Dieser Artikel wird mit freundlicher Genehmigung der “MarineForum — Zeitschrift für maritime Fragen” veröffentlicht.
Beobachtungen von der Hardthöhe
Als der Verfasser sich dem Drängen der Schriftleitung nach diesem Beitrag nicht länger verweigern mochte, durfte er noch davon ausgehen, dass verteidigungs- und sicherheitspolitische Gesichtspunkte den Stellenwert der wehrtechnischen Industrie bestimmen. Tempi passati? Gleichzeitig treffen die Leistungen der deutschen Marine-Rüstungsindustrie auf wachsende Kritik, welche sich vor allem an der Durchführung des Vorhabens Korvette Klasse 130 (K130) entzündet. Die Marine-Werften selbst befinden sich in tief greifender Umgestaltung. Anlässe genug für eine Zusammenschau aus der Sicht des Verantwortlichen für die »Ausrüstung See«.
Industrielandschaften
Die deutsche U‑Boot-Technologie genießt Weltruf und steht im Zentrum der Anerkenntnis und der Aufmerksamkeit zumindest der ausländischen Bedarfsträger wie der Rüstungsstrategen befreundeter Länder. Neben den gepanzerten Erzeugnissen der Heeresrüstung stehen vor allem die U‑Boote für im harten internationalen Wettbewerb erfolgreiche deutsche Wehrtechnik auf Systemebene. Wesentlich zu Ausbau und Festigung dieser Position tragen die vom Ursprung der U‑Boot-Waffe an geschaffenen operativen Kenntnisse und Fähigkeiten der Marine bei, die sowohl in die Auslegung der U‑Boote einfließt als auch den ausländischen Kunden im Wege der Ausbildung zugute kommt.
Die zur ThyssenKrupp Marine Systems AG (TKMS) gehörige Kieler HDW steht für das auch in der Ausfuhr unter weitgehender inländischer Wertschöpfung erfolgreiche Waffensystem »U‑Boot«, wobei jedoch ein steigendes Verlangen ausländischer Kunden nach Beteiligung nationaler Industrien festzustellen ist. Dies erstreckt sich auch auf hochwertige Untersysteme wie den Torpedo DM2 A4, für den die ATLAS-Elektronik GmbH den Ausfuhrkunden modernste Technologie anbieten muss, um im intensiven Wettbewerb zu bestehen. Die Deutsche Marine, welche bislang den leistungsfähigsten Schwergewichtstorpedo stets für sich beanspruchte, hat dies zur Unterstützung der Exportbemühungen und damit zum Erhalt dieser nationalen wehrtechnischen Kernfähigkeit akzeptiert.
Als Systemhaus begegnet uns die ATLAS-Elektronik im Bereich der Minenabwehr, auf dem sie ihre weltweite Technologieführerschaft ebenso wie auf dem Gebiet der aktiven tieffrequenten Unterwasser-Ortung (LFTAS) wegen fehlender nationaler Referenzprojekte einschließlich der damit verbunden Aufträge einzubüßen droht.
Im Unterwasser-Bereich insgesamt ist die deutsche wehrtechnische Industrie weiterhin aktiver Teilnehmer am internationalen Wettbewerb. Sie verliert ihre starke Position jedoch mehr und mehr, weil die Umsetzung innovative Referenzprojekte (IDAS, LFTAS, MJ 2000), die den Erhalt ihrer Alleinstellung sicherstellen könnten, seit Jahren ausbleibt und insbesondere der französische Wettbewerb ihr mit massiver staatlicher Unterstützung auf jedem einzelnen Marktsegment entgegentritt.
Das Interesse am Überwasser-Bereich der inländischen wehrtechnischen Industrie richtet sich gegenwärtig auf das Engagement von Abu Dhabi Mar (ADM) bei der TKMS, das für die TKMS Erleichterung in unauskömmlichen zivilen Bereichen sowie Verbesserung des weltweiten Zugangs zum Markt für Kampfschiffe und damit Chancen für eine nachhaltige Geschäftsentwicklung verspricht.
Die Bundesregierung steht der neuen Partnerschaft aufgeschlossen gegenüber. Für den Verteidiger ist die alternativlose Verbindung mit ADM auch im Hinblick auf die hiermit bezweckte Bereinigung der Werftenlandschaft insoweit begrüßenswert, als sie jahrzehntelange Alimentationserwartungen – statt Wettbewerbs – von drei Großwerft-Standorten beendet, für welche zusammen die Beschaffungsvorhaben des Bundes zu wenig zum Leben und zu viel zum Sterben waren und die im Export von Überwasser-Kampfschiffen wenig Fortune bewiesen, abgesehen von den Zeiten materieller wie finanzieller Unterstützung durch die NATO und den Bund. Bedenken wegen des mit der Zergliederung und Veräußerung einhergehenden wirtschaftlichen Substanzverlusts des Auftragnehmers TKMS fielen im Verfahren nach dem Außenwirtschafts-Gesetz in Federführung des BMWi nicht besonders ins Gewicht, werden aber anlässlich künftiger Marine-Beschaffungsvorhaben des Bundes auszuräumen sein.
