Humanitäre Interventionen — Ausdruck einer neuen Menschenrechtsbasierten Ordnung?

2.) Der Koso­vo-Krieg als Pro­to­typ ein­er human­itären Inter­ven­tion?
Nach­dem die The­o­rie und die grundle­gen­den Punk­te in diesem Feld erörtert wur­den, komme ich nun zu dem Feld der Empirie. Human­itäre Inter­ven­tio­nen sind ger­ade nach Ende des Kalten Krieges ver­mehrt durchge­führt wur­den und der Koso­vokrieg ist das Beispiel ein­er ide­al­isierten Human­itären Inter­ven­tion par Excel­len­ze, mit all den Schat­ten und Untiefen, die dazu gehören. (24) Eine Analyse des Geschehens soll nun fol­gen, in denen die notwendi­gen Rah­menbe­din­gun­gen für das Ein­greifen von Staat­en in solchen Krisen­fällen exam­iniert wer­den soll.

2.1) Pul­ver­fass Balkan und Krisen­herd Kosovo

Der Koso­vo wie der gesamte Balkan waren seit dem Ende des Kom­mu­nis­mus ein stetiger Unruhe- und Krisen­herd, der Europa in den Neun­ziger Jahren des let­zten Jahrhun­derts immer wieder beschäftigt hat. Mit dem Ende des Kom­mu­nis­mus und der allmäh­lichen Wende in Jugoslaw­ien, erhiel­ten alte eth­nisch-religiöse Feind­schaften und Trennlin­ien wieder neue Nahrung, die bis­lang im Rah­men des jugoslaw­is­chen Ein­heitsstaates unter­drückt wor­den waren.
Jugoslaw­ien zer­fiel daher allmäh­lich, eigentlich schon seit dem Tod seines Staats­grün­ders Titos 1980. (25) Diese Prob­leme allerd­ings kön­nen im Rah­men mein­er Arbeit hier nicht weit­er unter­sucht wer­den.
Wichtig ist, dass Jugoslaw­ien zer­fiel und – auf­grund der starken eth­nis­chen Gemen­ge­lage – Gewalt und Krieg und eth­nis­che Säu­berung zum Mit­tel wur­den, um neue Staat­en und Gren­zen zu schaf­fen.
So geschehen im Bosnien-Krieg, in dem der West­en so kläglich ver­sagt hat­te auf­grund intern­er Uneinigkeit, wie man mit dem Prob­lem zu ver­fahren sei. (26) Erst 1995 wurde durch das beherzte Ein­greifen der NATO und die Unter­stützung Kroa­t­iens gegen Restju­goslaw­ien ‚sowie durch die Hil­fe für die bosnisch moslemisch-kroat­is­che Allianz gegen die bosnis­chen Ser­ben, dem bluti­gen Krieg ein Ende geset­zt. Diese Inter­ven­tion führte schließlich zu dem Friedensver­trag von Day­ton 1995. Im Bosnienkrieg von 1992 bis 1995 hat­ten die bosnis­chen Ser­ben gegen die bosnis­chen Kroat­en und die bosnis­chen Mus­lime gekämpft, wobei zeitweise auch Kroat­en und Mus­lime einan­der bekriegten. (27)
Das Koso­vo blieb erst­mal von solch­er Gewalt ver­schont: Extreme Prob­leme bestanden aber auch hier: Die Bevölkerungsmehrheit der moslemis­chen Albaner wollte nicht mehr länger unter der Herrschaft der Ser­ben leben, die das Koso­vo aber als inte­gralen his­torischen Teil Ser­bi­ens anse­hen.
Unter Tito hat­te das Koso­vo noch einen umfan­gre­ichen Autonomi­es­ta­tus inner­halb der sozial­is­tis­chen ser­bis­chen Teil­re­pub­lik inne gehabt. Dieser Sta­tus wurde aber let­ztlich nach diversen Unruhen der Albaner im Laufe der Achtziger Jahre aufge­hoben 1989. Nation­al­is­tis­che Stim­mungen macht­en sich auf bei­den Seit­en bre­it, ins­beson­dere nach Titos Tod. Wichtig ist weit­er­hin die sym­bol­is­che Bedeu­tung des Kosovos für die Ser­ben her­auszuheben: Milo­se­vic machte sich eben jene Bedeu­tung in seinen frühen Jahren als Poli­tik­er zu Nutze. Er sprach auf dem Koso­vo Pol­je (Amselfeld) 1989 auf ein­er riesi­gen Kundge­bung zum Gedenken an eben jene Schlacht vor 600 Jahre, in der die Ser­ben dem osman­is­chen Ansturm unter­la­gen. So machte er sich das Koso­vo-Prob­lem poli­tisch zu per­sön­lichen P.R. Zwecke zu Nutze. (28)
Das Koso­vo wurde aber inzwis­chen mehrheitlich von Albanern bewohnt, so dass die Span­nun­gen ger­ade im Rah­men des sich abze­ich­nen­den Zer­falls Jugoslaw­iens weit­er anstiegen. Gegen die ser­bis­che Unter­drück­ung bildete sich eine Unab­hängigkeits­be­we­gung unter dem Intellek­tuellen Ibrahim Rugo­va in Form der LDK, des „Demokratis­chen Bun­des für den Koso­vo“, die seit 1989 aktiv war. Diese friedliche Unab­hängigkeits­be­we­gung der Albaner führte zunächst zu kein­er offe­nen und gewalt­samen Eskala­tion des Kon­flik­tes. Ein kosovoal­ban­is­ch­er Par­al­lel­statt wurde aufge­baut, der den friedlichen und zivilen Ungehorsam 

