierten, um dem Töten endlich ein Ende zu setzen 1995. Ohne die amerikanische Einmischung wäre der Bürgerkrieg in Bosnien wohl noch länger weiter gegangen und hätte mehr als die ohnehin hohe Zahl von 200.000 Menschenleben gefordert. Die USA übernahmen dabei sicherheitspolitisch die Führung und wollten nicht mehr zusehen, wie der Balkan als Vorhof Europas weiter destabilisiert wird. Da Serbien als enger Verbündeter Russlands auch weltpolitisch quer zur USA standen, war es aufgrund seiner exponierten, aggressiven Politik schnell zum regionalen Feindbild Nummer eins in Washington avanciert (sowohl zunächst die bosnischen Serben als auch der serbische Staat), nachdem man angefangen hatte, sich auf dem Balkan zu engagieren und jenen zu „sichern“. Nach dem grausamen Morden des Bosnienkrieges und dem im Nachhinein bekannt werden der serbischen Massaker in Srebrenica und anderen Orten war Milosevic endgültig zur politischen persona non grata geworden für die westliche Vormacht.