Die Unabhängigkeit Kosovos als Folge konzeptloser, westlicher Politik
In diesem mehrdimensionalen Dilemma steckten die westlichen Staaten aber auch zu Beginn der 1990er Jahre mit dem blutigen Bürgerkrieg in Ex-Jugoslawien. Direkt vor der Haustür Europas, quasi in seinem Vorhof, wütete ein blutiger Krieg und weder die EG, noch die USA wollten etwas unternehmen. Obwohl der Westen nach dem erfolgreichen Ende des Kalten Krieges seine überlegenen Werte wie Demokratie, Menschenrechte und Pluralismus feierte, starben nicht mal 300 km entfernt von der Insel des Wohlstandes der EG die Menschen in einem bitteren Bürgerkrieg. Aber niemand wollte so Recht in den unübersichtlichen Schlamassel des Balkankrieges hineingezogen werden, in dem zeitweise jeder gegen jeden kämpfte: Serben gegen Kroaten, moslemische Bosnier gegen Serben und Kroaten gegen moslemische Bosnier. Erst nach mehreren Jahren ineffizienter, zahnloser und matter Versuche des Westens entschloss sich die USA militärisch zu handeln und oktroyierte mit Druck über die NATO einen Frieden auf für den jugoslawischen Bürgerkrieg.
Allerdings hatte an zu dieser Zeit auch schon einen letztlich schuldigen gefunden: Das Serbien von Slobodan Milosevic. Ohne Zweifel hatte wie weiter oben aufgezeigt jener den serbischen Nationalismus extrem aufgeheizt gehabt, nicht nur in Serbien selbst, sondern auch in den anderen Teilstaaten, insbesondere in dem Vielvölkergemisch Bosnien. Und da Serbien das größte der ex-jugoslawischen Teilstaaten war und dazu noch Zugriff hatte auf die Mehrzahl der jugoslawisch-bundesstaatlichen Machtmittel, sprich die jugoslawische Bundesarmee, hatten die Serben im ganzen Bundesgebiet von Anfang an den Vorteil über mehr Machtmittel zu verfügen und jene brutaler anwenden zu können untern Strich. Dies relativiert natürlich nicht die Grausamkeit serbischer Paramilitärs in Bosnien. Auch nicht der Umstand, dass mit länger andauerndem Kriegsverlauf Übergriffe auf und gegen alle Seiten stattfanden und die Serben sich letztlich durch ihre lange Zeit überlegenen Waffenbestände hier am brutalsten und am offensivsten zeigen konnten. Aber übersteigerter Nationalismus grassierte auf allen Seiten. Und es sollte auch nicht vergessen werden, dass eine entschiedene Intervention des Westens, eine konzertierte Aktion von EG und USA zu einem frühen Zeitpunkt in Form einer überzeugenden Machtdemonstration einiges hätte abwenden können. Aber man blieb sehr lange untätig und letztlich waren es die USA, nicht die europäischen Staaten, die mit Nachdruck intervenierten.
Die USA übernahmen dabei sicherheitspolitisch die Führung und wollten nicht mehr zusehen, wie der Balkan als Vorhof Europas weiter destabilisiert wird. Und da Serbien als enger Verbündeter Russlands auch weltpolitisch quer zur USA standen, war Milosevic sehr schnell zum regionalen Feindbild Nummer eins in Washington avanciert, nachdem man angefangen hatte, sich auf dem Balkan zu engagieren und jenen zu „sichern“.
