C) Turkmenen, Türken und Osmanen
Die erste Erwähnung des Namens “Türke” findet sich in China. Die nomaidisierenden “T’u-küe” ode “Tür-küt” (die Mächtigen) — wie die Übertragung des chinesischen Schriftzeichens in deutsche Lautschrift bedeutet — sollen nach der Zerschlagung des mongolischen Schuschan-Reiches im Jahre 552 einen gemeinsamen Staat der Göktürken gebildet haben, dessen Reichsgebiet vom Chingangebirge bis nach Transoxianien reichte. Nach dem Tode des Reichsgründers Bumin erhielten die beiden Söhne jeweils einen Reichsteil — das Khaganat der Osttürken (unter Muhan) und das Khagant der Westtürken (unter Istami).
Die türkischen Stämme unterstanden — wie deren östlichen Rivalen, die Mongolen — jeweils einem Familienoberhaupt, dessen Urahn oft den Namen des Stammes bestimmte. Chazaren, Ghasnawieden, Karachaniden, Köktürken, Oghusen (nach dem Stammvater Ogus Khan), Turkmenen, Türken, Uiguren und Usbeken — alle diese türkischen Stämme gehören eigentlich einem gemeinsamen Volk an, und es ist kein Wunder, dass türkische Stämme bekannt waren, noch bevor der Name der Tu-küe in der Geschichtsschreibung genannt wurde.
Die Stammheimat der (Alt-)Türken ist das mittelasiatische Gebiet zwischen dem Altai im Bereich der Mongolei, dem Tienschan östlich Kasachstan, Tibet und Chingan im Nordosten.
Nach verschiedenen Wanderungen in Richtung Westen — bis zum Kaspischen Meer — gründeten türkische Nomadenstämme eine Reihe von losen Verbänden, die sich immer mehr zu staatlichen Strukturen entwickelten. Nach Abebben der Hunnenzüge und Verfall der Hunnen-Reiche im 5. und 6. Jhdt. n. Chr. kam es zum Ausschwärmen einzelner alttürkischer Eroberergruppen, so daß nach und nach das Siedlungsgebiet im Osten bis an den Pazifik, im Norden bis ans Eismeer und im Westen bis nach Europa ausgeweitet wurde und sich im Laufe der Zeit die einzelnen Türkvölker herausbildeten.
Die älteste schriftliche Überlieferung einer Türksprache sind alttürkische Innschriften am oberen Jennisei und am Talas sowie die Orchon-Inschriften der Altaier, die zwischen 732 und 735 n. Chr. in einer ruhnischen und auf dem syro-aramäischen Alphabet fußenden Schrift verfaßt wurden. In diesen Orchon-Schriften erfolgte die Aufzeichnungen der Heldentaten des ersten türkischen Reichsgründers der Tür-küt.
Sprachlich bilden die verschiedenen Turksprachen noch immer eine relativ starke Einheit, die zwar aufgrund der starken Ausdehnung und der Kontakte mit Nachbarvölkern zahlreiche Eigenheiten entwickelten, aber heute noch sprechen alle Turkvölker von der Türkei an der Grenze zu Europa bis nach Chinesisch-Turkestan eine gemeinsame Sprache, die eine Verständigung zwischen den Angehörigen der verschiedenen Völker möglich macht. Insoweit wäre es vielleicht sogar angebracht, von türkischen Dialekten anstatt von unterschiedlichen türkischen Sprachen auszugehen.
Die Stärke der einzelnen Stämme und deren Siedlungsgebiet änderte sich allerdings sehr häufig.
Heute unterscheidet man zwischen mehreren großen türkischen Dialekt-Gruppen, den Kipcak-Türken, den Oguz-Türken, den südsibirischen Türkstämmen der Altay (Oyrut), Hakas (Abakan) und Tuva (Sayan) sowie den ostsibrischen Jakuten, die sich selbst “Saha” nennen.
Die Sprache der Kipcak-Türken, historisch der Petschenen und Hazaren findet sich heute noch — nicht in den slawisierten Bulgaren, sondern beim Volk der Tschuwaschen (C´uvalsar), die in der Sowjetunion am Ufer der mittleren Wolga leben, sowie den bis Polen verstreut lebenden Karaim..
Als weitere zeitgenössische Nachfolger dieser Kip´cak-Türken werden die Tataren, die Baskurt (Baschkiren) , Kazak (Kosaken und Kasachen), Kara Kalpak, Novay und Kirgisen betrachtet. Auch ein Zweig der Özbek (Usbeken) spricht den Kipcak-Dialekt.
Es ist in diesem Zusammenhang nicht uninteressant, dass uralte kirgisische Sagen von der Urheimat der Kirgisen am Jenssei und dem Kampf gegen Chinesen und Kalmücken berichtet.Die Sprache der Oguz-Türken findet sich dagegen bis heute im Dialekt der Türkei-Türken (Osmanen) und der Türken Zyperns, in Aserbeidschan und der Türken des nördlichen Iran (Azeri) und die Turkmenen.
