2.) Der Kosovo-Krieg als Prototyp einer humanitären Intervention?
Nachdem die Theorie und die grundlegenden Punkte in diesem Feld erörtert wurden, komme ich nun zu dem Feld der Empirie. Humanitäre Interventionen sind gerade nach Ende des Kalten Krieges vermehrt durchgeführt wurden und der Kosovokrieg ist das Beispiel einer idealisierten Humanitären Intervention par Excellenze, mit all den Schatten und Untiefen, die dazu gehören. (24) Eine Analyse des Geschehens soll nun folgen, in denen die notwendigen Rahmenbedingungen für das Eingreifen von Staaten in solchen Krisenfällen examiniert werden soll.
2.1) Pulverfass Balkan und Krisenherd Kosovo
Der Kosovo wie der gesamte Balkan waren seit dem Ende des Kommunismus ein stetiger Unruhe- und Krisenherd, der Europa in den Neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts immer wieder beschäftigt hat. Mit dem Ende des Kommunismus und der allmählichen Wende in Jugoslawien, erhielten alte ethnisch-religiöse Feindschaften und Trennlinien wieder neue Nahrung, die bislang im Rahmen des jugoslawischen Einheitsstaates unterdrückt worden waren.
Jugoslawien zerfiel daher allmählich, eigentlich schon seit dem Tod seines Staatsgründers Titos 1980. (25) Diese Probleme allerdings können im Rahmen meiner Arbeit hier nicht weiter untersucht werden.
Wichtig ist, dass Jugoslawien zerfiel und – aufgrund der starken ethnischen Gemengelage – Gewalt und Krieg und ethnische Säuberung zum Mittel wurden, um neue Staaten und Grenzen zu schaffen.
So geschehen im Bosnien-Krieg, in dem der Westen so kläglich versagt hatte aufgrund interner Uneinigkeit, wie man mit dem Problem zu verfahren sei. (26) Erst 1995 wurde durch das beherzte Eingreifen der NATO und die Unterstützung Kroatiens gegen Restjugoslawien ‚sowie durch die Hilfe für die bosnisch moslemisch-kroatische Allianz gegen die bosnischen Serben, dem blutigen Krieg ein Ende gesetzt. Diese Intervention führte schließlich zu dem Friedensvertrag von Dayton 1995. Im Bosnienkrieg von 1992 bis 1995 hatten die bosnischen Serben gegen die bosnischen Kroaten und die bosnischen Muslime gekämpft, wobei zeitweise auch Kroaten und Muslime einander bekriegten. (27)
Das Kosovo blieb erstmal von solcher Gewalt verschont: Extreme Probleme bestanden aber auch hier: Die Bevölkerungsmehrheit der moslemischen Albaner wollte nicht mehr länger unter der Herrschaft der Serben leben, die das Kosovo aber als integralen historischen Teil Serbiens ansehen.
