d) Mongolisches Intermezzo:
Noch während sich im Westen aus dem Kontakt türkischer Völker mit dem vordringenden Islam erste türkische Staatsbildungen vollzogen, bildete sich im Osten der zentralasiatischen Steppe eine neue Großmacht.
Die Mongolen waren die eigentlichen Konkurrenten der türkischen Stämme. Bereits vor 440 n. Chr. — als Attila im Westen seinen Angriff auf das Byzantinische Reich begann — hatten mongolische Schuschan im Altaigebirge die “Weißen Hunnen” unterjocht. Um das Jahr 550 reichte das Herrschaftsgebiet der mongolischen Schuschan vom Balchaschsee bis zur Mandschurei und von der Grenze Chinas bis zum Orchon.
Bei den Schuschan wurde zum ersten Mal der Schanju-Titel der Hunen durch den Titel des Khan oder Kagan ersetzt.
Nach der Zerstörung des Schuschan-Reiches floh der größte Teil dieses Volkes an die chinesische Grenze, ein Teil aber wurde mit den Awaren nach Europa gespült.
Unter Dschingis Khan gelang es um 1200 einem der Stammesführer der Mongolen, dieses Volk zu einen und — nachdem eine “kritische Masse” überschritten war — zu einem Sturm über das ganze zentrale Steppenland zu führen.
Die nach Westen stürmenden Mongolenscharen rissen eine Reihe von türkischen Stämmen mit sich, teilweise vor sich her getrieben, teilweise als Vasallen mit den mongolischen Reitertruppen nach Westen vordringend. Das mongolische Großreich vereinte nahezu die gesamte eurasische Landmasse.
Bereits nach wenigen Jahren zerfiel das mongolische Großreich in verschiedene rivalisierende Horden. Der “Wegfall” der persönlichen Bindungen an den Großlhan brachte Rivalitäten der einzelnen Führungspersönlichkeiten — und zugleich begannen sich die Mongolen in den eroberten Gebieten — insbesondere in China, aber auch im türkischsprachigen Zentralasien und bis nach Afghanistan und Indien (Mogul-Reich) zu assimilieren. Die mongolische “Herrenschicht” konnte sich der Kultur und Sprache der zahlenmäßig weit überwiegenden lokalen Bevölkerungsmehrheiten nicht entziehen.
Sie wurde in China “sinisiert” und in den Westlichen Gebieten “türkisiert”. Auch die iranisierten “Hazara” in Afghanistan sind Reste des mongolischen Steppensturmes.
Externer Link:
Eurasisches Magazin Ausgabe 07/2007: www.eurasischesmagazin.de
EM 03–03 DIE MONGOLEN
Dennoch haben sich einige mongolische Stämme auch ihre sprachliche Eigenheit bewahrt.
Neben den Mongolen im ursprünglichen Siedlungsgebiet, der heute noch bekannten Mongolei, und den direkt benachbarten Burjäten
- sind dies die Kalmücken am Kaspischen Meer,
Der Enkel Dschingis-Khans, Batu (1241: Schlacht bei Liegnitz) begründete in den Gebieten nördlich des Schwarzen Meeres das Gebiet der “Goldenen Horde”.
Diese nach den goldenen Deckplatten des Herrscherzeltes benannte Goldene Horde bildete den westlichen Teilstaat der Mongolen, die von den Zeitgenossen auch Tataren genannt wurden. Mit dieser Bezeichnung wird klar, dass bereits die Goldene Horde, die zwischen 1237/40 und 1502 weite Teile Osteuropas — vor allem die altrussischen Fürstentümer — beherrschte, unter einer mongolischen Fürstendynastie im Wesentlichen wohl durch tatarische — türkische Volksstämme gebildet wurde; kein Wunder, dass sich türkisch zu einer gebräuchlichen Amtssprache im Machtgebiet der Goldenen Horde entwickelte.
Die Macht der Goldenen Horde wurde erst seit 1359 durch Erbfolgestreitigkeiten geschwächt. Zwar kam es unter Tochtamysch bis 1395 noch einmal zu einem Wiedererstarken, der Zerfall in rivalisierende Khanate im 15. Jahrhundert konnte jedoch nicht mehr aufgehalten werden. Seit dem Jahr 1380 standen turktatarische Herrscher an der Spitze der Goldenen Horde, so daß es sich wieder um türkische Historie handelt. Rußlands Herrscher befanden sich bis 1783 im Krieg gegen die Tataren, zuletzt gegen das Krim-Khanat.