Das Ost-Türkisch der Uiguren und Usbeken gehört ebenfalls zu dieser Sprachgruppe.
Rechnet man die Türken europäischer Staaten, von den litauischen Tataren als historischen Nachfolgern der Petschenen bis zu den modernen Gastarbeitern Berlins, die türkischen Sprachinseln auf dem Balkan, auf Zypern, in den arabischen Nachbarländern und im Irak mit, so kommt man auf mindestens 145 Millionen Menschen auf der ganzen Welt, die heute Türkisch sprechen.
Der bekannte Turkologe Wilhelm Radloff drückte das 1866 so aus:
„Vom Nordosten Afrikas bis zur Europäischen Türkei, vom südöstlichen Teil Rußlands über Kleinasien nach Turan und von dort nach Sibirien, bis zur Wüste Gobi hin leben Stämme, die die türkische Sprache sprechen. Auf der ganzen Welt ist keine Sprachfamilie über ein so weites Gebiet hinweg verbreitet wie das Türkische“.
Wie kommt es zu dieser weiten Verbreitung der türkischen Sprache?
ca) türkische Stämme im Norden Sibiriens
Die türkischen Stämme Nordsibiriens haben sich wohl sehr früh von den anderen türkischen Stämmen getrennt und mit den anderen Völkern bis hin zu den Lappen Nordeuropas — eine im wesentlichen auf das Rentier hin ausgerichtete eigenständige Kultur gebildet.
Insbesondere die Jakuten scheinen durch die mongolischen Burjäten aus dem Gebiet um den Baikalsee verdrängt worden zu sein.
externe Links:
Jakutien — der sibirische Riese und die kleinen Völker — (www.infoe.de)
Indigene (einheimische) Völker Sibirens: www.gfbv.de
cb) türkische Expansion nach Westen
Die Entwicklung des vornehmlich in der heutigen Türkei gesprochenen Türkischen beginnt mit der Abspaltung des Uigurischen und des Dialektes der Oghusen (Oghusisch) aus dem Alt-Zentralasiatisch-Türkischen.
Schon sehr früh pflegten die im Westen nomadisierenden türkischen Stämme Kontakte mit den Byzantinern.
cba) alttürkische Stämme als Nachfolger der Hunnen:
Petschenen
Eine der alttürkisch-oghusischen Stämme waren die Petschenen, die — als Folge des Auseinandersetzungen beim Zerfall des Reiches der Göktürken in den Auseinandersetzungen mit den Uiguren — die Stammheimat um den Aralsee verließen und nach Westen zogen, wo sie die verwandten türkischen Hazaren (deren Namen sich in der türkischen Bezeichnung des Kaspischen Meeres — “Haza-Denizi” wieder findet) verdrängten und im 10. und 11. Jahrhundert das Gebiet vom Don bis zur Donau beherrschten, bis sie im Jahre 1091 eine vernichtende Niederlage durch byzantinische Truppen einstecken mussten.
Das Volk der Tschuwaschen sowie die eng verwandten Tataren und Kosaken dürfte von diesen Hazaren und Petschenen abstammen. Auch die später slawisierten Bulgaren, die im 5. Jahrhundert mit den Awaren auf den Balkan vordrangen, sind Nachfolger dieser Stammesverbände.
cbb) die Expansion der Oghusen:
Seldschuken
Die Kituk — eine der Verbände, die zum Stamm der Oghusen gehörten — nomadisierten östlich des Aral-Sees am Unterlauf des Syr-Darja im heutigen Kasachstan. Dieser Verband, der sich “Seldschuken” nach seinem Vorfahren “Selcuk” nannte, nahm um das Jahr 970 den Islam an und stellte sich in den Dienst der persischen Samaniden-Dynastie. Als die Samaniden von den Karachaniden besiegt wurden, nutzten diese Seldschuken die Gunst der Stunde zur Eroberung weiterer Gebiete. Nachdem die Reiche der türkischen Karahan und Gazna (Ghasnawiden in Afghanistan) erobert wurden, reichten die Grenzen des Seldschukischen Großreiches reichten vom Marmara-Meer bis zum Balkasch-See, vom Kaukasus und dem Kaspischen Meer bis an die Grenzen Indiens.
Bereits um 1040 schlugen die Seldschuken ihre türkischen Stammesverwandten, die Ghasnawiden.
Von den Abbasiden in Bagdad hofiert, wurde der seldschukische Anführer To‘g´ril Bey (= Herr) Mohamed in Bagdad zum “Sultan” ernannt — und damit auch anerkannte islamische Macht.
