Fakten
Die ARGE K130 stellte bei den nachfolgend mit dem Getriebehersteller Maag AG (Winterthur/Schweiz) unter fachlicher Begleitung der Amtsseite durchgeführten Befundungen an allen Getrieben der Korvetten Beschädigungen fest. Dies erforderte Untersuchungen der gesamten Antriebsanlage auf Fehlerursachen. Zusätzlich erfolgte ein Audit der Fertigung und Qualitätssicherung des Getriebeherstellers. Hierbei traten Mängel bei Konstruktion und Dokumentation der Getriebe sowie bei der Qualitätssicherung zutage, im Wesentlichen:
Unzureichende Sicherung von im Räderkasten des Getriebes befindlichen Schrauben;
Unzureichende Lagerung der zum Zahnradsatz des Getriebes gehörenden Zwischenräder im Räderkasten;
Tribokorrosion an verschiedenen Stellen im Getriebe (durch Vibrationen geförderte Reibkorrosion);
Sogenannte »Fressschäden« an den Wälzkörpern der Drucklager sowie
Mängel der Montagedokumentation.
Die Auswahl des Getriebes erfolgte seinerzeit durch die ARGE K130 im Wettbewerb unter Kosten- und Gewichtsgesichtspunkten zugunsten der Maag AG als Unterauftragnehmer gegen den konkurrenzierenden inländischen Designkandidaten.
Die ARGE K130 hatte prozessbegleitend umfangreiche Nachweise zu erbringen, die in der Liste der zulassungspflichtigen Unterlagen sowie im Plan der Leistungsnachweise (Anlagen zum Bauvertrag) enthalten sind. Das Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung (BWB) hatte die von der ARGE K130 zu erstellenden Konstruktionsunterlagen (u.a. Generalplan, Übersichtsskizzen, Anlagenschemata) auf technische Richtigkeit geprüft und genehmigt. Eine Prüfung der Konstruktionsunterlagen der von Unterauftragnehmern zugelieferten Systeme und Anlagen und damit auch des Getriebes erfolgte vertragsgemäß ausschließlich durch den Auftragnehmer ARGE K130. Für das Getriebe steht hier besonders die Qualitätssicherung der Maag AG in der Verantwortung.
Soweit der Befund. Die von ausländischer Seite im kleinen Kreis gestellte Frage »Könnt ihr keine Schiffe mehr bauen?« hat der Verfasser mehr als einmal zu beantworten versucht.
Worauf also sind die aufgetretenen Probleme zurückzuführen? Die Vorhabenaufsicht des BMVg fasst die Ursachen zusammen:
Fehlerhafte Konstruktion des Getriebes durch den Unterauftragnehmer.
Der Auftragnehmer verfolgte mit der Auswahl dieses Getriebes eine vergleichsweise risikoreiche Lösung, ohne dass der für die Antriebsanlage innerhalb der ARGE K130 zuständige Konsorte bei Konstruktion und Nachweis der Getriebe seiner Integrationsverantwortung gerecht wurde.
Kompetenz- und Kapazitätsverlust der Werften und der Unterauftragnehmer.
Ursächlich für die schiffstechnischen Mängel ist die strukturelle Dynamik der Industrie besonders bei den Unterlieferanten durch Verkäufe und Umgliederungen im Rahmen der Globalisierung. Damit verbunden ist ein fortschreitender Kapazitäts- und Kompetenzverlust, der sich z.B. durch Personalkürzungen bei den Werften und den vermehrten Einsatz von Billiglohnkräften minderer Qualifikation bei den Zulieferern zeigt.
Managementfehler des Auftragnehmers, z.B. unzureichendes Qualitätsmanagement.
Die Häufung von Problemen im schiffstechnischen Bereich beruht auf der Aufteilung der schiffstechnischen Arbeiten sowie der Verantwortlichkeiten bei der Ablieferung der Boote auf die einzelnen ARGE-Werften. Eine Koordination zwischen den unterschiedlichen QM-Systemen der Werften erfolgte nicht in ausreichendem Umfang, sodass erkannte Fehler des ersten Bootes beim Bau der nachfolgenden Boote erneut auftraten.
Fokussierung des Auftragnehmers auf kaufmännische Aspekte bei der Durchführung.
Aufseiten des ARGE-Managements ist eine vordringlich an kaufmännischen Gesichtspunkten (Aufwandsvermeidung) ausgerichtete Projektleitung zu beobachten, die Werftpersonal und Zulieferer unter erheblichen Druck setzt. Die Umsetzung des vertraglich vereinbarten Qualitätsmanagements gestaltete sich daher schwierig. Probleme wurden – selbst bei Vorliegen frühzeitiger Hinweise durch den Güteprüfdienst – von der ARGE K130 selten aktiv angegangen, sondern erst nach hinhaltender Fachdiskussion einer Lösung zugeführt. Auf diese Weise hat die ARGE K130 ein halbes Jahr lang versucht, das Problem durch claim management von sich fernzuhalten. Auf die Konsequenzen für die deutsche Marinerüstung insgesamt geht der Schluss dieses Beitrags ein.
