Inhalt/Gliederung:
1.) Die Unabhängigkeit des Kosovos im Kontext des Zerfalls Ex-Jugoslawiens
– Aufbrausender Nationalismus als politische Waffe und Instrument
2.) Die Schwierigkeit, „richtige“ Politikentscheidungen zu treffen
3.) Die Kosovointervention – Humanitäre Intervention oder machtpolitische Intervention?
Die Grundlagen im modernen Völkerrecht
4.) Westliche Balkanpolitik in den 90er Jahren – Zuschauen und Abwarten in Bosnien- Herzegowina
5.) Die Genese des Kosovokonfliktes als machtpolitische und humanitäre Intervention zugunsten der Kosovoalbaner
6.) Die Intervention, die fehlende konzeptionelle Nachsorge und die daraus resultierenden Folgen
7.) Die Unabhängigkeit des Kosovos als Folge planloser westlicher Politik
3.) Die Kosovointervention – Humanitäre Intervention oder machtpolitische Intervention?
Die Grundlagen im modernen Völkerrecht
Die Kosovo-Intervention der NATO kann man natürlich als Humanitäre Intervention des Westens ansehen, um die serbische Unterdrückung der albanischen Mehrheit im Kosovo zu stoppen. Folgt man dieser Lesart, so ist die Unabhängigkeit der Provinz letztlich eine späte, aber logische Konsequenz aus dieser westlichen Intervention. Diese Version vertreten letztlich die USA und das Gros der Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Allerdings gibt es auch in diesem Fall einige Punkte, die diese Sicht konterkarieren. Dabei muss man sich nicht nur auf Moskaus und Belgrads Pochen auf die nationale Souveränität und die territoriale Integrität Serbiens beschränken. Schaut man sich die Vorgänge auf dem Balkan und die Politik der dortigen Akteure und des Westens genauer an, dann sieht man mehrere Problempunkte, die schon 1991 mit der westlichen Untätigkeit zu Beginn der Balkankriege begonnen.
Dazu tritt das generelle Problem, dass die Unterdrückung von ethnischen Gruppen weltweit auf der Tagesordnung ist. Zustände wie im Kosovo seit den 1990er Jahren gibt es weltweit in zahllosen Staaten. Die NATO interveniert aber nicht ständig und garantiert die Unabhängigkeit der jeweils unterdrückten ethnischen oder religiösen Gruppe. Der Kosovofall war eine ziemliche Ausnahme. Der Grund dafür liegt im gültigen, klassischen Völkerrecht begründet. Die UN-Charta sichert allen Staaten ihre nationale Souveränität und territoriale Integrität zu, das bedeutet also Schutz vor Einmischungen von außen. Dies ist eine fundamentale Grundlage des Völkerrechts und Russland und Serbien pochen rein rechtlich gesehen zu Recht darauf. Allerdings muss man hier sehen, dass diese völkerrechtlichen Regeln noch aus den Zeiten des Westfälischen Staatensystems stammen, also aus der frühen Neuzeit (17./18. Jahrhundert). Damals hatte sich in Europa ein Staatensystem mit bestimmten Regeln etabliert, das im Zuge der Kolonialisierung und des Imperialismus und der nachfolgenden Dekolonialisierung Vorbild für die Welt wurde. Die UN-Charta orientiert sich in ihren Grundzügen am Staatenrecht des Westfälischen Staatensystems.
Und dieses verbietet de facto Einmischung in die inneren Angelegenheiten. Allerdings wurden diese völkerrechtlichen Grundregeln zu einer Zeit entwickelt, in denen universale Menschenrechte, Demokratie, Massenmedien so noch nicht existierten oder nicht die heutige Bedeutung hatten.
Durch die immer stärker werdende Geltung der Menschenrechte im 20. Jahrhundert kam daher der Grundsatz der nationalen Souveränität immer mehr in Konflikt mit dem Grundsatz allgemein gültiger, einforderbarer Menschenrechte. Dieser Gegensatz ist in den Diskursen der Völkerrechtler und in politischen Zirkeln zu einer heiß debattierten Frage geworden mit konträren Antworten. Diese Debatte kennzeichnet aber auch die Diskussion um die Humanitären Interventionen. Jene berufen sich – wie im exemplarischen Fall des Kosovos — auf die Universalität der Menschenrechte, auch gegen das Prinzip der territorialen Integrität und staatlichen Souveränität. Gestützt auf die Legitimation durch die Menschenrechte sind bei schweren menschlichen Tragödien, wie Massakern, Hungerkatastrophen und generell schweren Verletzungen der Menschenrechte Interventionen in den betreffenden Staaten geboten und erlaubt. Allerdings ist diese Ansicht letztlich immer noch sehr umstritten, wie man beim Kosovo gut nachvollziehen kann. Es ist daher auch nicht weiter verwunderlich, dass Humanitäre Interventionen weiterhin selten vorkommen.
Ein weiteres Folgeproblem der Humanitären Interventionen ist aber ihre Durchführung und ihre Kosten, denn auf wessen Seite soll man wie in komplexen Konfliktzusammenhängen eingreifen, um allgemein und universal den Menschenrechten Achtung zu verschaffen? Da außerdem in so vielen Weltgegenden die Menschenrechte mit Füßen getreten werden, wie soll man selektieren, wo und wann man wie interveniert? Zudem besteht die Frage, ob man letztlich im intervenierenden Staat bzw. bei der intervenierenden Organisation nur gestützt auf diese Prinzipien die Kosten, Verluste und Folgeprobleme solch einer Intervention tragen will und wird? Daher sind auch oft andere Motive und Absichten bei solchen Interventionen mit im Spiel.