gegen die ser­bis­chen Behör­den leit­ete und steuerte. Dage­gen wiederum wandten die Ser­ben eine
Diskri­m­inierungs- und Seg­re­ga­tion­spoli­tik an, die sich gegen die Albaner wandte. Die Sit­u­a­tion eskalierte aber zuse­hends, als ab 1996 eine neue poli­tis­che Kraft die Bühne betrat. Die UCK, die kosovoal­ban­is­che Befreiungsarmee, führte den Kampf gegen die Ser­ben auch mit gewalt­samen Mit­teln und so trat der Kon­flikt in eine neue Eskala­tion­sstufe ein. Die ersten Kämpfe flammten 1998 auf. (29) In Ora­ho­vac kam es dabei im Juli 1998 zu dem ersten großen bewaffneten Auf­s­tand der UCK. (30)
Die Ser­ben waren nicht gewil­lt den Albanern freie Hand zu lassen und schlu­gen mit aller Macht zurück. Die jugoslaw­is­che Bun­de­sarmee, die ser­bis­che Polizei und diverse Son­dere­in­heit­en paramil­itärisch­er Natur wur­den im laufe des Kon­flik­ts aufge­boten. Trotz einiger anfänglich­er Erfolge geri­et die UCK daher recht schnell in die Defen­sive. Ihre leicht bewaffneten Gueril­la-Trup­ps kon­nten nur im Stile des Par­ti­sa­nenkrieges den ser­bis­chen Sicher­heit­skräften einzelne Schläge austeilen. Anschläge auf ser­bis­che Ziele wur­den auch durchge­führt. Zum Sieg über die gut gerüsteten und aus­ge­bilde­ten ser­bis­chen Ein­satzkräfte reichte es aber nicht.
Prob­lema­tisch war allerd­ings, dass im Rah­men dieses Par­ti­sa­nenkrieges die Zivil­bevölkerung stark litt unter den ser­bis­chen „Befriedungsak­tio­nen“, die mit aller Härte geführt wer­den. (31)
Daher kam es auf inter­na­tionalem Druck seit­ens der west­lichen Gemein­schaft, hier ins­beson­dere der USA, zu einem Waf­fen­still­stand im Herb­st des Jahres 1998. Bel­grad hat­te aber erst nach ersten Dro­hun­gen der NATO, Luftan­griffe zu starten, ein­ge­lenkt und dem so genan­nten Hol­broke-Milo­se­vic-Abkom­men im Okto­ber 1998 zuges­timmt. Die Ver­mit­tlung Rus­s­lands im Rah­men der Koso­vo-Kon­tak­t­gruppe (USA, Rus­s­land, Großbri­tan­nien, Frankre­ich und Ital­ien) (32) ver­fehlte ihre Wirkung aber auch nicht. Als Ergeb­nis zogen sich zwar Teile der ser­bis­chen Ein­heit­en zunächst zurück. Inter­na­tionale Beobachter der OSZE wur­den im Koso­vo sta­tion­iert. Doch die UCK nutze dies für ihre Zwecke aus. Daher blieb es trotz Waf­fen­still­stand bei ein­er hoch gelade­nen Span­nung und die Kämpfe flammten wieder auf ab Jahres­be­ginn 1999. (33)