Bereits 1071 legten sich die Seldschuken (unter dem Neffen Bey Mohameds, Alp Arslan) mit Byzanz (von den Arabern Rom genannt) an — und erreichten einen wichtigen Sieg bei Manzikert (türk. Malazagit) nordwestlich des Van-Sees, woraufhin Kleinasien von türkischen Reiterscharen — den so bezeichneten Türkmenen — geradezu überflutet wurde. Wie aber so oft im Leben von Nomadenstämmen — das Reich der Seldschuken zerfiel in rivalisierende Stammesgebiete, die von einem Fürsten (Emir) geleitet wurden.
Ein Verwandter Arlsans — genannt Süleyman — der sich zunächst mit Byzanz arrangierte, konnte recht schnell ein großflächiges Gebiet in Anatolien unter seine Herrschaft bringen. Als das byzantinische Reich von den von Westen anrückenden Kreuzrittern geschwächte wurde, brachte dies die Rom-(Rum-)Seldschuken (die auf dem Boden des oströmischen Reiches lebenden Seldschuken) Süleymans zur endgültigen Vormachtstellung in Anatolien.
Nach einer vernichtend verlorenen Schlacht gegen die anbrandenen Mongolen zerfiel das anatolische Seldschukenreich;
östlich des Kizihrmak herrschten die Mongolen über ein seldschukisches Vasallenreich,
das westliche Seldschukenreich verbündete sich mit dem nikäischen Kaisserreich und löste sich langsam in rivalisierende Fürstentümer auf. Mit dem Sieg der Osmanen über die Karamanen, die sich als Nachfolger der Seldschuken betrachteten, wurde ein anderer türkische Stammesverband maßgeblich für die spätere Entwicklung der Türkei.
cc) Osmanen
Eines der Fürstentümer, die aus dem westlichen Seldschukenreich hervorgingen, war das Emirat des Osman. Auch die Osmanen gehörten als Kayi zum Stamm der Oghusen. Sie erhielten im 13. Jahrhundert Weidegründe in der Gegend von Eskisehir. Ausgehend von eine Fläche von etwa 1.500 km² eroberte der Stammesführer Osman (zunächst als eifriger Glaubenskrieger gegen christliche Nachbarn — der als besonders tapfer gerühmt wurde, und damit weitere Kämpfer an sich zog — ein Gebiet nach dem anderen, das dem eigenen Gebiet eingegliedert wurde, und schon um 1301 wurden die Byzantiner bei Nikomedeia geschlagen. Als Osman 1326 starb, hinterließ er seinem Sohn Orghan ein Herrschaftsgebiet von 18.000 m² — und ein bereits institutionalisiertes Staateswesen.
Sein Sohn Orghan nutzte interne Auseinandersetzungen im byzantischen Reich geschickt aus, um zu Lasten “Ost-Roms” weitere Macht zu erringen, und unterwarf gleichzeitig im Osten türkische Stammesverbände. Zugleich wurden die Stammeskämpfer in ein festes, besoldetes und trainiertes Herr umstrukturiert. Um 1350 wurde ein erster großer Brückenkopf auf europäischen Boden erobert und 1361 — mit der Eroberung von Adrianopel (türkisch Edirne), der zweitgrößten Staat des byzantinischen Rest-Gebietes, eine wirkliche Haupt“stadt” erobert, die ab 1365 auch der Sitz der osmanischen Sultane war.
Der Nachfolger Murat I übernahm bereits ein Reich von 75.000 m², das er auf ein Herrschaftsgebiet von 250.000 m² erweitern konnte.
Mit dem Sieg auf dem Amselfeld (1389) gegen die vereinten serbischen Fürstentümer wurde deutlich: die osmanische Expansion war nach Westen orientiert, und sie sollte erst vor Wien (1529, 1683) zum Stillstand kommen, nachdem das Reich der Osmanen zu Lasten der christlich-europäischen Welt schon unter Beyazit I, dem Sohn des Murat, auf etwa 700.000 m² gewachsen war.
Gebremst wurde die türkische Expansion nur von einer anderen Macht — im Osten. Beyazit I. attackierte die Emirate anderer türkischer Stämme, die — wie das Emriat des Osman — aus dem Reich der Seldschuken hervorgegangen waren, und gliederte diese — wenn er sie besiegen konnte — direkt in die osmanische Reichsverwaltung ein.
Dabei geriet Beyazit I. in Konflikt mit einem uralten Gegner der türkischen Völker — den Mongolen, die unter Timur Lenk (Tamarlan) ein riesiges Reich von Südrussland über Zentralasien, Persian, Nordindien und Irak bis nach Syrien beherrschten und sich dabei auch auf tatarisch-türkische wie auch iranisch-persische Hilfstruppen stützten (daher wird das Reich des Tamarlan vielfach auch als Mongolisch-Osttürkisches Mischreich bezeichnet). Als die “Puffergebiete” der türkischen Emirate weggefallen waren, kam es 1400 und 1402 zu kriegerischen Auseinandersetzungen, die jeweils mit vernichtenden Niederlagen der Osmanen verbunden waren.
