Deutschland — Piraterie: Neue Kooperationsformen für maritime Sicherheit Deutschlands erforderlich

Flagge Deutschland

Dieser Artikel wird mit fre­undlich­er Genehmi­gung der “Marine­Fo­rum — Zeitschrift für mar­itime Fra­gen” veröf­fentlicht.

Marineforum

Nobody asked me, but …
Neue Koop­er­a­tions­for­men für mar­itime Sicher­heit Deutsch­lands erforderlich

Von Peter Alden­hoff
(Peter Alden­hoff ist Polizeiober­rat und Leit­er 1. Polizeire­vi­er beim Polizeiprä­sid­i­um Frank­furt am Main und Absol­vent der Polizeiführungsakademie 2002.) 

Marineforum - Polizeioberrat Peter Aldenhoff
Polizeiober­rat Peter Alden­hoff
Bildquelle: Marine­fo­rum

Seit dem Som­mer dieses Jahres geis­tert ein Wort durch die deutsche Medi­en­land­schaft, das man in der deutschen Öffentlichkeit jahrzehn­te­lang Roma­nen und Kinofil­men zuschrieb: »Pira­terie«. Am 28. Mai 2008 hat­ten soma­lis­che Pirat­en den Mas­sen­gut­frachter MV LEHMANN TIMBER, der ein­er Lübeck­er Reed­erei gehört, in den inter­na­tionalen Gewässern vor Soma­lia gekapert und in ihre Gewalt gebracht. Erst nach 41 Tagen in der Hand der Pirat­en kam die Besatzung des Schiffes Anfang Juli gegen Zahlung eines Lösegeldes wieder frei. Seit­dem bericht­en die Nachricht­en nahezu wöchentlich über neue Fälle von Pira­terie, vor allem vor den Küsten Asiens und Afrikas. Die Öffentlichkeit ist inzwis­chen sehr sen­si­bel für dieses The­ma, und deutsche Reed­ereien machen ihren Ein­fluss gel­tend, um Par­la­ment, Regierung und Behör­den zum Han­deln aufzufordern. 

Der Fall MV LEHMANN TIMBER offen­bart ekla­tante Män­gel in der deutschen Sicher­heit­sar­chitek­tur, aber auch unver­ständliche Zurück­hal­tung seit­ens der Bun­de­spoli­tik, sich mit dieser Sit­u­a­tion zu befassen und die Prob­lem­stel­lun­gen im Sinne der betrof­fe­nen Schiff­seign­er und Besatzungsmit­glieder zu lösen. Wochen­lang kon­nte man in den Medi­en ver­schiedene Vari­a­tio­nen des The­mas »Die Zuständigkeit liegt in den Hän­den der Bun­de­spolizei, diese ver­fügt aber nicht über die erforder­lichen Mit­tel. Die Deutsche Marine hat die erforder­lichen Mit­tel, aber nicht die rechtlichen Befug­nisse und Zuständigkeit­en« lesen. 

Auf kon­struk­tive Ideen seit­ens der Bun­desregierung und ihrer Behör­den, wie man Mit­tel und Befug­nisse vere­ini­gen und die Täter der Jus­tiz zuführen kön­nte, wartete die Öffentlichkeit vergebens. Glück­licher­weise verbesserte u.a. auch ein hochkarätiger Beitrag des promi­nen­ten Staat­srechtlers Prof. Ulrich Fas­ten­rath in der FAZ vom 19. Juni 2008 mit dem Tenor, dass die Deutsche Marine eben doch recht­mäßig ein­schre­it­en dürfe, die Qual­ität der öffentlichen Diskus­sion erhe­blich. Den­noch beste­ht der Bun­desmin­is­ter der Vertei­di­gung trotz des hohen Hand­lungs­be­darfs auf ein­er Änderung des Grundge­set­zes. Auf­fal­l­end ist, dass der Bun­desmin­is­ter des Inneren, dem die für polizeiliche Auf­gaben auf Hoher See zuständi­ge Bun­de­spolizei See unter­ste­ht, sich bish­er über­haupt nicht in der Öffentlichkeit zu diesem Prob­lem­feld geäußert hat. 

Dabei gibt es inter­na­tion­al dur­chaus sehr gute Beispiele, wie Polizei und Marine auf recht­staatlich saubere Weise gemein­sam dieses Prob­lems Herr wer­den kön­nten. Wir Deutschen sind mit dem Dilem­ma des Ver­bots der Polizeiar­beit durch Stre­itkräfte nicht allein: Die USA befind­en sich in ein­er ganz ähn­lichen Lage. Die US-Navy darf zwar bei ihren Ein­sätzen in inter­na­tionalen Gewässern Pirat­en vertreiben, aber keine polizeiliche Gefahren­ab­wehr oder Strafver­fol­gung durch­führen. Dafür ist auss­chließlich die US Coast Guard zuständig. 