2.2.) Die ange­bliche human­itäre Katas­tro­phe im Kosovo

Nach­dem die Kämpfe wieder auf­flammten, ver­schlim­merte sich die Lage für die Zivil­bevölkerung zuse­hends. Schon Mitte 1998 sollen gut 250.000 Kosovoal­baner auf­grund der Kämpfe und ser­bis­ch­er Vertrei­bun­gen auf der Flucht gewe­sen sein. (34) Allerd­ings muss man sich im Klaren darüber sein, dass Par­ti­sa­nenkriege in der Geschichte generell unsauber geführt wur­den. (35)

Die Schwierigkeit liegt darin, den Geg­n­er zu fassen zu bekom­men und zu ver­nicht­en. Daher ist der Angriff auf ver­meintlich feindlich-gesin­nte Zivil­bevölkerung beson­ders ver­lock­end und ein­fach. Let­ztlich wurde von ser­bis­ch­er Seite mit pur­er Gewalt ver­sucht den Wider­stand zu brechen.
Zudem hielt sich die UCK auch nicht an den Waf­fen­still­stand von Herb­st 1998. (36) Allerd­ings wur­den die Rah­menbe­din­gun­gen tat­säch­lich immer schlechter für die Zivil­bevölkerung. Der erste Höhep­unkt dieser bru­tal­en Kämpfe bildete das Mas­sak­er von Racak vom Jan­u­ar 1999, das ein großes medi­ales Echo erhielt und let­ztlich vor allem in der Öffentlichkeit für viel Auf­se­hen sorgte. (37) Damit war der Boden im Nach­hinein wohl bere­it­et für eine mögliche Inter­ven­tion.
Das Scheit­ern der Ram­bouil­let Friedens­ge­spräche bildete dann let­ztlich die Möglichkeit, um den Krieg zu begin­nen. Die Ver­hand­lun­gen zwis­chen Restju­goslaw­ien und den Kosovoal­banern unter inter­na­tionaler Regie der Koso­vo-Kon­tak­t­gruppe scheit­erten: Nur die Kosovoal­baner unterze­ich­neten das Abkom­men. (38) Man kön­nte sicher­lich vieles zu diesen Ver­hand­lun­gen noch schreiben und auch ihr Scheit­ern wäre wohl eine eigene Analyse wert. Es wurde schein­bar auf die Kosovoal­baner sehr geziel­ter Druck von Seit­en der Amerikan­er aus­geübt , während man wohl gegenüber der ser­bis­chen Seite gezielt unan­nehm­bare bzw. unan­genehme Forderun­gen gestellt hat­te. (39) Ob daher die Ablehnung des Abkom­mens durch Restju­goslaw­ien beab­sichtigt war, darüber lässt sich tre­f­flich spekulieren.
Fakt ist aber: Erst nach Beginn der Bombe­nan­griffe ab dem 24. März kam es zu jen­er human­itären Katas­tro­phe, die man eigentlich ver­hin­dern wollte. Außer­dem wur­den die Trup­pen im Koso­vo selb­st nur halb­herzig ange­grif­f­en: Da die mobilen Luftab­wehrein­heit­en nicht aus­geschal­tet wer­den kon­nten, bestand per­ma­nente Angst vor eige­nen Ver­lus­ten. Daher ver­legte man sich lieber darauf, die jugoslaw­is­che Führung durch die ständi­gen Attack­en auf Infra­struk­tur und die Sub­stanz des ser­bis­chen Staates in die Knie zu zwin­gen: Brück­en wur­den auf­grund strate­gis­ch­er Über­legun­gen zer­stört und dual nutzbare und wichtige Ein­rich­tun­gen wie Elek­triz­itätswerke wur­den zer­stört, (40) sog­ar Spitäler getrof­fen bzw. die chi­ne­sis­che Botschaft getrof­fen. (41) Die ser­bis­chen Trup­pen im Felde wur­den dage­gen nur teil­weise getrof­fen, da präzise Angriffe auf sie im großen Maßstab Ver­luste bedeutet hät­ten und Tief­flu­gan­griffe nötig gemacht hät­ten in größer­er Zahl. (42) Außer­dem wur­den Split­ter­bomben einge­set­zt. Ander­er­seits war der Erfolg zunächst neg­a­tiv: Die Sicher­heit­skräfte Ser­bi­ens wüteten auf­grund der NATO-Angriffe mit uner­müdlichem Grimm. Daher fol­gte nun erst die so sehr befürchtete human­itäre Katas­tro­phe: Die Kosovoal­baner irrten im Koso­vo herum oder wur­den gezielt in die Nach­bar­län­der abgeschoben um sie zu desta­bil­isieren. (43) In dem Punkt ver­fehlte also die Kosovoin­t­er­ven­tion zunächst ihre vordergründige 