Unter Tito hatte das Kosovo noch einen umfangreichen Autonomiestatus innerhalb der sozialistischen serbischen Teilrepublik inne gehabt. Dieser Status wurde aber letztlich nach diversen Unruhen der Albaner im Laufe der Achtziger Jahre aufgehoben 1989. Nationalistische Stimmungen machten sich auf beiden Seiten breit, insbesondere nach Titos Tod. Wichtig ist weiterhin die symbolische Bedeutung des Kosovos für die Serben herauszuheben: Milosevic machte sich eben jene Bedeutung in seinen frühen Jahren als Politiker zu Nutze. Er sprach auf dem Kosovo Polje (Amselfeld) 1989 auf einer riesigen Kundgebung zum Gedenken an eben jene Schlacht vor 600 Jahre, in der die Serben dem osmanischen Ansturm unterlagen. So machte er sich das Kosovo-Problem politisch zu persönlichen P.R. Zwecke zu Nutze. (28)
Das Kosovo wurde aber inzwischen mehrheitlich von Albanern bewohnt, so dass die Spannungen gerade im Rahmen des sich abzeichnenden Zerfalls Jugoslawiens weiter anstiegen. Gegen die serbische Unterdrückung bildete sich eine Unabhängigkeitsbewegung unter dem Intellektuellen Ibrahim Rugova in Form der LDK, des „Demokratischen Bundes für den Kosovo“, die seit 1989 aktiv war. Diese friedliche Unabhängigkeitsbewegung der Albaner führte zunächst zu keiner offenen und gewaltsamen Eskalation des Konfliktes. Ein kosovoalbanischer Parallelstatt wurde aufgebaut, der den friedlichen und zivilen Ungehorsam
gegen die serbischen Behörden leitete und steuerte. Dagegen wiederum wandten die Serben eine
Diskriminierungs- und Segregationspolitik an, die sich gegen die Albaner wandte. Die Situation eskalierte aber zusehends, als ab 1996 eine neue politische Kraft die Bühne betrat. Die UCK, die kosovoalbanische Befreiungsarmee, führte den Kampf gegen die Serben auch mit gewaltsamen Mitteln und so trat der Konflikt in eine neue Eskalationsstufe ein. Die ersten Kämpfe flammten 1998 auf. (29) In Orahovac kam es dabei im Juli 1998 zu dem ersten großen bewaffneten Aufstand der UCK. (30)
Die Serben waren nicht gewillt den Albanern freie Hand zu lassen und schlugen mit aller Macht zurück. Die jugoslawische Bundesarmee, die serbische Polizei und diverse Sondereinheiten paramilitärischer Natur wurden im laufe des Konflikts aufgeboten. Trotz einiger anfänglicher Erfolge geriet die UCK daher recht schnell in die Defensive. Ihre leicht bewaffneten Guerilla-Trupps konnten nur im Stile des Partisanenkrieges den serbischen Sicherheitskräften einzelne Schläge austeilen. Anschläge auf serbische Ziele wurden auch durchgeführt. Zum Sieg über die gut gerüsteten und ausgebildeten serbischen Einsatzkräfte reichte es aber nicht.
Problematisch war allerdings, dass im Rahmen dieses Partisanenkrieges die Zivilbevölkerung stark litt unter den serbischen „Befriedungsaktionen“, die mit aller Härte geführt werden. (31)
Daher kam es auf internationalem Druck seitens der westlichen Gemeinschaft, hier insbesondere der USA, zu einem Waffenstillstand im Herbst des Jahres 1998. Belgrad hatte aber erst nach ersten Drohungen der NATO, Luftangriffe zu starten, eingelenkt und dem so genannten Holbroke-Milosevic-Abkommen im Oktober 1998 zugestimmt. Die Vermittlung Russlands im Rahmen der Kosovo-Kontaktgruppe (USA, Russland, Großbritannien, Frankreich und Italien) (32) verfehlte ihre Wirkung aber auch nicht. Als Ergebnis zogen sich zwar Teile der serbischen Einheiten zunächst zurück. Internationale Beobachter der OSZE wurden im Kosovo stationiert. Doch die UCK nutze dies für ihre Zwecke aus. Daher blieb es trotz Waffenstillstand bei einer hoch geladenen Spannung und die Kämpfe flammten wieder auf ab Jahresbeginn 1999. (33)
2.2.) Die angebliche humanitäre Katastrophe im Kosovo
Nachdem die Kämpfe wieder aufflammten, verschlimmerte sich die Lage für die Zivilbevölkerung zusehends. Schon Mitte 1998 sollen gut 250.000 Kosovoalbaner aufgrund der Kämpfe und serbischer Vertreibungen auf der Flucht gewesen sein. (34) Allerdings muss man sich im Klaren darüber sein, dass Partisanenkriege in der Geschichte generell unsauber geführt wurden. (35)
Die Schwierigkeit liegt darin, den Gegner zu fassen zu bekommen und zu vernichten. Daher ist der Angriff auf vermeintlich feindlich-gesinnte Zivilbevölkerung besonders verlockend und einfach. Letztlich wurde von serbischer Seite mit purer Gewalt versucht den Widerstand zu brechen.