Marineforum - der Kommandant eines US-Kreuzers beobachtet die Vorgänge auf der gekaperten FAINA (Foto: US-Navy)
Der Kom­man­dant eines US-Kreuzers beobachtet die Vorgänge auf der gekaperten FAINA
Bildquelle: US-Navy

Allerd­ings lassen sich die prag­ma­tis­chen Amerikan­er für diese Lage rechtlich ein­wand­freie Lösun­gen ein­fall­en: Entwed­er ord­nen sie ihren Marin­e­ver­bän­den auf See jew­eils auch einzelne Schiff­sein­heit­en der Küstenwache mit hoher Seefähigkeit und ‑aus­dauer zu. Oder auf einzelfahren­den Kriegss­chif­f­en der Navy wer­den »Law Enforce­ment Detach­ments« der Coast Guard eingeschifft, die für die Strafver­fol­gung auf See zuständig sind. Sobald dann die Polizeige­walt der Coast Guard gefragt ist, set­zt das Kriegss­chiff die Flagge der Küstenwache und das Law Enforce­ment Detach­ment geht an die Arbeit. Auf diese Weise arbeit­et sog­ar die Marine der Nieder­lande mit der US-Küstenwache zusam­men. Und so ein­fach kön­nte das auch zwis­chen Deutsch­er Marine und Polizei von­stat­ten gehen, ins­beson­dere außer­halb der deutschen Küstengewäss­er, und ger­ade auf den Feldern Ter­rorab­wehr und Bekämp­fung der Piraterie. 

Die US Coast Guard als mil­itärisch organ­isierte mar­itime Behörde ver­fügt außer­dem auch über große Ein­heit­en in Korvet­ten- und Fre­gat­ten­größe mit großer Seeaus­dauer, um in inter­na­tionalen Gewässern und in den Küstengewässern der USA die mar­iti­men Inter­essen der USA zu vertreten, Ter­ror­is­ten sowie Men­schen- und Dro­gen­schmug­gler zu jagen, ille­gale Immi­gra­tion zu unterbinden, Seenothil­fe zu leis­ten, den Fis­chereis­chutz durchzuführen und vieles mehr. So etwas gibt es derzeit in Deutsch­land nicht. 

Das aber ist schw­er zu ver­ste­hen. Schließlich ist ger­ade Deutsch­land im inter­na­tionalen Ver­gle­ich die an weltweit viert­er Stelle ste­hende Han­dels­macht! Deutsch­lands Han­dels­flotte sowie die im Besitz deutsch­er Reed­ereien ste­hen­den Schiffe unter aus­ländis­chen Flaggen machen eben­falls ein Vier­tel des See­han­dels der Welt aus. Deutsch­lands Gesamtwirtschaftsvol­u­men ist zu über 50 Prozent in irgen­dein­er Form von See­trans­porten abhängig – und das mit steigen­der Ten­denz. Deutsch­land ist eine Seemacht, daran gibt es keinen Zweifel. Seemächte zeich­nen sich aber auch dadurch aus, dass sie wil­lens und in der Lage sind, u.a. ihre mar­iti­men Ver­sorgungsadern gegen Ter­ror­is­ten, Pirat­en und son­stige Straftäter zu schützen. 

Wo auch immer die kün­ftige Organ­i­sa­tions­form mar­itimer Gefahren­ab­wehr und Strafver­fol­gung hin­tendieren wird, ohne eine wesentlich engere Koop­er­a­tion zwis­chen Bun­de­spolizei und Marine wird es kün­ftig nicht mehr gehen. Wie bere­its geschildert, ver­fü­gen die einen über die richti­gen Ein­satzmit­tel, die anderen aber über Zuständigkeit und rechtlich­es Instru­men­tar­i­um. Was liegt näher, als bei­des für den Ein­satz zu vere­ini­gen? Die Bil­dung ein­er mar­iti­men EU-Mis­sion, wie derzeit in Vor­bere­itung, ist kein Ersatz für die drin­gend erforder­liche Bil­dung eigen­er Kräfte. Die Anzahl der Pira­te­nan­griffe vor Afrikas Küsten nimmt ständig zu, der näch­ste Deutsch­land betr­e­f­fende Pira­teriefall ste­ht sozusagen unmit­tel­bar vor unser­er Tür, und das Gebot der Stunde lautet »ziv­il-mil­itärische Kooperation«. 

Team GlobDef

Seit 2001 ist GlobalDefence.net im Internet unterwegs, um mit eigenen Analysen, interessanten Kooperationen und umfassenden Informationen für einen spannenden Überblick der Weltlage zu sorgen. GlobalDefence.net war dabei die erste deutschsprachige Internetseite, die mit dem Schwerpunkt Sicherheitspolitik außerhalb von Hochschulen oder Instituten aufgetreten ist.

Alle Beiträge ansehen von Team GlobDef →