Ziel­stel­lung aller medi­en­tech­nis­chen Schminke zum Trotz. Ander­er­seits stimmte let­ztlich Milo­se­vic dem von der NATO bes­timmten Friedensver­trag zu. Rus­s­land und auch die UNO saßen allerd­ings nun mit im Boot und auch eine rus­sis­che Beteili­gung bei der Kosovofrieden­struppe KFOR erfol­gte. (44) Let­ztlich kam es dann doch zu ein­er Befriedung des Kosovos und zum mehr oder min­der erfol­gre­ichen Abschluss der Inter­ven­tion. Allerd­ings ist dieser Erfolg doch geschmälert durch einige unan­genehme Fak­ten: Die Ser­ben sind nun die schützenswerte Eth­nie gewor­den und der Zus­tand des Kosovos als inter­na­tionales UN-Pro­tek­torat ist nicht sehr pos­i­tiv. Mafiöse Struk­turen dominieren nun. (45) Pos­i­tiv ist aber, dass nach dem Krieg Milo­se­vic stark an Rück­endeck­ung in der Bevölkerung ver­lor. Unzufrieden­heit machte sich in der Bevölkerung bre­it auf­grund der nun­mehr katas­trophalen wirtschaftlichen Lage. Der Oppo­si­tion gelang es so Milo­se­vic zu stürzen. (46) Ohne die ver­heeren­den Bom­barde­ments hätte dieser Prozess ver­mut­lich wohl länger gedauert. 

2.3.)Das Han­deln der NATO trotz fehlen­der direk­ter Legit­i­ma­tion durch den Welt­sicher­heit­srat