Zudem hielt sich die UCK auch nicht an den Waffenstillstand von Herbst 1998. (36) Allerdings wurden die Rahmenbedingungen tatsächlich immer schlechter für die Zivilbevölkerung. Der erste Höhepunkt dieser brutalen Kämpfe bildete das Massaker von Racak vom Januar 1999, das ein großes mediales Echo erhielt und letztlich vor allem in der Öffentlichkeit für viel Aufsehen sorgte. (37) Damit war der Boden im Nachhinein wohl bereitet für eine mögliche Intervention.
Das Scheitern der Rambouillet Friedensgespräche bildete dann letztlich die Möglichkeit, um den Krieg zu beginnen. Die Verhandlungen zwischen Restjugoslawien und den Kosovoalbanern unter internationaler Regie der Kosovo-Kontaktgruppe scheiterten: Nur die Kosovoalbaner unterzeichneten das Abkommen. (38) Man könnte sicherlich vieles zu diesen Verhandlungen noch schreiben und auch ihr Scheitern wäre wohl eine eigene Analyse wert. Es wurde scheinbar auf die Kosovoalbaner sehr gezielter Druck von Seiten der Amerikaner ausgeübt , während man wohl gegenüber der serbischen Seite gezielt unannehmbare bzw. unangenehme Forderungen gestellt hatte. (39) Ob daher die Ablehnung des Abkommens durch Restjugoslawien beabsichtigt war, darüber lässt sich trefflich spekulieren.
Fakt ist aber: Erst nach Beginn der Bombenangriffe ab dem 24. März kam es zu jener humanitären Katastrophe, die man eigentlich verhindern wollte. Außerdem wurden die Truppen im Kosovo selbst nur halbherzig angegriffen: Da die mobilen Luftabwehreinheiten nicht ausgeschaltet werden konnten, bestand permanente Angst vor eigenen Verlusten. Daher verlegte man sich lieber darauf, die jugoslawische Führung durch die ständigen Attacken auf Infrastruktur und die Substanz des serbischen Staates in die Knie zu zwingen: Brücken wurden aufgrund strategischer Überlegungen zerstört und dual nutzbare und wichtige Einrichtungen wie Elektrizitätswerke wurden zerstört, (40) sogar Spitäler getroffen bzw. die chinesische Botschaft getroffen. (41) Die serbischen Truppen im Felde wurden dagegen nur teilweise getroffen, da präzise Angriffe auf sie im großen Maßstab Verluste bedeutet hätten und Tiefflugangriffe nötig gemacht hätten in größerer Zahl. (42) Außerdem wurden Splitterbomben eingesetzt. Andererseits war der Erfolg zunächst negativ: Die Sicherheitskräfte Serbiens wüteten aufgrund der NATO-Angriffe mit unermüdlichem Grimm. Daher folgte nun erst die so sehr befürchtete humanitäre Katastrophe: Die Kosovoalbaner irrten im Kosovo herum oder wurden gezielt in die Nachbarländer abgeschoben um sie zu destabilisieren. (43) In dem Punkt verfehlte also die Kosovointervention zunächst ihre vordergründige
Zielstellung aller medientechnischen Schminke zum Trotz. Andererseits stimmte letztlich Milosevic dem von der NATO bestimmten Friedensvertrag zu. Russland und auch die UNO saßen allerdings nun mit im Boot und auch eine russische Beteiligung bei der Kosovofriedenstruppe KFOR erfolgte. (44) Letztlich kam es dann doch zu einer Befriedung des Kosovos und zum mehr oder minder erfolgreichen Abschluss der Intervention. Allerdings ist dieser Erfolg doch geschmälert durch einige unangenehme Fakten: Die Serben sind nun die schützenswerte Ethnie geworden und der Zustand des Kosovos als internationales UN-Protektorat ist nicht sehr positiv. Mafiöse Strukturen dominieren nun. (45) Positiv ist aber, dass nach dem Krieg Milosevic stark an Rückendeckung in der Bevölkerung verlor. Unzufriedenheit machte sich in der Bevölkerung breit aufgrund der nunmehr katastrophalen wirtschaftlichen Lage. Der Opposition gelang es so Milosevic zu stürzen. (46) Ohne die verheerenden Bombardements hätte dieser Prozess vermutlich wohl länger gedauert.