Die Osmanen widmeten sich in der Folge wieder dem “Drang nach Westen”, die Eroberungen dort wurden gegen die Ungarn und Serben konsolidiert, und das schon längst von osmanischem Herrschaftsgebiet umgebene Konstantinopel im Mai 1453 “wie eine reife Frucht gepflückt” und als Istanbul und neue Hauptstadt des osmanischen Reiches zur Blüte gebracht.
Erst als das mongolische Reich vollends zerfallen war und in Persien mit Shah Ismail (dem Begründer der Safawiden-Dynastie) ein fanatischer Anhänger des schiitischen Islams zur Macht gekommen war, wandte sich das Interesse der Osmanen wieder nach Osten.
Shah Ismail stachelte eine Revolte von Turkstämmen an, und hielt sich — als Provokation — ein Schwein, das er “Sultan Beyazit” nannte. Beyazits Sohn, Selim I, zog daraufhin gegen die Perser vor, die er 1514 am Van-See und bei Täbris schlug, und wenige Jahre später (1517) wurde die Herrschaft der Mameluken in Ägypten durch osmanische Truppen beendet. Mit der Eroberung Kairos fielen auch die heiligen Städte Mekka und Medina in die Hände der Osmanen.
Damit war der Höhepunkt des westtürkischen Reiches erreicht. Drei “Beyerlbey”, drei “Herren der Herren”, übten im europäischen, asiatischen und afrikanischen Teil des osmanischen Reiches die Herrschaft für den Osmanischen Sultan aus.
Der Inhaber des Kalifen-Amtes als Nachfolger des Propheten — der von den Mongolen 1258 aus Bagdad nach Kairo (zum Sitz der Mamelucken) vertrieben worden war — der amtierende Kalif, also das “geistliche Oberhaupt” des Islam, wurde nach Istanbul verschleppt, die Kalifenwürde 1517 dem Sultan übertragen.
Der osmanische Sultan war also 1517 auch zum Oberhaupt der muslimischen Gemeinschaft geworden — und damit nicht nur eine “weltliche Macht”, sondern eine dem Papst gleichwertige religiöse Instanz als “Statthalter Allahs auf Erden”.
Die Christen und Juden genossen als millet den Status von eigenständigen Gemeinden, die zwar dem Sultan unterstellt — in der Verwaltung ihrer eigenen rechtlichen und religiösen Angelegenheiten — aber autonom und vom Dienst in der osmanischen Armee ausgeschlossen waren.
Dies führte dazu, dass der Patriarch von Konstantinopel unter Wahrung von bedeutenden Privilegien auch weiterhin als anerkannter politischer und religiöser Führer gegenüber dem osmanischen Staat tätig werden konnte.
Unter Süleyman dem Prächtigen (1520 — 1566) erreichte das Westtürkische Reich der Osmanen einen historischen Höhepunkt an Macht, aber auch in der Pflege von Kunst und Architektur. Die “Hohe Pforte” — die osmanische Regierung, so bezeichnet nach dem Eingangstor des Sultanspalastes — war eine anerkannte Großmacht auf europäische Boden geworden.
cbd) türkische Entwicklung im Kerngebiet Zentralasiens:
Nach dem Zerfall des “Göktürkischen Staates” gründeten die Uiguren — türkische Stämme aus dem Orhun- und Selenge-Tal — den dritten großen türkischen Staat (741 — 840), der sich vor allem durch intensive Handelskontakte auszeichnete. Die Nachfolger dieses Stammes besiedeln heute das Gebiet “Ost-Turkestan”, die chinesische Provinz Sinkiang vor allem im Gebiet des Tarim-Beckens. Das uigurische Reich zerbrach, als kirigisische Türken die Hauptstadt der Uiguren angriffen.
Nach dem Zerfall des uigurischen Reiches gründeten andere türkische Stämme — die Karluk, Cigil und Argul das türkische Karahan-Reich, das den Islam als offizielle Staatsreligion nach Zentralasien brachte.
Auch dieses Reich zerbrach sehr schnell — wieder einmal durch die Aufteilung unter zwei Brüdern. Ost-Karahan existierte bis 1211, bis es unter die Herrschaft der aufstrebenden, stammverwandten Seldschuken geriet.
Auch das türkische Gazna-Reich auf dem Boden des heutigen Afghanistan — das sogar Züge nach Indien unternommen hatte — musste sich schon 1040 den Seldschuken unterwerfen.
Diese Herrschaft war aber nicht von langer Dauer.
Externe Links:
Grundzüge der türkischen Geschichte:
Turkvölker — (http://steppenreiter.de)