Eine schwere Belas­tung stellte diese Inter­ven­tion für das Bünd­nis aber trotz­dem da. Denn völk­er­rechtlich betra­chtet war es ein Angriff­skrieg der Nor­dat­lantis­chen Allianz gegen Ser­bi­en. (47)
Der Un-Sicher­heit­srat ver­ab­schiedete gle­ich zweimal eine UN-Res­o­lu­tion zum Stopp der Gewalt im Koso­vo. Aus­drück­lich erfol­gte aber keine Legit­i­ma­tion von Gewalt, um die Zustände zu verbessern. (48) Allerd­ings führte ger­ade der amerikanis­che Druck in der Nor­dat­lantis­chen Allianz dazu, dass den diversen Dro­hun­gen Nach­druck ver­liehen wurde und die Allianz in den ersten Krieg ihrer Geschichte zog. Wieder wie in Bosnien war es die verbliebene Welt­macht, die das Heft des Han­delns in die Hand nahm. (49)
Laut Ruloff hat­te die NATO dabei let­ztlich fünf gute Gründe in den Koso­vokrieg zu ziehen: Die Allianz hätte unter großem Druck ges­tanden, da in der Öffentlichkeit die ser­bis­chen Gräueltat­en stark wahrgenom­men wur­den und daher von dieser Seite das poli­tis­che Sys­tem starken Input erhielte.
Auch wären die Flüchtlingsströme und hier ins­beson­dere die noch zu erwartenden Flüchtlingswellen in Folge der eth­nis­chen Säu­berun­gen ein großes Prob­lem und Ärg­er­nis gewe­sen.
Des Weit­eren hätte Milo­se­vic endlich Ein­halt geboten wer­den müssen, da nach den Geschehnis­sen im Bosnienkrieg Milo­se­vic und sein Restju­goslaw­ien inzwis­chen als Friedensstör­er aus­gemacht wor­den wäre. Auch hätte sich die Allianz in der Logik ihrer eige­nen Dro­hun­gen ver­fan­gen. Nach all den Dro­hun­gen war die Ver­wirk­lichung jen­er ein­fach zwin­gend, so Ruloff. Man wäre außer­dem von Seit­en der NATO der Illu­sion erlegen, dass die Bombe­nan­griffe Milo­se­vic recht schnell unblutig zum Ein­lenken bewegt hät­ten. Diese Punk­te hat­te zumin­d­est Ruloff aus­gemacht in seinen Kriegsstu­di­en. (50)
Generell ist ihm beizupflicht­en. Der Koso­vo bildete mit seinen Spez­i­fi­ka und der beson­deren dama­li­gen poli­tis­chen Sit­u­a­tion her­vor­ra­gende Maß­gaben für die Real­isierung und Durch­führung ein­er human­itären Inter­ven­tion, die das Lei­den der Kosovoal­baner mildern sollte.
Denn trotz aller Ver­wässerung und Uni­ver­sal­ität­sansprüche der Men­schen­rechte war dieser Ein­satz sehr kon­tro­vers disku­tiert wur­den. (51) Let­ztlich aber kamen — wie Ruloff schon analysierte – mehrere Aspek­te zusam­men, die let­ztlich den NATO-Ein­satz ermöglicht­en. Ich per­sön­lich würde mich da auf drei Fak­toren fokussieren wollen: Zum einen die große Medi­en­präsenz, die meines Eracht­ens eine Art Grundbe­din­gung darstellt. Dann die Übere­in­stim­mung human­itär­er Anliegen und macht­poli­tis­ch­er Inter­essen und eine gün­stige Kosten-Nutzen-Rela­tion.
Die bei­den let­zten Punk­te ver­di­enen noch eine nähere Erläuterung, da sie recht all­ge­mein gehal­ten sind und daher fall­spez­i­fisch erläutert wer­den müssen. Wie schon von Roloff gesagt, stand Ser­bi­en bzw. die ser­bis­che Nation unter Milo­se­vic im beson­deren Fokus während der jugoslaw­is­chen Sezes­sion­skriege bzw. all­ge­mein während den Balkankriegen der Neun­ziger Jahre. Milo­se­vic und der von ihm propagierte ser­bis­che Nation­al­is­mus wur­den vom West­en als die aus­greifende, expan­sive Kraft gebrand­markt. Sie trug die Hauptschuld an den Kriegen und den Gräueltat­en. Daher stellte nun nach den Ver­säum­nis­sen des Bosnienkrieges ein Ein­greifen fast eine Notwendigkeit dar, wenn man dieser Logik fol­gt. (52) Pres­tigetech­nisch und auch in der Außen­darstel­lung war es mehr als eine Pein­lichkeit, wenn im europäis­chen Hin­ter­hof des Balka­ns immer und immer Men­schen mas­sakri­ert und ver­trieben wer­den wie vielle­icht in Schwarzafri­ka, während man in Maas­tricht eine Währung­sunion beschloss um das (west)europäische Haus zu bauen. Dem musste abge­holfen wer­den. Milo­se­vic hat­te zwar sich während der Day­ton-Ver­hand­lun­gen als mäßi­gen­der und pos­i­tiv­er Ein­flussfak­tor auf die bosnis­chen Ser­ben her­aus­gestellt. (53) Den­noch war er für den West­en der Hauptschuldige an den Vorgän­gen. Daher mussten seine Aktio­nen gestoppt wer­den und das Koso­vo war das Feld der Aktion. Milo­se­vic war zur per­sona non gra­ta gewor­den und daher waren die Vorgänge im Koso­vo wohl let­ztlich der Tropfen, der das Fass zum Über­laufen gebracht hat­te. Erin­nert sei beson­ders nochmals an die geostrate­gis­che Lage des Balka­ns: Als europäis­ch­er Hin­ter­hof war man trotz aller Gle­ichgültigkeit, die man zunächst gezeigt hat­te, nicht gän­zlich unin­ter­essiert an dieser Region. (54) Die Untätigkeit zunächst resul­tierte wohl eher aus inner­er Zer­strit­ten­heit und Unentschlossen­heit, die durch die neue Sit­u­a­tion­slage nach Ende des Kalten Krieges begrün­det wer­den kann. (55)