Die Darstellung des Vorhabens K130 soll jedoch hiermit nicht enden. Die ARGE K130 ist auf die berechtigte Kritik an der auftragnehmerseitigen Durchführung eingegangen und hat im Dezember 2009 das Ruder herumgeworfen. Seither arbeitet sie die technischen Mängel systematisch ab.
Tatkräftige Unterstützung hierbei leisten das BWB und die Wehrtechnische Dienststelle 71. Den ebenso kompetenten wie engagierten Mitarbeitern sei an dieser Stelle Dank und Anerkennung für ihren Einsatz ausgesprochen.
Erfahrungen
Hieraus sind die folgenden Schlüsse zu ziehen:
Die Industrie bedarf bei der Umsetzung innovativer Lösungen und Konzepte sowie bei der Auswahl nicht praxiserprobter Komponenten der intensiven Begleitung durch den kompetenten öffentlichen Auftraggeber.
Unabdingbar für Marineprojekte ist daher der Erhalt der Beurteilungsfähigkeit des öffentlichen Auftraggebers, d.h. seines gut ausgebildeten und erfahrenen Fachpersonals.
Die Verwendung funktionaler Leistungsbeschreibungen in den Bauverträgen erhöht das Risiko der Auswahl technischer Lösungen nach überwiegend kaufmännischen Gesichtspunkten. Bei kritischen Komponenten ist daher die Beteiligung des öffentlichen Auftraggebers bei der Auswahl der technischen Lösung sicherzustellen. Dies wurde bei F125 für 10 wichtige Untersysteme durch gemeinsam mit der ARGE F125 durchgeführte Bewertungsverfahren berücksichtigt.
Bei erkannten Managementproblemen eines Auftragnehmers ist frühzeitiges und energisches Eingreifen des Projektleiters BWB z.B. in Form eines Qualitätssicherungs- Audits (wie beim Vorhaben K130 nach dem Getriebeschaden geschehen) erforderlich.
Als Folgerung aus einer mangelnden Motivation des Auftragnehmers, Probleme entschlossen zu bearbeiten und abzustellen, ist für zukünftige Projekte die Aufwertung der spät im Projekt liegenden Zahlungsmeilensteine zu empfehlen.
Da die Aufträge des Bundes für »Ausrüstungsvorhaben See« so gut wie immer durch Arbeitsgemeinschaften (ARGE) erfüllt werden, ergeben sich Vorhaben übergreifende Gesichtspunkte, die über die Marinerüstung hinausgehen.
ARGE sind – vor allem bei oligopolistischen Märkten – grundsätzlich wettbewerbseinschränkend.
Wie das Vorhaben K130, dessen Definitions- als auch Bauauftrag konkurrenzierend vergeben wurde, veranschaulicht, kann allein der Wettbewerb die Qualität der Vorhabendurchführung nicht sicherstellen.
Erfahrungsgemäß begünstigen die internen Strukturen von ARGE keine straffe Vorhabenführung und damit ‑durchführung. Hierfür ist das klarere Verhältnis zwischen Auftragnehmer und Unterauftragnehmer deutlich besser geeignet als Gesellschafterversammlungen.
Hierzu gehört auch der regelmäßig in unzureichendem Maße gegebene Zugriff des ARGE-Projektleiters auf die erforderlichen Ressourcen der Konsorten, welche jeweils abweichende Interessen verfolgen. Konflikte entstehen regelmäßig, wenn vom ARGE-Projektleiter in Anspruch genommene Unternehmensteile der Konsortialpartner eigene Verantwortung für ihre wirtschaftlichen Ergebnisse tragen.
Perspektiven
Worauf müssen sich die maritime wehrtechnische Industrie Deutschlands und der öffentliche Auftraggeber nun einstellen? Aussagen zur anlaufenden Umstrukturierung sind an dieser Stelle nicht erhältlich, auch wenn viel von ihnen abhängt. Absehbar bestehen aber gewisse Tendenzen, die sich unabhängig von Strukturentscheidungen und deren Umsetzungen auswirken werden.
Ohne die Einführung der Minenvernichtungsdrohne Seefuchs der ATLAS-Elektronik durch die Marine und ihre hierdurch mögliche kurzfristige Unterstützung eines Einsatzes hätte die Royal Navy sich kaum für das deutsche System entschieden. Haushaltsenge und Sparauflagen lassen der Deutschen Marine jedoch immer weniger Raum, um wie beim Seefuchs als Referenz für den Export zu fungieren. Hersteller für Sub-Systeme bemühen sich um reference navies im Ausland, bedauerlicherweise für Hochwert- Komponenten, die für die Deutsche Marine entwickelt wurden. Die Erfolge dieser Suche sind bislang allerdings überschaubar.
Auch Ausbildungsunterstützung zur Förderung der industriellen Ausfuhrbemühungen wird die Marine immer weniger leisten können. Ähnliches gilt für den Rüstungsbereich. Die hierfür erforderlichen Kapazitäten fallen wiederholten organisatorischen Reduzierungsrunden zum Opfer, weil die Aufgabe der Exportunterstützung weiterhin die zur Dienstposten-Begründung erforderliche Anerkennung nicht genießt. Die im Rahmen der Strukturreform von Bundeswehr und BMVg bekannt gewordenen Tendenzen legen kaum die Vermutung nahe, dass sich hieran etwas ändern wird.