Das Reich der “Goldenen Horde” endete 1557.
Unter Hülagü, Enkel Dschingis Khans, wurde das mittelalterliche Persische Reich ebenfalls von den Mongolen erobert. Die Nachfolger Hülagüs, die Il-Khane, herrschten hier bis ca. 1350.
Externer Link:
Hülagü — (www.cpw-online.de)
Timur (Tamerlan) — ein wegen seiner Grausamkeit gefürchteter, türkisierter mongolischer Heerführer — eroberte das Land am Ende des 14. Jahrhunderts erneut “für die Mongolen” und herrschte über den Süden Zentralasiens und die indoarischen Völker des Irans. Das von ihm noch einmal gestärkte mongolische Großreich zerfiel nach seinem Tode.
Externer Link:
Timur‑i Läng — (www.geocities.com)
Söhne Timurs bildeten eigene Reiche in Bagdad und Aserbeidschden(Miranschah) sowie in Chorasan (Sachruh) mit der Hauptstadt Herat.
Die Enkel Timurs gründeten Reiche in Samarkant (Muhammed) und Iran (Pir Muhammed und Iskender). Keines dieser Reiche konnte sich lange unter den Timuriden halten.
Zuletzt wurde diese mongolische Dynastie in Herat im Nodiran (1506) durch die Usbeken abgelöst. Deren türkischer Dialekt beruht auf der Schriftsprache der Tschagatai (Qawatay), die im 15. Jahrhundert ein großes Wachstum erlebte.
Innerhalb von 25 Jahren endete die Existenz des Il-Khanats, des Khanats Cagatai und der Yüan-Dynastie. Das Ende der mongolischen Herrschaft über China führte zu einem Exodus der dort lebenden Mongolen ins sehr vernachlässigte Kernland. Für die rückströmende Bevölkerung war die Wirtschaftsbasis nicht mehr ausreichend. Die Abwehrkämpfe gegen China — inneren Kriege, der Kampf um Herrschaft und Beute sowie die weitgehende Sperrung des Zugangs zu den Ackerbauprodukten — führte zur rapiden Verarmung der Mongolen.
Die bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen auch in der Goldenen Horde hatten diese zunehmend geschwächt. Die Schlacht auf dem Schnepfenfeld (Kulikovo Pole) 1380 gilt als erster bedeutender Sieg eines russischen Heeres über tatarische Truppen. Nunmehr erfolgte schrittweise die Rückeroberung der von den Tataren beherrschten Gebiete.
Als 1368 auch die mongolische Herrschaft in China endete, war zugleich auch das Ende der traditionellen Seidenstraße erreicht. Der Dauerkonflikt mit China versperrte den Weg über Land, noch im 17. Jahrhundert fanden heftige chinesisch-mongolische Kämpfe um die Vorherrschaft in Zentralasien statt — gleichzeitig wurde die bereits in der Antike und von Marco Polo (auf dem Rückweg aus China benutzte und beschriebene) “Seidenstraße des Meeres” von immer größerer Bedeutung für den Handels- und Güteraustausch zwischen Europa und dem fernen Osten.
Externe Links:
Mongolen:
Dschingis Khan und das mongolische Reich — (http://steppenreiter.de)
Eurasisches Magazin: Die Seidenstraße: älteste Handelsverbindung der Welt
Türkische Wiederauferstehung:
Bereits zur Zeit Timurs bildeten rivalisierende türkische Stämme eigene Staaten, wie die “Karakoyunlu”-Turkmenen (ebenfalls aus dem Volksstamm der Oghusen), deren Heimat sich zwischen Erbil und Nachivan befand, mit der Hauptstadt Täbris (1380–1469), deren Reich wurde letztendlich von den turkmenischen Stämmen aus dem Gebiet von Diyarbakir übernommen (Akkoyunlu-Staat, 1350–1502).
Nachfolger dieses Reiches waren andere Turkmenenstämme, die an der Gründung das persischen Safawiden-Reich (1501–1736) beteiligt waren.
- Persische Renaissance:
Unter den Safawiden erreichte Persien eine neue Blüte. Der Machtbereich umschloss die Länder, die heute mit Iran, Afghanistan — und zumindest dem westlichen Teil Pakistans — eine der Problemfelder internationaler Politik umgrenzen.