Mit dem Erwerb der Hollandse Signaal Apparaten B.V. durch vom französischen Staat kontrolliertes Kapital (Thomson-CSF) im Jahre 1990 kam der damaligen Blohm & Voss AG (B+V) schrittweise das W&F‑Systemhaus abhanden. Mit dem Übergang auf THALES (2000) verlor Hengelo den Rest seiner Eigenständigkeit. Damit endeten auch die Exporterfolge der TKMS (zuletzt 1999 MEKO A200 SAN für Südafrika). Die seitherigen Versuche der B+V, später der TKMS, diese Funktion selbst zu übernehmen, musste das Unternehmen im Vorhaben Fregatte Klasse 125 (F125) aufgeben.
Nach einem verlorenen Jahrzehnt hat der Vorstand der TKMS vor dem Program Review F125 am 12.08.2009 mit einer unternehmerischen Entscheidung den Kurs neu bestimmt. Die Entwicklung des Einsatzsystems erfolgt seither durch ein »Innenkonsortium« von ATLAS-Elektronik und TKMS, das wie in der Abbildung dargestellt der ARGE F125 zuarbeitet. Hierin besteht eine ebenso interessante wie begrüßenswerte Neuerung, mit welcher sich die überfällige Heranbildung eines nationalen W&F‑Systemhauses abzeichnen kann. Bei konsequenter Fortführung begründet dieser Ansatz die Chance für den deutschen Wehrtechnik-Standort, nach langjähriger Stagnation den von den ausländischen Mitbewerber- Ländern längst geschaffenen Ressourcen (THALES, BAE, SELEX) im Wettbewerb auf Augenhöhe zu begegnen.
Seit Einrichtung des »Innenkonsortiums« und der Anpassung der Abläufe in der ARGE F125 und den beteiligten Unternehmen verläuft das Vorhaben im vertraglichen Zeit- und Kostenrahmen. Diese Entwicklungen sollen den Blick auf die weiteren industriellen Akteure nicht verstellen, deren Teilhabe in allen Beschaffungsvorhaben von Überwasser-Systemträgern auf die eine oder andere Art mit scheinbar naturgesetzlicher Unausweichlichkeit eintritt: Die Friedrich Lürssen Werft mit ihren Tochterwerften und die Peene Werft, zuletzt Schauplatz der Kiellegung des 3. Einsatzgruppenversorgers.
Weiteres zum industriellen Tableau, besonders auch zu den Grundlagen der zunehmend an Gewicht gewinnenden Materialerhaltung der Marine, enthält der Beitrag von A. Schmidt »Aktuelle Veränderungen in der Deutschen Schiffbauindustrie«, Europäische Sicherheit Nr. 10/2010, S. 46 ff oder ders., »Deutsche Marine- Schiffbauindustrie«, MarineForum 10/2010, S 9 ff.
Friktionen
Korvette K‑130 BRAUNSCHWEIG |
Der über die vergangenen Jahrzehnte erarbeitete Ruf der Erzeugnisse deutscher maritimer Wehrtechnik hat in letzter Zeit durch eine Reihe von tatsächlichen oder behaupteten Fehlleistungen (z.B. K130, U214 PAPANIKOLIS) gelitten. Zusammenfassend ist festzustellen, dass sowohl im In- als auch im Ausland der Eindruck sich verfestigt hat, es laufe bei uns nicht mehr »rund«. Dies schwächt den im lebenswichtigen Export oft ausschlaggebenden Qualitätsnimbus des »German Engineering« als Käuferkriterium gegen Preisargumente oder politische Unterstützung der Mitbewerber.
Im März 2009 traten bei der Erprobung der dritten Einheit der Klasse K130 OLDENBURG Getriebeprobleme auf, die zur Stilllegung aller fünf Boote, auch der zuvor abgenommenen und in Dienst gestellten BRAUNSCHWEIG und MAGDEBURG führten. Aufgrund handwerklicher bzw. konstruktiver schiffstechnischer Mängel hatte der Auftragnehmer, die ARGE K130, die BRAUNSCHWEIG um sechs und MAGDEBURG um über sieben Monate verspätet abgeliefert. Das einer breiten Öffentlichkeit bekannt gewordene Vorhaben K130 veranschaulicht Zusammenhänge, denen allgemeine Gültigkeit zukommt und im Folgenden näher darzustellen sind; es soll daher als Beispiel dienen.