Deutschland — Nach dem Sturm: Neuorientierung statt Transformation

Dieser Artikel wird mit fre­undlich­er Genehmi­gung der “Marine­Fo­rum — Zeitschrift für mar­itime Fra­gen” veröf­fentlicht.

Marineforum

Es kommt bekan­ntlich auf den Blick­winkel an! »Früher war mehr Lamet­ta!« mag zwar stim­men, hil­ft aber bei der aktuellen Her­aus­forderung (Reduzierung auf 175.000 Uni­formträger) und der obwal­tenden Umstände (Sparhaushalt) nicht weiter. 

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Die Marine ist aus der aktuellen »Neuori­en­tierung der Bun­deswehr« (Neuori­en­tierung hat die Trans­for­ma­tion erset­zt) keineswegs geschwächt her­vorge­gan­gen. Jedoch muss man auf dem Jahrmarkt der Eit­elkeit­en nicht öffentlich verkün­den, dass der Kalte-Krieg-Schlüs­sel zwis­chen den Teil­stre­itkräften zugun­sten der Marine verän­dert wor­den ist. Es ist der Marine­führung gelun­gen, alle Fähigkeit­en aufrechtzuer­hal­ten: Bre­ite vor Tiefe – auf Kosten der Durchhaltefähigkeit. 

Die Marine in nüchter­nen Zahlen: Kün­ftig bereed­ern 13.044 Marine-Ange­hörige (plus bis zu 800 Frei­willig Dien­stleis­tende) etwa 55 Schiffe und Boote sowie 40 Luft­fahrzeuge. Die beschlossene Aus­pla­nung der Haupt­waf­fen­sys­teme stellt sich wie fol­gt dar: Kün­ftig bilden elf Fre­gat­ten (4 F123, 3 F124 und 4 F125) und fünf Korvet­ten den Kern der Über­wasser­stre­itkräfte. Anfang des näch­sten Jahrzehnts sollen sechs Ein­heit­en der neuen Klasse Mehrzweck­kampf­schiff (MKS) 180 hinzukom­men. Ab 2013 ver­fügt die Flotte über drei Ein­satz­grup­pen­ver­sorg­er und sechs U‑Boote der Klasse 212A. Die Zahl der Minen­ab­wehrein­heit­en wird auf zehn reduziert. Zudem ist die stre­itkräftege­mein­same Beschaf­fung von zwei Joint Sup­port Ships (JSS) geplant, die aber noch nicht haushaltswirk­sam unter­legt ist. 

Eine pos­i­tive Entschei­dung ist der weit­ere Betrieb von acht Seefer­naufk­lär­ern P3‑C Ori­on. (Über anders lau­t­ende Über­legun­gen ist auf diesen Seit­en berichtet wor­den.) Kün­ftig soll es 30 Marine- Hub­schrauber geben, die die bish­eri­gen Typen Seak­ing und Sea Lynx ablösen. Die Reduzierung von 120 NH 90 Trans­porthub­schraubern auf 80 Ein­heit­en in der neuen Heeres-Struk­tur wird sich wohl auf das Marine-Hub­schrauber­pro­gramm auswirken: 30 MH 90 bieten sich als Kom­pen­sa­tion für 40 NH 90-Hub­schrauber, die bere­its unter Ver­trag sind aber nicht mehr benötigt wer­den, ger­ade zu an. Man mag dies bekla­gen und auf oper­a­tive Forderun­gen der Marine ver­weisen, die rüs­tungswirtschaftliche Real­ität in Bonn und Berlin ist eine andere. 

