Gravierende Fähigkeitslücken im Bereich der Mobilität
Deutlich wurde in dem Expertenkreis, dass eine Beteiligung deutscher Truppenkontingente nur möglich ist, wenn diese auch in das Einsatzgebiet gelangen können. Die Bundeswehr besitzt jedoch bislang keine operative Verlegekomponente, um einsatzfähige Kräfte an Land und wieder auf See verbringen zu können. Dadurch besteht eine gravierende Fähigkeitslücke im Bereich der Mobilität. Die Teilnehmer wurden auch darüber informiert, dass der strategische Seetransport, bei dem Material und Personal getrennt in ein sicheres Drittland in der Nähe des Einsatzgebietes verbracht werden, durch eine Vereinbarung mit Dänemark sichergestellt ist.
Ein anderes Bild ergibt sich beim operativen Transport – der Gesicherten Militärischen Seeverlegefähigkeit. Hierbei werden geschlossene Truppenkontingente – also Personal und Material und Munition – gemeinsam an Bord einer militärischen Einheit von dem sicheren Drittland in das Einsatzgebiet transportiert – und dies gegebenenfalls auch unter Bedrohung. Diese Art des Transports erfordert daher in der Regel ein Schiff, das genau für diesen Zweck konstruiert werden muss, da es auf dem Weltmarkt nicht existiert, also auch nicht gechartert werden kann. Nur mithilfe des operativen Transports an Bord eines Kriegsschiffes wäre man auch in der Lage, einsatzfähige Kräfte in einer Region, jedoch außerhalb des vorgesehenen Einsatzlandes, bereitzuhalten und somit allein durch deren Präsenz Einfluss auf die Situation an Land zu nehmen.
Im Verlauf der weiteren Diskussion wurde auch erörtert, dass die Deutsche Marine über keine »Marines« verfügt und daher längerfristig rund 2.000 Heeressoldaten lernen müssten, wie man an Bord eines Schiffes lebt und von dort über den Strand an Land geht, um anschließend im Einsatzland zu operieren. Entscheidend ist deshalb, bei den weiteren Arbeiten zur Konkretisierung der KGv Basis See die anderen Teilstreitkräfte im wahrsten Sinne »im Boot« zu halten. Insbesondere seitens des Heeres gibt es noch Raum zur Anerkenntnis des Fähigkeitsgewinns, auch um die erforderlichen Ressourcen mitzutragen.
Die Marine ist daher gut beraten, parallel zu den konzeptionellen Überlegungen, auch die praktischen Aspekte zur Umsetzung der Konzeption Basis See voranzutreiben, wozu insbesondere die Entwicklung des Fähigkeitsprofils für ein deutsches Joint Support Ship (JSS) zusammen mit den anderen militärischen Organisationsbereichen gehört. Wenn dieses Profil in naher Zukunft erarbeitet ist, kann es, rein theoretisch, auch umgesetzt werden, um ein entsprechendes Schiff zu bauen. Allen Teilnehmern des Expertengesprächs war dabei deutlich, dass sich eine Realisierung der planerischen Arbeiten zur materiellen Ausgestaltung des Konzepts Basis See schwierig gestalten wird, da für den derzeit zu erstellenden Bundeswehrplan 2011 die finanzielle Vorgabelinie dem Vernehmen nach jährlich ca. 1,1 Mrd. Euro unter der des Vorjahres liegen wird.
Mit Bedauern stellten die Tagungsteilnehmer fest, dass aus diesem Grund zurzeit eine Realisierung des Projektes JSS nicht sichergestellt ist, weil sich im Haushalt hierfür bis auf Weiteres kein Geld befindet. Bei Beibehaltung dieser Planung kann in den kommenden Jahren im Bereich des operativen Transports die dringend benötigte Fähigkeit nicht aufgebaut werden. Ohne JSS muss in Zukunft darüber hinaus zur Unterstützung von Einsätzen der Spezialkräfte entweder auf die Fähigkeiten unserer Einsatzgruppenversorger bzw. Fregatten zurückgegriffen werden oder die Streitkräfte sind auf die Hilfe anderer Nationen angewiesen. Es gilt daher, in den kommenden Jahren die Beschaffungsabsicht für ein deutsches JSS mit Nachdruck in die Planung des Generalinspekteurs der Bundeswehr wieder einzubringen. Wenn die Deutsche Marine zukünftig bei maritim geprägten Operationen teilhaben will, muss sie auch über die Befähigung für eine tragende Rolle verfügen.
Unabhängig von einer Realisierung des JSS ist es von besonderer Bedeutung, praktische Erfahrungen mit Operationen von See an Land zu machen. Dazu finden Gespräche mit der französischen Marine statt, um sie für eine Teilnahme an der Übung »Northern Coasts« in 2011 zu gewinnen. »Northern Coasts« ist die jährliche Übung, in deren Rahmen, unter Beteiligung von NATO- und Nicht-NATO-Staaten, der streitkräftegemeinsame Einsatz zur Krisenbewältigung und Konfliktverhütung in der Ostsee und ihren Zugängen geübt wird. Im vergangenen Jahr sind an dieser Übung immerhin 13 Nationen beteiligt gewesen. Die Deutsche Marine möchte Frankreich davon überzeugen, an dieser Übung mit einem ihrer Docklandungsschiffe teilzunehmen. Konkret wird auf eine Beteiligung der FOUDRE gehofft. Dieses Schiff verdrängt 12.000 Tonnen, ist ca. 170 m lang und kann ein Truppenkontingent von ca. 600 Heeressoldaten über 10.000 sm transportieren. Dies würde die Gelegenheit bieten, den Einsatz einer derartigen Einheit unmittelbar im Rahmen einer eigenen streitkräftegemeinsamen Operation zu erproben. Die Möglichkeiten und der Nutzen einer derartigen Plattform könnten so ganz »hautnah« erlebt werden. Auch den Skeptikern würde somit der Mehrwert einer derartigen Einheit für unsere Streitkräfte ganz deutlich vor Augen geführt.
Dänische ESBERN SNARE Foto: Michael Nitz |