2.3.)Das Handeln der NATO trotz fehlender direkter Legitimation durch den Weltsicherheitsrat
Eine schwere Belastung stellte diese Intervention für das Bündnis aber trotzdem da. Denn völkerrechtlich betrachtet war es ein Angriffskrieg der Nordatlantischen Allianz gegen Serbien. (47)
Der Un-Sicherheitsrat verabschiedete gleich zweimal eine UN-Resolution zum Stopp der Gewalt im Kosovo. Ausdrücklich erfolgte aber keine Legitimation von Gewalt, um die Zustände zu verbessern. (48) Allerdings führte gerade der amerikanische Druck in der Nordatlantischen Allianz dazu, dass den diversen Drohungen Nachdruck verliehen wurde und die Allianz in den ersten Krieg ihrer Geschichte zog. Wieder wie in Bosnien war es die verbliebene Weltmacht, die das Heft des Handelns in die Hand nahm. (49)
Laut Ruloff hatte die NATO dabei letztlich fünf gute Gründe in den Kosovokrieg zu ziehen: Die Allianz hätte unter großem Druck gestanden, da in der Öffentlichkeit die serbischen Gräueltaten stark wahrgenommen wurden und daher von dieser Seite das politische System starken Input erhielte.
Auch wären die Flüchtlingsströme und hier insbesondere die noch zu erwartenden Flüchtlingswellen in Folge der ethnischen Säuberungen ein großes Problem und Ärgernis gewesen.
Des Weiteren hätte Milosevic endlich Einhalt geboten werden müssen, da nach den Geschehnissen im Bosnienkrieg Milosevic und sein Restjugoslawien inzwischen als Friedensstörer ausgemacht worden wäre. Auch hätte sich die Allianz in der Logik ihrer eigenen Drohungen verfangen. Nach all den Drohungen war die Verwirklichung jener einfach zwingend, so Ruloff. Man wäre außerdem von Seiten der NATO der Illusion erlegen, dass die Bombenangriffe Milosevic recht schnell unblutig zum Einlenken bewegt hätten. Diese Punkte hatte zumindest Ruloff ausgemacht in seinen Kriegsstudien. (50)
Generell ist ihm beizupflichten. Der Kosovo bildete mit seinen Spezifika und der besonderen damaligen politischen Situation hervorragende Maßgaben für die Realisierung und Durchführung einer humanitären Intervention, die das Leiden der Kosovoalbaner mildern sollte.
Denn trotz aller Verwässerung und Universalitätsansprüche der Menschenrechte war dieser Einsatz sehr kontrovers diskutiert wurden. (51) Letztlich aber kamen — wie Ruloff schon analysierte – mehrere Aspekte zusammen, die letztlich den NATO-Einsatz ermöglichten. Ich persönlich würde mich da auf drei Faktoren fokussieren wollen: Zum einen die große Medienpräsenz, die meines Erachtens eine Art Grundbedingung darstellt. Dann die Übereinstimmung humanitärer Anliegen und machtpolitischer Interessen und eine günstige Kosten-Nutzen-Relation.
