Im Rückblick: Die Unabhängigkeit des Kosovos als Ergebnis einer konzeptlosen westlichen Balkanpolitik und einer konzeptlosen Humanitären Intervention Ein kritischer, historischer Rückblick in die Balkanpolitik der westlichen Staatenwelt
Inhalt/Gliederung:
1.) Die Unabhängigkeit des Kosovos im Kontext des Zerfalls Ex-Jugoslawiens – Aufbrausender Nationalismus als politische Waffe und Instrument
2.) Die Schwierigkeit, „richtige“ Politikentscheidungen zu treffen
3.) Die Kosovointervention – Humanitäre Intervention oder machtpolitische Intervention? Die Grundlagen im modernen Völkerrecht
4.) Westliche Balkanpolitik in den 90er Jahren – Zuschauen und Abwarten in Bosnien- Herzegowina
5.) Die Genese des Kosovokonfliktes als machtpolitische und humanitäre Intervention zugunsten der Kosovoalbaner
6.) Die Intervention, die fehlende konzeptionelle Nachsorge und die daraus resultierenden Folgen
7.) Die Unabhängigkeit des Kosovos als Folge planloser westlicher Politik
1.) Die Unabhängigkeit des Kosovos im Kontext des Zerfalls Ex-Jugoslawiens – Aufbrausender Nationalismus als politische Waffe und Instrument
Am Sonntag, den 17.2. 2008, proklamierte die bis dato unter internationaler Verwaltung stehende serbische Provinz Kosovo unilateral ihre Unabhängigkeit von Serbien und rief den unabhängigen, multiethnischen Staat Kosovo aus. Damit reihte sich das Kosovo als momentan letztes Resultat des Zerfallsprozesses des ehemaligen Jugoslawiens in die Reihe nach der Wende neu entstandener Klein- und Zwergstaaten ein, die in Ost- und Südosteuropa entstanden sind. Mit einer Bevölkerung von knapp 2 Millionen Einwohnern und einer Fläche, die kleiner ist, als die des deutschen Bundesland Hessen, gehört das Kosovo mit zum Ergebnis des Zerfallsprozess der sozialistischen, autoritären Vielvölkerstaaten Sowjetunion, Jugoslawien und Tschechoslowakei. Im Rahmen der sozialistischen Einheitsideologie wurden in diesen Staaten mit klugem Ausgleich, aber auch mit brutaler Unterdrückung nationale Zwistigkeiten und nationale Freiheitsaspirationen unterdrückt und verhindert. Mit der politischen Wende in diesen Staaten entluden sich jedoch lange aufgestaute und manchmal neu erweckte und sogar erst produzierte nationale Energien und Ansprüche und führten zum Zerfall dieser Staaten – unblutig wie im Fall der Tschechoslowakei, mal mehr, mal weniger blutig wie im Fall der Sowjetunion und als blutige Bürgerkriege wie im Fall von Jugoslawien. Die bis dato im sozialistischen Regime mehr oder minder unterdrückten nationalen Denkweisen und Emotionen wurden neu erweckt und führten zu Spannungen, die die im politischen Wandel befindlichen Staaten schlicht überforderten. Ein Land, wie die Tschechoslowakei, die den Übergang von der Diktatur in Richtung auf Demokratie recht gut gelang, brach daher auch letztlich friedlich auseinander – die Slowaken konnten ihre Selbstbestimmung ohne Gewalt einfordern. Jugoslawien dagegen und auch die Sowjetunion konnten aus verschiedenen Gründen keinen solch gelungenen Wandel durchmachen. Die nationalen Spannungen führten direkt zum Zerfall und im Fall Jugoslawiens auch zum Bürgerkrieg und damit zu den Balkankriegen der 1990er Jahre.
Allerdings darf hier wie in vielen anderen Fällen der aufkeimende Nationalismus nicht als Naturgewalt betrachtet werden, zu dessen gewaltsamer Durchsetzung und Blüte es keine Alternative gegeben hätte. Gerade am Beispiel Jugoslawien sah man sehr schön, dass multiethnische Koexistenz bei klugem Ausgleich durchaus funktionieren konnte. Gerade im Teilstaat Bosnien-Herzegowina war die friedliche Nachbarschaft zwischen Kroaten, Serben und slawisch-bosnischen Moslems an der Tagesordnung. Dort gab es eine hohe Quote binationaler Mischehen. Im Zuge aber der Abschwächung und Auflösung der politischen Ordnung in Jugoslawien nach dem Tode Titos in den 1980er Jahren begannen die sich nun um das Erbe Titos streitenden Gruppen und Fraktionen mehr und mehr an nationale Gefühle der einzelnen Ethnien zu appellieren. Die alte sozialistische Ideologie verblasste mehr und mehr und stattdessen bedienten sich die Politiker einer anderen, ebenso effektiven Ideologie – dem Nationalismus. Durch die zunehmende Betonung nationaler Identitäten wurden alte, nie vergessene nationale Gefühle neu erweckt und im Kampf um die Verteilung von Macht, Einfluss und Posten in Jugoslawien zunehmend instrumentalisiert.
Und der größte Meister darin wurde Slobodan Milosevic. Er verdankte seinen Aufstieg und seine Macht in Serbien seiner Geschicklichkeit und Virtuosität im Ausspielen nationalistischer serbischer Gefühle. Er war Meister, sie zu instrumentalisieren und sie Dämonen gleich zum Leben zu erwecken. Und hier kommen wir zum Thema unserer Betrachtung, zum Kosovo. Denn dort, mit der Amselfeldrede von 1986 zum 600-jährigen Jahrestag der Amselfeldschlacht der Serben gegen die Osmanen, begann er seine demagogische mediale Präsenz als Beschützer der serbischen Interessen, der die Rolle der Serben und die Machtstellung der Serben in Jugoslawien bewahren wollte. Nach und nach wurden so auf allen Seiten hitzige nationale Gefühle wach, die unweigerlich zum Konflikt führten.