Leider schließt dies ein die bisher enttäuschend verlaufenden Anläufe zur Institutionalisierung der Unterstützung des Exports von Wehrtechnik, sei es im BMVg, sei es ressortübergreifend. Angesichts der selbstverständlichen Interessenverfolgung unserer Mitbewerber-Länder ist der fortgesetzte deutsche Verzicht auf eine nationale Positionierung – wie sie zuletzt der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie Friedrich Lürssen angeregt hat (s. H. Bartels in: Europäische Sicherheit 11/2010, S. 32 f), – nicht mehr nachzuvollziehen.
Das einzige planerisch abgesicherte Neuvorhaben der deutschen Marinerüstung stellt bis auf Weiteres der Doppelhüllen- Betriebsstofftanker (ab 2017) dar. Dieser »Planungsbegriff« dient zzt. der Klärung, ob und wie weit eine alternative oder innovative Finanzierung – vor allem das hinsichtlich seiner Wirtschaftlichkeit für den Bund begründeten Zweifeln begegnende Leasing – in Betracht zu ziehen ist.
Noch kein planerisch gesichertes Vorhaben und vollkommen unter dem Vorbehalt der erwarteten Strukturentscheidungen stehend ist eine »K131«. Aus Sicht der »Ausrüstung See« ist ein solches Vorhaben wünschenswert zum Erhalt des Engineering der Werften wie der MTG und der eigenen Fähigkeiten. Die Entwicklung des nationalen W&F‑Systemhauses (s.o.) ist an dieses Vorhaben gekoppelt; Aufträge zu Forschung und Entwicklung reichen hierfür ebenso wenig aus wie Erinnerungen an frühere Größe. Damit erfolgt mit den Entscheidungen zur Realisierung dieser nächsten Systemträger- Klasse der Marine die Weichenstellung für die Zukunft des Überwasser-Marineschiffbaus in Deutschland auf Systemebene.
Damit wird allein das Vorhaben F125 mit Sicherheit mittelfristig die Kapazitäten von Industrie und Amtsseite im Neubaubereich auslasten. Der Schwerpunkt der Amtsseite wird sich verlagern von der Vorhabendurchführung zur Materialerhaltung und vor allem zur Änderung in der Nutzung, die hierfür wesentlich stärker dem Systemgedanken folgen muss.
Kursvorgaben
Der Personalumfang der deutschen wehrtechnischen Industrie entspricht mit etwa 80.000 Beschäftigten der witterungsbedingten Schwankungsbreite des inländischen Baugewerbes. Ihr Anteil am Export ist so gering, dass er volkswirtschaftlich nicht zu Buche schlägt. Wehrtechnik ist in Deutschland mithin keine strategische Industrie: Die stets wohlinformierten Griephan-Briefe – Ausgaben vom 27.09. und 04.10.2010 – filtern dies aus der Berliner Luft. Rüster auf Amts- und Industrieseite haben diese Witterung schon länger aufgenommen, derart pointiert aber noch nicht zu lesen bekommen. Was ist hiervon, gerade im Hinblick auf die maritime Wehrtechnik, zu halten?
Hierbei kann die maritime wehrtechnische Industrie für sich keine Sonderstellung beanspruchen. Bei rascher und geräuscharmer Lösung des Falles K130 hätte ihr dies angesichts der begründeten Unzufriedenheit mit den Leistungen der Luft- und Landrüstungsindustrie gelingen können. Mit der an den Tag gelegten Handhabung hat sie jedoch die Gelegenheit verstreichen lassen, neben dem weltweit anerkannten Bereich der U‑Boote auch den Überwasser-Kampfschiffbau als Zentrum nationaler Exzellenz zu etablieren. Es kommt jetzt darauf an, mit dem Vorhaben F125 diesem Ziel gerecht zu werden.
Beide Auffassungen stehen nicht gegeneinander, sondern ergänzen sich. Dies bedeutet, dass keiner von ihnen der Vorzug vor der anderen gebührt. Die Aufgabe besteht darin, sie zu einer ausgewogenen, das heißt vernünftigen Betrachtungsweise zusammenzuführen. Ein Zurück zur reinen Industriepolitik ist damit ebenso ausgeschlossen wie die rein quantitative Betrachtung, wenn sachgerechte Entscheidungen zu treffen sind.
Zunächst ist festzustellen, dass diese Bestandaufnahme nach der volkswirtschaftlichen Bedeutung erfolgt und hierbei den quantitativen Aspekt in den Vordergrund stellt. Sie steht neben der herkömmlichen industriepolitischen Sichtweise, welche im breiten Konsens die Rüstungsbasis als militär- und sicherheitspolitisches Element, ausschlaggebend nicht nur für die nationalen Ressourcen der Verteidigung und der Hochtechnologie, sondern auch für die Kooperationsfähigkeit und die Stellung im Bündnis ansieht und die militär- und sicherheitspolitische Bedeutung akzentuiert.