Die beiden letzten Punkte verdienen noch eine nähere Erläuterung, da sie recht allgemein gehalten sind und daher fallspezifisch erläutert werden müssen. Wie schon von Roloff gesagt, stand Serbien bzw. die serbische Nation unter Milosevic im besonderen Fokus während der jugoslawischen Sezessionskriege bzw. allgemein während den Balkankriegen der Neunziger Jahre. Milosevic und der von ihm propagierte serbische Nationalismus wurden vom Westen als die ausgreifende, expansive Kraft gebrandmarkt. Sie trug die Hauptschuld an den Kriegen und den Gräueltaten. Daher stellte nun nach den Versäumnissen des Bosnienkrieges ein Eingreifen fast eine Notwendigkeit dar, wenn man dieser Logik folgt. (52) Prestigetechnisch und auch in der Außendarstellung war es mehr als eine Peinlichkeit, wenn im europäischen Hinterhof des Balkans immer und immer Menschen massakriert und vertrieben werden wie vielleicht in Schwarzafrika, während man in Maastricht eine Währungsunion beschloss um das (west)europäische Haus zu bauen. Dem musste abgeholfen werden. Milosevic hatte zwar sich während der Dayton-Verhandlungen als mäßigender und positiver Einflussfaktor auf die bosnischen Serben herausgestellt. (53) Dennoch war er für den Westen der Hauptschuldige an den Vorgängen. Daher mussten seine Aktionen gestoppt werden und das Kosovo war das Feld der Aktion. Milosevic war zur persona non grata geworden und daher waren die Vorgänge im Kosovo wohl letztlich der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hatte. Erinnert sei besonders nochmals an die geostrategische Lage des Balkans: Als europäischer Hinterhof war man trotz aller Gleichgültigkeit, die man zunächst gezeigt hatte, nicht gänzlich uninteressiert an dieser Region. (54) Die Untätigkeit zunächst resultierte wohl eher aus innerer Zerstrittenheit und Unentschlossenheit, die durch die neue Situationslage nach Ende des Kalten Krieges begründet werden kann. (55)
Als Teil Europas war die Geltung und Anerkennung der Menschenrechte auch im Balkan ein wichtiger Punkt für europäische und US-amerikanische Politiker. Daher stand dem humanitären Anliegen kein entgegen gerichtetes machtpolitisches Interesse gegenüber.
Im Gegenteil, hier stimmten humanitäres Anliegen — das Retten kosovarischer Menschenleben – und Machtpolitik – Vorgehen gegen Milosevic — überein. Auch daher nahm man es nicht so genau mit den Fakten. Die UCK wäre wohl in anderen Fällen als bloße Banditen und Terroristen bezeichnet worden. Dies ist eine viel gebrachte Kritik, die insbesondere von Noam Chomsky u.a. prominent vertreten wird. Hier bewahrheitet sich wieder mal, dass die Einschätzung politisch-militärischer Bewegungen auf einem sehr schmalen Grad politischer Wahrnehmung und Interessen erfolgt und dass die Wahrnehmung dabei sehr oft durch Interessen und Absichten verzerrt wird. (56)
Aber: Wohl auch aufgrund der geographischen Nähe war das Medieninteresse groß an den Vorgängen im Kosovo. Machtpolitische Interessen standen auch nicht weiter im Gegensatz zu dem humanitären Anliegen, das Kosovo zu befrieden und dort einzugreifen. Ganz im Gegenteil, wie ich ausgeführt habe.
Und letztlich: Die Kosten-Nutzen-Überlegungen waren unter den gegeben Umständen akzeptabel. (57) Restjugoslawien stellte keine Großmacht dar, deren militärische Potenziale einen Krieg unmöglich gemacht hätten. Der schon mehrfach erprobte chirurgische Bombenkrieg mittels neuer High-Tech-Waffen ermöglichte ein starkes militärisches Drohszenario einerseits, andererseits aber moderate eigene und zivile Verluste bei einer Aktion. Da man bei der Intervention sich auf eine weit überlegene Luftwaffe stützte, die hauptsächlich von den USA gestellt wurde und da man bei der Luftkriegsführung sehr auf die Sicherheit der Piloten Wert legte, wollte man so eigene Verluste vermeiden. Andererseits wollte man durch neue High-Tech Waffen sicherstellen, dass die zivilen Schäden, die sog. Kollateralschäden, niedrig bleiben. Allerdings gab es innerhalb der Allianz über die Kriegsführung auch enorme Kontroversen, da die Europäermehr Rücksicht auf Serbien nehmen wollten. (58)
Beide Punkte, die Interessenlage und die Rationalität einer Intervention waren und sind zentral, um die politische Akzeptanz eines Einsatzes sicher zu stellen. Somalia war dafür ein gutes Beispiel: Mehr und mehr zivile Tote, aber auch tote US-amerikanische Soldaten führten zu einer öffentlichen Ablehnung der Intervention infolge zu hoher Verluste und damit zum Rückzug. Auch fehlte letztlich das echte politische Interesse an der Region. (59) Diese Entwicklung sollte im Kosovo vermieden werden und durch die vermeintlich richtige Strategie und das Vorhandensein entsprechender technologischer Mittel sah die Kosten-Nutzen-Rechnung positiv bei einem Einsatz aus.
