Dieser Artikel wird mit freundlicher Genehmigung der “MarineForum — Zeitschrift für maritime Fragen” veröffentlicht.
Seit 1. August dieses Jahres stellt Deutschland in der maritimen Mission Atalanta der EU den Seebefehlshaber und übernimmt damit eine Führungsverantwortung am Horn von Afrika für einen Verband von Seestreitkräften der Union. Nach dem unglücklichen Taktieren unserer Regierung in der Libyen-Angelegenheit können wir bei unseren Verbündeten und Partnern durch diese Führungsverantwortung politisch wieder Boden gut machen.
In diesem Zusammenhang wird einmal mehr die Frage nach der Notwendigkeit einer Maritimen Strategie der EU gestellt, denn Maritime Sicherheit ist seestrategisch seit wenigen Jahren in den Fokus von vielfältigen Betrachtungen gerückt, bei politischen Auseinandersetzungen, auf wirtschaftspolitischen Foren, in Sicherheitskonferenzen und in wissenschaftlichen Aufsätzen. Auslöser war die dramatische Entwicklung der Piraterie am Horn von Afrika. Maritime Sicherheit ist ein komplexer Bereich; sie ordnet sich ein in die gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU, GSVP, in die Sicherheitsstrategie der Union von 2003 mit dem hoffnungsvollen Titel »A Secure Europe in a Better World« und in den Vertrag von Lissabon aus dem Jahr 2009.
Letztlich geht es um die Maritime Macht Europas. In den 1960er Jahren hat der verstorbene deutsche Vizeadmiral Edward Wegener Maritime Macht als ein Produkt aus Seekriegsmitteln, Handelsflotte und seestrategischer Position gekennzeichnet. Diese knappe Formel wird den großen strategischen Veränderungen seit jener Zeit nicht mehr gerecht und ist heute zu verstehen als ein Produkt aus Handelsflotte, Seekriegsmitteln und ihren Stützpunkten, leistungsfähigen Häfen, Schiffbau, Meerestechnik, Offshore-Windanlagen, Bohrplattformen und Unterwasser-Ölpipelines, um nur die Wichtigsten zu nennen.
Am Anfang aller sicherheitspolitischen Überlegungen stehen die nationalen Interessen eines Staates oder Bündnisses, in die sich folgerichtig die maritimen Interessen einfügen. Ihre Umsetzung erfolgt über Maritime Politik, sprich Maritime Macht. Maritime Politik ist damit Sicherheitspolitik, und Sicherheitspolitik wird heute nur noch als vernetzte Sicherheit betrachtet, in der NATO und der EU als »comprehensive approach« bezeichnet.
Gehen wir beispielhaft den strategisch bedeutenden Elementen Europäischer Politik nach, wie sie im Vertrag von Lissabon verankert sind, den Interessen, der Sicherheit und dem Handel/der Wirtschaft. In Art 3, Abs.5 ist nachzulesen: »In ihren Beziehungen zur übrigen Welt schützt und fördert die Union ihre Werte und Interessen … Sie leistet einen Beitrag zu Frieden, Sicherheit, globaler nachhaltiger Entwicklung … zu freiem und gerechtem Handel.«
Strategien verlangen ein operatives Vorgehen. Auch hier werden wir im Vertrag von Lissabon fündig. In Art. 28, Abs. 1 ist verfasst: »Verlangt eine internationale Situation ein operatives Vorgehen der Union, so erlässt der Rat die erforderlichen Beschlüsse«. Damit sind wir bei der wichtigen Operation Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie am Horn von Afrika. Mit dieser ersten maritimen Mission der Union wird das herausragende strategische Interesse nach sicheren Seeverbindungen untermauert. Aber am Horn von Afrika ist die gesamte Staatengemeinschaft dieser Welt herausgefordert, sodass das kooperative Zusammenwirken der Union mit anderen Organisationen wie den UN, der NATO und großer Handelsnationen wie Russland, China und Japan unabdingbar ist; dieses wird erfolgreich praktiziert, wie Fachkreise berichten.
Als übergeordnetes politisches Dokument muss auch auf die Internationale Seerechtsordnung der UN von 1982 verwiesen werden, die ausdrücklich die Bekämpfung der Piraterie in den Art. 102–112 behandelt, aber keine näheren Ausführungsbestimmungen nennt. Die aktuelle Situation zeigt uns, dass zur Aburteilung gefasster Piraten ein Strafgericht von Nöten ist, vergleichbar dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. Der in Hamburg angesiedelte Internationale Seegerichtshof verfügt nicht über dieses Element; eine entsprechende Erweiterung könnte zur Problemlösung beitragen. Als Notlösung musste z.B. im November vergangenen Jahres das Hamburger Landgericht tätig werden, um den Prozess gegen 10 mutmaßliche Seeräuber, die am Ostermontag vergangenen Jahres das Hamburger Frachtschiff TAIPAN überfallen hatten, durchzuführen.
Bleibt die Beantwortung der Frage, ob die EU eine Seestrategie benötigt. Eine detaillierte Analyse der oben dargestellten Bereiche macht deutlich, dass ein seestrategisches Konzept zwingend geboten ist; es muss sich jedoch als Teilstrategie in die Sicherheitsstrategie der Union von 2003 einordnen. Diese Strategie bedarf dringend der Anpassung an die aktuellen Entwicklungen. Diese Forderung erhebt auch die Organisation »EuroDefense«, die sich als unabhängige NGO in Form eines Netzwerkes in zzt. 14 EU-Staaten ideell für die Gestaltung und Fortentwicklung der GSVP einsetzt.
Die Erfahrung zeigt, dass es immer schwieriger wird, ein EU-Dokument im Konsens von 27 Mitgliedstaaten zu realisieren, umso mehr, wenn die Materie so komplex ist, wie die Maritime Sicherheit. Ein Konsens ist erforderlich, da der Vertrag von Lissabon für den Bereich der Sicherheitspolitik keine Mehrheitsentscheidungen zulässt.
Zum Autor
Jörk Reschke ist Flottillenadmiral a.D und derzeit Präsident EuroDefense Deutschland