Als Teil Europas war die Gel­tung und Anerken­nung der Men­schen­rechte auch im Balkan ein wichtiger Punkt für europäis­che und US-amerikanis­che Poli­tik­er. Daher stand dem human­itären Anliegen kein ent­ge­gen gerichtetes macht­poli­tis­ches Inter­esse gegenüber.
Im Gegen­teil, hier stimmten human­itäres Anliegen — das Ret­ten koso­varisch­er Men­schen­leben – und Macht­poli­tik – Vorge­hen gegen Milo­se­vic — übere­in. Auch daher nahm man es nicht so genau mit den Fak­ten. Die UCK wäre wohl in anderen Fällen als bloße Ban­diten und Ter­ror­is­ten beze­ich­net wor­den. Dies ist eine viel gebrachte Kri­tik, die ins­beson­dere von Noam Chom­sky u.a. promi­nent vertreten wird. Hier bewahrheit­et sich wieder mal, dass die Ein­schätzung poli­tisch-mil­itärisch­er Bewe­gun­gen auf einem sehr schmalen Grad poli­tis­ch­er Wahrnehmung und Inter­essen erfol­gt und dass die Wahrnehmung dabei sehr oft durch Inter­essen und Absicht­en verz­er­rt wird. (56)

Aber: Wohl auch auf­grund der geo­graphis­chen Nähe war das Medi­en­in­ter­esse groß an den Vorgän­gen im Koso­vo. Macht­poli­tis­che Inter­essen standen auch nicht weit­er im Gegen­satz zu dem human­itären Anliegen, das Koso­vo zu befrieden und dort einzu­greifen. Ganz im Gegen­teil, wie ich aus­ge­führt habe.
Und let­ztlich: Die Kosten-Nutzen-Über­legun­gen waren unter den gegeben Umstän­den akzept­abel. (57) Restju­goslaw­ien stellte keine Groß­macht dar, deren mil­itärische Poten­ziale einen Krieg unmöglich gemacht hät­ten. Der schon mehrfach erprobte chirur­gis­che Bombenkrieg mit­tels neuer High-Tech-Waf­fen ermöglichte ein starkes mil­itärisches Drohszenario ein­er­seits, ander­er­seits aber mod­er­ate eigene und zivile Ver­luste bei ein­er Aktion. Da man bei der Inter­ven­tion sich auf eine weit über­legene Luft­waffe stützte, die haupt­säch­lich von den USA gestellt wurde und da man bei der Luftkriegs­führung sehr auf die Sicher­heit der Piloten Wert legte, wollte man so eigene Ver­luste ver­mei­den. Ander­er­seits wollte man durch neue High-Tech Waf­fen sich­er­stellen, dass die zivilen Schä­den, die sog. Kol­lat­er­alschä­den, niedrig bleiben. Allerd­ings gab es inner­halb der Allianz über die Kriegs­führung auch enorme Kon­tro­ver­sen, da die Europäer­mehr Rück­sicht auf Ser­bi­en nehmen woll­ten. (58)
Bei­de Punk­te, die Inter­essen­lage und die Ratio­nal­ität ein­er Inter­ven­tion waren und sind zen­tral, um die poli­tis­che Akzep­tanz eines Ein­satzes sich­er zu stellen. Soma­lia war dafür ein gutes Beispiel: Mehr und mehr zivile Tote, aber auch tote US-amerikanis­che Sol­dat­en führten zu ein­er öffentlichen Ablehnung der Inter­ven­tion infolge zu hoher Ver­luste und damit zum Rück­zug. Auch fehlte let­ztlich das echte poli­tis­che Inter­esse an der Region. (59) Diese Entwick­lung sollte im Koso­vo ver­mieden wer­den und durch die ver­meintlich richtige Strate­gie und das Vorhan­den­sein entsprechen­der tech­nol­o­gis­ch­er Mit­tel sah die Kosten-Nutzen-Rech­nung pos­i­tiv bei einem Ein­satz aus. 