Das neue Marinekom­man­do – und mit ihm der kün­ftige Befehlshaber der Marine – zieht nach Ros­tock. Dies ist eine gute Entschei­dung, da es sich unbe­strit­ten um einen mar­iti­men Stan­dort han­delt (Fak­tor »Möwen­schiss«) und Berlin nur wenige Auto­bahn­stun­den ent­fer­nt ist. Zu Speku­la­tio­nen über das Marine­haup­tquarti­er hat die Marine darauf hingewiesen, dass der Auf­bau ein­er neuen MHQ/­MOC-Kapaz­ität in Ros­tock im Über­gang ein­er gewis­sen Zeit bedarf. »Dies bed­ingt vor­erst den Weit­er­be­trieb des MOC in Glücksburg.« 

Welchen Her­aus­forderun­gen muss sich die Marine stellen? Ein­er Bin­nen­her­aus­forderung und der sich am poli­tis­chen Hor­i­zont abze­ich­nen­den Möglichkeit, dass die Umfangszahlen der Bun­deswehr noch ein­mal über­prüft wer­den. Die Bin­nen­her­aus­forderung beste­ht darin, mit begren­zten Haushaltsmit­teln den recht­en Mix zwis­chen Erhalt und Mod­ernisierung beste­hen­der Plat­tfor­men und Waf­fen­sys­te­men auf der einen Seite und Investi­tion in neue Sys­teme auf der anderen zu gewährleis­ten. Die MPA brauchen neue Flugkör­p­er, damit sie kün­ftig nicht allein Sen­soren, son­dern auch Effek­toren sein kön­nen. Im MF ist die Notwendigkeit nach einem neuen Schiff-Schiff-FK aus­führlich dargestellt wor­den. Hier ist darauf zu acht­en, dass keine kost­spielige »Gol­dran­dlö­sung« ins Auge gefasst wird. Das Argu­ment, das inno­v­a­tive Flugkör­p­er-Vorhaben IDAS rechne sich nicht bei sechs U‑Booten, hat uns nie überzeugt. Anders herum wird ein Schuh draus: Ger­ade weil es nur sechs Ein­heit­en sind, muss deren Effek­tor­wirkung poten­ziert wer­den. Da auch bei Bünd­nis­part­nern Inter­esse beste­ht, ist die Marine gut berat­en, an IDAS grund­sät­zlich festzuhal­ten. Mit der Fre­gat­te F124 ver­fügt die Marine über die Fähigkeit zur Abwehr bal­lis­tis­ch­er Flugkör­p­er (BMD). Zusam­men mit vier nieder­ländis­chen und drei dänis­chen Fre­gat­ten kön­nte Europe zehn (!) Ein­heit­en im Rah­men ein­er bünd­nis­ge­mein­samen BMD-Abwehr stellen. Diese Fähigkeit muss die Marine in den sicher­heit­spoli­tis­chen Diskurs in Berlin einbringen. 

Grund­sät­zlich ist dem in der Öffentlichkeit vorherrschen­den Ein­druck ent­ge­gen­zutreten, die Marine habe vornehm­lich Pira­terie abzuwehren – und bedürfe hier­für lediglich leichter Ein­heit­en. Der Verzicht auf klas­sis­che Fähigkeit­en wie U‑Jagd, Minen­ab­wehr und Ver­bands-Flu­gab­wehr wäre fatal. Die Frage ist allein, in welchem Umfang diese Fähigkeit­en kün­ftig vorge­hal­ten wer­den können. 

Zu guter Let­zt ist auf die Stur­m­mel­dung in Berlin zu ver­weisen, die Bun­deswehr müsse – angesichts der Banken- und Haushalt­skrise um Griechen­land und Euro – weit­er auf etwa 150.000 Uni­formträger abge­senkt wer­den. Dies ist in der Tat nicht auszuschließen. Für die Marine gilt allerd­ings, dass weit­ere Ein­schnitte nicht zu ver­ant­worten sind – wenn nötig unter Aufkündi­gung des »Com­ments« unter den Teil­stre­itkräften! Nach dem Sturm ist vor dem Sturm. 

Zum Autor
Heinz Schulte ist Chefredak­teur griephan und Vor­standsmit­glied des DMI 

Team GlobDef

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