Kosaken — Rückkehr nach Osten unter fremden Herren:
Mit dem Zerfall der Goldenen Horde war der Weg entlang der sibirischen Wald- und Steppenzone frei geworden — für “russische” (Don-)Kosaken (die Nachkommen der türkischen Kasachen), die als Wehrbauern und zivile Reitertruppe erneut den Weg nach Osten suchten, wo Edelmetalle (Gold) und wertvolle Pelze lockten — diesmal im Namen der russischen Zaren, beginnend mit Iwan dem Schrecklichen.
Noch heute findet sich entlang dieser klimatisch begünstigten Übergangszone eine europäisch-russische Bevölkerung, die einen schmalen Siedlungsstreifen zwischen den weiten sibirischen Urwäldern im Norden und den Steppen und Wüsten im Süden Asiens bewohnt.
Amazon-Buchempfehlung Siehe Artikelanfang: Vordringen der Russen
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts rückten die russischen Truppen im Wettlauf gegen Briten, die von Indien aus versuchten, im zentralasiatischen Raum Fuß zu fassen, über Kasachstan weiter in Richtung Afghanistan vor. Die Städte Turkestan, Taschkent und Samarkand und das Khanat Kokand wurden eingenommen und das Generalgouvernement Turkestan mit der Hauptstadt Taschkent errichtet, aufgegliedert in die Gebiete Syr Darja, Siebenstromland, Samarkand und Transkaspien.
Die Khanate Buchara und Chiwa wurden unter russische “Schutzherrschaft” gestellt.
Russlands Zaren ließen gegen den Widerstand der einheimischen Bevölkerung riesige Baumwollplantagen auf enteigneten Flächen anlegen.
Vergebliche Widerstandskämpfe — großtürkische Träume:
Die Unabhängigkeitskämpfe — die bis 1916 gegen die zaristische “Russifizierung” immer wieder aufflackerten — forderte Hundertausende von Todesopfern.
Die — nach der Proklamation der „Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik“ (RSFSR) in Moskau — in Taschkent errichtete Sowjetregierung — beendete das traurige Vasallenfürstentum der usbekischen Khanate und setzte auch den letzen Khan von Chiwa und den letzten Emir von Buchara ab um deren Reiche zu autonomen sozialistischen Volksrepubliken (Choresm und Buchara) zu erklärt.
Dies war erneut Auslöser für einen Aufstand islamisch-großtürkisch-nationalistische Kräfte unter der Führung von Enver Pascha, dem Führer der “Jungtürken” und Ex-Verteidigungsminister des Osmanischen Reiches, der in der Türkei nach dem Genozid an Armenieren und der türkischen Niederlage im I. Weltkrieg in Misskredit geraten und dem rivalisierenden, säkular eingestellten Atatürk unterlegen war.
Im September 1920 floh der Emir von Buchara nach Duschanbe in Tadschikistan und ernannte es zur »neuen Hauptstadt Bucharas«.
Inzwischen formierten sich im Hissartal unter Führung der muselmanischen Geistlichkeit und des Bürgertums starke islamische Widerstandsgruppen: die Basmatschen. Ziel war zunächst, ein islamisches Kalifat mit Sitz in Samarkand zu gründen — Enver Pascha aber, der Osmane, hatte weitere Pläne: das Kalifat Samarkand sollte Enver Pascha als Basis für seine großtürkischen Ambitionen dienen.
Der von der Geistlichkeit, dem Bürgertum und der reichen Oberschicht der ehemaligen Khanate getragene Unabhängigkeitskampf wurde durch die sowjetischen „Roten Armee“ blutig niedergeschlagen: Damals konzentrierte sich in Mittelasien fast die gesamte Rote Armee, Enver Pascha fällt am 5. August 1922, der Kampf gegen die Basmatschen dauerte aber noch bis in die Mitte der dreißiger Jahre an.
Neue Staatsgrenzen “von Moskaus Gnaden”:
Mit Gründung der UdSSR wurde 1922 das südliche Zentralasien, d.h. die Gebiete der heutigen souveränen Staaten Turkmenistan, Usbekistan, Kirgisistan und Tadschikistan, als „Turkestanische Autonome Sozialistische Sowjetrepublik“ (ASSR) Teil der „Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik“ (RSFSR).