Die Unruhen im Kosovo, die 1998 gewaltsam ausbrachen, waren letztlich eine gute Gelegenheit, Milosevic politisch endgültig kalt zu stellen und so sicherheitspolitisch den Balkan zu „pazifisieren“. Die USA rüstete die damalige Untergrundbewegung der albanischen UCK auf und nutzte sie letztlich als Bodentruppen für die NATO-Luftkräfte. Dadurch soll natürlich nicht negiert werden, dass die albanische Minderheit tatsächlich unterdrückt wurde. Allerdings gab es im Kosovo schon länger Unruhen und ein aggressiver albanischer Nationalismus traf letztlich auf einen ebenso aggressiven serbischen Nationalismus. Die Autonomie des Kosovos, die Tito dem schon länger albanisch dominierten Kosovo gab, wurde nach Unruhen 1980 aufgehoben und nach 1989 wurde die Repression gegen die Albaner noch weiter verstärkt. Der lange Zeit friedliche Widerstand der Albaner wurde aber 1998 durch die UCK gewalttätig und erhielt als serbische Antwort umgehend brutale Repressionsmaßnahmen, wodurch die Eskalationsspirale der Gewalt unweigerlich anfing sich zu drehen. Zeitweise friedliche Vermittlungsversuche durch die OSZE wurden aber weder von den Albanern, noch von den Serben gewürdigt. Tatsächliche und vermeintliche serbische Massaker im Kosovo befeuerten die öffentlichen Debatten im Westen und letztlich versuchte man in den Rambouillet ‑Gesprächen beide Seiten letztmalig zu einer friedlichen Einigung zu bewegen 1999. Interessant dabei sind immer wieder kolportierte Meldungen, dass man seitens der USA die Albaner ultimativ zu einer Einwilligung drängte, egal, ob sie einverstanden wären oder nicht, da man auf Widerstände und Ablehnung seitens der Serben hoffte. Letztlich wird man nicht ganz umhinkommen, die Kosovo-Kampagne der NATO nicht nur als Humanitäre Intervention, sondern auch als gezielten Angriff der USA auf einen unliebsamen Diktatur und einen missliebigen Staat zu deuten. Die fragwürdige, repressive Politik der Serben im Kosovo kann dabei sowohl als vorgeschobener Vorwand wie auch als legitimer Grund gelten – Politik ist eben widersprüchlich. Milosevic war eben ein gutes und ein so passendes Ziel für die USA und zudem machte seine Politik gegen die Albaner auch eine Humanitäre Intervention legitim. Machtpolitik und Schutz der Menschenrechte schienen eben hier zusammen zu passen, daher wurde hier auch eine Humanitäre Intervention möglich. Allerdings sollte man dabei nicht vergessen, dass die Alliierten der USA, die UCK, in anderen Weltgegenden und in anderen, ähnlichen Fällen, einfach als Terroristen und gefährliche Partisanen gegolten hätten, die auch kaum die Standards der parlamentarischen Demokratie erfüllten. Man wählte aus machtpolitischen Gründen die UCK und damit albanische Nationalisten, die oft Verbindungen zu illegalen Netzwerken hatten.
Dass hier in diesem Fall Terroristen als Freiheitskämpfer galten, hatte eben wirklich viel mit der machtpolitischen Situation und den Umständen zu tun. Nicht umsonst war beispielsweise ein Ariel Scharon nicht überzeugt von der Legalität der NATO-Intervention im Kosovo und der Begründung, es gehe um den Schutz vor einer Humanitären Katastrophe. Die Auswahl der Ziele in Serbien selbst, die stetige Ausweitung der Ziele auch gegen deutlichen europäischen Widerstand zeigte allerdings auch, dass nicht die serbischen Truppen und deren unzweifelhaften Menschenrechtsverstöße das Ziel der USA waren, sondern das serbische Regime und das serbische Staat in toto. Die Bombardierung der Donaubrücken in Nis, am anderen, nördlichen Ende Serbiens, machte dies überdeutlich.
Man erhielt dadurch letztlich ein geschwächtes serbisches Regime, das infolge der schweren inneren Verluste und der darauf folgenden schlechten Lebensverhältnisse der Menschen 2000 stürzte.
Allerdings hatten nun die NATO und damit der Westen die Verantwortung für das Kosovo und es zeigte sich schnell, dass man mit der UCK auch keinen vorzeigbaren Partner hatte. Die einseitige und deutliche Parteinahme für die Albaner kostete einen hohen politischen Preis: Statt der Albaner wurden nun die wenigen Serben verfolgt, die geblieben waren. Aus dem Kosovo wurde ein Drehkreuz für Kriminelle und Menschenhändler, politisch instabil und kaum lebensfähig wirtschaftlich angesichts gut 60% Arbeitsloser. Man vermied es aber tunlichst zu sehr in die inneren albanischen Strukturen des Kosovos einzugreifen und ließ der Kriminalität mehr oder minder freien Lauf. Das Übersickern albanischer Untergrundkämpfer nach Mazedonien wurde auch nicht zu energisch unterbunden, so dass auch Mazedonien kurzzeitig 2003 vor einem Bürgerkrieg stand. Inwiefern das ganze nun politisch ein Erfolg war, das sei daher mal dahingestellt. Im Falle des Kosovos, wie beim ganzen Balkankonflikt, fehlte eine überdachte, langfristige Strategie, es wurde zu kurzfristig und dann letztlich zu machtpolitisch und zu einseitig gehandelt. Letztlich zahlte man mit dem Kosovokonflikt und seinen negativen Folgeproblemen auch mit den Preis für eine längere westliche Untätigkeit zu Beginn der 1990er Jahre. Da das Ziel primär Schwächung Serbiens und möglicherweise letztlich Regime change in Belgrad war, achteten gerade die USA zu wenig auf eine kritische Distanz zu ihren Verbündeten der UCK. Dass die einseitige Parteinahme letztlich schon 1998 die Unabhängigkeit des Kosovos vorzeichnete, kann daher heute durchaus als sicher angesehen werden – die weiteren Geschehnisse bestätigen dies ja.
Kosovo — Die Unabhängigkeit des Kosovos — Ein kritischer, historischer Rückblick- kurze Version
Weitere Informationen
Interne Links
Externe Links