Wie also schon kurz ausgeführt: Diese oben genannten Sonderbedingungen erlaubten es der NATO trotz fehlenden UN-Mandats die Intervention durchzuführen meiner Meinung nach.
Die durch die Fehlkalkulationen — Milosevic würde nach ein paar Bomben schnell nachgeben — entstandenen Probleme für die Allianz sind leider nicht Themen dieser Arbeit. Diese Problematik im Bezug auf das Kosovo muss leider unberücksichtigt bleiben, ebenso das damit eng verbundene Problem der Kriegsführung. Es sei nur so viel gesagt: Die Intervention und die daraus resultierende Schaffung eines UN-Protektorats hat sowohl letztlich die Menschenrechtslage für die Kosovoalbaner wesentlich verbessert, aber auch neue Probleme geschaffen. (60) Der erstarkende albanische Nationalismus wurde gefestigt und auch Mazedonien zeitweilig kurzzeitig destabilisiert.(61) Auch ist das Kosovo heute stark durch mafiöse Strukturen der Kosovoalbaner dominiert und die Serben nun die gefährdete Ethnie. (62) Dies zeigt, dass humanitäre Interventionen nicht zwangsläufig nur humanitäre Ergebnisse haben.
2.4.) Der Kosovo-Krieg: Eher Sonderfall als die Regel?
Ein Fazit hinter den Kosovo-Krieg zu ziehen ist nicht leicht, da man sicher nicht von reinem Erfolg oder Misserfolg sprechen kann.
Bezieht man sich auf den humanitären Charakter, so bleibt festzustellen, dass der Kosovo-Krieg ein Präzedenzfall ist. Die größte und stärkste militärische Allianz der Welt hat hier einen Angriffskrieg durchgeführt um Menschenrechtsverletzungen zu stoppen ohne UN-Mandat. (63) Viele sahen darin eine Zeitenwende. Doch man kann gegen diese Sichtweise einwenden, dass letztlich nicht allein Prinzip gegen Prinzip steht, also Souveränität versus Menschenrechte. Dies ist die rein normativ-moralische Ebene. Entscheidend sind reale Zusammenhänge und Spezifika, so dass jede humanitäre Intervention, je nach Lage, Ort und Situation verschieden ist.
Der Fall Ost-Timors unterscheidet sich auffällig vom Kosovo-Konflikt beispielsweise. Der Druck auf die indonesische Regierung fiel lange Zeit sehr moderat aus, das Morden dort zu beenden und die Rechte der mehrheitlich katholischen Osttimoressen anzuerkennen. (64) Dieser Missverhalt lag jedoch nicht in der humanitären Intervention selbst begründet oder gar in der Art, in der die Menschenrechte verletzt wurden. Das Problem stellten Rahmenbedingungen dar, die damals in diesem Fall herrschten. Dies hatte ich in der obigen Analyse versucht zu illustrieren.
Moralische Positionen, rechtliche Positionen, aber auch handfeste machtpolitische Interessen verbinden sich und erst in deren Zusammenspiel wird die humanitäre Intervention möglich.
Der reine Verstoß gegen Menschenrechte reicht da noch nicht aus.