Ab 1924 wurden im Süden Zentralasiens die „eigenständigen“ Unionsrepubliken „Usbekische Sozialistische Sowjetrepublik“ mit der Hauptstadt Samarkand (ab 1930 Taschkent) sowie die „Turkmenische Sozialistische Sowjetrepublik“ mit der Hauptstadt Aschgabad gegründet.
Nach umfangreichen „Sowjetisierungsmaßnahmen“ (Abschaffung privaten Eigentums, Zwangskollektivierung der Landwirtschaft, Zwangsumsiedlungen, Abschaffung des Analphabetentums und Einführung eines einheitlichen sowjetischen Bildungssystems, Schließung nahezu aller Moscheen und Medresen, Umerziehung der Bevölkerung im Sinne des Kommunismus usw.) wurde 1929 eine weitere Gebietsaufteilung vorgenommen: Die bisher in der „Usbekischen SSR“ integrierte „Tadschikische Autonome Sozialistische Sowjetrepublik“ (ASSR) wird nun ebenfalls zur „eigenständigen“ SSR mit der Hauptstadt Duschanbe erhoben.
Nach der Inbetriebnahme der Turkestanisch-Sibirische („Turksib“) Eisenbahn (1930), mit der die an Bodenschätzen reichen Regionen Zentralasiens wirtschaftlich und militärisch an das Sowjetreich angebunden wurden, erfolgte 1936 die Bildung des heutigen souveränen Staates Kirgisistan mit der Hauptstadt Bischkekzur „eigenständigen“ Sowjetrepublik („Kirgisische Sozialistische Sowjetrepublik“), ebenso Kasachstan mit der Hauptstadt Alma-Ata. Nach der Inbetriebnahme der Turkestanisch-Sibirische („Turksib“) Eisenbahn (1930), mit der die an Bodenschätzen reichen Regionen Zentralasiens wirtschaftlich und militärisch an das Sowjetreich angebunden wurden, erfolgte 1936 die Bildung des heutigen souveränen Staates Kirgisistan mit der Hauptstadt Bischkekzur „eigenständigen“ Sowjetrepublik („Kirgisische Sozialistische Sowjetrepublik“), ebenso Kasachstan mit der Hauptstadt Alma-Ata.
Da es den Sowjets nicht gelang, die Nationalstaaten zu nivellieren — sprachliche und religiöse Identität blieben nach wie vor erhalten — wurde schon in Stalins Zeiten durch willkürliche Grenzziehung der Republiken eine Aufteilung der Nationalitäten auf verschiedene Staaten erreicht, dass sich viele Sowjetbürger als nationale Minderheit in einem anderen Staatswesen fanden. „Teile und Herrsche“ — den alten römischen Wahlspruch hatten sich auch schon die Zaren und später die kommunistischen Politfunktionäre auf ihre Fahnen geschrieben.
Die Einbindung der islamischen, vor allem türkischen Gebiete in die UdSSR brachte allerdings für das russische Staatsvolk ein großes Problem mit sich. Gerhard Konzelmann („Die islamische Herausforderung“) brachte es bereits in den Achtziger Jahren auf den Punkt:
„Beherrschen die Moslems im Jahre 2000 die Sowjetunion?“
Während die Geburtenrate in der Russischen Republik von 33 Prozent (1940) auf 14,6 Prozent (1970) absank und danach bei etwa 15 Prozent einpendelte, erlebten die islamischen Republiken einen Geburtenboom ohne Beispiel. Tadschikistans Geburtenrate war von 30,6 Prozent (1940) auf 33,5 Prozent (1960) und 34,8 Prozent (1970) gestiegen; Usbekisten hatte einen langjährigen Schnitt um die 33 Prozent, und selbst die Kasachen konnten eine Geburtenrate verzeichnen, die nicht unter 23,5 Prozent viel.
Schwelende nationale Bedürfnisse, eine latente islamische Herausforderung — es war absehbar, dass das Staatsgebilde „UdSSR“ in einen massiven Konflikt zwischen den beiden größten Ethnien, Russen und Türken, zwischen Orthodoxen Christen und Muslimen schlittern würde — ein nationaler und religiöser Konflikt, der durch den staatlich verordneten Atheismus nur mühsam übertüncht wurde.