Wie also schon kurz aus­ge­führt: Diese oben genan­nten Son­derbe­din­gun­gen erlaubten es der NATO trotz fehlen­den UN-Man­dats die Inter­ven­tion durchzuführen mein­er Mei­n­ung nach.
Die durch die Fehlka­lku­la­tio­nen — Milo­se­vic würde nach ein paar Bomben schnell nachgeben — ent­stande­nen Prob­leme für die Allianz sind lei­der nicht The­men dieser Arbeit. Diese Prob­lematik im Bezug auf das Koso­vo muss lei­der unberück­sichtigt bleiben, eben­so das damit eng ver­bun­dene Prob­lem der Kriegs­führung. Es sei nur so viel gesagt: Die Inter­ven­tion und die daraus resul­tierende Schaf­fung eines UN-Pro­tek­torats hat sowohl let­ztlich die Men­schen­recht­slage für die Kosovoal­baner wesentlich verbessert, aber auch neue Prob­leme geschaf­fen. (60) Der erstark­ende alban­is­che Nation­al­is­mus wurde gefes­tigt und auch Maze­donien zeitweilig kurzzeit­ig destabilisiert.(61) Auch ist das Koso­vo heute stark durch mafiöse Struk­turen der Kosovoal­baner dominiert und die Ser­ben nun die gefährdete Eth­nie. (62) Dies zeigt, dass human­itäre Inter­ven­tio­nen nicht zwangsläu­fig nur human­itäre Ergeb­nisse haben. 

2.4.) Der Koso­vo-Krieg: Eher Son­der­fall als die Regel?

Ein Faz­it hin­ter den Koso­vo-Krieg zu ziehen ist nicht leicht, da man sich­er nicht von reinem Erfolg oder Mis­ser­folg sprechen kann.
Bezieht man sich auf den human­itären Charak­ter, so bleibt festzustellen, dass der Koso­vo-Krieg ein Präze­den­z­fall ist. Die größte und stärk­ste mil­itärische Allianz der Welt hat hier einen Angriff­skrieg durchge­führt um Men­schen­rechtsver­let­zun­gen zu stop­pen ohne UN-Man­dat. (63) Viele sahen darin eine Zeit­en­wende. Doch man kann gegen diese Sichtweise ein­wen­den, dass let­ztlich nicht allein Prinzip gegen Prinzip ste­ht, also Sou­veränität ver­sus Men­schen­rechte. Dies ist die rein nor­ma­tiv-moralis­che Ebene. Entschei­dend sind reale Zusam­men­hänge und Spez­i­fi­ka, so dass jede human­itäre Inter­ven­tion, je nach Lage, Ort und Sit­u­a­tion ver­schieden ist.
Der Fall Ost-Tim­o­rs unter­schei­det sich auf­fäl­lig vom Koso­vo-Kon­flikt beispiel­sweise. Der Druck auf die indone­sis­che Regierung fiel lange Zeit sehr mod­er­at aus, das Mor­den dort zu been­den und die Rechte der mehrheitlich katholis­chen Ost­ti­moressen anzuerken­nen. (64) Dieser Missver­halt lag jedoch nicht in der human­itären Inter­ven­tion selb­st begrün­det oder gar in der Art, in der die Men­schen­rechte ver­let­zt wur­den. Das Prob­lem stell­ten Rah­menbe­din­gun­gen dar, die damals in diesem Fall herrscht­en. Dies hat­te ich in der obi­gen Analyse ver­sucht zu illus­tri­eren.
Moralis­che Posi­tio­nen, rechtliche Posi­tio­nen, aber auch hand­feste macht­poli­tis­che Inter­essen verbinden sich und erst in deren Zusam­men­spiel wird die human­itäre Inter­ven­tion möglich.
Der reine Ver­stoß gegen Men­schen­rechte reicht da noch nicht aus. 

Team GlobDef

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